Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Bezirksparlamentswahlen in Frankreich
Sozialdemokratie abgeschlagen, konservativer Block triumphiert

04-2015

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Der neofaschistische FN ist nur scheinbar angeschlagen: Zwar gelingt es ihm nicht, eine Bezirksregierung zu übernehmen, aber dies darf auf keinen Fall seine enorm hohen Wahlergebnisse verdecken. Seine Stimmergebnisse haben eine neue Rekordhöhe erreicht.

In ganz Frankreich, mit Ausnahme von Paris & Lyon (wo Stadt- und Bezirksregierung in eins fallen und die Rathäuser zuletzt im März 2014 neu besetzt wurden) sowie zwei „Überseebezirken“ – La Martinique und Guyana – fanden an den letzten beiden Sonntagen im März 2015 Bezirksparlamentswahlen statt. Diese Wahlen auf Départements-Ebene dienen, aufgrund ihres landesweiten gleichzeitigen Stattfindens, als wichtiger Gradmesser für das innenpolitische Klima. Und ferner bilden die Départements seit der französischen Revolution von 1789 ff. einen zentralen Baustein im französischen Staatsaufbau, dem zumindest bislang eine erheblich stärkere Bedeutung zukommt als den Regionen (von der Dimension her ungefähr mit den deutschen Bundesländern vergleichbar, aber ohne eigene Gesetzgebungshoheit).

Die wichtigsten Tendenzen beim Ausgang dieses Wahlgangs seien an dieser Stelle in aller Kürze zusammengefasst. Und zwar in Stimmergebnissen, was, möchte man den Einfluss der einzelnen politischen Parteien bemessen, die einzige sinnvolle Herangehensweise darstellt. Denn das Ergebnis in Sitzen wird durch das Wahlsystem (Mehrheitswahlrecht in zwei Durchgängen, ,The winner takes it all’ und die Ergebnisse der nicht siegreichen Kandidat/inn/en fallen am Schluss unter den Tisch) erheblich verzerrt.

In Stimmanteilen ausgedrückt, lassen sich die größeren politischen Blöcke wie folgt abbilden:

  1. Der konservative Bürgerblock: insgesamt rund 8,2 Millionen Stimmen.

Er trat meistens in Gestalt von Listenverbindungen der beiden mitgliederstärksten Rechtsparteien, UMP (ungefähr vergleichbar mit der deutschen CDU/CSU) und UDI (ungefähr vergleichbar mit der FDP, eher moderater als die UMP Nicolas Sarkozys, aber mit einem innerparteilichen Rechtsaußenflügel) auf. Solche Gemeinschaftslisten erhielten insgesamt rund 5,089 Millionen Stimmen.

Hinzu kommen weitere Stimmenanteile für reine UMP-Listen (rund 1,5 Millionen), für sonstige bürgerlich-konservative Listen, die entweder parteifrei oder kleineren Rechtskräften zugeordnet sind (circa 1,27 Millionen) und reine UDI-Listen (rund 250.000 Stimmen).

Auf diesen Block entfallen insgesamt 2.170 Sitze in den frisch gewählten Bezirksparlamenten, von Alles in Allem rund 4.000 Mandaten. Der konservative Bürgerblock gewinnt voraussichtlich 67 Départements, und nimmt damit der Sozialdemokratie und ihren Verbündeten 26 Bezirksregierungen ab. Ein Ausdruck der derzeitigen allgemeinen politischen Großwetterlage, insbesondere der massiven Unpopularität der amtierenden Regierung unter Staatspräsident François Hollande und von Premierminister Manuel Valls. Welch Letzterer (Valls) noch in den 24 Stunden nach der Wahl eine Verschärfung der Gangart bei den wirtschaftsliberalen so genannten „Reformen“ in den kommenden Monaten, noch vor dem Sommer 2015, versprochen hat...

