Soziale Medien, Zensur und der Rest Freiheit
von Medienaktivist
Soziale Medien lassen Graswurzel-Strukturen sterben. Eine Zusammenfassung04/2017
trend
onlinezeitungVon der Battle of Seattle... Bei den Protesten in Seattle gegen die WTO im Jahre 1999 fand das erste Mal das Konzept des OpenPostings Anwendung. Indymedia war geboren und konnte mit dem Konzept von der Straße ein informatives Gegengewicht zu den bestehenden etablierten Medien wie Zeitungen und Fernsehen bilden und zu einem ausgewogenen Bild der Ereignissen beitragen. In den nun 18 Jahren fand ein Auf- und Abstieg der Indymedia-Idee und des -Netzwerkes statt. Den Zenith erfuhr Indymedia bei den Protesten der Anti-Globalisierungsbewegung in Prag, Genua, Göteborg. Etwas ausführlicher findet Ihr es auf kleinerdrei.
Schon nach einigen Jahren - nicht zuletzt durch das Aufkommen von guten OpenSource Conten-Management-Systemen - fand eine Emanzipierung der Aktivist_innen statt. Der Web- und später Video-Blog wurde immer populärer. Die Technik wurde leichter bedienbar und viele Gruppen nutzten ihre eigenen Seiten, um auf Aktionen hinzuweisen und zu mobilisieren zu machen aber auch dann davon zu berichten. Der Indymedia-Gedanken, bei dem Medienkonsument_innen zu Produzent_innen werden und Aktivist_innen zu Medienaktivist_innen werden, wurde konsequent und dezentral weitergeführt und perfektioniert.... über die Blogs ...
Jedoch passierte das, was im Kapitalismus meist passiert: Die Idee des OpenPostings, d.h. die Möglichkeit selbst ohne große Kenntnisse und Zugangsbeschränkungen Inhalte zu veröffentlichen, wurde von Konzernen adaptiert und vermarktet. Die sozialen Medien setzen damit zu einem Siegeszug an. Mit viel Kapital werden Seiten und breitbandige Netzwerke mit einer zunehmenden Reichweite errichtet. Natürlich stellen bald viele Aktive fest, dass sich durch Werbung auf Facebook und Twitter viel größere Mobilisierungsergebnisse erzielen lassen als über Indymedia oder den eigenen dezentralen und verstreuten Web-Blogs. Die Gefahr, dass sich die Konzerne irgendwann gegen die Bewegung richten könnte - etwa Zensur stattfinden könnte - , wird nur belächelt und als Spinnerei abgetan. Vom Datenschutz wollte eh niemand etwas wissen.
Während dem sogenannten Arabischen Frühling wurde von vielen kritisch beäugt, ob sich die Konzerne gegen die unter Druck geratenen Despoten stellen und die Inhalte auf den ihren Seiten von der Opposition verteidigen. Das geschah und viele Aktive nahmen dies zum Anlass, Bedenken gegen die sozialen Netzwerke Beiseite zu schieben... zu den Nazis auf Facebook...
Schließlich kam es zu einem Erstarken bzw. ein Vernetzen der rechten Bewegung mit Pegida und AfD und deren Engagement in den sozialen Netzweken. Rassistische Parolen und Hass begrenzte sich nun nicht mehr auf Stammtische in einem örtlich und sozial begrenzten Umfeld, sondern es fanden sich bald bundesweit und darüberhinaus die Gleichgesinnten. Die Rassisten, die schon immer da waren, schaukeln sich hoch und versteigen sich auch in Morddrohungen. Das führt zwar einerseits dazu, dass mittlerweile tausende von Flüchtlingsheimen angegriffen wurden. Andererseits wird die rechte Propaganda überproportional in den sozialen Medien wahrgenommen und dies durch die etablierten Medien noch verstärkt. Die bürgerliche neoliberale Mehrheitsgesellschaft fürchtet um ihre Vormachtstellung und bläst zum Gegenangriff mit dem Mittel der Zensur.
Moderator_innen?
Auch auf Indymedia kann seit Jahren beobachtet werden, dass einige Nazi-Trolle nächtelang Nazi-Spam und Rassismus-Schund ins OpenPosting-System abladen. Jedoch haben sich die deutschen Indymedias seit Beginn an zum Ziel gesetzt, konsequent gegen diesen Nazi-Dreck mit Moderationskriterien vorzugehen - und wurde scharf von der Nutzer_innenschaft kontrolliert, ob da nicht zu viel zensiert wurde.
