Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert
Buchbesprechung: Peter C. Gøtzsche, Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität

von red. arbeitzukunft

04-2015

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Es ist schon viel über die Verbrechen der Pharmaindustrie geschrieben worden, aber so massiv wie Gøtzsche diese darstellt, erschlägt es einen fast. Und er weiß, wovon er schreibt. Gøtzsche, Facharzt für innere Medizin, hat selbst viele Jahre klinische Studien für die Pharmaindustrie durchgeführt und sich um die Zulassung von Medikamenten gekümmert. Er ist Professor am Rigshospitalet Kopenhagen.

Kapitel für Kapitel geht er die Methoden durch, mit denen die Pharmaindustrie kaum auf ihre Wirksamkeit oder Schädlichkeit untersuchte Medikamente auf den Markt wirft, um rasch Geld zu machen. Oder er zeigt, wie Krankheiten erfunden bzw. durch Veränderung von Grenzwerten ausgeweitet werden, sodass der Absatz von Medikamenten rasant ansteigt – und damit wieder die Profite. Er beschreibt wie die Pharmaindustrie Behörden, Ärzte, Wissenschaftler, Fachzeitschriften usw. mit allen möglichen korrumpiert und für ihre Zwecke benutzt.

Gøtzsche titelt: „Hoffmann-La Roche, der größte Drogenhändler“ (S.56). Er führt an, dass dieser Konzern zwischen den beiden Weltkriegen Morphin an die amerikanische Unterwelt lieferte. Auf Druck des US-Chefs von Roche „verzichtete“ die Firma darauf, um es weiter als „Backpulver“ an die US-Mafia zu verkaufen. Nach vielen Jahren mussten sie dieses Geschäft auf Intervention der Regierung aufgeben. Dafür stieg Hoffmann-La Roche bei Psychopharmaka ein. Sie entwickelten Valium, das meist verkaufte Medikament der Welt, und Librium. Der Großhandelspreis von Valium lag 25-mal höher als der von Gold. Und obwohl es der Firma 27 Jahre bekannt war, gab sie erst nach dieser Zeit zu, dass diese „Beruhigungsmittel“ genauso süchtig machen wie Heroin! (S.58)

In einem gesonderten Kapitel geht Gøtzsche auf Psychopharmaka ein. Er stellt fest, dass hier mit besonders großen Versprechen Medikamente angepriesen werden, deren Wirkung oftmals nicht ausreichend untersucht und zweifelhaft ist. Dafür haben diese vielfach starke Nebenwirkungen, die ihren zweifelhaften Nutzen übersteigen. Er zitiert viele Untersuchungen, nach denen Psychopharmaka teilweise gefährlich sind, vor allem bei langjähriger Einnahme. Er bemängelt, dass in den Diagnosekriterien des DSM (ein Standardwerk für Ärzte zur Einordnung von Erkrankungen) die Anforderungen für die Diagnose beispielsweise von Depression so herabgesetzt seien, dass schon jemand, der nach dem Tod eines nahen Angehörigen ein paar Tage traurig sei, als „psychisch krank“ gelte.

„Angesichts solcher diagnostischer Ansätze ist leicht zu verstehen, warum die Zahl der Depressiven seit der Zeit, in der es noch keine Antidepressive gab, um das tausendfache gestiegen ist. Dem DSM-IV zufolge war ich viele Male in meinem Leben depressiv, aber nach meiner Einschätzung und der Einschätzung der Leute, die mich kennen, war ich niemals auch nur annähernd depressiv.“ (S.297)

Zum Schluss führt Gøtzsche Zahlen an, in den USA jährlich ca. 200.000 Menschen an falschen, zu vielen Medikamenten oder deren Nebenwirkungen sterben. Das ist die dritthöchste Todesursache nach Herzkrankheiten und Krebs. In Europa sterben so auch Jahr für Jahr ca. 200.000 Menschen – für den Profit der Pharmaindustrie (S.386). Der Autor kommt zu dem Schluss: „Diese ernüchternden Tatsachen belegen eindeutig, dass Kapitalismus und Privatisierung der öffentlichen Gesundheit schaden...“ (S.391).

Leider zieht Gøtzsche daraus nicht die Konsequenz, die Beseitigung des Kapitalismus zu fordern. Allerdings macht er ein paar sinnvolle Reformvorschläge. So spricht er sich gegen weitere Privatisierung aus und fordert ein öffentliches, dem Gemeinwohl verpflichtetes Gesundheitswesen. Er findet die Verstaatlichung der Pharmaindustrie gut. Weiter fordert er Werbung für Medikamente und finanzielle Leistungen der Pharmaindustrie an Ärzte, Wissenschaftler, Journalisten usw. zu verbieten. Leider sind solche Vorschläge schon lange auf dem Tisch, haben aber angesichts der großen Macht der Pharmakonzerne in diesem System keine Chance. Trotzdem sollte man sich dafür einsetzen. Denn schon ein realisierter Vorschlag würde zigtausenden Menschen das Leben retten.

 

Peter C. Gøtzsche
Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität

Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert

riva

München, 2015
512 Seiten

24,99 Euro.


 
Editorische Hinweise
 
Erstveröffentlichung dieser Rezension bei 



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