Kommentare zum Zeitgeschehen
Die bankrotte Perspektive von Blockupy

vo
n Christoph Dreier und Peter Schwarz

04-2015

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onlinezeitung

Die Blockaden, Proteste und Kundgebungen, die am 18. März anlässlich der Eröffnung des neuen Hauptquartiers der Europäischen Zentralbank in Frankfurt stattfanden, richteten sich offiziell gegen die Sparpolitik in Europa. Tatsächlich dienten sie einem völlig anderen Zweck. Sie sollten der Linkspartei und ihren europäischen Verbündeten, allen voran der griechischen Syriza und der spanischen Podemos, zu einem Zeitpunkt einen Deckmantel verschaffen, an dem sie zum wichtigsten Werkzeug für die Durchsetzung dieser Politik werden.

Die Frankfurter Proteste wurden von zwei wichtigen Ereignissen eingerahmt.

Einen Monat vorher hatte die griechische Syriza-Regierung ihre Wahlversprechen zur Beendigung der Sparpolitik fallengelassen und die verarmte Bevölkerung, dank deren Stimmen sie an die Macht gelangt war, auf der ganzen Linie verraten. Sie hatte sich gegenüber der Eurogruppe schriftlich verpflichtet, die laufenden Sparmaßnahmen der Vorgängerregierung fortzusetzen, weitere Reformmaßnahmen auszuarbeiten, die finanziellen Verpflichtungen an alle Gläubiger vollständig und pünktlich zu erfüllen und weiterhin mit den Kontrolleuren der EZB, des IWF und der Europäischen Union zusammenzuarbeiten.

Eine Woche nach den Protesten stattete der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras Bundeskanzlerin Angela Merkel seinen offiziellen Antrittsbesuch in Berlin ab. Die beiden beschworen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und Tsipras versicherte erneut, er werde die Austeritätspolitik in enger Zusammenarbeit mit der EU und der deutschen Regierung fortsetzen.

Vielen, die nach Syrizas Wahlsieg vielleicht noch auf einen Politikwechsel gehofft hatten, ist diese Kapitulation nicht entgangen. Sie hat auch auf Syrizas europäische Verbündeten abgefärbt. So blieb Podemos bei den Wahlen in Andalusien am vergangenen Sonntag mit 15 Prozent der Stimmen weit hinter den vorangegangenen Erwartungen zurück. Und in Deutschland wird Die Linke immer mehr als das gesehen, was sie tatsächlich ist: als bürgerliche, pro-kapitalistische Partei, die sich kaum von SPD, Grünen und CDU unterscheidet.

Unter diesen Umständen benötigen Syriza, Podemos und Die Linke unbedingt ein neues, linkes Feigenblatt. Blockupy war nur zu gerne bereit, dieses zu liefern.

Hinter dem Namen, einer Verbindung von Blockade und Occupy, verbirgt sich ein breites Netzwerk, das sich von Attac über verschiedene Gewerkschaftsgruppen, die Partei Die Linke, zahlreiche pseudolinke Organisationen wie der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB) und die Sozialistische Alternative (SAV), verschiedene Foren und Initiativen bis hin zu autonomen und anarchistischen Gruppen wie die Interventionistische Linke und umsGanze erstreckt.

So unterschiedlich die Politik dieser Organisationen ist, sind sie sich doch in einer Frage einig: in ihrer Ablehnung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse, die auf den Sturz des Kapitalismus abzielt. Ihre Perspektive beschränkt sich darauf, die EZB und andere kapitalistische Institutionen unter Druck zu setzen, damit neben den Banken und Superreichen auch wohlhabendere Mittelschichten von ihrer Politik profitieren.

Einige Blockupy-Mitglieder betätigen sich offen als Ratgeber der bürgerlichen Politik. Für sie ist der Protest gegen die EZB lediglich das Sprungbrett für eine politische Karriere. Den Begriff „occupy“ verstehen sie wörtlich: Sie wollen die EZB nicht abschaffen, sondern selbst die bequemen Sessel im neuen Glaspalast am Mainufer besetzen. So sitzt Sven Giegold, lange Zeit das öffentliche Gesicht von Attac-Deutschland, heute als Abgeordneter der Grünen im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments, wo er eifrig über die Einhaltung der Eurokriterien wacht.

Das ist auch der Grund, weshalb der abgrundtiefe Verrat von Syriza diese Leute nicht beeindruckt. Was sie an Syriza begeistert, sind nicht ihre hohlen Wahlversprechen, sondern die Aussicht auf Ministersessel und lukrative Einkommen.

