Ein „schwarzes Szenario“ über die ersten
einhundert Tage einer, vorläufig noch imaginären,
Regierung des Front National (FN) malte am
Mittwoch, den 15. März 17 das Wochenmagazin
L’Obs – früher Le Nouvel
Observateur – in seiner Titelstory aus.
Das romanähnliche Szenario sieht vor, dass Marine
Le Pen im Mai dieses Jahres mit einer „knappen“
Mehrheit gewählt wird. Demonstrationen finden
statt, doch werden nach einigen Tagen verboten, und
ein Treffen der neuen französischen Präsidentin mit
Angela Merkel verläuft „eiskalt“. Bei den
Parlamentswahlen im Juni 2017 erhält die extreme
Rechte demnach keine Mehrheit. Doch mittels einer
Volksabstimmung Anfang Juli d.J. zum Thema
„Inländerbevorzugung und Verbot von
Parallelgesellschaften“ führt die rechtsextreme
Regierung einen, so sieht es das Drehbuch vor,
„Referendumsputsch“ am Parlament vorbei durch.
Dass es so oder
ähnlich kommt, ist bislang allerdings noch
unwahrscheinlich. Allerdings nicht länger
unmöglich, zumal die extreme Rechte faktisch
erheblich von der tiefen Krise der französischen
Konservativen profitieren und Nahrung aus ihr
schöpfen wird. Letzteren wird es nunmehr definitiv
nicht mehr gelingen, ihren notorisch korrupten
Präsidentschaftskandidaten François Fillon
abzuservieren, denn der Anmeldeschluss für
Bewerber/innen zur Präsidentschaftswahl von Ende
April und Anfang Mai 17 ist nun am Freitag, den 17.
März 17 verstrichen. Auch in Teilen der
französischen Eliten macht man sich darüber
Gedanken, was denn los wäre, wenn...
In französischen Diplomatenkreisen werden einige
Stimmen laut, die verkünden, sie würden unter einer
FN-geführten Regierung „Frankreich nicht länger
dienen wollen“. Der amtierende französische
Botschafter in Japan etwa im Laufe der ersten
Märzwoche 2017 seine Entscheidung öffentlich, in
seinem solchen Fall den Dienst zu quittieren.
Umgekehrt machen die Diplomaten mancher sonstigen
Staaten Anstalten dazu, sich zumindest – auch in
offizieller Form – anzuhören, was der FN an der
Regierung denn so zu bieten hätte.
Der kubanische Botschafter in Paris war dort. Die
Botschafter Saudi-Arabiens, Kambodschas, Vietnams
und Taiwans auch, jener von Albanien soll ebenfalls
anwesend gewesen sein. Aus den USA und China waren
Diplomaten unterhalb des Botschafterrangs gekommen.
Insgesamt sollen „Vertreter von 42 Ländern“ dabei
gewesen sein, unter ihnen Singapur und El Salvador,
als die Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen am
23. Februar d.J. bei einer Konferenz ihre „Vision
der internationalen Beziehungen“ vorstellte. In
französischen Medien wurde darüber vor allem in
Form einer längeren AFP-Meldung berichtet; dagegen
berichtete der für seine Propagandajauche bekannte
russische Sender RT (Russia Today) in
französischer Sprache ausführlich über die
Veranstaltung der französischen extremen Rechten.
Inhaltlich sprach Marine Le Pen insbesondere einer
Aufwertung der Beziehungen zu solchen Staaten, die
Migrationsbewegungen in Richtung Europa verhindern
können oder sollen, das Wort. Ägypten unter
Marschall-Präsident ’Abdelfattah Al-Sissi
bezeichnete die Chefin des französischen Front
National (FN) in dieser Hinsicht wörtlich als
„Wachturm, welcher uns gegen die Migranten
verteidigen wird“. Die Tochter und
politische Erbin des langjährigen Vorsitzenden der
neofaschistischen Partei, Jean-Marie Le Pen,
begrüßte ferner den Amtsantritt von US-Präsident
Donald Trump als angeblichen Hoffnungsschimmer und
bezeichnete erwartungsgemäß Wladimir Putin als
„Verbündeten“. Marine Le Pen schwang
sich in ihrer Rede zu einer Vorreiterin einer
„multipolaren Welt“ auf.
