Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Streit um das französische Gefängniswesen
Direktor der zentralen Gefängnisverwaltung zurückgetreten

04/2017

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Das nennt man desavouieren: Drei Wochen vor einer entscheidenden Wahl – dem ersten Durchgang der französischen Präsidentschaftswahl -, bei der mehrere Kandidaten die Verstärkung von Polizei und Justiz beschwören, verlor die Regierung einen hohen Justizbeamten in einem „sensiblen“ Bereich.

Erst im September 2016 war Philippe Galli zum Direktor der zentralen Gefängnisverwaltung ernannt worden. Nach nur einem halben Jahr im Amt erklärte er nun Ende März d.J. seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung, wie am Montag, den 03. April 17 in Paris bekannt wurde. Zur Begründung gab er unüberbrückbare Differenzen mit dem amtierenden rechtssozialdemokratischen Justizminister Jean-Jacques Urvoas an.

Urvoas, eher ein Mann der harten Linie, der als damaliger Abgeordneter das neue Nachrichtendienstgesetz vom Juli 2015 – das die Abhör- und sonstigen Befugnisse des Sicherheitsapparats drastisch ausweitet – maßgeblich mitverfasst hat, nahm Gallis Rücktritt an. Letzterer hatte sich darüber beklagt, von seinem Posten aus keinen Einfluss auf die realen Entscheidungen zu haben, die allein vom Minister und in dessen engstem Beraterkreis getroffen würden.

Auch wenn das Kommuniqué, das Gallis Abgang ankündigt, keine näheren Angaben getroffen werden, so steht doch erkennbar die Überbelegung der französischen Haftanstalten – aufgrund derer Frankreich wiederholt durch NGOs und die „Kommission zur Vorbeugung von Folter“ des Europarats gerügt wurde – im Hintergrund. Die Regierungen der letzten fünfzehn Jahre setzten vor allem auf spektakuläre Zahlen, um der Bevölkerung glaubhaft zu machen, sie sorge für ihre Sicherheit. Am 1. Juli 2016, mit damals 69.375 Insassen, und am 1. März dieses Jahres mit nun 69.430 Inhaftierten wurden neue historische Rekorde verzeichnet. Überbelegte Zellen, Rattenplagen und gefährlich frei liegende Stromkabel sind Begleiterscheinungen.

Die aktuelle Regierung hat angekündigt, bis im Jahr 2015 den Bau von zwischen 10.309 und 16.143 Haftplätzen auf den Weg zu bringen, um die Zellen weniger dicht zu belegen. Doch infolge einer Justizpolitik, die auf Wegsperren zum Kaschieren drängender sozialer Probleme als Kriminalitäts-Hauptursache setzt, und wahlpolitische Demagogie drohen solche Ziele in ihr Gegenteil zu verkehren und die Gerichte und Staatsanwälte zu neuen Belegungsrekorden anzuspornen.

Im Jahr 2002 war bereits mit 59.000 Gefängnisinsassen ein damaliger Rekord erreicht, bevor der seinerzeitige Innenminister Nicolas Sarkozy den Bau von 11.000 neuen Haftplätzen lancierte. Die PräsidentschaftskandidatInnen François Fillon und Marine Le Pen wollen heute je 40.000 neue Gefängnisplätze bauen lassen. Und gewiss nicht, um humanere Haftbedingungen zu erzielen. Solche Humanisierungsversuche sind hingegen Gegenstand eines "Weißbuchs", das von einer am 24. Januar eingesetzten Abgeordnetenkommission erstellt und am Dienstag, den 04. April 17 an Minister Urvoas übergeben wurde. Demnach sollen kleinere Einheiten im Gefängnissystem gebildet werden, und den Insassen sollen mindestens fünf Stunden Aktivität - ob Sport, Unterricht oder Arbeit - pro Tag gewährleistet werden. Auch sollen die Zu- und Abgänge kontrolliert werden, was bedeutet, dass die Richter bei der Strafmessung zur Mäßigung angehalten würden. Nicht übernommen wurde die andiskutierte Forderungen nach einem "Numerus Clausus", der zufolge keine Neuinhaftierung ohne eine Freilassung oder Haftbeurlaubung vorgenommen werden dürfte.
 

Editorischer Hinweis

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.