Heraus zum 1. Mai 2014

[Wien] Mayday kann uns mal – jeden Tag leben und kämpfen wir!
Verfasst von  AnarchistInnen

 

04-2014

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Der 1. Mai ist ein Kampftag und hat nichts mit der Sozialdemokratie zu tun, die an diesem Tag den  Fetisch der Arbeit huldigt. Der 1. Mai 1886 begann mit einem von AnarchistInnen organisiertem Aufstand in Chicago, auch bekannt als „Haymarket Riot“ und endete mit massiver Repression gegen die streikenden ArbeiterInnen und der staatlichen Ermordung der Organisatoren des Streiks: Insgesamt acht Anarchisten wurden in einem umstrittenen Schauprozess zu Tode verurteilt. Die Geschichte des 1. Mai kann u.a im Maikäfer, einer anarchistischen Straßenzeitung aus Wien aus dem Jahr 2013 ausführlich nachgelesen werden, z.B. Maikäfer - plötzliches anarchistisches Straszenblättchen.

Fakt ist: Der 1. Mai ist für uns kein Freudentag, an dem wir tanzend durch die Straßen Wiens taumeln wollen. Wir gedenken an diesem Tag unseren anarchistischen GenossInnen, die im Kampf gegen Staat und Kapital ihr Leben gelassen haben, und all jenen, die weltweit in Arbeitskämpfen involviert sind. Unser Gedenken wollen wir weder still noch für uns begehen, vielmehr wollen wir alte, aktuelle und zukünftige Kämpfe aufleben lassen und unsere Wut entschlossen auf die Straße tragen. Dazu braucht es weder einen 1. Mai noch eine große Demo, eine kleine Gruppe reicht aus, um staatlichen Einrichtungen wie Knäste jeder Art, AMS-Filialen, Banken, Militäreinrichtungen oder Polizeistationen in gezielten Aktionen zu zeigen, was wir von ihnen halten: BURN IN HELL.  

Der 1. Mai ist nur ein Tag von vielen. 364 weitere Tage im Jahr warten darauf revolutionär bespielt zu werden und sind somit genauso gut geeignet wie der 1. Mai selbst für Kritik, Analyse, Reflexion und Aktion in Theorie und Praxis.   

Keinesfalls werden wir uns einreihen in die lustige Spektakel-Parade, die auch dieses Jahr am 1. Mai wieder zum gemeinsamen Besäufnis und (geschmacklosem) Musikhören lädt. Kritik am Konzept der Mayday gibt es seit Jahren. Das selbsternannte Prekariat feiert sich selbst und zieht als alkoholisierte Parade durch die Stadt, zwar gab es die ersten Jahre zögerliche Versuche das Gewaltmonopol des Staats durch spärliche Angriffe herauszufordern, allzu schnell erklang aber aus den angeblich „eigenen Reihen“ der Ruf nach Ruhe, Ordnung und Friede – Kinder, Besoffene und Fahrräder seien schließlich auch auf der Demo unterwegs.  

Mayday will eine Bewegung „von unten“ sein oder eine „intergalaktische Bewegung ohne Zentrum“, jedenfalls irgendwas für alle, sie will handeln, sprechen, vernetzen und der Vielfalt Raum geben. Auch von Kämpfen in Lebens- und Arbeitsverhältnissen ist die Rede. In der Tat bleiben allerdings Forderungen und konkrete Ziele ungewiss. Bunt, fröhlich, weltoffen und kein Plan. Von den Grünen über die das EKH an Neonazis verkaufende KPÖlerInnen bis hin zu Partypeople mit dem Prosecco in der Hand sind alle dabei, danach geht’s fröhlich weiter in den Prater. Immerhin kann sich unter dem Slogan der Prekarität alles einfinden, was Rang und Namen hat in Wien: Die Wagenplätze, die stadtplanungstechnisch niemand will, und die Refugees, die bürgerlichen Feministinnen, die die gläserne Decke nach oben durchstoßen wollen, um sich ihre eigene Karriere abzusichern und die prekären JournalistInnen, die keine Fixanstellung vom Falter oder Standard kriegen. Die Hippies mit ihren Trommeln und die Regenbogenkinder, die einfach nur in Ruhe Party machen wollen. Dazwischen laufen ein paar vollvermummte Autonome rum und zelebrieren ihr lächerliches Verständnis vom Black Block, weil sich offenbar noch immer nicht rumgesprochen hat, dass Black Block nur eines von vielen Demo-Methoden ist und nicht der Inhalt. 

