Zu den Wahlen in Chile
Wenn sich zwei streiten

von Emil Berger

04/2018

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In einem Klima der Agonie des Mitte-Links-Bündnisses Nueva Mayoria (Neue Mehrheit, NM) fanden im November 2017 eine Reihe von Wahlen statt. Kurz vor Weihnach­ten konnte schließlich der rechte Präsi­dentschaftskandidat die Stichwahl für sich entscheiden. Die sozialistische Prä­sidentin Michele Bachelet muss daher zum zweiten Mal ihre Amtsgeschäfte an Sebastian Pinera übergeben. Glück­licherweise verfügt er bisher über keine parlamentarische Mehrheit.

Wie konnte es dazu kommen? Chile ist inzwischen ein weitgehend entpoliti­siertes Land. Dafür gibt es verschiedene Gründe, die sich gegenseitig verstär­ken. Am Anfang stand die Strategie der Militärdiktatur die Menschen mit dem Tratsch über Prominente auf andere Gedanken zu bringen. Heute wird das von den privaten Massenmedien fort­geführt, als Verstärker wirkt dabei der Neoliberalismus.

Ein weiterer Punkt ist die Pers-pektivlosigkeit. Sollte das bestehende ökonomische System ernsthaft in Frage gestellt werden, ist wieder mit einem Militärputsch zu rechnen. Das will niemand! Bisher gibt es keine Idee wie das zu verhindern wäre. Auch dieser Umstand trägt zur Entpolitisierung bei.

Nicht vergessen werden darf die Korruption. Man hat den Eindruck, dass die gesamte Gesellschaft in die­sem Sumpf versinkt. Dieses Bild zeich­nen zumindest die Massenmedien. Für den einfachen Bürger ist es schwierig festzustellen, wann tatsächlich ein Fehl­verhalten vorliegt. Die rechten Medien, Linke gibt es nur am Rande, benutzen dieses Argument auch gerne im Kampf gegen ihre politischen Gegner. So klebt an Michele Bachelet der Fall Caval, in dem ihr Sohn die Hauptrolle spielt.(1) Auch neue Akteure sind schnell mit solchen Vorwürfen konfrontiert. Die Nutzung eines Privatjets durch Marco Enriquez-Ominami (MEO), er war vor einigen Jahren der Star der Progressi­ven außerhalb der NM, scheint ein Fall von illegaler Wahlkampffinanzierung zu sein.(2)

Ökonomisch machte der sozialisti­schen Präsidentin das Fallen des Kupf­erpreises zu schaffen. In den ersten drei Jahren ihrer Amtszeit verringerte sich sein Wert von knapp 7.000 USD/t auf ca. 5.000 USD/t.(3) Die dadurch hervor­gerufenen Schwierigkeiten - dieses Metall ist immer noch das Rückgrat der chilenischen Wirtschaft - führten die Konzernmedien auf Fehler der Regie­rung zurück, nicht auf den von ihnen sonst so gelobten freien Markt.

Diese Medien produzierten auf allen Gebieten eine Hasskampagne gegen die angeblich linke Regierung. Gestürzt auf christdemokratische Poli­tiker wurde behauptet, dass die Kom munisten die NM zu einer UP 2.0 ma­chen wollen. Damals wie heute glaubt eine Mehrheit der Chilenen, dass der Putsch notwendig war um ein angeb­lich von der UP produziertes Chaos zu beenden. Daher mobilisieren solche Behauptungen vorhandene Ängste in der Bevölkerung. Ängste, sowohl vor einer zu radikalen Linken, wie auch vor der dann folgenden brutalen Diktatur.

In diesem Feldzug wurde der kreuzbrave Kandidat des Regierungs­lagers mit dem venezolanischen Prä­sidenten Maduro in Verbindung ge­bracht. Dem schloss sich die Behaup­tung an, dass nach seiner Wahl Chi-lezuela droht, mit all den Schwierig­keiten die die Menschen in Venezuela heute haben.