Die französischen
Rüstungsausgaben sollen sofort auf zwei, bis zum
Ende der regulären Amtszeit des nächsten
französischen Staatsoberhaupts (die von Mai 2017
bis 2022 läuft) gar auf stattliche drei Prozent des
Bruttoinlandsprodukts angehoben werden; dieses Ziel
soll zudem in Verfassungsrang erhoben und im
französischen Verfassungstext festgeschrieben
werden. So will es der FN, dessen Kandidatin am
Dienstag und Mittwoch, den 21. und 22. März 17 in
der tschadischen Hauptstadt N’Djamena die
französische „Barkhane“-Streitmacht für die
Sahelzone besuchte. Dabei erhielt sie auch eine
Audienz beim Präsidenten des Tschad, Idriss Déby,
dem seit dem 1. Dezember 1990 amtierenden
Machthaber – einem Schlächter, dessen Regentschaft
vom französischen Neokolonialismus in der Region
unterstützt wird. Es handelt sich bei ihm, nach dem
libanesischen Staatsoberhaupt Michel Aoun (mit ihm
traf Marine Le Pen am 20. Februar dieses Jahres
zusammen) um den zweiten amtierenden Staatschef,
den Marine Le Pen treffen konnte, um ihre Rolle als
„Staatfrau“ auf internationaler Ebene zu
unterstreichen und aufzuwerten. Der dritte
Präsident im Bunde folgte dann am Freitag, den 24.
März 17: Anderthalb Stunden lang wurde Marine Le
Pen durch einen bereits bislang als mit ihr
verbündet geltenden Politiker empfangen, Russlands
Oberdemokraten Wladimir Putin. Die Audienz im Kreml
war im Vorfeld russischen regimenahen Medien
bekannt gewesen, doch der internationalen Presse
nicht angekündigt worden.
Was die Europäische Union betrifft, so proklamierte
Marine Le Pen, es gelte „ihr ein Ende zu
setzen“. Auf diese Weise hat sie ihren
Diskurs erneut radikalisiert, seitdem der FN bei
einem Strategieseminar im Februar 2016 das zuvor
explizit formulierte Ziel eines Austritts aus der
Euro-Währung zu relativieren schien. Es war
innerparteilich in Frage gestellt worden, weil sich
herausstellte, dass die umworbenen potenziellen
Wechselwähler, die zwischen Konservativen und FN
stehen, aber auch um ihre Ersparnisse fürchtende
Rentner und Kleinunternehmer eher gegen diese
Forderung eingestellt sind.
Darin liegt auch
eines der Motive, warum Teile des französischen
Kapitals seinerseits nach wie vor Bedenken dagegen
geltend machen, dass der FN in die Nähe einer so
genannten Regierungsverantwortung rücken könnte.
Der aktuelle Chef des stärksten Arbeitgeberverbands
MEDEF, Pierre Gattaz, setzte allerdings einer
Praxis seiner Vorgängerin in den Jahren 2005 bis
2013, Laurence Parisot, ein Ende: Unter ihr kam es
nicht in Frage, dass die Unternehmerverbände mit
dem FN reden. Gattaz hingegen entschied, neben
anderen Präsidentschaftsanwärtern auch Marine Le
Pen offiziell beim MEDEF anzuhören.
In
einem Beitrag beim Webportal Orange Finance
vom Montag, den 20. März kamen unterdessen mehrere
unterschiedliche Stimmen aus dem Arbeitgeberlager
zu Wort, was die Aussichten auf eine hypothetische
Regierung mit FN-Beteiligung betrifft. Mehrere der
Befragten machen sich Gedanken über die negativen
Auswirkungen einer „wirtschaftlichen Blockade“ im
Falle einer solchen Konstellation. Hingegen erklärt
etwa die Kleinunternehmerin Alexandra Frantz:
„Ich wüsste nicht, was schlimmer kommen sollte
als heute, in Sachen Staatsbürokratie und Abgaben.“
Generell zeigen sich die exportorientierten
multinationalen Firmen kritischer gegenüber Marine
Le Pen und ihrem Programm als so genannte
mittelständische Unternehmen. Wie die linksliberale
Zeitung Le Monde in ihrer
Wirtschaftsbeilage vom Dienstag, den 21. März 17
schreibt, führten unterdessen vor allem
anglo-amerikanische Banken und Investmentfonds in
den vergangenen Monaten bereits Gespräche mit dem
FN, um dessen Absichten zu sondieren. Die
Fondsgesellschaft BlackRock und die britische
Agentur CheckRisk bestätigten etwa entsprechende
Meldungen, während Barclays oder die schweizerische
Bank UBS Informationen der
Wirtschafts-Nachrichtenagentur Bloomberg dazu nicht
kommentieren mochten.