Als beispielsweise auf der Mayday 2013 Refugees von der Polizei kontrolliert und festgenommen wurden, ging die Party-Parade einfach weiter, da der Infofluss innerhalb der Teilnehmenden weder aufrechterhalten wurde noch von Interesse war. Die Musik wurde nicht gestoppt und man feierte seelenruhig weiter. Ist doch Party bis zum Umfallen das in Wien immer funktionierende Konzept jeder Veranstaltung und für viele offenbar ihre Motivation zur Partizipation.  

Auch der Begriff des „Prekariats“ verdient eine genauere Betrachtung: Zum Einen will er eine inhomogene Masse unter seinem Banner zusammenfassen, dessen Hauptmerkmal die Unsicherheit der eigenen Existenz ist. Ob sich diese Unsicherheit in Herkunft, Aufenthaltsstatus oder Erwerbstätigkeit manifestiert, ist der Begrifflichkeit des Prekariats egal. Anknüpfungspunkt ist vor allem der Wille zum Sichtbarmachen der unterschiedlichen Lebenswelten von Menschen. Illegalisierte, Putzfrauen und der arbeitslose Kunststudent leben und arbeiten also alle prekär in ihrer jeweils beschissenen Situationen. Dem Konzept der Mayday (oder eurozentristisch gern auch Euro-Mayday genannt, wtf!) liegt somit eine Auseinandersetzung zugrunde, deren Kern darin besteht, dass es eine gemeinsame Bewegung der Unterrückten, vormals auch ArbeiterInnenbewegung genannt, nicht mehr gibt bzw. in deren kümmerlichen Resten andere Kämpfe wie z.B. Frauen im Reproduktionsbereich oder der Kampf um Bleiberechte keinen Platz finden. Zum Zweiten appelliert der Begriff des Prekariats an die Selbstorganisation und Vernetzung der einzelnen ProtagonistInnen, um so zusammenzubringen, was vielleicht zusammengehört. 

Dieser vermeintlichen Zusammengehörigkeit muss entschieden widersprochen werden. Die Tochter aus gutem Hause, die sich in ihrer Werbeagentur von Projekt zu Projekt hantelt, um ihren Arbeitsplatz abzusichern, hat wirklich, aber auch gar nichts mit dem illegalisierten Flüchtling aus Westafrika gemeinsam, der sein Leben riskiert hat, um überhaupt in dieses Land zu kommen und nun von 100€ im Monat ein Dasein in einer Massenunterkunft in der Provinz mit schlechtem Essen fristet. Den fertig studierten Powi-Student auf Jobsuche verbindet nichts mit der slowakischen Putzfrau, die für vier Wochen 24-Stunden-Betreuung einer Pensionistin knappe 800€ mit nach Hause nehmen darf. „Prekär“ ist freilich auch nur ein Wort – befristete Jobs, schwierige Wohnsituationen aufgrund unleistbarer Mieten oder menschenfeindliche Grenzziehungen wie die Festung Europa sind allesamt Indikatoren für ein unsicheres Leben. Diese Unsicherheiten unterscheiden sich allerdings massiv voneinander und dazwischen liegen Welten. Der Kampf als Prekarisierte, der Teilbereichskämpfe einander näher oder diese sogar miteinander verbinden will, führt daher zwingend ins Nichts. Der Begriff des Prekariats verwischt Ungleichheiten zwischen Menschen und schafft vermeintliche Nähe, wo es keine Nähe gibt. Sicher – es gibt unterschiedliche Unterdrückungsverhältnisse, die unterschiedliche Menschen in den diversen Lebensbereichen unterschiedlich treffen. Allerdings verschleiert der Begriff des Prekariats die Aktualität des Klassenbegriffs – Klassen, die nach wie vor existieren und deren Existenz die einem vor der Delogierung rettet und die anderen eben nicht. Es gibt die Reichen und die Armen, die Superreichen und die, die gar nichts haben, dazwischen haufenweise BildungsbürgerInnen und all jene, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, weil sie nichts haben, von dessen Wert sie leben können. Streng genommen ist also auch der arbeitslose Kunststudent ein Prolet und doch ist er nicht in derselben Situation wie die alleinerziehende Mutter, die im Billa an der Kassa steht oder der Obdachlose, der den Winter auf der Donauinsel nächtigt und von dort regelmäßig von der Caritas in trauter Umarmung mit der Polizei vertrieben wird.  