  1. Die Sozialdemokratie und ihre Verbündeten (Grüne, Linksliberale, je nach örtlichem Verhältnis zwischen den Parteien auch die ,Linksfront’/der Front de gauche, ungefähr vergleichbar mit DIE LINKE in deutschen Landen) gewinnen insgesamt rund 5,2 Millionen Stimmen.

Davon entfallen 2,9 Millionen auf (mehr oder minder) rein sozialdemokratische Listen. Hinzu kommen 1,6 Millionen Stimmen für Koalitionslisten des Mitte-Links-Spektrums, etwa im Sinne von rosa-rötlich-grün. Weitere 788.000 Stimmen entfallen auf weitere Mitte-Links-Listen, die entweder parteifrei oder kleineren Parteien zugeordnet sind. Auf diesen Block entfallen insgesamt rund 1.400 Sitze.

In rund 25 Prozent der Wahlbezirke waren die Listen der Sozialdemokratie bzw. aus dem Mitte-Links-Spektrum dieses Mal gar nicht erst in die Stichwahl gekommen. (Um in diese einziehen zu können, benötigt man mindestens 12,5 % der Stimmen der potenziell Wahlberechtigten – nicht der abgegebenen Stimmzettel – im ersten Durchgang.) In einigen Fällen hätten die Sozialdemokratie und ihre Verbündeten an der Stichwahl teilnehmen können, zogen ihre Kandidaturen jedoch im Vorfeld der Stichwahl zugunsten bürgerlicher Bewerber zurück, um eine mögliche Wahl des Front National zu verhindern; vgl. unten.

Die Sozialdemokratie verliert in diesem Frühjahr langjährige Bastionen, wie etwa das Département Nord (rund um die Bezirkshauptstadt Lille), oder das seit 1953 von ihr regierte Département Bouches-du-Rhône (Marseille). Auch die Bezirke Corrèze und Essonne – Letzterer liegt im südlichen Pariser Umland -, wo die persönlichen Wahlkreise von François Hollande und Manuel Valls liegen, gingen ihr verloren.

  1. An dritter Stelle kommen dann auch schon die Neofaschisten, mit 5,1 Millionen Stimmen für den Front National (FN) im ersten Durchgang und 4,1 Millionen in den Stichwahlen, wo die rechtsextreme Partei nicht überall flächendeckend vertreten war. Rund 13.000 Stimmen entfallen ferner im zweiten Durchgang auf sonstige rechtsextreme Kandidaturen, insbesondere solche der Ligue du Sud, die vom Bürgermeister von Orange – Jacques Bompard, ex-Front National, seit 2012 auch Abgeordneter in der Nationalversammlung – angeführt wird.

Durch das Wahlrecht bedingt, das mittelstarke (oder schwächere) Parteien insbesondere dann stark benachteiligt, wenn sie ohne Verbündete in die Stichwahl ziehen und mit niemandem für die Stichwahl fusionieren1 (können oder wollen), ist dieser Block jedoch in Mandaten stark unterrepräsentiert. Auf den FN entfallen insgesamt 62 Mandate in den Bezirksparlamenten. Die Ligue du Sud erhielt weitere vier Mandate, darunter zwei für das Ehepaar Jacques & Marie-Claude Bompard, respektive Bürgermeister/in von Orange bzw. der Nachbarstadt Bollène.

Zurück zum Front National: Im ersten Wahlgang erhielt diese Partei frankreichweit 25,24 Prozent der Stimmen; das sind nochmals 0,3 Prozent über ihrem bisherigen Rekord, den sie bei der letztjährigen Europaparlamentswahl am 25. Mai 2014 (mit damals 24,9 % der abgegebenen Stimmen) verzeichnete. In absoluten Stimmen erhielt der FN damals, bei der Europaparlamentswahl im Vorjahr, noch 4,8 Millionen Stimmen. Und jetzt hatte er, im ersten Wahlgang, rund 5,1 Millionen. Das liegt zwar noch unter der absoluten Stimmenanteil bei den Präsidentschaftswahlen (2012: rund sechs Millionen Stimmen, bei einem prozentualen Anteil von 18 %). Aber bei Präsidentschaftswahlen nehmen auch wesentlich mehr Stimmberechtigte teil als bei Europa- oder Bezirksparlamentswahlen.