Andere Mitglieder von Blockupy verwenden härtere Methoden des Protests – Blockaden und zivilen Ungehorsam. Doch die Radikalität ihrer Mittel steht in umgekehrtem Verhältnis zu ihren politischen Zielen. Auch sie bemühen sich lediglich, Druck auf die EZB auszuüben, damit sie ihre Politik im Interesse wohlhabenderer Mittelschichten ändert. Ihren Hass auf die Arbeiterklasse formulieren sie dabei noch offener als alle anderen Mitglieder der Bewegung.

So warf die Interventionistische Linke (IL) der Bevölkerungsmehrheit in ihrem Aufruf zur Blockade der EZB vor, sie betrachte „alle sozialen Kämpfe der Gegenwart“ als „Chaos“ und zöge ihnen die „real existierende kapitalistische Ordnung“ vor. Das Bündnis UmsGanze beschimpfte die deutschen Arbeiter in ihrem Demo-Aufruf als „Hamster im Rad“, die auf Kosten des Südens lebten und sich nach „Feierabendalkoholismus, Joggen gehen, Landlust-Abo, World of Warcraft“ sehnten.

Beide Gruppen sind aus den teilweise gewaltsamen Protesten gegen den G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm hervorgegangen, stehen dem autonomen und anarchistischen Spektrum nahe und sind Mitglieder von Blockupy.

Die Linke nutzt die Blockupy-Bewegung gezielt, um Unterstützung für ihre rechte Politik und für den Kurs von Syriza zu mobilisieren. Die Organisation der Frankfurter Proteste nahm sie weitgehend selbst in die Hand. Bereits am 24. Januar beschloss der nationale Parteivorstand „die finanzielle Unterstützung der Blockupy-Proteste in einer Höhe von 7.000,- Euro“. Die Kundgebung wurde vom hessischen Linksparteivorsitzenden Ulrich Wilken angemeldet, und die stellvertretende Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht gehörte neben Giorgios Chondros von Syriza und Miguel Urban von Podemos zu den prominenten Rednern der Schlusskundgebung.

Wagenknecht pries Syriza als leuchtendes Vorbild. „Griechenland hat gezeigt, wie man ein korruptes Parteiensystem einfach so wegfegen kann und eine neue Kraft an die Macht kommt“, sagte sie. Und Chondros machte den anwesenden Linkspartei-Funktionären und Gewerkschaftsbürokraten mit den Worten Hoffnung: „Das Beispiel von Syriza zeigt, dass in der Politik alles möglich ist. Wir waren bisher eine ganz kleine Partei und jetzt sind wir eine Partei, die die Regierung stellt.“

Dieser Glorifizierung Syrizas schlossen sich auch alle anderen Mitglieder von Blockupy an. Der Koordinierungskreis der Bewegung erklärte nach den Protesten in einer Stellungnahme, die „mutigen Wahlentscheidung der Menschen in Griechenland“ sei „eine Inspiration für Millionen Menschen überall in Europa, dass eine Gesellschaft jenseits der kapitalistischen Traurigkeit möglich ist“.

Die Interventionistische Linke hatte bereits vor den Protesten verkündet, Syriza repräsentiere „eine dritte Möglichkeit, eine linke Möglichkeit, die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Alternative jenseits der schändlichen, von der EU aufgeherrschten Austeritätspolitik“. Syriza und Podemos seien der „Beginn eines europäischen Frühlings“.

Selbst konservative Führer der Linkspartei haben den Nutzen von Gruppen aus dem autonomen Spektrum erkannt, auch wenn sich deren Methoden manchmal im Rande der Legalität bewegen. So hat sich Katja Kipping, seit sie im Juni 2012 zur Bundesvorsitzenden gewählt wurde, um eine engere Zusammenarbeit mit ihnen bemüht. Die parteieigene Rosa Luxemburg Stiftung finanziert regelmäßig Veranstaltungen der Interventionistischen Linken und unterstützt viele ihrer Mitglieder durch Stipendien. Dafür revanchiert sich diese, indem sie die Linkspartei unterstützt.

Wirklicher Widerstand gegen das Spardiktat der EZB, der Europäischen Union und der Bundesregierung erfordert den Aufbau einer revolutionären Partei, die die europäische und internationale Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms vereint. Das ist nur in einem unermüdlichen politischen und theoretischen Kampf gegen Syriza, Die Linke und ihre Unterstützer in der Blockupy-Bewegung möglich.

Editorischer Hinweis

Wir spiegelten den Kommentar von www.wsws.org, wo er am 27.3.2015 veröffentlicht wurde.

"Kommentare zum Zeitgeschehen" geben nicht unbedingt die Meinung von Redaktion und Herausgeber wieder. Sie dienen der freien Meinungsäußerung und stehen in der Verantwortung des/der Verfasser/in.

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