Seit den
französischen Rathauswahlen vom 23. und 30. März 2014 gibt
es fünfzehn rechtsextrem regierte Städte und Gemeinden; elf
von ihnen vom Front National oder mit Unterstützung des
Front National regiert, vier weitere durch die rechtsextreme
Regionalpartei Ligue du Sud.
Zu Anfang
hatten die FN-geführten Kommunalregierungen versprochen, eine
relativ unauffällige Amtsführung zu betreiben oder jedenfalls
„ihre“ Rathäuser (nach den Worten von Parteichefin Marine Le
Pen) nicht „als Laboratorium zu benutzen“, um die Wirkungen ihre
Ideologie zu erproben. Anders, als dies in den ersten
FN-geführten Kommunen – Orange, Marignagne und Toulon ab 1995,
Vitrolles ab 1997 – erklärte Praxis war. Gleichzeitig jedoch war
und ist nicht zu erwarten, dass die Rechtsextremen dort gänzlich
mit ihrer Ideologie hinterm Berg halten. Denn falls sich die
frisch gewählten Bürgermeister von Anfang an nur auf
„pragmatische Finanzverwaltung“ verlegen sollten, drohte
mindestens ein Teil der Wähler/innen enttäuscht zu sein. Ob er
sich nun, wie ein Flügel der Wählerschaft des FN, dezidiert
rassistische Entscheidungen erhoffte oder ab (wie ein anderer
Flügel) eher „mit der Faust auf den Tisch hauen“ wollte, weil
das vermeintlich einen diffusen sozialen Protest ausdrückt: In
beiden Fällen droht Frustration.
Am Freitag, den 04. April verkündete Marine
Le Pen nun eine erste Weichenstellung mit hohem Symbolgehalt: In
den Schulkantinen sollen an Tagen, an denen Schweinefleisch auf
den Speisekarten steht, keine „Ersatzmahlzeiten“ (die etwa von
Kindern vor allem moslemischer Eltern, aber auch jüdischer oder
vegetarischer Familien in Anspruch genommen werden) mehr
serviert werden. Sofern dies zum faktischen Ausschluss solcher
Kinder von der Kantine führt, wäre dies mutmaßlich illegal.
Unterdessen erklärten andere Parteifunktionäre Unterschiedliches
zum Thema: Partei-Vizevorsitzender Florian Philippot erklärte,
es gehe nur darum, „Verbote zu verbieten“, also zum
Schweinefleischessen gewillte Kinder nicht (aus Rücksicht auf
religiöse Gebote Anderer) davon abzuhalten. Aber dies passiert
ohnehin nicht, was auch gesetzwidrig wäre. Der neue parteilose,
doch vom FN unterstützte Bürgermeister von Béziers - Robert
Ménard – seinerseits erklärte ebenfalls, die Wahlfreiheit
aufrecht zu erhalten. Allerdings werde er „Halal-Nahrung“ aus
den Schulkantinen verbannen. „Halal“-Geboten bei Muslimen oder
Kascher-Vorschriften bei Juden genügen Speisen dann, wenn ihre
glaubensmäßige
Zubereitung (Rinder müssen etwa ausgeblutet respektive
geschächtet werden) durch einen Imam bzw. Rabbiner bestätigt
worden ist. Dies wäre in Frankreich, wo Kirchen und Staat seit
1905 getrennt sind, an öffentlichen Schulen absolut illegal und
findet deswegen auch nicht statt: Als „halal“ ausgewiesene
Nahrung wird dort grundsätzlich nicht serviert.
Am 08. April
wurde bekannt, dass die neue Kommunalregierung von
Hénin-Beaumont unter Steeve Briois (FN) der Liga für
Menschenrechte – LDH – ihre bislang kostenlos vom Rathaus zur
Verfügung gestellten Räumlichkeiten entzogen bekommt. Die
traditionsreiche Menschenrechtsvereinigung (die LDH besteht seit
1898) war bislang durch die Gemeinde in dem Raum, der 20
Quadratmeter misst; beherbergt worden. Kurz darauf beschloss die
neue Rathausmehrheit mit den Stimmen des Front National,
nachträglich „36.000 Euro geschuldeter Mietzahlungen“ einfordern
zu wollen. Am 09. April erklärte der parteilose doch für den FN
in die Nationalversammlung gewählte Abgeordnete und
kamerasüchtige Anwalt Gilbert Collard, wäre er an der Stelle von
Briois gewesen, hätte er „die LDH nicht hinausgeworfen“. Denn
dies gebe nur „jenen Nahrung, die uns in die faschistische Ecke
abdrängen wollen“. Stattdessen hätte er von der Vereinigung
gefordert, „einen Mietvertrag zu unterzeichnen und (künftig) zu
bezahlen“.
Der 26jährige
FN-Bürgermeister von Fréjus, David Rachline, wird seinerseits
durch die Tageszeitung ,Le Parisien‘ vom Samstag, den 12. April
ausführlich beobachtet. Vor der Wahl hatte er lautstark
angekündigt, die beiden Flaggen der Europäischen Union, die
neben der französischen Nationalfahne auf dem Rathaus und im
Amtszimmer des Bürgermeisters prangen, zu entfernen („Die haben
dort nichts verloren“). Nunmehr bekräftigt er zwar seinen
Willen, relativiert ihn jedoch gegenüber der Zeitung: Es handele
sich „nicht um (seine) dringendste Angelegenheit“.
Unterdessen
beschwert sich die rechtsextreme katholische Vereinigung AGRIF
(Allgemeine Allianz gegen den antifranzösischen Rassismus und
für die Verteidigung der Identität) unter Bernard Antony über
das neue FN-geführte Bezirksrathaus im Siebten Sektor von
Marseille. Seit den jüngsten Kommunalwahlen regiert dort der
FN-Bürgermeister Stéphane Ravier. Dessen Beisitzerin, Evelyne
Bettuzi, führte als Standesbeamtin - zum Verdruss der
rechtsextremen Ultrakatholiken – einen Eheschluss zwischen zwei
homosexuellen Männern durch. Aus der Sicht von Letztgenannten
hätte die gesamte Rathausmannschaft „aus Gewissensgründen“
verweigern, und sich dadurch in die Illegalität stellen, müssen.
Editorische Hinweise
Wir
erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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