Stand: 21. März 15
Die Ermittlungen waren als schwierig
angekündigt worden, doch nach einer knappen Woche konnten die
Fahnder einen Erfolg vermelden. Es gelang ihnen jedoch nicht, den
von ihnen ausfindig gemachten Verdächtigten lebend festzunehmen, der
sich bewaffnet widersetzt hatte. Am vergangenen Freitag, den 13.
März 15 wurde vermeldet, einer von ingesamt zehn Tatverdächtigen,
die sieben Tage zuvor einen Franzosen, einen Belgier und drei
malische Staatsbürger bei einem Attentat töteten, sei in einem
Stadtteil von Bamako durch die Polizei rschossen worden.
Zum ersten Mal seit
Ausbruch der akuten Staatskrise in Mali im Jahr 2012, die damals zur
mehrmonatigen Abspaltung des Nordens unter Kontrolle von
Tuareg-Separatisten und Jihadisten und im darauffolgenden Jahr zur
französischen Intervention führte, wurden in der Nacht vom 07. zum
08. März d.J. Europäer in Mali außerhalb
von militärischen Kampfhandlungen getötet. Die Attentäter griffen
das Restaurant La Terrasse mittels Handgranaten und Gewehrschüssen
an. Der getötete belgische Staatsbürger war ausgerechnet
Sicherheitsoffizier bei der EU-Mission, die die militärische
Ausbildung malischer Soldaten übernommen hat, gewesen. Der Franzose
Fabien Guyomard war seinerseits im Immboliensektor tätig. Unter den
Verletzten befinden sich auch zwei Minenräumexperten der UN-Truppe
für Mali, MINUSMA.
Es sickerte durch, dass es sich bei dem Getöteten um einen mutmaßlich
1993 geborenen, „hellhäutigen“ Malier – also einen Tuareg oder
Berber – aus Bourem im Norden Malis handelte. War er tatsächlich
einer der Attentäter, so wird dadurch klar, dass die hinter dem
Anschlag stehende Gruppe auch einheimische Kämpfer rekrutieren
konnte, zumindest unter den Nordmaliern. Denn zu dem Attentat
bekannt hat sich eine Gruppe, deren harter Kern vorwiegend aus
algerischen Staatsbürgern besteht, die nach der Niederlage der
bewaffneten Islamisten im Bürgerkrieg in Algerien vor gut zehn
Jahren in Nordmali einsickerten. Es handelt sich um die Gruppe
Al-Mourabitoun, benanntn nach der früheren arabischen Dynastie der
Almoraviden, um Mokhtar Belmokhtar. Die Gruppe gab an, ihren „im
Westen beleidigten Propheten“ zu rächen, aber auch ihren
militärischen Anführer Abderrahmane Ould el-Amar alias „Ahmed
El-Tilemsi“. Letzter wurde am 11. Dezember durch die französische
Armee in Nordmali getötet. Vier Tage später gab der französische
Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian an, im Laufe eines Jahres
habe seine Armee dort 200 Jihadisten „neutralisiert“, also getötet.
Seit Monaten melden
sich die Jihadisten im Norden Malis verstärkt zurück. Auf ihr Konto
gehen viele der dort verübten militärischen oder terroristischen
Attacken, auch wenn die eher auf ethnischer Basis rekrutierten
Tuareg-Rebellen ihrerseits Angriffe verüben.
Am 03. Oktober 14
wurden beispielsweise neun aus dem Nachbarland Niger stammende
Soldaten der MINUSMA bei einem Angriff getötet. Im September 2014
waren es zehn tschadische Soldaten der UN-Mission gewesen, und in
Kreisen der Vereinten Nationen fürchtet man sich sehr für den Fall,
dass Tschad nach verstärkten Angriffen auf seine Soldaten dieselben
zurückziehen könnte – falls dieses stärkste Kontingent der MINUSMA
ausfallen würde, würden weite Teile des wüstenhaften Norden von
Malis keine Truppendeckung mehr aufweisen. Von Ende Mai bis Mitte
September vorigen Jahres waren allein 28 bewaffnete Angriffe auf die
MINUSMA zu verzeichnen. Ferner fanden auch andere spektakuläre
Attacken statt. So schnitten Jihadisten, mutmaßlich
vom nordafrikanischen Al Qaida-Ableger AQMI, am 23. September 14
einem Angehörigender Tuareg-Bevölkerung, Hama Ag-Sid Hamed, den Kopf
an und stellten ihn auf dem Marktplatz der Kleinstadt Zouera zur
Schau. Ihm wurde vorgeworfen, er habe angeblich mit der
französischen Armee kollaboriert.
