Gewaltentrennung
Zugleich eine Kritik am deutschen Sondersprech „Gewaltenteilung“

von Richard Albrecht

 

04/2018

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Es gab und gibt Arbeitsteilung. Nicht nur im Deutschen. Sondern auch in weiteren europäischen Sprachen als division of labour, división del trabajo, division du travail, divisione del lavoro, divisão do trabalho. Und über diese bekannte, auch vom soziologischem Klassiker Emilé Durkheim (1893) vorgestellte Teilung hinaus, gibt und gab es weitere, ganz verschiedene und so verschiedenartigste Teilungen:
 

Die eines Bettes, wenn Mann/Frau, Frau/Mann, Frau/Frau und Mann/Mann sowie allerlei weitere Geschlechter das gemeinsam so wollen und keine Königskinder sind, die im Gefolge des später seliggesprochenen Martins eines Mantels, die einer Zahl bei jeder Division als vierte Grundrechenart, die einer Beute bei Bank- und andren Räubern, die von Schmiergeld im Korruptionsgeschäft, die einer lebenden Zelle, die einer immobilen Parzelle, die erbliche Realteilung in der weiland bayrischen Pfalz, als menschliche Universalie die Mitteilung (verbal, nonverbal, kürzer, länger, schriftlich, mündlich, förmlich, formlos, spannend, langweilig) und schließlich die, als heuer überwunden geltende, vier lange Jahrzehnte lang andauernde deutsche staatliche Teilung 1949-1989.


Originalausgabe 1748
 

Geteiltes Leid hingegen ist vervielfältigtes Leid. Und ebenso wenig wie es reale Leidteilung geben kann - kann es „Gewaltenteilung“ geben. Sondern und auch als bürgerliches Verfassungsgebot nur Gewaltentrennung.

„Gewaltenteilung“ hingegen propagierten bekannte deutsche Juristen von „rechts“ bis „links“ wie Ernst Forsthoff (*1902 †1974) und Carlo Schmid (*1896 †1979) – Leute also, die es als Volljuristen, Ausbilder von Studierenden aller Jurist(inn)enformate, Professoren, „Rechtsgelehrte“ und gutachtende Doppelverdiener besser wissen müßten.

Den Schmid, Forsthoff etc. folgt bis heute das weitverbreitete Netzlexikon de.wikipedia – grad so als sollte die weltweite Netzwelt erneut am deutschen Wesen genesen. Entgegen der analogen Falschdarstellung auch zum Begründer der neuzeitlichen Staatslehre, des französischen Barons de Montesquieu (*1689 †1755) und ihrer voneinander zu trennenden Gewalten, steht jedoch im Zentralkapitel in dessen Buch über den Geist der Gesetze («De l´esprit des lois» [1748]; VI/6) nichts von Teilung. Sondern Eindeutiges zur Trennung von gesetzgebender und vollziehender Staatsgewalt als „separée de la puissance legislative et de l'executrice“, der Trennung der gesetzgebenden und ausführenden Gewalt[1].

Dem entspricht auch die englischsprachige Version en.wikipedia. Dort geht es, ebenso wie in der Stanford Encyclopedia of Philosophy über Montesquieu und in der nach wie vor unentbehrlichen Encyclopaedia Britannica in deren Einträgen zu Montesquieu, The Spirit of Laws, Separation of Powers sowie Freiheit jeweils um separation of powers:

“Whenever the same person or the same public office simultaneously holds both the legislative power and the executive power, there cannot be any freedom and liberty. Moreover, liberty and freedom cannot be guaranteed whenever the power to judge is not separated from the legislative and executive powers.”

Auch in anderen europäischen Sprachen ist nicht von „Gewaltenteilung“, sondern analog zu séparation des pouvoirs, separation of powers, von separación de poderes, separazione dei poteri, separação dos poderes und separarea puterilor die Rede.

Wenn es um die Stärke des (bürgerlichen) Rechts geht, ist das Leitkonzept Gewaltentrennung ähnlich zentral wie der Grundsatz vom Recht, Rechte zu haben (Hannah Arendt). “Gewaltenteilung” in der (bürgerlichen) Gesellschaft jedoch entspricht dem Gegenteil, dem Recht des Stärkeren.

Als bürgerliches Verfassungsgebot gibt es nur Gewaltentrennung. “Gewaltenteilung” hingegen ist und bleibt so nachhaltig irreführender wie gnadenlos grundfalscher sprachlicher Ausdruck des deutschen Sonderwegs, auch des Sonderwegs deutscher Staatsrechtslehre. Der, leider schade, nur selten zutreffend so bezeichnet und dem, leider schader, noch seltener öffentlich widersprochen wird.

Diesen von scharf links im März 2018 erstveröffentlichten Netzbeitrag[2] ergänzte Dr. Nikolaus Götz (Saarbrücken) in einem Debattenbeitrag in doppelter Weise[3]: einmal erinnerte er an die Geschichte des Leitkonzepts Gewaltentrennung Mitte des 18. Jahrhunderts und seine Stoßrichtung gegen das ancient régime von bourbonischer Krone und katholischer Kirche in Frankreich; zum anderen kritisierte er beispielhaft die aktuelle Formaldemokratie des gegenwärtigen Ganzdeutschland und deren staatskonforme Rechtsprechung.

Fußnoten

[1] Im Original (Montesquieu 112): «Lorsque dans la même personne ou dans la même corps de magistrature, la puissance législative est réunie á la puissance exécutrice, il n'y a point de liberté; parce qu'on peut craindre que le même monarque ou le même sénat ne fasse des lois tyranniques pour les exécuter tyranniquement […] Il n'y a point encore de liberté si la puissance de juger n'est pas séparée de la puissance législative et de l'exécutrice. Si elle était jointe à la puissance législative, le pouvoir sur la vie et la liberté des citoyens serait arbitraire: car le juge serait législateur. Si elle était jointe á la puissance exécutrice, le juge pourrait avoir la force d'un oppresseur. Tout serait perdu si le même corps des principaux, ou des nobles, ou du peuple, exercainent ces trois pouvoirs: celui de faire les lois, celui d'exécuter les résolutions publiques, et celui de juger les crimes ou les différends des particuliers.»

[2] http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=64545&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=6e6b7f1521

[3] http://www.scharf-links.de/49.0.html&tx_ttnews[tt_news]=64581&tx_ttnews[backPid]=48&cHash=167fcd48f3

Literatur

-Richard Albrecht, “nullum crimen sine lege” - “nulla poena sine lege”: “Insult” – On the state of the art in current Germany [2007] http://ricalb.files.wordpress.com/2010/10/nullum-crimen1.pdf

-Wolfgang Caspart, Soziologie von Repräsentationssystem und Volksherrschaft; in: soziologie heute, 9 (2017) 56: 36-39

-[Montesquieu] De lエesprit des lois [1748] https://www.ecole-alsacienne.org/CDI/pdf/1400/14055_MONT.pdf

-https://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltenteilung

Editorische Hinweise
Wir erhielten den Artikel für diese Ausgabe vom Autor.

Dr.habil. Richard Albrecht, PhD., Sozialwissenschaftler. Leitkonzept The Utopian Paradigm (1991). Wissenschaftsjournalist für Kultur – Bildung – Theorie in Bad Münstereifel. Kolumnist des Linzer Fachmagazin soziologie heute, Mitarbeiter der Zeitschriften Auskunft und Forum Wissenschaft und des Netzblogs scharf links. Aktuelle Forschungsarbeit 2018: Die Sonne scheint jetzt wieder. Das Hillsborough Drama und seine Folgen.