Kommt Rot-Rot-Grün,
oder kommt Rot-Rot-Grün nicht? Galt das Projekt
Anfang des Jahres noch als politisch so gut wie
tot, wachsen seit Frühlingsbeginn dank
»Schulz-Effekt« mit den ersten Blättern auch die
Umfragewerte der Sozialdemokratie und sorgen für
frischen Wind in den Segeln der »R2G«-Begeisterten.
Aber viel schlauer ist man auch nach der
Saarland-Wahl nicht. Hin- und hergeworfen zwischen
Schreckensbildern – »Rot-Rot-Grün gefährdet die
Sicherheit der Bevölkerung!« (Volker Kauder) – und
Euphorie angesichts des kommenden »Bündnisses aller
progressiven Kräfte« (Sigmar Gabriel) schlingert
die veröffentlichte Meinung weiter in Richtung
Bundestagswahl.
Noch lässt sich also
nicht sagen, ob die Zeichen der Annäherung – die
Grünen tun so, als würden sie für eine
»Vermögenssteuer« eintreten,
Die-Linke-Fraktionschef Bartsch will »endlich
Deutschland nach vorne bringen«, und Martin Schulz
»entschrödert« (Spiegel Online) angeblich die
Sozialdemokratie – vergeblich gesendet werden. Aber
so einfach werden die Realos in der Linken und ihre
karrierebewussten Kolleginnen und Kollegen auf den
linken Flügeln von SPD und Grünen ihre Hoffnungen
nicht aufgeben. Die Option »R2G« ist schon deshalb
keineswegs vom Tisch. Hinzu kommt: Bekäme die Linke
größeren Zuspruch, wäre ihre Neutralisierung als
ernstzunehmende antikapitalistische Opposition für
die Profiteure des gegenwärtigen Krisenkapitalismus
überlebenswichtig. Die Integration in eine
Regierungskoalition wäre dafür ein probates Mittel.
Die große
Integration
Außerhalb der
Parlamentarierbüros bemüht sich eine Vielzahl von
Denkfabriken, Initiativen und Bündnissen schon
länger darum, Spielräume für das rot-rot-grüne
»Crossover« auszuloten und es als »linke Regierung
in Deutschland, die einen Unterschied macht« zu
verkaufen. Das eigens zur Vernetzung der
potentiellen Koalitionäre gegründete Institut
Solidarische Moderne (ISM) entfaltet zu diesem
Zweck seine Vision vom »mosaiklinken« Bündnis als
»Projekt der gesellschaftlichen Linken und der
solidarischen Milieus«. Die Rosa Luxemburg Stiftung
(RLS), eine der wichtigsten Geldquellen linker
Politik hierzulande, und die Tageszeitung Neues
Deutschland, mittlerweile vollends zum
Verlautbarungsorgan des rechten Parteiflügels
umgemodelt, tun das Ihre: Nicht wenige Köpfe etwa
der Interventionistischen Linken (IL) – eine der
einflussreichsten APO-Organisation der
deutschsprachigen Linken – stehen auf ihren
Gehaltslisten, sind politisch wie ökonomisch von
ihren Netzwerken abhängig und dienen objektiv der
Integration des linksradikalen Milieus ins
Regierungsprojekt der Linkspartei. Nicht anders
steht es um den »antinationalen« Zwilling der IL,
das UmsGanze-Bündnis um Gruppen wie TOP B3rlin.
Thüringen,
Berlin und Brandenburg – ein Vorgeschmack
»Wer wissen will,
wie Rot-Rot-Grün im Bund funktionieren würde, muss
nur nach Berlin schauen«, so beschrieb der
Rechtsaußen unter den Spiegel-Online-Kolumnisten,
Jan Fleischhauer, jüngst, wo sich etwas über die
vermeintlich »linke Zukunft« lernen lässt. Er liegt
damit richtig und falsch zugleich.
Selbstverständlich ist die erste rot-rot-grüne
Koalition unter Führung der SPD in Berlin ein
Modell für den Bund. Falsch ist jedoch
Fleischhauers Bewertung des Hauptstadtbündnisses.
Eine Gefahr für »die öffentliche Ordnung« zu sein,
wie er meint – davon ist es weit entfernt. Die
Regierungsprojekte unter Einschluss der Linkspartei
erwiesen sich im Gegenteil als Garanten der
öffentlichen Ordnung.