Bei der letztjährigen Europaparlamentswahl erreichte die Enthaltung eine Rekordhöhe von 57 Prozent. Eine vergleichbare Wahlenthaltung war auch dieses Mal, im März 2015, durch die Umfrageinstitute vorausgesagt worden. Im Endeffekt lag sie nun allerdings ein wenig darunter: Die Enthaltung betrug im ersten Durchgang der Bezirksparlamentswahlen durchschnittlich 49,83 %, und in der zweiten Runde erreichte sie lt. amtlichem Endergebnis 50,02 %. Damit lag umgekehrt die Beteiligung ein wenig höher, als im Vorfeld vermutet worden war. Im Übrigen gaben von den Wahlteilnehmer/inne/n 3,29 % im ersten Durchgang und 5,69 % (und 1,1 Millionen) in der zweiten Runde ungültige oder ungültig gemachte Stimmzettel ab2.

  1. Deutlich abgeschlagen hinter den drei vorgenannten Blöcken folgen dann andere politische Formationen, darunter einige Linkskräfte.

Die radikale Linke (Nouveau Parti Anticapitaliste, Lutte Ouvrière) war bei diesem Wahlgang überhaupt nicht vertreten: ihre Organisationen hatten keine Listen aufgestellt.

Die staatstragende „Linksfront“, die aus mehreren Mitgliedsparteien besteht – als stärkste darunter firmiert die französische KP (oder der PCF, le Parti communiste français), mit einigem Abstand gefolgt durch die „Linkspartei“ (PG) des früheren Sozialdemokraten Jean-Luc Mélenchon – trat je nach örtlichen Verhältnissen in unterschiedlichen Konstellationen an. Mal mit sozialdemokratischen Verbündeten, mal mit Grünen (die ebenfalls, ähnlich wie die „Linksfront“, die rechtssozialdemokratisch geführte Regierung kritisierten), mal im Alleingang. Es kam auch zu Alleinkandidaturen des PCF, also der französischen KP.

Listen, die unter der Bezeichnung „Linksfront“ firmierten, erzielten dabei rund 266.000 Stimmen (und 76 Sitze, i.d.R. dank Zusammenschlüssen im zweiten Wahlgang mit der Sozialdemokratie); Alleinkandidaturen der französischen KP weitere 100.000 Stimmen und, unter ähnlichen Bedingungen, 26 Sitze.

Die kraftmeierischen Sprüche seitens der französischen KP, sie sei angeblich bei diesen Wahlen „die drittstärkste Kraft“ insgesamt gewesen (siehe: DKP-News: Département-Wahlen in Frankreich: Kommunisten/Linksfront drittstärkste Kraft), sind angesichts der vorausgehend dargelegten Kräfteverhältnisse schlichtweg: haltlos, gegenstandslos und abwegig. In Wirklichkeit firmiert sie „unter ferner liefen“ und weit abgeschlagen; es sei denn dort, wo sie sich an die Sozialdemokratie verkauft hat und gemeinsame Listen mit ihr (im ersten und/oder erst im zweiten Wahlgang) präsentiert. Doch, ja, es stimmt auch – die französische KP konnte zumindest eine „historische“ Bezirksregierung, die seit Jahrzehnten von ihr gestellt wird, behaupten: im Département Val-de-Marne, südöstlich an Paris angrenzend, seit 1976 ununterbrochen KP-regiert. Hingegen ging eine weitere, seit langen Jahren – mit einigen Unterbrechungen – bisher von ihr gestellte Bezirksregierung verloren, und zwar im Bezirk Allier in der Auvergne (Zentralfrankreich)3. Dadurch büßte die französische KP eine ihrer beiden letzten Bezirksregierungen ein.
 

