Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Erste symbolträchtige Maßnahmen in rechtsgeführten Rathäusern
 

04-2014

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Seit den französischen Rathauswahlen vom 23. und 30. März 2014 gibt es fünfzehn rechtsextrem regierte Städte und Gemeinden; elf von ihnen vom Front National oder mit Unterstützung des Front National regiert, vier weitere durch die rechtsextreme Regionalpartei Ligue du Sud.

Zu Anfang hatten die FN-geführten Kommunalregierungen versprochen, eine relativ unauffällige Amtsführung zu betreiben oder jedenfalls „ihre“ Rathäuser (nach den Worten von Parteichefin Marine Le Pen) nicht „als Laboratorium zu benutzen“, um die Wirkungen ihre Ideologie zu erproben. Anders, als dies in den ersten FN-geführten Kommunen – Orange, Marignagne und Toulon ab 1995, Vitrolles ab 1997 – erklärte Praxis war. Gleichzeitig jedoch war und ist nicht zu erwarten, dass die Rechtsextremen dort gänzlich mit ihrer Ideologie hinterm Berg halten. Denn falls sich die frisch gewählten Bürgermeister von Anfang an nur auf „pragmatische Finanzverwaltung“ verlegen sollten, drohte mindestens ein Teil der Wähler/innen enttäuscht zu sein. Ob er sich nun, wie ein Flügel der Wählerschaft des FN, dezidiert rassistische Entscheidungen erhoffte oder ab (wie ein anderer Flügel) eher „mit der Faust auf den Tisch hauen“ wollte, weil das vermeintlich einen diffusen sozialen Protest ausdrückt: In beiden Fällen droht Frustration.

Am Freitag, den 04. April verkündete Marine Le Pen nun eine erste Weichenstellung mit hohem Symbolgehalt: In den Schulkantinen sollen an Tagen, an denen Schweinefleisch auf den Speisekarten steht, keine „Ersatzmahlzeiten“ (die etwa von Kindern vor allem moslemischer Eltern, aber auch jüdischer oder vegetarischer Familien in Anspruch genommen werden) mehr serviert werden. Sofern dies zum faktischen Ausschluss solcher Kinder von der Kantine führt, wäre dies mutmaßlich illegal. Unterdessen erklärten andere Parteifunktionäre Unterschiedliches zum Thema: Partei-Vizevorsitzender Florian Philippot erklärte, es gehe nur darum, „Verbote zu verbieten“, also zum Schweinefleischessen gewillte Kinder nicht (aus Rücksicht auf religiöse Gebote Anderer) davon abzuhalten. Aber dies passiert ohnehin nicht, was auch gesetzwidrig wäre. Der neue parteilose, doch vom FN unterstützte Bürgermeister von Béziers - Robert Ménard – seinerseits erklärte ebenfalls, die Wahlfreiheit aufrecht zu erhalten. Allerdings werde er „Halal-Nahrung“ aus den Schulkantinen verbannen. „Halal“-Geboten bei Muslimen oder Kascher-Vorschriften bei Juden genügen Speisen dann, wenn ihre glaubensmäßige Zubereitung (Rinder müssen etwa ausgeblutet respektive geschächtet werden) durch einen Imam bzw. Rabbiner bestätigt worden ist. Dies wäre in Frankreich, wo Kirchen und Staat seit 1905 getrennt sind, an öffentlichen Schulen absolut illegal und findet deswegen auch nicht statt: Als „halal“ ausgewiesene Nahrung wird dort grundsätzlich nicht serviert.

Am 08. April wurde bekannt, dass die neue Kommunalregierung von Hénin-Beaumont unter Steeve Briois (FN) der Liga für Menschenrechte – LDH – ihre bislang kostenlos vom Rathaus zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten entzogen bekommt. Die traditionsreiche Menschenrechtsvereinigung (die LDH besteht seit 1898) war bislang durch die Gemeinde in dem Raum, der 20 Quadratmeter misst; beherbergt worden. Kurz darauf beschloss die neue Rathausmehrheit mit den Stimmen des Front National, nachträglich „36.000 Euro geschuldeter Mietzahlungen“ einfordern zu wollen. Am 09. April erklärte der parteilose doch für den FN in die Nationalversammlung gewählte Abgeordnete und kamerasüchtige Anwalt Gilbert Collard, wäre er an der Stelle von Briois gewesen, hätte er „die LDH nicht hinausgeworfen“. Denn dies gebe nur „jenen Nahrung, die uns in die faschistische Ecke abdrängen wollen“. Stattdessen hätte er von der Vereinigung gefordert, „einen Mietvertrag zu unterzeichnen und (künftig) zu bezahlen“.

Der 26jährige FN-Bürgermeister von Fréjus, David Rachline, wird seinerseits durch die Tageszeitung ,Le Parisien‘ vom Samstag, den 12. April ausführlich beobachtet. Vor der Wahl hatte er lautstark angekündigt, die beiden Flaggen der Europäischen Union, die neben der französischen Nationalfahne auf dem Rathaus und im Amtszimmer des Bürgermeisters prangen, zu entfernen („Die haben dort nichts verloren“). Nunmehr bekräftigt er zwar seinen Willen, relativiert ihn jedoch gegenüber der Zeitung: Es handele sich „nicht um (seine) dringendste Angelegenheit“.

Unterdessen beschwert sich die rechtsextreme katholische Vereinigung AGRIF (Allgemeine Allianz gegen den antifranzösischen Rassismus und für die Verteidigung der Identität) unter Bernard Antony über das neue FN-geführte Bezirksrathaus im Siebten Sektor von Marseille. Seit den jüngsten Kommunalwahlen regiert dort der FN-Bürgermeister Stéphane Ravier. Dessen Beisitzerin, Evelyne Bettuzi, führte als Standesbeamtin - zum Verdruss der rechtsextremen Ultrakatholiken – einen Eheschluss zwischen zwei homosexuellen Männern durch. Aus der Sicht von Letztgenannten hätte die gesamte Rathausmannschaft „aus Gewissensgründen“ verweigern, und sich dadurch in die Illegalität stellen, müssen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.