In Berlin stimmte
die PDS/Die Linke in den Nuller-Jahren 35.000
Entlassungen im öffentlichen Dienst ebenso zu wie
der Privatisierung städtischer Unternehmen, und in
Thüringen bekennt sich Rot-Rot-Grün wie im roten
Rathaus zur Schuldenbremse – dem
Instrument neoliberaler Haushalts- und
Finanzpolitik. Auf anderen Politikfeldern sieht es
nicht besser aus. In Brandenburg beendete Rot-Rot
die grün-sozialdemokratischen Träumereien von einem
»sozial-ökologischen Umbau«, als 2014 die
Fortsetzung und Ausweitung des regionalen
Braunkohletagebaus beschlossen wurde. Abschiebungen
setzt die Linke gemeinsam mit der SPD und den
Grünen in wechselnden Konstellationen ebenso durch
wie Bundeswehrbesuche an Schulen und in Jobcentern.
In Berlin blieb der Stadtsoziologe und Kritiker
neoliberaler Mietpolitik Andrej Holm keine sechs
Wochen Staatssekretär für Wohnen, bevor »R2G« ihn
auf Druck der Berliner Immobilienhaie und deren
politischen Alliierten entsorgte. Die Causa Holm
ist zudem ein Beleg für die konformistische
Vergangenheitspolitik der Linkspartei. In Erfurt
verteufelt sie die DDR als »Unrechtsstaat«, während
Landespapst Bodo Ramelow (Die Linke) sogar die
Bespitzelung seiner eigenen Parteigenossen durch
den Verfassungsschutz toleriert.
»… diese
Koalitionsmöglichkeit nicht unmöglich machen«
Die
landespolitischen Vorreiter und die
programmatischen Debatten in den Parteien lassen es
erahnen: Kämen Rot, Rot und Grün gemeinsam in
»Regierungsverantwortung«, würden die
Schwergewichte auf der Agenda einer wirklich
besseren Zukunft – soziale Frage, Ökologie und
Antimilitarismus – unter dem Deckmantel
reformerischer Kosmetik dem parteipolitischen
Karrierismus und Pragmatismus geopfert.
Die Linke hat
inzwischen gute Seiten am Hartz-IV-Regime entdeckt,
die Grünen reden von einer Vermögenssteuer »für
Superreiche« (die jedoch kaum Steuern auf kaum ein
Vermögen bedeuten würden und für die SPD ohnehin
schon wieder vom Tisch ist), statt gesetzlicher
Erhöhung des Mindestlohns geht es um die
Abschaffung von Ausnahmen, und die private
Altersvorsorge soll vorerst nur neben die
gesetzliche treten. Das alles riecht deutlich mehr
nach Make-up für fortgesetzten Sozialabbau als nach
»progressivem Reformbündnis«. Und das gilt nicht
nur für die Sozialpolitik. »Energierevolution statt
grüner Kapitalismus«, tönte Die Linke im Thüringer
Wahlkampf. Sie wolle die Energieproduktion
verstaatlichen, um diese der »Kapitalmarktlogik« zu
entziehen. Wie Die Linke diese am Gemeinwohl
orientierte Energieproduktion durchsetzt, ohne
dabei in den offenen Konflikt mit der
kapitalistischen Wachstumslogik und den
Energiekonzernen zu treten, zeigt der Erfurter
Koalitionsvertrag – darin findet sich kein Wort zur
angekündigten ökosozialistischen Offensive. Ähnlich
»aussichtsreich« liegen die Dinge bei der Frage
nach Krieg oder Frieden: »Ohne Vorbehalte« müsse
Die Linke »akzeptieren, dass jede Bundesregierung
der internationalen Verantwortung Deutschlands etwa
im Rahmen der NATO jederzeit gerecht werden muss«,
gab SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann der Linken
mit auf den Weg. Bodo Ramelow, Gewehr bei Fuß, rät
seiner Partei dann auch, »an der NATO-Frage diese
Koalitionsmöglichkeit nicht unmöglich zu machen«.
Schließlich heiße das ja nicht, »dass wir
begeisterte NATO-Anhänger werden müssen«.
»R2G« –
sonst AfD!
Für diejenigen,
denen angesichts solch ernüchternder Aussichten
Zweifel am Wert des »linken Reformprojekts«
aufkommen, haben die »R2G«-Ideologen aber noch
einen treffsicheren Pfeil im Köcher: Sollte
Rot-Rot-Grün scheitern, gewännen nur die AfD und
der »Trumpismus«. Wer also jetzt nicht mitmacht,
der muss sich für das Schlimmste verantworten –
eine schwarz-gelbe Regierung mit starker AfD im
Bundestag. »Die effektivste Regierung gegen den
Rechtsruck: Eine linke Regierung!«, denn »ohne das
Angebot einer linken Alternative werden viele der
auch sozial verängstigten AfD-Wähler weiter den
Rechtspopulisten auf den Leim gehen«. »Gemeinsam
Aufstehen gegen Rassismus« – so lautet die Mär vom
kleineren Übel.
