Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

09. April 15
Aktionstag der Gewerkschaften gegen Austeritätspolitik

04-2015

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Vier Gewerkschaftsdachverbände und -zusammenschlüsse (die CGT, FO, die Union syndicale Solidaires und die Vereinigung von Bildungsgewerkschaften FSU) riefen am vergangenen Donnerstag, den 09. April zusammen zu einem Aktionstag gegen die Austeritätspolitik auf. Ursprünglich geplant war dabei, zwei zentrale Demonstrationen frankreichweit - in Paris und in Marseille - abzuhalten, um durch die Existenz zentraler Mobilisierungsorte eine gewisse ,kritische Masse' an einem Punkt zusammen zu bekommen. Daraufhin wurden allerdings dennoch circa zwanzig regionale Demonstrationen angekündigt, die diesen Plan ein bisschen konterkarierten. Dennoch stand letztendlich die Pariser Vordergrund, von der Teilnehmer/innen/zahl und vom Mobilisierungserfolg her, deutlich im Vordergrund.

An einem der ersten Sonnen- und schönen Frühlingstage im Jahr überhaupt demonstrierten mehrere Zehntausend Menschen in der französischen Hauptstadt von der Place d'Italie im Südosten zum Invalidenplatz im Westen/Südwesten von Paris. Insgesamt zogen zwischen 50.000 und 70.000 Menschen durch die Straßen. (Die Polizei sprach hinterher von ,32.000' und die CGT-Leitung von ,120.000' Teilnehmer/inne/n. Man ist daran gewöhnt, dass in der Regel die mathematische Wahrheit ungefähr irgendwo in der Mitte liegt, was in der Mehrzahl der Fälle auch zutrifft. In diesem Falle ergab eine Berechnung aus der Vorbeiziehdauer an einem Punkt von rund drei Stunden, Straßenbreite und Dichte der Demonstration eine reale Zahl von um die 60.000.)

Dabei trug die Mobilisierung tatsächlich überregionalen Charakter. Eröffnet wurde die Demonstration durch die Blöcke der CGT aus ,den Regionen' (früher sagte man politisch unkorrekt ,aus der Provinz'). Aus Toulouse etwa berichteten die Kollegen von einer Anreise mit Bussen mit 400 Demonstrant-inn-en. Es folgten Kontingente aus Nantes, aus dem Nord-Pas de Calais... Dahinter hatte der Dachverband FO ebenfalls für seine Verhältnisse stark mobilisiert (wohl deutlich über 10.000), gefolgt von den CGT-Verbänden aus dem Großraum Paris - die später losliefen, weil sich für sie nicht die Frage der Abreise stellten, und teilweise über drei Stunden am Ausgangsort der Demo verharren mussten -, der FSU und Solidaires.

In den Regionen fielen die Demonstrationen erheblich kleiner aus, vielleicht abgesehen von Marseille (7.000 Teilnehmer/innen laut Polizei und 45.000 lt. CGT). Insgesamt sprach die CGT-Leitung von 300.000 Protestteilnehmenden in ganz Frankreich.

Einige Stunden hinterher fragten deutsche Genoss-inn-en den Verfasser dieser Zeilen, wie denn << der Generalstreik in Frankreich >> vom Tage zu bewerten sei. Im Hinblick darauf muss sogleich ein Gerücht dementiert werden. Von einem Generalstreik kann schlichtweg überhaupt gar keine Rede sein. Zwar war der Aufruf zum Aktionstag der Gewerkschaften mit Arbeitsniederlegungen oder Aufrufen dazu verbunden. Es blieb jedoch dabei, dass zwar - wie ein sozialpolitischer Blog es formulierte - << eine schöne Demonstration, aber ein unsichtbarer Streik >> zu verzeichnen waren. (Vgl. http://social.blog.lemonde.fr/  ) Denn es kam in keinem Sektor zu streikbedingten Beeinträchtigungen; und zwar mit einer Ausnahme: den öffentlichen Schulen. Dort  befanden sich laut gewerkschaftlichen Zahlen - die Angaben des Bildungsministeriums liegen darunter, sind aber z.T. durch ihre Berechnungsbasis frisiert - rund ein Viertel der Lehrkräfte der Mittelschulen/Sekundärstufe und ein Drittel an den Grundschulen im Streik. (Vgl. http://www.lemonde.fr/ )

Sektorenbezogen gab es allerdings stärkere Streikbewegungen, insbesondere bei ,Radio France' (vgl. nebenstehenden Artikel) - die Beschäftigten dort traten nicht im Zusammenhang mit dem 09. April in den Ausstand, sondern stehen seit Mitte März d.J. im Streik - oder bei den Reinigungskräften in der Nationalbibliothek und andernorts.

Dass am 09. April der Eifelturm aufgrund eines Streiks der Beschäftigten – in Verbindung mit dem frankreichweiten gewerkschaftlichen Aktionstag - für Besichtigungen nicht zugänglich war, hatte dann doch einen symbolträchtigen Charakter; vgl. http://www.lefigaro.fr

Dennoch wirft das relativ deutliche Auseinanderklaffen aus erfolgreicher Demomobilisierung und insgesamt (von Ausnahmen und einzelnen Sektoren abgesehen) geringer Streikbeteiligung Fragen nach der gewerkschaftlichen Mobilisierungsfähigkeit und Kampfkraft auf. Zumal nach der ,Loi Macron'-, dem Kraut-und-Rüben-Gesetz von Wirtschaftsminister Emmanuel Macron - das u.a. den Schienenverkehr für die Konkurrenz von Busunternehmen öffnet, die Sonntagsarbeit ausweitet, die Wahl der Arbeitsgerichte perspektivisch durch die Ernennung von Schöffen ersetzt -, welche sich derzeit im Senat oder parlamentarischen ,Oberhaus' in erster Lesung befindet, bereits die nächsten Gesetzespakete mit sozialpolitischen Sauereien angekündigt sind. Unterwegs ist etwa ein am Dienstag, den 07. April vorgestellter Gesetzentwurf << zum sozialen Dialog >>, der etwa die Schwellenwerte für die Einrichtung einer betrieblichen Interessenvertretung anhebt, die Existenz betriebsratsfreier Unternehmen erleichtert und es den Arbeitgebern erlaubt, die bislang ein mal pro Jahr obligatorischen Lohnverhandlungsgespräche auf bis zu drei Jahre zu strecken. (Wir werden demnächst darüber ausführlich berichten und den Entwurf analysieren.)

Von Wirtschaftsminister Emmanuel Macron angekündigte gesetzliche Neuregelungen für Klein- und mittlere Betriebe, die seinen Worten zufolge etwa KÜndigungen in kleineren Unternehmen erleichtern sollen, wurden zwar am 02./03. April durch Premierminister Manuel Valls dementiert. Es zeichnet sich jedoch ab, dass dennoch gesetzliche Neuregelungen für die kleineren Unternehmen kommen, die es ihnen erlauben, etwa das ,Erschwerniskonto' für körperlich harte Arbeiten (das es erlaubt, zusätzliche Anrechnungszeiten für die Rentenkasse neben den Beitragsjahren geltend zu machen und früher in Rente zu gehen) abzuschaffen, da dieses für kleinere Unternehmen zu komplex sei.

Es wird also für die Gewerkschaften noch viel zu tun geben....

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.