Die „Entdiabolisierung“ (dédiabolisation),
die seit 2011 von Marine Le Pen für ihre Partei –
den Front National (FN) ausgerufene Strategie, ist
ein schweres Geschäft. Vordergründig besteht sie
darin, die rechtsextreme Partei von ihren
faschistischen und nazistischen „Schlacken“ zu
befreien und demokratisch-angepasst zu erscheinen.
Auch wenn es sich in Wirklichkeit eher um eine
reine PR-Strategie handelt, zeigte sie doch ihre
Wirkungen. Beginnend mit dem Jungnazi Alexandre
Gabriac, den im März 2011 mitten in den
Bezirksparlamentswahlen (zu denen er kandidierte)
ein Parteiausschluss ereilte, weil er mit
Hitlergruß posiert hatte und sich dabei für seine
Facebookseite ablichten ließ, wurden einige
Gestalten aus der Partei gedrängt. Gabriac ist
heute in leitenden Funktionen bei dem winzigen,
doch höchst gewaltbereiten Parti nationaliste
français (PNF) aktiv.
Mitte März dieses Jahres erwischte es nun den
südfranzösischen Regionalparlamentarier Benoît
Loeuillet. In einer Sendung des
Privatfernsehsenders C8 hörte man den
in Nizza ansässigen Buchhändler am Abend des 15.
März 2017 mit einem Journalistenteam diskutieren.
Das Gespräch, das in seinem Buchladen La
Librairie du Paillon stattfand - dort
vertreibt der Mann unter anderem auch Titel von
Adolf Hitler und von Robert Faurisson, dem Pionier
der zeitgenössischen Holocaustleugner in Frankreich
-, wurde mit verstecker Kamera aufgezeichnet. Und
darin redet Loeuillet sich um Kopf und Kragen: „Ich
weiß nicht so genau, was ich zu der These der
Geschichtsrevisionisten denken soll. Das ist
kompliziert. Gut, nach allem denke ich, dass es
nicht so viele Tote gegeben hat: Es hat nicht sechs
Millionen gegeben."
Noch am 15. März 17 tagsüber – also kurz vor
Ausstrahlung der Sendung - erklärte die FN-Spitze,
Loeuillet sei von seiner Parteimitgliedschaft
„suspendiert“. Inhaltlich hatte Louillet allerdings
nur in zum Teil wortidentischer Form wiederholt,
was der Gründer und langjährige Vorsitzende der
Partei zwischen 1972 und 2011 - Jean-Marie Le Pen -
am 13. September 1987 zu bester Sendezeit im
Fernsehen verkündet hatte. Dies hatte die Partei
allerdings von vormaligen konservativen Alliierten
isoliert und zum Abbruch vormaliger Bündnisversuche
beigetragen.
Die heute amtierende Parteiführung vertritt
deswegen den Standpunkt, man müsse aus der
Isolierung heraustreten und könne sich quasi alles
erlauben, nur eben nicht an den Punkt der
Judenverfolgung und Judenvernichtung im 20.
Jahrhundert rühren. Louis Aliot, Vizevorsitzender
der Partei und Lebensgefährte von Marine Le Pen,
prägte vor den Kommunalwahlen von 2014 den Satz: „Unsere
Diabolisierung (Verteufelung) hängt einzig und
allein an der Verdächtigung des Antisemitismus. Es
liegt nicht an Themen wie Islam, Immigration - da
sind die anderen Parteien mittlerweile schlimmer
als wir (sic!). Der einzige
Sperriegel ist dieser Verdacht des Antisemitismus."