Zuletzt wurden am vorvergangenen
Sonntag, den 08. März 15 eine Basis der UN-Truppe MINUSMA in Kidal,
einer Stadt im Nordosten Malis, die faktisch durch die
Tuareg-Separatisten kontrolliert wird, mit Raketenwerfen
angegriffen. Dabei kamen zwei Kinder und ein Blauhelmsoldat ums
Leben.
Die
Verhandlungen in Algier
Seit dem 01.
September 2014 liefen unterdessen in Algier über mehrere Monate
hinweg Verhandlungen, bei denen vierzig Delegierte die malische
Staatsmacht sowie „Organisationen der Zivilgesellschaft” – das
bezeichnet konkret Zusammenschlüsse von NGOs oder Sozialinitiativen
- einerseits, die Mehrzahl der bewaffneten Gruppen andererseits
vertreten.
Dabei waren „Al-Qaida
im Land des islamischen Maghreb“ (AQMI) und ihre Abspaltungen, wie
die Gruppierung „Unterzeichnet des Blutes“ und Al-Mourabitoun, zwar
bei den Verhandlungen nicht dabei. Aber die auf ethnischer Basis
zusammengesetzten Bewegungen von nordmalischen Tuareg (MNLA) sowie
Arabern (MAA) einerseits sowie die „Bewegung für die Einheit von
Azawad” (HCUA), welche eher die Islamisten vor allem aus den Reohen
der malischen Jihadistenbewegung Ansar ed-Din –
„Anhänger
der Religion”
– als zivile
Vorfeldorganisation repräsentiert, andererseits waren in Algier mit
dabei. Seit Oktober 14 bildeten die drei genannten Gruppen eine
gemeinsame „militärische Koordination“.
Unterdessen war seit
August 2014 eine neue bewaffnete Gruppierung entstanden, die
zunächst mysteriös erschien: „Die Tuareg-Selbstverteidigungsgruppe
Imghad und Verbündete“, abgekürzt GATIA. Ihre politische Identität
schien zunächst ungeklärt, doch im Laufe der Monate schälte sich
immer deutlicher heraus, dass es sich um einen informellen
bewaffneten Arm des malischen Staates handelte. Dieser hatte sich
eine eigene, indirekt von ihm kontrollierte Miliz als Gegengewicht
zu den bestehenden bewaffneten Kampfverbänden geschaffen. Die neue
Gruppe zog Tuareg-Kombattanten und zum Teil auch ehemalige
Jihadisten an. Die Grenzverläufe zwischen den verschiedenen
bewaffneten Bewegungen im Norden Malis werden oft durch lokale oder
großfamiliäre
Interessenkonflikte bestimmt, eher als durch klare ideologische
Abgrenzungen.
Nach einem halben
Jahr Verhandlungen lag am 01. März 15 ein Vorschlag für ein Abkommen
auf dem Tisch. Der Text zirkulierte als dreißigseitiges
PDF-Dokument unter dem Titel „Abkommen für Frieden und Versöhnung in
Mali, hervorgegangen aus dem Algier-Prozess“, und liegt dem Verf.
dieser Zeilen vor. Er sieht eine relativ starke Dezentralisierung
Malis vor, mit neuen Vollmachten für die Regionen – „besonders die
im Norden“ - auf wirtschaftlichem Gebiet, aber auch etwa bei der
Schaffung eigener Polizeikräfte. Auf eine Dauer von „zehn bis
fünfzehn Jahren“ ausgerichtet, soll ein „Entwicklungsprogramm“ für
die aus klimatischen und anderen Gründen benachteiligten Regionen im
Norden aufgelegt werden. Gleichzeitig wird anvisiert, ein
Kasernierungsprogramm für die derzeit bewaffneten Kräfte aufzulegen.