Für diese Kampagne lieferte auch eine internationale Organisation die Munition. Im Januar 2018 entschuldig­te sich die Weltbank, dass die Zahlen Chiles in einem viel beachteten Ranking zur Wettbewerbsfähigkeit der Länder gezielt nach unten manipuliert worden waren. So geschah es während der zwei Regierungen Bachelets wäh­rend sich die Zahlen unter Pinera wie­der verbesserten.(4)

Daher machten viele Chilenen Ba­chelet für die schlechte ökonomische Situation verantwortlich. Das, obwohl sie tiefgreifende Reformen zu Gunsten der kleinen Leute umgesetzt hat. Unter anderem gehört dazu eine Bildungs­reform, die das 2011 von der Studen­tenbewegung geforderte kostenlose Studium ermöglichen soll. Man darf aber nicht übersehen, dass alle diese Maßnahmen in die Logik des neolibe­ralen Systems eingepasst wurden. Das von der Diktatur eingeführte sozioöko-nomische System will oder kann man nicht verändern.

Wider Erwarten konnte das bino­minale Wahlrecht entschärft werden. In neu zugeschnittenen Stimmkreisen werden jetzt bis zu acht Abgeordnete gewählt. Damit haben jetzt mehr als zwei Allianzen die Chance auf Mandate. Auch das ist ein Grund für das Zerfallen der Nueva Mayoria, man ist nicht mehr so stark aufeinander angewiesen.

So hat sich die Christdemokratie aus diesem Bündnis verabschiedet. Als Grund wird eine Wendung nach links genannt. Doch auf diese moderate Kurs­korrektur hatte man sich schon vor der letzten Wahl geeinigt. Konsequenter­weise hätte sich diese Partei damals gar nicht erst an der NM beteiligen dürfen.

Die Zukunft wird zeigen welches die tatsächlichen Beweggründe für ihr Ausscheiden waren. Zur Auswahl steht eine Reaktion des antikommunistischen Flügels auf die Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Schließlich war die­se Bewegung in ihren Anfängen, nach den Worten des US-Amerikanischen Politologen Federico C. Gil, „ziemlich nazistisch verseucht".(5)

Daneben können „Anregungen" der deutschen Schwester den Schwenk veranlasst haben. Als der hessische Mi­nisterpräsident Volker Bouffier Chile besuchte, wollte er die Nueva Mayoria nicht beurteilen, auch enthielt er sich Ratschlägen für die Zukunft. Doch pro­phezeite er: „Sagen wir es Folgenderma­ßen: Das in Chile ist wie in meinem Land. Jede Partei versucht so viele Stimmen wie möglich zu erhalten, und das wird hier auch so bei den Wahlen sein." Und weiter: „Es ist eine Kombination sehr weit weg vom üblichen die es hier gibt, Chile ist etwas spezielles. Natürlicherweise ist es nicht der Normalfall das Christdemokraten und Kom­munisten zusammenarbeiten."(6)

Der Grund für die linken Elemente im Programm der NM war die Studen­tenbewegung von 2011. Aus Bewegun­gen wie dieser speist sich die Frente Amplio (Breite Front). Für viele war de­ren gutes Abschneiden eine große Über­raschung. Doch hatten das die Kommu­nalwahlen schon angekündigt. In Val­paraiso konnte ein Zusammenschluss aus Bürgerinitiativen und außerparla­mentarischen Gruppen der Rechten das Bürgermeisteramt entreissen.

Wer ist die Frente Amplio?

Sie repräsentiert die Strömung auf der linken Seite der chilenischen Ge­sellschaft, die zur Erreichung ihrer Zie­le keine Kompromisse eingehen will. Während der Regierung von Salvador Allende stellten ihre Anhänger etwa die Hälfte der Mitglieder der Sozialis­tischen Beharren auf einer sofortigen sozialistischen Revolution bereiteten sie Allende große Schwierigkeiten. Notwendige Kompromisse mit der DC scheiterten. Das erleichterte der Rechten die Organisation des Militärputsches.