Allerdings: Die
Köpfe, die dem alten ideologischen Gebräu inklusive
Antisemitismus „treu" geblieben sind, werden nur
notdürftig versteckt. Die wichtigste Figur dabei
ist Frédéric Chatillon, dessen Name zwar nicht in
den offiziellen Führungsstrukturen der Partei
auftaucht, jedoch mit seinem Security-Unternehmen
als häufiger Vertragspartner des FN auftritt und
eine Schlüsselrolle bei der teilweise illegalen
Finanzierung der Partei vor den Wahlen von 2012
spielte, weswegen seit 2015 ein Strafverfahren
gegen ihn läuft. Chatillon, der nebenbei als
Lobbyist für das syrische Regime von Bascher
Al-Assad tätig ist, gehört auch zum persönlichen
Umfeld von Marine Le Pen. Dies wurde 2003
kurzzeitig ins Licht der Öffentlichkeit gerückt:
Polizisten waren nächtlich in Chatillons Wohnung
eingetreten, um eine Party wegen Ruhestörung zu
beenden, und waren dabei durch eine angetrunkene
Marine Le Pen angepöbelt worden.
Und dann kam jüngst nun der Knüller: Wie die
Wochenzeitung Le Canard enchaîné
am 22. März 17 enthüllt hat, ist Chatillon seit
Anfang November 2016 formal als bezahlter
Beschäftigter für den Präsidentschaftswahlkampf
Marine Le Pens angestellt worden. Dies
konterkariert die immer wieder betonten Versuche
zur „Entdiabolisierung“, weil gerade Chatillon – um
im Bilde zu bleiben – besonders diabolisch wirkt.
Zugleich ist nicht ernsthaft mit einer Minderung
der Wahlchancen Marine Le Pens zu rechnen. Ihr
werden derzeit laut Umfragen 25 bis 27 Prozent für
den ersten Durchgang und rund 40 Prozent für die
Stichwahl bei der französischen
Präsidentschaftswahl von Ende April und Anfang Mai
dieses Jahres vorausgesagt. Allerdings sind einige
Protagonisten der französischen Politik – vom noch
amtierenden Staatsoberhaupt François Hollande bis
zum konservativen Regionalpräsidenten in Marseille,
Christian Estrosi – erklärtermaßen der Auffassung,
dass Marine Le Pen und ihr zu erwartender
Stimmenanteil durch diese Umfrageinstitute
„unterschätzt“ würden.
Die extreme Rechte profitiert zweifellos erheblich
von der tiefen Krise der französischen
Konservativen. Letzteren wird es – trotz einiger
Versuche von Parteigrößen - nunmehr definitiv nicht
mehr gelingen, ihren notorisch korrupten und in
mehrere Ermittlungsverfahren verstrickten
Präsidentschaftskandidaten François Fillon
abzuservieren. Denn der Anmeldeschluss für
Bewerber/innen zur Präsidentschaftswahl ist am
Freitag, den 17. März verstrichen.
Auch in Teilen der französischen Eliten macht man
sich nun darüber Gedanken, was denn los wäre,
wenn... In französischen Diplomatenkreisen werden
einige Stimmen laut, die verkünden, sie würden
unter einer FN-geführten Regierung „Frankreich
nicht länger dienen wollen“. Der amtierende
französische Botschafter in Japan etwa machte
Anfang März d.J. seine Entscheidung öffentlich, in
seinem solchen Fall den Dienst zu quittieren.
In
sozialer und wirtschaftspolitischer Hinsicht hat
der FN in erster Linie Protektionismus zu bieten,
aus dem die sozialen Versprechen unmittelbar
abgeleitet werden; eine dreiprozentige Sondersteuer
auf alle Importprodukte soll sich angeblich in
einer „Lohnprämie“ für Geringverdienende, die mit
80 Euro monatlich beziffert wird, niederschlagen.
Die französischen Rüstungsausgaben sollen der
Partei zufolge sofort auf zwei, bis zum Ende der
regulären Amtszeit des nächsten französischen
Staatsoberhaupts (die von Mai 2017 bis 2022 läuft)
gar auf stattliche drei Prozent des
Bruttoinlandsprodukts angehoben werden. Dieses Ziel
soll zudem im französischen Verfassungstext
festgeschrieben werden.
