Mali: Attentat in Bamako
„Friedensabkommen“ für die Konfliktzone im Norden (vorläufig?) gescheitert

von Bernard Schmid

04-2015

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Stand: 21. März 15

Die Ermittlungen waren als schwierig angekündigt worden, doch nach einer knappen Woche konnten die Fahnder einen Erfolg vermelden. Es gelang ihnen jedoch nicht, den von ihnen ausfindig gemachten Verdächtigten lebend festzunehmen, der sich bewaffnet widersetzt hatte. Am vergangenen Freitag, den 13. März 15 wurde vermeldet, einer von ingesamt zehn Tatverdächtigen, die sieben Tage zuvor einen Franzosen, einen Belgier und drei malische Staatsbürger bei einem Attentat töteten, sei in einem Stadtteil von Bamako durch die Polizei rschossen worden.

Zum ersten Mal seit Ausbruch der akuten Staatskrise in Mali im Jahr 2012, die damals zur mehrmonatigen Abspaltung des Nordens unter Kontrolle von Tuareg-Separatisten und Jihadisten und im darauffolgenden Jahr zur französischen Intervention führte, wurden in der Nacht vom 07. zum 08. März d.J. Europäer in Mali außerhalb von militärischen Kampfhandlungen getötet. Die Attentäter griffen das Restaurant La Terrasse mittels Handgranaten und Gewehrschüssen an. Der getötete belgische Staatsbürger war ausgerechnet Sicherheitsoffizier bei der EU-Mission, die die militärische Ausbildung malischer Soldaten übernommen hat, gewesen. Der Franzose Fabien Guyomard war seinerseits im Immboliensektor tätig. Unter den Verletzten befinden sich auch zwei Minenräumexperten der UN-Truppe für Mali, MINUSMA.

Es sickerte durch, dass es sich bei dem Getöteten um einen mutma
ßlich 1993 geborenen, „hellhäutigen“ Malier – also einen Tuareg oder Berber – aus Bourem im Norden Malis handelte. War er tatsächlich einer der Attentäter, so wird dadurch klar, dass die hinter dem Anschlag stehende Gruppe auch einheimische Kämpfer rekrutieren konnte, zumindest unter den Nordmaliern. Denn zu dem Attentat bekannt hat sich eine Gruppe, deren harter Kern vorwiegend aus algerischen Staatsbürgern besteht, die nach der Niederlage der bewaffneten Islamisten im Bürgerkrieg in Algerien vor gut zehn Jahren in Nordmali einsickerten. Es handelt sich um die Gruppe Al-Mourabitoun, benanntn nach der früheren arabischen Dynastie der Almoraviden, um Mokhtar Belmokhtar. Die Gruppe gab an, ihren „im Westen beleidigten Propheten“ zu rächen, aber auch ihren militärischen Anführer Abderrahmane Ould el-Amar alias „Ahmed El-Tilemsi“. Letzter wurde am 11. Dezember durch die französische Armee in Nordmali getötet. Vier Tage später gab der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian an, im Laufe eines Jahres habe seine Armee dort 200 Jihadisten „neutralisiert“, also getötet.

Seit Monaten melden sich die Jihadisten im Norden Malis verstärkt zurück. Auf ihr Konto gehen viele der dort verübten militärischen oder terroristischen Attacken, auch wenn die eher auf ethnischer Basis rekrutierten Tuareg-Rebellen ihrerseits Angriffe verüben.

Am 03. Oktober 14 wurden beispielsweise neun aus dem Nachbarland Niger stammende Soldaten der MINUSMA bei einem Angriff getötet. Im September 2014 waren es zehn tschadische Soldaten der UN-Mission gewesen, und in Kreisen der Vereinten Nationen fürchtet man sich sehr für den Fall, dass Tschad nach verstärkten Angriffen auf seine Soldaten dieselben zurückziehen könnte – falls dieses stärkste Kontingent der MINUSMA ausfallen würde, würden weite Teile des wüstenhaften Norden von Malis keine Truppendeckung mehr aufweisen. Von Ende Mai bis Mitte September vorigen Jahres waren allein 28 bewaffnete Angriffe auf die MINUSMA zu verzeichnen. Ferner fanden auch andere spektakuläre Attacken statt. So schnitten Jihadisten, mutmaßlich vom nordafrikanischen Al Qaida-Ableger AQMI, am 23. September 14 einem Angehörigender Tuareg-Bevölkerung, Hama Ag-Sid Hamed, den Kopf an und stellten ihn auf dem Marktplatz der Kleinstadt Zouera zur Schau. Ihm wurde vorgeworfen, er habe angeblich mit der französischen Armee kollaboriert.