Innerhalb von sechzig bis neunzig Tagen sollen deren Mitglieder dann
in zwei parallele Programme orientiert werden. Das eine sieht ihre
Wiedereingliederung ins Zivilleben vor, unter del Kürzel „DDR“ für
„Demobilisierung, Entwaffnung und Wiedereingliederung“. Das andere
dient ihrer „Integration“ in die künftige malische Armee. In dieser
sollen den ehemaligen bewaffneten Kombattanten aus dem Norden auch
einige Kommandaposten reserviert werden. Ihre Zahl wird in dem
Abkommensvorschlag nicht präzisiert, sondern soll Gegenstand
weiterer Verhandlungen sein.
Hier werden die
eigentlich treibenden Motive und Interesse des harten Kerns dieser
bewaffneten Gruppen berührt. Vor allem die separatistische
Tuareg-Bewegung MNLA bemüht sich zwwar nach außen hin einen
Sprachduktus der „nationalen Befreiung“. Die Wirklichkeit hat damit
jedoch wenig zu tun, es handelt sich weitaus eher um einen
Deckmantel für die Geschäftsinteressen einiger Großfamilien mit
ausgedehntem Einfluss.
Die hellhäutigeren
Bevölkerungsgruppen in Nordmali, wie die Tuareg und in geringerem
Ausmaß die Araber im Raum Timbuktu, hielten in der Vergangenheit
Sklaven, die sich um die Abfertigung der Karawanen und die
Hausarbeit kümmerten. Natürlich nicht alle Tuareg, sondern ihre
Oberklassen, im Rahmen einer strikt hierarchisierten
Kastengesellschaft. Zwar hat die Modernisierung, und die weitgehende
Ersetzung von Karawanen durch LKWs, heute auch im Norden Malis die
alte Gesellschaftsordnung durcheinander gewirbelt. Doch die alten
Oberklassen haben neue Betätigungsfelder in der lebensfeindlichen
Umgebung der Halbwüste und Wüste Nordmalis gefunden. Aufgrund der
Tatsache, dass viele Schmugglerrouten durch diese Regionen führen,
wird mit Waffen, Benzin, unverzollten Zigaretten und seit etwa 2003
auch mit Geiseln gehandelt.
Vor allem aber führt die Route des
Kokains aus Südamerika, das mit Schnellbooten in den
mafiadominierten Küstenländern Westafrikas - wie Guinea-Bissau -
angelandet wird und für den Transport nach Europa bestimmt ist,
durch diese unwirtlichen Regionen. In Mali halten korrupte
Staatsbeamte und – jedenfalls bis in jüngerer Vergangenheit - auch
Spitzenpolitiker, im Nachbarland Algerien einflussreiche Generäle
der Armee ihre schützende Hand über diesen lukrativen Markt.
Viele bewaffnete
Gruppen und Milizen entstanden in den letzten Jahren vor allem, um
diese illegalen Handelsrouten zu kontrollieren und vom störenden
Einfluss einer Staatsmacht zu „befreien". Im Jahr 2012 waren die auf
ethnischer Basis rekrutierten Tuareg-Aktivisten des MNLA eine
taktische Allianz, eine Art Joint Venture mit stärker ideologisch
motivierten Dschihadisten-Gruppen eingegangen. Zusammen
kontrollierten sie einige Monate lang den Norden Malis, bis zur
französischen Intervention.
Derzeit war und ist
es das Hauptziel der MNLA-Rebellenführung in den Verhandlungen, die
Herausbildung einer Region mit weitgehenden Autonomierechten zu
erreichen sowie die Eingliederung ihrer bewaffneten Verbände in die
Armee – die MNLA-Führung forderte bei den Verhandlungen von Algier
die Übernahme von 3.000 ihrer Kombattanten ihrer Armee und 100
Generalsposten. Ginge es nach ihnen, dann würden sie dann eigens
abgesteckte militärische Zonen in Nordmali weitgehend alleine, mit
ihren eigenen Armeeeinheiten, kontrollieren. Dies war schon einmal
der Fall, und zwar nach dem „Abkommen von Algier“ von 2006 zwischen
der Regierung in Bamako und damaligen Tuareg-Rebellen. Heute dürfte
es jedoch kaum politisch durchsetzbar sein, eine identische
Vereinbarung zu schließen.
Die malische
Zentralregierung und vor allem die Zivilgesellschaft drangen
hingegen darauf, dass falls Kombattanten der Sezessionisten in die
malische Armee eingegliedert werden sollen, dann unter der Maßgabe,
dass diese neu vereidigten Soldaten - unter die übrigen Truppen
vermischt – auch auf andere Landesteile verteilt werden können.