Wie soll man den Wahlerfolg der Neofaschisten einstufen?

Man sollte sich niemals nur auf den ersten Anschein verlassen. Der erste Anschein, geht es um die französischen Bezirksparlamentswahlen von den letzten beiden Sonntagen, besagt: Der rechtsextreme Front National (FN) konnte keine Stiche machen. Im ersten Wahlgang vom 22. März 15 lag die Partei von Marine Le Pen noch in 43 von insgesamt knapp einhundert französischen Départements – Verwaltungsbezirken – als stärkste Partei auf dem ersten Platz. Bei der zweiten Runde am vorigen Sonntag, den 29. März d.J. nun konnte die extreme Rechte keine Mehrheit in einem der neu gewählten Bezirksparlamente gewinnen.

Im Vorfeld hatte man ihr Aussichten darauf in einigen Bezirksversammlungen zugesprochen, insbesondere in Avignon in Südostfrankreich (Bezirk Vaucluse) und Laon in der Picardie – im Bezirk Aisne -, die sich nun jedoch nicht verwirklichten. Doch in beiden Départements liegt der Stimmenanteil für die seit dem Antritt ihrer jetzigen Chefin zu Anfang 2011 oberflächlich modernisierte, neofaschistische Partei bei oder über vierzig Prozent. Und, aus unserer Sicht viel schlimmer!, glaubt man den Vorwahlumfragen, dann sind die höchsten Stimmenanteile für den FN im Bezirk Aisne u.a. in der Jugend und bei Arbeitern zu verzeichnen4.

Und auch andernorts fährt der FN hohe Wahlergebnisse ein, die sich jedoch – aufgrund des Wahlsystems – oft nur geringfügig in Sitzen widerspiegeln. Im Bezirk Oise, rund fünfzig Kilometer nördlich von Paris und seit längerem eine rechtsnationalistische Hochburg, erzielt der Front National bspw. nur 4 Sitze im Bezirksparlament, von insgesamt 42. Doch misst man die Stimmenanteile, dann ergibt sich ein anderes Bild: Die bürgerlich-konservative Rechte (28 Mandate) liegt, mit 42,42 %, nur knapp vor dem mit seinerseits 41,48 % der abgegebenen Stimmen.

Das ist ein riesiger Stimmenanteil für eine Partei, die noch immer das bei ihrer Gründung 1972 von den italienischen Neofaschisten übernommene Flammensymbol zur Schau trägt, welches dereinst den Aufstieg der Seele Benito Mussolinis aus dem Sarg in den Himmel verkörperte. Bei den verschiedenen italienischen Rechtsparteien ist die Flamme in den Nationalfarben grün-weiß-rot in aller Regel nur noch klein im unteren Bereich von Parteiplakaten abgebildet, wenn überhaupt. Die französische Partei trägt ihre blau-weiß-rote Variante immer noch stolz wie eh und je.

Doch Bezirksparlamentswahlen sind in Frankreich die ungünstigsten überhaupt für die extreme Rechte. Bei ihnen gilt das Mehrheitswahlrecht, ähnlich wie bei nationalen Parlamentswahlen; nur mit einem zusätzlichen Handicap, nämlich dem oft geringen Bekanntheitsgrad von Bezirks- verglichen etwa mit ParlamentskandidatInnen. Hingegen gelten bei Kommunal- und Regionalparlaments- sowie Europaparlamentswahlen jeweils Varianten des Mehrheitswahlrechts mit einigen besonderen Modalitäten.