Zuletzt wurden am vorvergangenen Sonntag, den 08. März 15 eine Basis der UN-Truppe MINUSMA in Kidal, einer Stadt im Nordosten Malis, die faktisch durch die Tuareg-Separatisten kontrolliert wird, mit Raketenwerfen angegriffen. Dabei kamen zwei Kinder und ein Blauhelmsoldat ums Leben.

Die Verhandlungen in Algier

Seit dem 01. September 2014 liefen unterdessen in Algier über mehrere Monate hinweg Verhandlungen, bei denen vierzig Delegierte die malische Staatsmacht sowie „Organisationen der Zivilgesellschaft” – das bezeichnet konkret Zusammenschlüsse von NGOs oder Sozialinitiativen - einerseits, die Mehrzahl der bewaffneten Gruppen andererseits vertreten.

Dabei waren „Al-Qaida im Land des islamischen Maghreb“ (AQMI) und ihre Abspaltungen, wie die Gruppierung „Unterzeichnet des Blutes“ und Al-Mourabitoun, zwar bei den Verhandlungen nicht dabei. Aber die auf ethnischer Basis zusammengesetzten Bewegungen von nordmalischen Tuareg (MNLA) sowie Arabern (MAA) einerseits sowie die „Bewegung für die Einheit von Azawad” (HCUA), welche eher die Islamisten vor allem aus den Reohen der malischen Jihadistenbewegung Ansar ed-Din – „Anhänger der Religion” – als zivile Vorfeldorganisation repräsentiert, andererseits waren in Algier mit dabei. Seit Oktober 14 bildeten die drei genannten Gruppen eine gemeinsame „militärische Koordination“.

Unterdessen war seit August 2014 eine neue bewaffnete Gruppierung entstanden, die zunächst mysteriös erschien: „Die Tuareg-Selbstverteidigungsgruppe Imghad und Verbündete“, abgekürzt GATIA. Ihre politische Identität schien zunächst ungeklärt, doch im Laufe der Monate schälte sich immer deutlicher heraus, dass es sich um einen informellen bewaffneten Arm des malischen Staates handelte. Dieser hatte sich eine eigene, indirekt von ihm kontrollierte Miliz als Gegengewicht zu den bestehenden bewaffneten Kampfverbänden geschaffen. Die neue Gruppe zog Tuareg-Kombattanten und zum Teil auch ehemalige Jihadisten an. Die Grenzverläufe zwischen den verschiedenen bewaffneten Bewegungen im Norden Malis werden oft durch lokale oder großfamiliäre Interessenkonflikte bestimmt, eher als durch klare ideologische Abgrenzungen.

Nach einem halben Jahr Verhandlungen lag am 01. März 15 ein Vorschlag für ein Abkommen auf dem Tisch. Der Text zirkulierte als dreißigseitiges PDF-Dokument unter dem Titel „Abkommen für Frieden und Versöhnung in Mali, hervorgegangen aus dem Algier-Prozess“, und liegt dem Verf. dieser Zeilen vor. Er sieht eine relativ starke Dezentralisierung Malis vor, mit neuen Vollmachten für die Regionen – „besonders die im Norden“ - auf wirtschaftlichem Gebiet, aber auch etwa bei der Schaffung eigener Polizeikräfte. Auf eine Dauer von „zehn bis fünfzehn Jahren“ ausgerichtet, soll ein „Entwicklungsprogramm“ für die aus klimatischen und anderen Gründen benachteiligten Regionen im Norden aufgelegt werden. Gleichzeitig wird anvisiert, ein Kasernierungsprogramm für die derzeit bewaffneten Kräfte aufzulegen. Innerhalb von sechzig bis neunzig Tagen sollen deren Mitglieder dann in zwei parallele Programme orientiert werden. Das eine sieht ihre Wiedereingliederung ins Zivilleben vor, unter del Kürzel „DDR“ für „Demobilisierung, Entwaffnung und Wiedereingliederung“. Das andere dient ihrer „Integration“ in die künftige malische Armee. In dieser sollen den ehemaligen bewaffneten Kombattanten aus dem Norden auch einige Kommandaposten reserviert werden. Ihre Zahl wird in dem Abkommensvorschlag nicht präzisiert, sondern soll Gegenstand weiterer Verhandlungen sein.