Aufgrund dieser Geschichte war sie nach 1990 von der Bildfläche ver­schwunden. Im Laufe der Zeit hob sie langsam wieder ihren Kopf. Durch die Studentenbewegung von 2011 strömten ihr wieder Massen zu. Darunter befan­den sich auch einige ihrer jetzigen An­führer wie der Kopf des Movimiento Autonomista (MA), Gabriel Boric, oder der starke Mann von Revolucion Demo-cratica (RD), Giorgio Jackson.

Heute werden natürlich keine re­volutionär-sozialistischen Positionen vertreten sondern das was in alterna­tiven Milieus gerade populär ist. Im November zählte Wikipedia folgende ideologische Bestandteile der FA auf: demokratischer Sozialismus, partizipa-tive Demokratie, Marxismus, Progresismo(7), ökologisches Gedankengut und Humanismus.(8)

Formal ist die FA ist ein Zusam­menschluss von 14 Organisationen. Einige von ihnen wurden erst kürzlich gegründet, so der MA (2016), andere wie die RD (2012) gibt es schon etwas länger, während die Humanistische Partei (HP) im Widerstand gegen die Diktatur entstanden ist. Zu Revoluci­ön Democrätica ist noch zu sagen, dass sie bei den Wahlen von 2013 durchaus auch Kandidaten der Nueva Mayoria unterstützte. Und bis zur Gründung der Frente Amplio arbeiteten führende Mitglieder der RD an entscheidenden Stellen im Erziehungsministerium mit.(9)

In den deutschen Medien wurde der FA das Etikett „links" (junge Welt) oder sogar „linksradikal" (Süddeutsche Zeitung) angeheftet. Das überrascht! Schließlich befindet sich in ihren Rei­hen auch die Liberale Partei (LP), ein Mitglied der Liberalen Internationale.(10)

Möglicherweise gehört das zu den üblichen Anlaufschwierigkeiten von sich neu formierenden Bewegungen. Dort mischen in der Regel auch Kräfte mit, die dort nichts zu suchen haben. Schließlich spricht sich RD, die stärkste Kraft der Frente Amplio, ganz klar ge­gen den Neoliberalismus aus. „Revolu­ciön Democrätica wünscht die neoliberale Ordnung zu überwinden, die der Gesell­schaß aufgezwungen wurde."(11) Das ver­bietet eigentlich eine Zusammenarbeit mit Freunden der deutschen FDP. Doch in den Leitsätzen findet man auch das: „Das Ziel von Revoluciön Democrätica ist die Ermächtigung der Bevölkerung. "(12) Das ist klassisches liberales Denken.

Daher ist die Integration der Libera­len in die FA aus deren Sicht durchaus sinnvoll. Sie können dort als Bremse wirken wie das die Christdemokraten ehedem in der Nueva Mayoria gemacht haben. Dieses Spiel starteten die Libera­len schon mit ihrem Beitritt. Sie haben ihn mit der Bedingung verbunden, dass sich die FA nicht nur als linker Pakt ver­stehen darf, „... weil sich sonst reformori­entierte Sektoren der Mitte, wie wir, unwohl fühlen"(13)

Der Gerechtigkeit halber muss man sagen, dass es einfach Spaß macht die Kritik aus den Reihen der FA an den chilenischen Zuständen zu lesen. Doch wie man sie verändern kann findet sich da nicht. Viel mehr als eine, eigentlich notwendige, verfassunggebende Ver­sammlung ist nicht zu entdecken. Vor dieser verfassunggebenden Versamm­lung verliert aber die Rechte nach die­sem Wahlergebnis ihre Furcht. So wie die Abschaffung des binominalen Wahl­rechts ihr nicht geschadet hat, könnte das mit einer neuen Verfassung ähnlich laufen. Ein demokratisch legitimiertes Dokument das weiterhin dem Neolibe­ralismus huldigt.