Amtsinhaber François Hollande
seinerseits zeigt sich in der Öffentlichkeit
beunruhigt. Im privaten Kreise zeige er sich
„überzeugt, dass Marine Le Pen in den
Vorwahlumfragen unterschätzt wird“,
berichtete die linksliberale Pariser Abendzeitung
Le Monde am 06. März 17; und ihr
Herausforderer in der Stichwahl könnte, fügte
Hollande demnach hinzu, „Mühe zu haben,
unterschiedliche Kräfte zu bündeln“, um
einen Wahlsieg Marine Le Pens sozusagen mit
vereinten Kräften zu verhindern. Und wie das
Wochenmagazin L’Obs am 02. März auf
seiner Webseite berichtete, lud Hollande fünf
bekannte Politikwissenschaftler/innen, die samt und
sonders in Sachen Beobachtung des FN einen guten
Namen haben - unter ihnen Nonna Meyer und Alexandre
Dézé -, zu einem gemeinsamen Mittagessen ein.
Behandelt werden sollte dabei folgende Frage:
„Und was, wenn Marine Le Pen gewinnen würde…?“
Sicherlich, bei diesen
Äußerungen und Positionierungen seitens von
François Hollande handelt es sich auch um einen
politischen Akt: Der nur noch für wenige Wochen
amtierende Staatschef fragt sich zweifellos, wie er
nach einer fünfjährigen Amtszeit mit einer -
besonders in sozialer Hinsicht - jämmerlichen
Bilanz noch etwas Profil in den Augen der Nachwelt
gewinnen kann, und sei es als Mahner und Warner.
Und bestimmt erhielt Le Monde, als
eine Zeitung, die der französischen
Sozialdemokratie relativ nahe steht, eher nach
politischen Kriterien ausgewählte Informationen
denn wahrhafte innere Überzeugungen mitgeteilt.
Nichtsdestotrotz gilt: Die für viele
Beobachter/innen überraschend kommende
Brexit-Entscheidung vom Juni 2016 und die Donald
Trump-Wahl in den sprechen in den Augen vieler
Kommentatoren trotz allen
Wahrscheinlichkeitskalkülen dafür, dass böse
Überraschungen nicht absolut ausgeschlossen werden
können.
Ein
Hauch von Nazismus liegt noch immer in der Luft,
wenn manche Protagonisten des FN sich zu Wort
melden, auch wenn die Parteiführung tunlichst
bemüht ist, einen an die bürgerliche Demokratie
angepassten Eindruck zu erwecken. Nachdem am 15.
März 17 der Holocaustleugner Benoît Loeuillet,
Regionalparlamentarier des FN und Buchhändler in
Nizza, infolge einer Fernsehsendung aufflog – er
wurde prompt von den Mitgliedsrechten suspendiert
-, wurden kurz darauf zu allem Überfluss noch
Aussprüche eines Kommunalparlamentariers der Partei
aus dem Umland von Grenoble bekannt. Franck Sinisi
schlug vor, „den Aufenthalt von Roma zu
finanzieren“, indem man ihnen „die Goldzähne
zieht“. Ein Vorschlag, der viele Kommentatoren an
Auschwitz erinnerte. Parteilinie ist es nicht,
solche Vorstellungen zu verbreiten oder mit ihnen
zu scherzen. Aber ist es auch kein Zufall, dass
sich entsprechende Figuren gerade in dieser Partei
befinden.
Editorischer Hinweis
Den
Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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