Was die Europäische Union betrifft, so proklamierte
Marine Le Pen am 23. Februar 17, es gelte
„ihr ein Ende zu setzen“. Auf diese Weise
hat sie ihren Diskurs erneut radikalisiert, seitdem
der FN bei einem Strategieseminar im Februar 2016
das zuvor explizit formulierte Ziel eines Austritts
aus der Euro-Währung zu relativieren schien. Es war
innerparteilich in Frage gestellt worden, weil sich
herausstellte, dass die umworbenen potenziellen
Wechselwähler, die zwischen Konservativen und FN
stehen, eher gegen diese Forderung eingestellt
sind. Aber auch, dass um ihre Ersparnisse
befürchtende Rentner/innen und
Kleinunternehmer/innen in der eigenen Wählerschaft
die Aufgabe des Euro eher befürchten als erhoffen.
Darin liegt auch eines der Motive, warum Teile des
französischen Kapitals seinerseits nach wie vor
Bedenken dagegen geltend machen, dass der FN in die
Nähe einer so genannten Regierungsverantwortung
rücken könnte. Der aktuelle Chef des stärksten
Arbeitvergeberverbands MEDEF, Pierre Gattaz, setzte
allerdings einer Praxis seiner Vorgängerin in den
Jahren 2005 bis 2013, Laurence Parisot, ein Ende:
Unter ihr kam es nicht in Frage, dass die
Unternehmerverbände mit dem FN reden. Gattaz
hingegen entschied, neben anderen
Präsidentschaftsanwärtern auch Marine Le Pen
offiziell beim MEDEF zuzuhören.
Diese Anhörung fand
nun am Dienstag, den 28. März 17, neben derer der
Kandidaten Emmanuel Macron und François Fillon.
Zwar fand jene von Marine Le Pen in eher
angespannter Atmosphäre statt, weil viele der
anwesenden Kapitalvertreter ihr entweder mangelnde
wirtschaftspolitische Kompetenz attestierten – da
Marine Le Pen ihre politisch-ideologischen
Ausführungen zu Protektionismus etc. kaum mit
konkreten Zahlen untermauern mochte – oder ihre
Pläne zum Euro-Austritt als unverantwortlich
betrachteten. Dennoch ist in ihren Augen wichtig,
dass das Ereignis überhaupt stattgefunden hat.
In
einem Beitrag beim Webportal Orange Finance
vom Montag, den 20. März 17 kamen unterdessen
mehrere unterschiedliche Stimmen aus dem
Arbeitgeberlager zu Wort, was die Aussichten auf
eine hypothetische Regierung mit FN-Beteiligung
betrifft. Mehrere der Befragten machen sich
Gedanken über die negativen Auswirkungen einer
„wirtschaftlichen Blockade“ im Falle einer solchen
Konstellation. Hingegen erklärt etwa die
Kleinunternehmerin Alexandra Frantz: „Ich
wüsste nicht, was schlimmer kommen sollte als
heute, in Sachen Staatsbürokratie und Abgaben.“
Generell zeigen sich die exportorientierten
multinationalen Firmen kritischer gegenüber Marine
Le Pen und ihrem Programm als so genannte
mittelständische Unternehmen.
Wie die linksliberale Zeitung Le Monde
in ihrer Wirtschaftsbeilage vom 21. März 2017
schreibt, führten unterdessen vor allem
anglo-amerikanische Banken und Investmentfonds in
den vergangenen Monaten bereits Gespräche mit dem
FN, um dessen Absichten zu sondieren. Die
nordamerikanische Fondsgesellschaft BlackRock und
die britische Agentur CheckRisk bestätigten etwa
entsprechende Meldungen, während Barclays oder die
schweizerische Bank UBS Informationen der
Wirtschafts-Nachrichtenagentur Bloomberg dazu nicht
kommentieren mochten.
Editorischer Hinweis
Den
Text erhielten wir vom Autor für diese
Ausgabe.
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