Die Präsidentschaftswahl

In diesem für altgediente Linke schwierigem Umfeld wurde gewählt. Es kandidierten so viele Parteien und Bündnisse wie noch nie seit dem Ende der Diktatur. Über das Land verteilt gab es 17 Allianzen von denen aber nicht jede überall zu finden war.

Um die Präsidentschaft bewarben sich nur acht Kandidaten. Mit Jose An­tonio Kast ein rechtsradikaler, homo-phober Rassist, der sich ausdrücklich zur Diktatur bekennt. Im Vergleich dazu präsentierte sich Pinera als Mann der Mitte, obwohl sein Bruder einst Mi­nister Pinochets war. Dieser bewahrte ihn damals vor dem Gefängnis das ihm wegen Betrugs im Fall der Bank von Talca drohte.(14)

Alle weiteren Bewerber standen mehr oder weniger links davon. Die ver­bliebenen Parteien der NM, jetzt nann­ten sie sich „La Fuerza de la Mayoria" (Die Kraft der Mehrheit, FM) präsentierten den ehemaligen Fernsehmoderator und jetzi­gen Senator Alejandro Guillier. Politisch steht er den Radikalen nahe. Aufgrund der Zerwürfnisse im Bündnis ging er als Unabhängiger ins Rennen. Zu seinem Wahlkampf stab gehörten aber bekannte Politiker der Parteien der FM.

Unter strategischen Gesichtspunk­ten war Guillier eigentlich ein idealer Bewerber. Als Radikaler vertritt er ähn­liche Positionen der Mitte wie die Christ­demokraten. Damit hätte es möglich sein sollen die christdemokratische Be­werberin Carolina Goic klein zu halten. Gleichzeitig war er auch ein Angebot an die potenziellen Wähler der Frente Am-plio. Hatte doch die RD vor vier Jahren seine Kandidatur zum Senat unterstützt.

Doch leider sprach seine Persönlich­keit gegen ihn. Viele haben ihm nicht ab­genommen, dass er wirklich Präsident werden will. Sie waren auch nicht davon überzeugt, dass er dazu geeignet ist. In einer Kandidatenrunde soll die Interak­tion zwischen ihm und Pinera der zwi­schen Angestelltem und seinem Chef geglichen haben. Das entspricht ihrer früheren Stellung zueinander. Guillier wurde als Moderator bei einem Fern­sehsender von Pinera bekannt.

Die Frente Amplio ging mit der Journalistin Beatriz Sänchez ins Rennen und auch MEO hat wieder sein Glück versucht. Zwei weitere Kandidaten von linken Kleinstgruppen rangierten unter „ferner liefen".

Im Wahlkampf spielten natürlich auch die Meinungsforscher eine Rolle. In der Tabelle 1 werden die Prognosen von GfK-Adimark(15) und MORI-CERC(16) mit den tatsächlichen Ergebnissen ver­glichen. Die letzte Umfrage von MORI-CERC, sie sah Pinera bei 44%, prägte die Erwartungen der Medien bezüglich des Wahlausgangs. Daher hielt es die Rechte te sogar für möglich, dass Pinera schon nach der ersten Runde gewählt ist.

Aufgrund der von den Prognosen geschürten Erwartungen waren alle über die tatsächlichen Ergebnisse sehr erstaunt.(17) Besonders der Kandidatin der Frente Amplio hatte man keine 20,3% zugetraut. Vergleicht man die Zahlen der einzelnen Kandidaten mit den Re­sultaten der sie unterstützenden Listen bei der Parlamentswahl stößt man auf interessante Unterschiede.

Bei letzterer gab es deutlich mehr ungültige Stimmen. Über eine halbe Million Menschen wollte sich nur an der Präsidentschaftswahl beteiligen. Mögli­cherweise handelt es sich dabei um die Gefolgsleute des rechtsradikalen Bewer­bers. Keine der antretenden Parteien lag auf seiner Linie. Das wird in vier Jahren wohl anders sein. Sein Potential dürfte für ein paar Mandate reichen und da­mit das rechte Lager möglicherweise entscheidend stärken.