Letzteren Punkt sieht der Abkommensvorschlag vom 01. März 15 zwar
nicht vor, er behandelt die geplante Eingliederung von Ex-Rebellen
in die Armee als Spezifikum des Nordens. Allerdings geht er auch auf
die allem zugrunde liegende materielle Problematik ein, denn der
Abkommenstext enthält zahlreiche Passagen zum „Kampf gegen
Terrorismus, gegen organisierte Kriminalität und gegen den
internationalen Drogenhandel“. Auf diese Ziele sollen die
zukünftigen Staatsorgane nach ihrem Umbau verpflichtet werden. Auch
wenn eine Reihe von korrupten Politikern und Geschäftsleuten im
Süden Malis sie ihrerseits nicht teilen dürften.
Als wichtiges
symbolisches Zugeständnis wurde in dem Vereinbarungstext vorgesehen,
den Norden Malis offiziell als „Azawad“ zu bezeichnen. Diesen
Ausdruck aus der Berbersprache, die von den Tuareg und anderen
Gruppen in Nordmali gesprochen wird, benutzten bis dahin nur
separatische Gruppe. Er wird nun jedoch als „sozio-kulturelle
Gegebenheit“ akzeptiert. In Südmali führte dies zu einigen stark
ablehnenden Reaktionen. Der Journalist Youssouf Z. Keita etwa
schrieb in der Zeitung Le Républicain
malien,
dies sei „ein politischer Schwindel, der die Keime des Separatismus
in sich trägt“.
Doch in der zweiten Märzwoche 2015 kam
dann die Wende, die den Lauf der Ereignisse zum Kippen zu bringen
schien. Die „Koordination der Bewegung von Azawad“ hatte sich bei
der Vorlage des Vertragsdokuments am 01. März d.J. zunächst
Bedenkzeit ausbedungen, um „ihre Basis zu konsultieren“. Darauf
trafen Vertreter der bewaffneten Gruppen in Kidal zusammen.
Am Freitag, den 13. März 15 wurde dann
bekannt, dass die Koordination am Vortag beschlossen hatte, das
Abkommen doch nicht zu unterzeichnen. Die Entscheidung wurde durch
eine am Sonntag, den 15. März 15 veröffentlichte Erklärung
bekräftigt. Dadurch scheitert das geplante „Friedensabkommen“
zunächst. In ihrer Erklärung streicht die Koordination heraus, in
ihren Augen sei der Text in seinem jetzigen Zustand unbefriedigend.
Allerdings betont sie seit ebenjenem Sonntag auch, man halte sich an
den formal seit Mitte Juni 2013 geltenden und damals in Ouagadougou
ausgehandelten Waffenstillstand. Die Koordination fordere die
malische Regierungsseite dazu auf, ihren Vorschlag nachzubessern und
einen neuen Text vorzulegen.
Dies bedeutet nicht, dass der
Bürgerkrieg auf breiter Fläche aufflammt wie im ersten Halbjahr
2012, als die Tuareg-Rebellen des MNLA und die Jihadisten gemeinsam
die Hälfte des malischen Staatsgebiets militärisch eroberten - bevor
diese beiden Seiten sich untereinander zu bekriegen begannen,
woraufhin die MNLA-Führung zu Sommeranfang 2012 ins Nachbarland
Burkina Faso floh. Die „Koordination der Bewegungen von Azawad“
zeigt sich prinzipiell noch immer zu einer Vereinbarung bereit, will
aber, dass man ihr weiter entgegen kommt.
Dennoch trägt dies,
zumindest vorläufig, zu einer weiteren und anhaltenden
Destabilisierung des Nordens von Mali bei. Die Verhältnisse dort
können sich nicht stabilisieren, und die mehr oder minder
willkürliche Herrschaft heterogener bewaffneter Gruppen macht keinem
anerkannten Gewaltmonopol Platz. Man muss die Dinge nicht zuspitzen
wie die Pariser Abendzeitung Le Monde,
die am 01. März d.J. den damals in Algier vorgelegten Vorschlag als
„eine letzte Chance für Mali“ bezeichnete. Aber dass der Norden auch
in nächster Zeit eine Problemzone bleibt, zeichnet sich ab.
Editorische
Hinweise
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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