Hate-Speech-Gesetz
Eine solche Kontrolle findet auf sozialen Medien (noch) nicht statt. Da die derzeit verwendeten Netzwerke US-Konzernen gehören und dadurch die dort ansässigen Moral- und Kulturvorstellungen in die Nutzungsbedingungen eingeflossen sind, werden nackte Brüste automatisch gelöscht während Nazipropaganda - in USA nicht so ein Problem wie hier - geduldet wird. Auch für Verstöße gegen das Urheberrecht gibt es Zensursoftware, während Verleumdung und Mobbing einerseits durch Algorithmen schwer zu erkennen sind, andererseits in einer neoliberalen Kultur, bei der der Staat nur Nachtwächter sein soll, eben dieser für solche Delikte nicht zuständig ist - sollen sich doch die Kontrahent_innen zivilrechtlich einigen. Wie schwer das aber über den Atlantik ist, bemerkt mensch erst, wenn es so weit ist und versucht, einen US-Anwalt in Mountain-View zu bekommen und einen Gerichtstermin dort wahrzunehmen, um seine / ihre Rechte zu wahren.
Durch Trumps Wahlsieg, der gerne den sozialen Medien alleine zugeschrieben wird, beginnt die bürgerliche Gesellschaft in eine Art Panik zu verfallen. Heraus kam dabei aktuell ein Netzdurchsetzungs(NetzDG) - oder auch Hatespeech-Gesetz, welches die Zensur von Hassbotschaften den Konzernen delegieren soll. Der Mechanismus ist dabei einfach wie perfide: Die Strafe für nicht in 24 Stunden gelöschte Inhalte, die gegen eine der 24 Straftatbestände verstoßen könnten, ist immens hoch, jedoch die Strafen für zu unzurecht zensierte Beiträge verschwindend gering. Die Folge wird vermutlich eine übervorsichtige automatisierte Löschorgie sein. Einspruchsrechte oder rechtsstaatliche Verhandlungen sind nicht vorgesehen, weshalb die Meinungsfreiheit in Gefahr ist. Hoheitliche Aufgaben des Staates werden an Konzerne abgegeben. Klar, natürlich ist der Staat in der Vergangenheit beim Kampf gegen Nazis nicht unbedingt ruhmreich aufgefallen... Aber Konzerne können das bestimmt nicht besser. Eine andere Auswirkung wird sein, dass Privatleute die Herausgabe der Daten des Verfassenden erwirken können, weshalb anonymes Posten eigentlich nicht mehr möglich sein wird. Am Ende des Tages wird fraglich sein, ob es nur die großen Konzerne betrifft oder ob nicht eine Abmahnindustrie gerade die kleinen Blog-Betreiber_innen oder auch indymedia ins Visier nimmt.Zensur international
Das NetzDG steht in in einer Reihe von Bestrebungen diverser Staaten, die Einfluss auf Inhalte in sozialen Netzwerken nehmen wollen. Twitter etwa reagiert auf mehrere Tausend Account-Deaktivierungs-Anfragen sowie zigtausender Beitragssperrungen nationaler Institutionen, allen voran der Türkei, Russland und Frankreich wie von der Transperency-Seite zu erfahren ist: (Netzpolitik dazu). Auch Google geht es so und hat so eine Seite. Sicherlich kennt Ihr schon Genoss_innen, deren Accounts durch zu rege politische Aktivität gesperrt oder eingeschränkt wurden. Gleichzeitig können Nazis weiter Flüchtlinge verleumden und die Gerichtsbarkeit steht nur noch hilflos da. Die Konzerne stehen scheinbar vor der Wahl: In allen Ländern weiter präsent zu sein und Marktanteile zu ergatten sowie Geld zu verdienen oder den einen oder anderen Account Sang- und Klanglos auf Wunsch des einen oder anderen Staates zu löschen, aber dafür im Markt zu bleiben. In diesem Spiel ist also dann auch das oben erwähnte Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu sehen. Viel mehr Kontrolle von uns Aktivist_innen ist aber eher nicht erwartbar. Meist bleibt dann nur noch das Ausfüllen von Kontaktformularen, um unrechtmäßig und illegitim verlorene Kontrolle über den Account oder über die Inhalte wieder zu erhalten. Youtube zensiert nun über Algorithmen Videos, die sich schlecht für Werbung eignen. Hintergrund waren Nazi- und Islamisten-Propaganda-Videos. Konzerne wollten nicht für solche Videos werben. Insgeheim freuen sich wohl viele darüber, dass Faschisten nicht auch noch Werbeeinnahmen erhalten. Erwartbar ist aber auch hier, dass Algorithmen mehr oder weniger versehentlich auch kritische, linke oder unbequeme Videos von der Finanzierung abschneiden.