Daneben sticht der große Unter­schied bei den christdemokratischen Kandidaturen ins Auge. Die damalige Parteivorsitzende Goic konnte nur 2/3 der Wähler ihrer Liste für sich gewin­nen. Darin spiegelt sich das Zerwürfnis im christdemokratischen Lager wieder. Soll man Teil der NM bleiben oder mit der Rechten paktieren? Wie die Zahlen des zweiten Wahlganges zeigen, hat der linke Flügel schon in der ersten Runde für Guillier gestimmt. Im Gegensatz zu den Kräfteverhältnissen an ihrer Basis hat die Partei nach einer lebhaften Dis­kussion ohne Einschränkungen öffent­lichen zur Wahl Guilliers aufgerufen.

Nicht nur die Christdemokraten mussten für die Stichwahl eine Empfeh­lung abgeben. Der rechtsradikale Aspi­rant erklärte ohne Wenn und Aber seine Unterstützung für Pinera und bot seine Mitarbeit in dessen Wahlkampfstab an. Dort wurde er sofort mit offenen Armen aufgenommen.

Aus vergangenen Wahlen schlau ge­worden, verzichtete MEO auf die Wie­derholung seines Eiertanzes und stellte sich sofort hinter Guillier. Der Eiertanz beinhaltete die Aufforderung an seine Wähler bei der Stichwahl wählen zu gehen, verbunden mit der Bitte nicht für den rechten Bewerber zu stimmen. Doch der daraus folgenden Konsequenz, sich für die Wahl des Kandidaten der Mitte auszusprechen, ging er aus dem Weg.

Dieses Verhalten legte nun die Frente Amplio an den Tag. Als Bündnis agierte sie wie vormals MEO. Doch der Öffent­lichkeit präsentierten ihre führenden Vertreter ein dissonantes Konzert. Nach einer langen Zeit der Weigerung, sich überhaupt zu positionieren, erklärte Beatriz Sänchez, dass sie „persönlich" Guillier unterstützen werde weil Pine­ra „ein Risiko für Chile ist". Als Aufruf an ihre Wähler wollte sie das aber nicht verstanden wissen.

Die Liberale Partei überließ die Wahlentscheidung ihren Anhängern. Giorgio Jackson von Revolution Demo-crätica erklärte: „Es wird sehr schwierig sein, dass die Wähler, die den Unterschied ausmachen um die zweite Runde zu gewin­nen, von dem begeistert sind was Guillier heute beabsichtigt. "(18) Das zeugt von ei­ner großen politischen Naivität. Wie kann man von einem Kandidaten einen Schwenk nach links fordern, der Stim­men in der Mitte gewinnen muss.

Treffend wurde die Lage Guilliers von einem Kommentator einer bürger­lichen Zeitung beschrieben. Guillier gehe es wie einer Person die mit einer zu kurzen Decke im Bett liegt. Zieht sie sich die Decke über die Schultern friert es sie an den Füßen, deckt sie ihre Füße zu liegen die Schultern frei.

In einer solchen Situation müssen die Anführer von linken Bewegungen erklä­ren, warum es wichtig ist das kleinere Übel zu wählen. In diesem Fall hätte das nicht so schwer sein sollen, schließ­lich hat die Studentenbewegung schon ihre Erfahrungen mit einer Regierung Pinera gemacht.

Je näher der Tag der Stichwahl kam, desto zahlreicher wurden in den Reihen der FA die erklärten Wähler von Guil­lier. Anscheinend konnten sie sich nicht dem Druck ihrer Basis entziehen. Doch das leitende Gremium korrigierte seine Wahlaussage nicht.

In dieser Zeit forderte Radio Nuevo Mundo, ein der KP nahestehender Sen­der, seine Hörer auf, unbedingt wählen zu gehen. Sollte jemand nicht mehr an dem Ort wohnen, an dem die Person registriert ist, muss er oder sie dorthin reisen. So wichtig ist die anstehende Abstimmung, um das politische Erbe Bachelets zu verteidigen. Diese Aufga­be wird nun den sozialen Bewegungen zukommen. Wir werden sehen wie er­folgreich sie dabei sein werden.