In Anbetracht dessen kann man nicht behaupten, dass die rechtsextreme Partei geringfügig abgeschnitten hätte. In 1.107 Bezirkswahlkreisen – von 2.054, die es insgesamt gibt – kam der FN in die Stichwahlen. Dazu war es erforderlich, von mindestens 12,5 Prozent der Wahlberechtigten (nicht der tatsächlichen TeilnehmerInnen am Urnengang) gewählt zu werden. In jenen Wahlkreisen, wo der FN in die Stichwahlrunde kam, konnten seine Listen um durchschnittlich 4,55 Prozent zulegen. Was allerdings unzureichend war, um – im Angesicht der Sperrvorrichtung in Gestalt des Mehrheitswahlrechts – genügend eigene Kandidat/inn/en durchzubringen.

Die Ergebnisse in der zweiten Runde hängen von den Konstellationen ab, in denen seine KandidatInnen auftraten. Waren drei Bewerber/innen in der Stichwahl – man spricht in diesem Falle von ‚triangulaire’ oder Dreiecks-Konstellation -, so zählt die relative Mehrheit, und dann kam die extreme Rechte durchschnittlich auf 28 Prozent. Andere Angaben lauten auf 26,7 Prozent und verweisen darauf, dass der FN in den „Dreiecks“-Konstellationen (von denen die Partei nur fünf gewann und 268 verlor) häufig nur als Dritter abschnitt und zwischen beiden Wahlgängen oft auch noch Stimmen verlor5. Dies deutet darauf hin, dass eine solche Konstellation der rechtsextremen Partei zumindestens in diesem Jahr nicht gut bekam – und ihre Wähler/innen dann in Versuchung gerieten, anders (wohl überwiegend konservativ) zu stimmen, vielleicht um doch noch „kleineres Übel“ zu wählen.

Besser sieht es für die Partei in den Zweier-Konstellationen aus. Stand ihr allein eine konservative Kandidatur im „Duell“ (wie man diese Konstellation benennt) gegenüber, dann kam die extreme Rechte im Durchschnitt auf 41 Prozent; war es eine Kandidatur aus den Reihen der Linksparteien, erreichte der FN im Schnitt 46 Prozent6. Im letzteren Falle wurde die konservative Wählerschaft offenkundig aufgespaltet.

Insgesamt kam es ursprünglich zu 772 „Duellen“ unter Einschluss des FN, und zu 297 „Dreiecken“ (sowie einem „Viereck“ mit vier Bewerbern)7. Durch den Rückzug einiger Kandidaturen kurz vor der Stichwahl – zwischen den „republikanischen“ Parteien, um den FN nicht passieren zu lassen – blieb es letztlich bei nur noch 273 „Dreiecken“ und kam es zu mehr „Duellen“, nämlich 8348.

Dabei waren jedoch überwiegend nur Sozialdemokraten zu einem solchen Kandidatur-Rückzug zugunsten der bestplatzierten „republikanischen“ Bewerbung (um deren Chancen gegenüber dem FN zu erhöhen) bereit. An der Spitze des konservativen Bürgerblocks hatte Nicolas Sarkozy in diesem Jahr die Parole ausgegeben: „Weder Noch“, also weder ein Bündnis mit der Sozialdemokratie noch ein Zusammengehen mit dem FN, wobei ihm jedoch einige Kandidaten aus der eigenen Partei die Gefolgschaft verweigerten.

Um eine Politik der systematischen Aufrechterhaltung eigener Kandidaturen auch im Angesichts eines „FN-Risikos“ zu rechtfertigen, stellte Sarkozy so beide Seiten, Sozialdemokratie und Neofaschisten, grundsätzlich miteinander auf eine Stufe. Bis 2011 hatte bei den Bürgerlichen mehrheitlich noch das Prinzip der „republikanischen Frontbildung“, also des Sperrriegels gegen die extreme Recht, gegolten. Sarkozy hatte es jedoch erstmals im März 2011 aufgekündigt. – Zum Vergleich: Bei den Bezirksparlamenten vor vier Jahren, im März 2011, war der FN noch in lediglich 394 „Duellen“ und fünf „Dreiecken“ im zweiten Wahlgang präsent.