Hier werden die eigentlich treibenden Motive und Interesse des harten Kerns dieser bewaffneten Gruppen berührt. Vor allem die separatistische Tuareg-Bewegung MNLA bemüht sich zwwar nach außen hin einen Sprachduktus der „nationalen Befreiung“. Die Wirklichkeit hat damit jedoch wenig zu tun, es handelt sich weitaus eher um einen Deckmantel für die Geschäftsinteressen einiger Großfamilien mit ausgedehntem Einfluss.

Die hellhäutigeren Bevölkerungsgruppen in Nordmali, wie die Tuareg und in geringerem Ausmaß die Araber im Raum Timbuktu, hielten in der Vergangenheit Sklaven, die sich um die Abfertigung der Karawanen und die Hausarbeit kümmerten. Natürlich nicht alle Tuareg, sondern ihre Oberklassen, im Rahmen einer strikt hierarchisierten Kastengesellschaft. Zwar hat die Modernisierung, und die weitgehende Ersetzung von Karawanen durch LKWs, heute auch im Norden Malis die alte Gesellschaftsordnung durcheinander gewirbelt. Doch die alten Oberklassen haben neue Betätigungsfelder in der lebensfeindlichen Umgebung der Halbwüste und Wüste Nordmalis gefunden. Aufgrund der Tatsache, dass viele Schmugglerrouten durch diese Regionen führen, wird mit Waffen, Benzin, unverzollten Zigaretten und seit etwa 2003 auch mit Geiseln gehandelt.

Vor allem aber führt die Route des Kokains aus Südamerika, das mit Schnellbooten in den mafiadominierten Küstenländern Westafrikas - wie Guinea-Bissau - angelandet wird und für den Transport nach Europa bestimmt ist, durch diese unwirtlichen Regionen. In Mali halten korrupte Staatsbeamte und – jedenfalls bis in jüngerer Vergangenheit - auch Spitzenpolitiker, im Nachbarland Algerien einflussreiche Generäle der Armee ihre schützende Hand über diesen lukrativen Markt.

Viele bewaffnete Gruppen und Milizen entstanden in den letzten Jahren vor allem, um diese illegalen Handelsrouten zu kontrollieren und vom störenden Einfluss einer Staatsmacht zu „befreien". Im Jahr 2012 waren die auf ethnischer Basis rekrutierten Tuareg-Aktivisten des MNLA eine taktische Allianz, eine Art Joint Venture mit stärker ideologisch motivierten Dschihadisten-Gruppen eingegangen. Zusammen kontrollierten sie einige Monate lang den Norden Malis, bis zur französischen Intervention.

Derzeit war und ist es das Hauptziel der MNLA-Rebellenführung in den Verhandlungen, die Herausbildung einer Region mit weitgehenden Autonomierechten zu erreichen sowie die Eingliederung ihrer bewaffneten Verbände in die Armee – die MNLA-Führung forderte bei den Verhandlungen von Algier die Übernahme von 3.000 ihrer Kombattanten ihrer Armee und 100 Generalsposten. Ginge es nach ihnen, dann würden sie dann eigens abgesteckte militärische Zonen in Nordmali weitgehend alleine, mit ihren eigenen Armeeeinheiten, kontrollieren. Dies war schon einmal der Fall, und zwar nach dem „Abkommen von Algier“ von 2006 zwischen der Regierung in Bamako und damaligen Tuareg-Rebellen. Heute dürfte es jedoch kaum politisch durchsetzbar sein, eine identische Vereinbarung zu schließen.