Der Sieg Pineras

In der Stichwahl triumphierte Pine­ra. Er konnte bei einer etwas höheren Wahlbeteiligung 54,6% der Stimmen verbuchen. Addiert man die Ergebnis­se der linken Kandidaten aus dem 1. Wahlgang und vergleicht sie mit dem jetzigen Resultat von Guillier fehlen gut 100.000 Voten. Das heißt, dass viele lin­ke Wähler der ersten Runde zu Hause geblieben sind. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Anhänger der Frente Amplio, doch ihre Teilnahme hätte Guil­lier auch nicht geholfen.

Pinera, Kast und Goic haben im ers­ten Wahlgang zusammen über 3,3 Mil­lionen Stimmen erhalten, das waren fast 60.000 mehr als die Summe der linken Kandidaten. Zusätzlich konnte Pine­ra nun über 330.000 „neue" Stimmen gewinnen, eine Folge der gestiegenen Wahlbeteiligung. Da wir nicht wissen, wie viele Wähler von Goic dem christ­demokratischen Wahlaufruf gefolgt sind wird die Zahl der „neuen" Wähler wohl beträchtlich höher gewesen sein.

Daraus lässt sich schließen, dass für immer mehr Menschen die politische Auseinandersetzung zwischen Volks­tribunen ausgetragen wird. Steht eine einfache Entscheidung zwischen zwei Personen an, geht man wählen. Handelt es sich um eine verwirrende Vielfalt von verschachtelten Kandidaturen, bleibt man zu Hause.

Die Rechte als Profiteur des neuen Wahlrechts

Die Rechte erzielte bei der Parla­mentswahl 72 Mandate was 46,5% der Abgeordneten entspricht. Ihre Liste hat aber nur 38,7% der Stimmen erhalten. Dagegen brachten ihr die 36,2% die sie vor vier Jahren erzielte nur 40,8% der Abgeordneten. Damals stand ihr zum ersten Mal diebreite Einheitsliste gegen­über die ihre 47,7% in einen Anteil von 55,8% der Mandate übersetzen konnte.

Diese Zusammenarbeit ist dahin. Jetzt holten ihre Bestandteile, zusam­mengerechnet, ein etwas besseres Er­gebnis (51,2%), das reichte aber nur für 49,6% der Abgeordneten. Im folgenden die Werte für die Einzelnen Listen: Die FM holte 24% der Stimmen was zu 43 Abgeordneten führte und einem Anteil von 27,7% der Mandate entspricht. Hier ist die Sozialistische Partei mit 19 Ver­tretern am stärksten. Für die FA lauten diese Werte 16,5% / 20 /12,9% und für die Christdemokraten 10,7% /14 / 9%.

Der Senat setzt sich aus 19 Vertretern der Rechten, 15 der FM, sechs der DC, einem der FA und zwei Unabhängigen zusammen. Die schwache Vertretung der FA ist die Folge der nur teilweisen Erneuerung dieses Gremiums, sowie der Spaltung der Linken. Das sieht man ganz gut in Arica. Dort kommt die FA auf 18,9% und die NM auf 31,7%, zu­sammen sind das 50,6%. Die Rechte er­zielt nur 25%. Nach dem binominalen Wahlrecht gehen beide Mandate an die Liste die doppelt so viele Wähler auf sich vereinigt wie die zweitplatzierte. Ein Bündnis von FA und NM hätte sich die Mandate geteilt, so geht ein Mandat an die Rechte.