Gerade in Wien werden Klassen nicht gern in den Mund genommen – daher ist es auch kein Zufall, dass das Konzept der Mayday hier einige Jahre halbwegs gut funktioniert hat. Alle sind prekär, das muss nicht näher definiert werden, das darf und kann alles und jeder sein, der Partyspaß ersetzt die fehlende Analyse. Der schale Beigeschmack, wenn man am Abend Bilder von brennenden Barrikaden anderswo in der Glotze sieht, ist am nächsten Tag auch wieder vergessen. Der Reflexion über die eigene Herkunft, über die Klasse, in der man geboren wurde, steht man gern selbst im Weg. Den damit verbundenen erlernten Umgang mit Geld, Kunst, Kultur und was moralisch zu den eigenen Werten gerechnet wird, hat genauso viel mit Klassenbewusstsein zu tun wie die Tatsache, dass es sich auch „prekär“ ganz angenehm lebt, wenn man um die Sicherheit weiß, im Nacken eine Familie mit ausreichend Finanzen zu haben. Unangenehm können da manchmal schon die Realitäten werden, die man dann doch lieber verschweigt, wenn man sich regelmäßig durch die Szenebar schnorrt oder durch Müll wühlt, wo man doch stolze BesitzerIn mehrerer Immobilien ist, die Eltern Aktien horten oder man diese bereits geerbt hat.  

Seid ihr immer noch prekär?

Nein, wir sind es nicht. Wir sind vielmehr Teil einer kämpfenden Klasse, die keinen Bock hat auf Kompromisse, auf eine Anbiederung ans herrschende System, an Institutionen und Parteien. Wir lehnen diese Gesellschaft und diesen Staat mit all seinen SchreibtischtäterInnen ab und kämpfen für unser Leben. Weil wir nur dieses eine haben und nur für uns selbst sprechen können, für unser unmittelbares vertrautes Umfeld und unsere eigene Person.  

Der 1. Mai ist ein Kampftag. Da kann es von uns aus krachen und knallen an allen Ecken und Enden. Muss aber nicht, jeder andere Tag im Jahr ist dafür genauso geeignet. Wir werden dann sehen, wer dabei ist, wer mit uns auf der Straße stehen wird und wer sich eher darum kümmern wird, sein Eigentum oder das der Familie in Sicherheit zu bringen. Mit uns kämpfen werden – dessen sind wir uns, mit Blick in andere Länder, sicher – Menschen, die das Stillhalten genauso statt haben wie wir. Menschen, die den Willen haben zu revoltieren, die Gesetze nicht als nützliche Hilfsmittel, sondern als Fesseln wahrnehmen, die gelernt haben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, für andere einzustehen, sich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen und die (vielleicht von frühester Kindheit an) das System hassen gelernt haben. Weil sie immer draufgezahlt haben, weil sie verarscht wurden – egal ob vom Chef, den Banken oder vom AMS. Weil nie genug Geld da war, weil die Klamotten immer schon vom Kik kamen als von Diesel, und weil die Eltern sich den Arsch aufgerissen haben, um jeden Abend ein warmes Essen auf den Tisch zu stellen und es dann doch oft nur für ein Butterbrot gereicht hat.   

Wir haben keine Lust zu feiern. Angesichts der herrschenden Verhältnisse ist uns mehr nach Randale. Aufstand. Revolte. Sofort!  

Quelle:  linksunten.indymedia.org / 22.4.2014