Die malische Zentralregierung und vor allem die Zivilgesellschaft drangen hingegen darauf, dass falls Kombattanten der Sezessionisten in die malische Armee eingegliedert werden sollen, dann unter der Maßgabe, dass diese neu vereidigten Soldaten - unter die übrigen Truppen vermischt – auch auf andere Landesteile verteilt werden können. Letzteren Punkt sieht der Abkommensvorschlag vom 01. März 15 zwar nicht vor, er behandelt die geplante Eingliederung von Ex-Rebellen in die Armee als Spezifikum des Nordens. Allerdings geht er auch auf die allem zugrunde liegende materielle Problematik ein, denn der Abkommenstext enthält zahlreiche Passagen zum „Kampf gegen Terrorismus, gegen organisierte Kriminalität und gegen den internationalen Drogenhandel“. Auf diese Ziele sollen die zukünftigen Staatsorgane nach ihrem Umbau verpflichtet werden. Auch wenn eine Reihe von korrupten Politikern und Geschäftsleuten im Süden Malis sie ihrerseits nicht teilen dürften.

Als wichtiges symbolisches Zugeständnis wurde in dem Vereinbarungstext vorgesehen, den Norden Malis offiziell als „Azawad“ zu bezeichnen. Diesen Ausdruck aus der Berbersprache, die von den Tuareg und anderen Gruppen in Nordmali gesprochen wird, benutzten bis dahin nur separatische Gruppe. Er wird nun jedoch als „sozio-kulturelle Gegebenheit“ akzeptiert. In Südmali führte dies zu einigen stark ablehnenden Reaktionen. Der Journalist Youssouf Z. Keita etwa schrieb in der Zeitung Le Républicain malien, dies sei „ein politischer Schwindel, der die Keime des Separatismus in sich trägt“.

Doch in der zweiten Märzwoche 2015 kam dann die Wende, die den Lauf der Ereignisse zum Kippen zu bringen schien. Die „Koordination der Bewegung von Azawad“ hatte sich bei der Vorlage des Vertragsdokuments am 01. März d.J. zunächst Bedenkzeit ausbedungen, um „ihre Basis zu konsultieren“. Darauf trafen Vertreter der bewaffneten Gruppen in Kidal zusammen.

Am Freitag, den 13. März 15 wurde dann bekannt, dass die Koordination am Vortag beschlossen hatte, das Abkommen doch nicht zu unterzeichnen. Die Entscheidung wurde durch eine am Sonntag, den 15. März 15 veröffentlichte Erklärung bekräftigt. Dadurch scheitert das geplante „Friedensabkommen“ zunächst. In ihrer Erklärung streicht die Koordination heraus, in ihren Augen sei der Text in seinem jetzigen Zustand unbefriedigend. Allerdings betont sie seit ebenjenem Sonntag auch, man halte sich an den formal seit Mitte Juni 2013 geltenden und damals in Ouagadougou ausgehandelten Waffenstillstand. Die Koordination fordere die malische Regierungsseite dazu auf, ihren Vorschlag nachzubessern und einen neuen Text vorzulegen.

Dies bedeutet nicht, dass der Bürgerkrieg auf breiter Fläche aufflammt wie im ersten Halbjahr 2012, als die Tuareg-Rebellen des MNLA und die Jihadisten gemeinsam die Hälfte des malischen Staatsgebiets militärisch eroberten - bevor diese beiden Seiten sich untereinander zu bekriegen begannen, woraufhin die MNLA-Führung zu Sommeranfang 2012 ins Nachbarland Burkina Faso floh. Die „Koordination der Bewegungen von Azawad“ zeigt sich prinzipiell noch immer zu einer Vereinbarung bereit, will aber, dass man ihr weiter entgegen kommt.

Dennoch trägt dies, zumindest vorläufig, zu einer weiteren und anhaltenden Destabilisierung des Nordens von Mali bei. Die Verhältnisse dort können sich nicht stabilisieren, und die mehr oder minder willkürliche Herrschaft heterogener bewaffneter Gruppen macht keinem anerkannten Gewaltmonopol Platz. Man muss die Dinge nicht zuspitzen wie die Pariser Abendzeitung Le Monde, die am 01. März d.J. den damals in Algier vorgelegten Vorschlag als „eine letzte Chance für Mali“ bezeichnete. Aber dass der Norden auch in nächster Zeit eine Problemzone bleibt, zeichnet sich ab.

Editorische Hinweise

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