Das Abschneiden der Kommunisten

Für die KP ist das Ergebnis durch­wachsen. Ein Ziel war die Steigerung der Stimmen bei der Parlamentswahl. Das ist mit einer Steigerung um knapp 20.000 auf jetzt 275.000 (4,6%) gelun­gen. Die damit verbundene Hoffnung auf eine Stärkung der Fraktion aber nur teilweise. Sie ist zwar von sechs auf acht Abgeordnete gewachsen, daraus ergibt sich aber kein größerer politischer Ein-fluss. Mit der Wahlrechtsreform wurde das Parlament vergrößert so dass die zahlenmäßige Zunahme der Fraktion recht genau der größeren Volksvertre­tung entspricht. Die dazu gewonnenen Sitze hat man im übrigen Camila Valle-jo und Karol Cariola zu verdanken. Sie erhielten so viele persönliche Stimmen, dass sie damit jeweils einem weiteren Genossen zu einem Mandat verhalfen.

Ein weiteres Ziel war der Wiederein­zug in den Senat. Seit dem Militärputsch sind die Kommunisten dort nicht mehr vertreten. Aufgrund einer Absprache mit den Sozialisten machte man sich da Hoffnungen. Doch scheinbar haben vie­le Sozialisten lieber für eine linke Christ­demokratin gestimmt.

Bei den Wahlen zu den Regionalrä­ten konnte die KP ihre Mandate vertei­digen doch hat sie hier fast 15.000 Stim­men verloren. Landesweit erzielt sie mit 4,65% ein ähnliches Ergebnis wie bei der Parlamentswahl. Alles zusammen ge­nommen ist das kommunistische Ergeb­nis stabil. Das ist erfreulich da mit der FA ein nicht unattraktiver Wettbewerber aufs Spielfeld gekommen ist.

Anmerkungen

1) https://es.wikipedia.org/wiki/Caso_Caval
2) https://es.wikipedia.org/wiki/Marco_Enriquez-OminamittCaso_SQM
3) https://www.finanzen.net/rohstoffe/kupferpreis
4) https://www.elciudadano.cl/chile/indignacion-la-moneda-manipulacion-datos-del-banco-mundial-una-verdadera-estafa/01/13/
5). El Sistema Politico de Chile. Santiago de Chile, 1967, S. 288
6) http://www.economiaynegocios.cl/noticias.asp?id=28597
7). Progressivismus bezeichnet intellektuelle Strömungen in Politik, Bildung, Sozialwesen und Kultur. Er ist vor allem mit der Geschichte der Vereinigten Staaten verknüpft, wo der Progressivismus im 19. Jahrhundert eine linksliberale Antwort auf die Industrialisierung und den sozialen Wandel war. Nach: http://www.enzyklo.de/Begriff/Progressivismus
8) https://es.wikipedia.org/wiki/Frente_AmplioJChile)  Zugriff am 21.11.2017
9) http://www.latercera.com/noticia/el-desembarco-del-movimiento-revolucion-democratica-en-el-ministerio-de-educacion/
10) https://de.wikipedia.org/wikilLiberale_lnternationale
11) https://revoluciondemocratica.cl/definiciones-ideologicas/

12) https://revoluciondemocratica.cl/definiciones-ideologicas/
13) http://www.aricamia.cl/partido-liberal-condciona-participation-en-el-frente-amplio/
14) https://www.es.unkipedia.orglwiki/
15. https://www.adimark.cl/es/estudios/dinamica.asp?id=426
16. http://morichile.cl/wp-content/uploads/2017/10/
17. Alle Ergebnisse nach und den entsprechenden Seiten von https://www.serveleleccciones.cl und den entsprechenden Seiten von https://es.wikipedia.org
18) http://www2.latercera.comnoticial/giogio-jackson-antipinerismo-no-le-basta-guillier-ganar-balotaje

Editorische Hinweise

Emil Berger, Zu den Wahlen in Chile, in: Arbeiterstimme, Zeitschrift für marxistische Theorie und Praxis, Nr.199, 47. Jhg., Nürnberg, S.29-29 [ocr-scan]

Wir erhielten die "Arbeiterstimme" Nr.199 von der Redaktion und wählten diesen Artikel aus, um unseren Leser*innen diese Zeitschrift damit vorzustellen.