Diese Stimmenanteile sind alles andere als vernachlässigbar. Auch wenn der Front National letztendlich „nur“ 62 gewählte Bezirksverordnete durchbrachte. Aber bis im Oktober 2013 hatte er überhaupt keinen. Als damals sein Kandidat Laurent Lopez als erster Rechtsextremer eine absolute Wahlkreismehrheit bei einer Teilwahl für den freigewordenen Sitz (am 06. und 13. Oktober 13) gewann, galt dies noch als herausragende Sensation und machte frankreichweit Schlagzeilen. Heute haben sich die Dinge weitgehend gewandelt. Auch wenn Lopez selbst seinen Sitz an diesem Sonntag wieder verlor.

Zu Bezirksparlamentariern gewählt wurden hingegen mehrere rechtsextreme Bürgermeister9, die vor genau einem Jahr in die Rathäuser kamen, als der FN elf Kommunen gewann. In Béziers, in Villers-Cottêrets in der Picardie, in Le Pontet bei Avignon oder Cogolin an der Côte d’Azur gewannen diese Stadtoberhäupter am Sonntag zusätzliche Weihen.

Mit dem Front National wird man also auch weiterhin rechnen müssen, zumal ihn das Wahlrecht bei den als nächste im Dezember d.J. anstehenden Regionalparlamentswahlen nunmehr begünstigen statt benachteiligen wird. Allerdings wurde in den letzten Stunden der Eindruck erweckt, die Partei habe einen Dämpfer erhalten, weil sie bei den Bezirksparlamentswahlen doch niedriger abschnitt, als es ihren eigenen vollmundigen Erwartungen entsprochen hätte – aber auch Umfragen, die ihr bis zu 33 Prozent prognostizierten. In Anbetracht des Zustands weiter Teile der Linken ist zu fürchten, dass der Trost nicht lange vorhält.

Hinzuzufügen wäre ferner noch, dass andere Parteien und insbesondere die hauptsächliche Wahlgewinnerin, die konservativ-wirtschaftsliberale UMP, sich im Wahlkampf zum Teil auf ähnliches ideologisches Terrain wie der FN begeben hatten. In den fünf Tagen vor dem ersten Wahlgang meldete deren Chef, Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, sich vor allem mit der Forderung nach Abschaffung von schweinefleischfreiem Auswahlessen in Schulkantinen öffentlicher Bildungsanstalten zu Wort. Fünf Tage vor der jüngsten Wahl machte der UMP-Bürgermeister von Chalon-sur-Saône, Gilles Platret, Schlagzeilen – mit der Ankündigung vom Montag, den 16. März 15, die „Ersatzmahlzeiten“ ersatzlos abzuschaffen. Ihm kam dann Sarkozy lautstark zu Hilfe. Seine eigene Partei war darüber gespalten. Ex-Premierminister François Fillon distanzierte sich bspw. davon - nachdem er selbst im März 2012, also wenige Wochen vor der letzten Präsidentschaftswahl, eine lautstarke Kampagne im selben Sinne betrieben hatte; vgl. dazu Wahlkampf der Regierungsrechten spitzt sich auf Moslems & Juden zu. Rassistische WählerInnen verstehen sofort, gegen wen sich das jeweils richtete. (In aller Regel gegen muslimische Schüler/innen; jüdische Familien, die ihre Religion aktiv praktizieren, entsenden ihre Kinder hingegen in aller Regel nicht auf öffentliche Schulen, sondern verfügen über ein ausgeprägtes Privatschulsystem.)


Anmerkungen
 

1) Marine Le Pen hat ihrerseits soeben die Abwesenheit von Verbündeten in solchen Situationen als Schwierigkeit für ihre Partei anerkannt, vgl. dazu http://www.lefigaro.fr
3) Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu
    und zu ihren Spaltungslinien im Vorfeld: http://www.lemonde.fr/
4) Vgl. dazu ausführlich : http://www.leparisien.fr
9) Vgl. dazu im Überblick: http://www.leparisien.fr/

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.