Soziale Netzwerke sind doch knorrke!...
Es ließen sich noch mehr Beispiele fortführen. In den letzten Jahren haben wir unsere selbstbestimmten Plattformen wie Indymedia und eigenen Blog-Strukturen zugunsten kommerzieller Netzwerke von Großkonzernen aufgegeben. Die Gründe sind vielfältig: Der Grad der Infrastruktur und die Reichweite der sozialen Medien äusserst verlockend für die politische Arbeit. Nahezu alle Bereiche, von Mobilisierung über Vernetzung bis hin zur Berichterstattung und Dokumentation können darüber abgedeckt werden. Niemand muss sich um die Infrastruktur kümmern und es läuft einfach. Der Einstieg ist meist Idioten-sicher. Wenn ein Account gesperrt ist, holt mensch sich eben einen neuen. Der Whatsapp-Verschlüsselungsalgorthmus ist ja der selbe, wie der von Signal-Messenger - d.h. abhören geht nicht. Erfreulich ist auch, dass viele Medien-Nutzer_innen auch Inhaltsproduzent_innen geworden sind. Nie war es so leicht, etwas zu veröffentlichen. Das daraus hervorgehende Bewusstsein einer ganzen Generation darf nicht ausser Acht gelassen werden.
...oder?
Aber es gibt eben auch Nachteile: Im Kapitalismus ist alles eine Ware - auch Eure Daten: Facebook und Co. sammeln massiv Daten für die Vermarktung, um die vermeintlich kostenlosen Angebote zu finanzieren. Nicht auszudenken ist, dass irgendwann ungewollt G20-Protestierende von Werbebannern großer Outdoor-Marken blicken (sie haben ja schließlich auch ihre Rechte abgegeben). Ferner haben wir keinen Einfluss mehr auf die Technik, auch wenn wir wollen, können wir die Prozesse und Strukturen nicht ändern. Facebook ist einem echten Forum unterlegen, Twitter erzieht uns zu Kurznachrichten-Schreiber_innen mit 140 Zeichen, in Facebook schmoren wir in unserer eigenen Info-Filterblase. Inhaltliche Diskussionen sind schwer zu realisieren und finden deshalb auch immer seltener statt. Soziale Medien funktionieren ferner immer nur in der Masse, d.h. wo sich die Mehrheit der Szene und des Ziel-Publikums befindet, diktiert, in welchem Medium wir posten.
Der Erfinder vom GNU-Kernel (Linux-System), Richard Stallman, sieht da einen Widerspruch. Wir bemühen uns etwa, unser Zusammenleben so zu organisieren, dass wir die klassische Kleinfamilienstruktur überwinden können, aber bei unserem Aktivst_innen-Werkzeugen lassen wir uns das von durchgestylten Unternehmen vorgekaut servieren. Wir verlassen uns darauf, dass wir später die Macht haben, uns aus den Fängen zu befreien, wenn die Konzerne die Bedingungen ändern. Wir hoffen, dass es nicht passiert.Was bleibt?
So sterben derzeit viele Graswurzel-Strukturen. Vielleicht kommen neue nach, aber derzeit ist ein richtiger Ersatz noch nicht in Sicht. Klar ist Indymedia etwa ein Kind der Anti-Globalisierungsbewegung. Und gerade diese ist derzeit eher leise zu vernehmen. Schon zum G7 in Elmau vor zwei Jahren war zu erkennen, dass eine Spaltung aber auch eine Vereinnahmung stattfindet. Internet-Bürgerwegungsportale wie avaaz und campact mobilisieren heute Leute, die früher bei uns mitliefen. Organisert wird dies durch Strukturen, die Spendenfinanziert sind und aufgestellt wie Werbeagenturen. Leute, die da mitmachen, müssen nicht mehr diskutieren, sich in Strukturen langwierig einbringen sondern liken einfach irgendwelche Statements und kommen eben einfach mal zum G20 auf eine Demo mit dem Bus, der von der Seite angeheuert wurde. Zum G20 veranstalten diese Netzwerke eine Demo eine Woche vor dem Aktionstag und spalten somit die Bewegung. Diese Netzwerke sind bequem und passen in die neoliberale Gesellschaft.
Ausblick!
de.indymedia.org wird dennoch einen Versuch zum G20 wagen. Wir möchten den Protest auf der Straße mit Infos von der Straße über das Smartphone versorgen. Und das selbstbestimmt und von unten. Mehr wird noch nicht verraten.
Quelle: de.indymedia.org vom 16.4.2017