Gesellschaft ohne Opposition
Das Problem dabei:
Ein »linkes« rot-rot-grünes Lager gibt es in der
bundesdeutschen Politiklandschaft gar nicht. SPD
und Grüne stehen nicht in Opposition zum Status Quo
der Kriegs- und Antisozialpolitik – sie haben
diesen Konsens nach 1998 neu Erfunden. Bietet sich
ihnen Die Linke als Regierungspartner an, ist sie
auf bestem Wege, für das damals ins Werk gesetzte
neoliberale Projekt zur Restaurierung der
Klassenherrschaft als »linkes« Feigenblatt zu
dienen. Dass dafür der linke Parteiflügel noch
kaltgestellt werden müsste, liegt auf der Hand. Wie
das geht, führen die Parteirealos eindrucksvoll
vor, wenn sie Sahra Wagenknechts angeblich
AfD-konforme Forderungen zur Flüchtlingspolitik
scheinbar von links kritisieren, zur
Abschiebepraxis der Parteirechten in Thüringen aber
beredt schweigen. So betreiben sie die Geschäfte
der Bourgeoisie, die schon immer auf
Neutralisierung der Opposition durch Integration
gesetzt hat, wenn ihr terroristische Methoden der
Unterdrückung nicht opportun oder geboten scheinen.
Vielleicht würden
unter »R2G« die deutschen imperialistischen
Interessen vorerst subtiler verfolgt, könnten
Hartz-IV-Bezieher mit etwas milderen Sanktionen
rechnen, könnte die gesetzliche Rente etwas
langsamer an die Finanzindustrie verhökert werden,
hätte der »Green New Deal« ein paar mehr regierende
Fürsprecher – solange nichts von alledem dem
»Wirtschaftsstandort Deutschland« schadet. Auch das
»Aufstehen gegen Rassismus« fände in
Regierungskreisen allgemeinen Anklang, solange nur
den gesellschaftlichen Ursachen der
Rechtsentwicklung nicht auf den Grund gegangen
wird. Mit dem beschworenen »linken Politikwechsel«
hat all das wenig zu tun – umso mehr aber mit der
Paralyse echter Opposition.
Die beschworene
Verhinderung eines weiteren Aufstieges der AfD
mittels Regierungsbeteiligung könnte sich vor dem
Hintergrund kläglicher Sozialkosmetik und
fortgesetzter NATO-Politik als kurzfristiger und
folgenreicher Pyrrhussieg erweisen. Das freiwillige
Einstimmen der Linkspartei in den
elitär-neoliberalen und imperialistischen
Parteienkanon – sei es nun aus Karrierismus oder
aus hoffnungsloser Selbstüberschätzung –, der für
»die da unten« einen Schlag ins Gesicht nach dem
anderen bereithält, hinterließe auf der
Oppositionsbank ein Vakuum. Darauf, diese
Leerstelle auszufüllen und sich nicht nur als
parlamentarische, sondern als einzige
gesellschaftliche Opposition an der Seite der
Abgehängten, Protestwähler und NATO-Kritiker zu
inszenieren, wartet die AfD nur. Alexander Gauland
und seine Parteigenossen könnten dann konkurrenzlos
um diejenigen buhlen, »auf deren Rücken das System
fortschreitet – das heißt gerade die Klassen, deren
Existenz einmal die Opposition gegen das System als
Ganzes verkörperte« (Marcuse) und die nun
enttäuscht feststellen, dass links kaum noch jemand
steht, der gegen die Missstände der neoliberal
radikalisierten kapitalistischen Gesellschaft
kämpft.
Zu einer
derartigen Gesellschaft ohne Opposition leistet die
außerparlamentarische Linke einen gewichtigen
Beitrag, wenn sie Die Linke in ihrem
Regierungsvorhaben unterstützt und sich mit ihr in
die »heilige Phalanx der Ordnung« (Marx) begibt.
Die Mittel, die Rosa Luxemburg der Sozialdemokratie
ihrer Zeit schon vor hundert Jahren empfahl –
»rückhaltlose Kritik der Regierungspolitik« und
Organisation der gesellschaftlichen Opposition
innerhalb wie außerhalb der Parlamente –, sind bis
heute die richtigen Mittel gegen neoliberalen
Klassenkampf und AfD.
5. April 2017
Quelle: per email am 13.4.2017
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