Fremder, kommst
Du nach Villeneuve-Saint-Georges, dann sage, Du habest sie
kleben gesehen! Am Busbahnhof der ziemlich multikulturell
geprägten Stadt zehn Kilometer südlich von Paris, zwischen dem
Rathaus und der Station für die Vorortzüge, prangen am Sonntag,
den 30. März zahlreiche Aufkleber und Plakate.
„Ich
will meine Stadt solidarisch“, „ich will meine Stadt
gastfreundlich“
proklamiert etwa eine Serie gleich aussehender Aufkleber mit
variablen Überschriften. Es handelt sich wohl um Spuren einer
Demonstration, die am Freitag Nachmittag stattfand. Die CGT,
stärkster Gewerkschaftsverband in Frankreich, fordert auf einem
Plakat dazu auf, „am
Sonntag wählen zu gehen, um die extreme Rechte zu verhindern“.
Dicht neben dem Stadtwappen mit Sankt Georg, dem Drachentöter,
das als Mosaik in den Boden eingelassen ist.
Gelbe
Streifbänder auf der unteren Seite der Wahlplakate von
Bürgermeisterin Sylvie Altman – Mitglied der französischen KP –
fordern dazu auf, „der extremen Rechten den Weg zu versperren“.
Jemand hat auf eines ihrer Plakate
„halal“
gekritzelt, um sie als angebliche Freundin der muslimischen
Einwanderer hinzustellen, obwohl die Trennung zwischen Religion
und Politik in der Stadt großgeschrieben
wird und in diesem Winter vor dem Rathaus ein „Baum des
Laizismus“ gepflanzt wurde.
„Fick den Front National“
steht direkt daneben unter einem Konkurrenzplakat, das für ihren
Herausforderer Philippe Gaudin wirbt.
Gaudin führte bei
den französischen Rathauswahlen, deren zweiter Durchgang am
Sonntag stattfand, eine der wenigen Koalitionslisten an, auf
denen Konservative sich mit der neofaschistischen Partei
verbündet hatten. Ansonsten blieben solchen Allianzen in
Frankreich dieses Mal die Ausnahme. Die
konservativ-wirtschaftsliberale Rechte mit ihren Parteien UMP
und UDI hatte im ersten Wahlgang einen derartigen Aufschwung
genommen, dass sie es für besser hielten, erst gar keine
Bündnisdiskussion zu führen. Sie trauten sich zu, aus eigener
Kraft gewinnen zu können, ohne Allianzen auf ihrer Rechten
einzugehen. Bei anderen Wahlen in den letzten Jahren blieb vor
allem der UMP eine solche Debatte nicht erspart, die aber in den
Regel eher den FN als das bürgerliche Lager stärkte.
Die Initialen
„FN“ hat jemand auf die Tür der Wache der Stadtpolizei im
Zentrum von Villeneuve gekritzelt, aber auch auf die
Bushaltestelle und in die Unterführung zum Bahnhof. An der
Polizeiwache hat es jemand durch einen Strich, der aus dem „F“
ein „E“ macht, zur Unkenntlichkeit abgewandelt. Ein Ehepaar mit
vielleicht siebenjähriger Tochter kommentiert die lokalen
Ereignisse vor der Wache:
„Die Rathauspolitik muss sich
dringend ändern! Die Bürgermeisterin hat versucht, Leute zu
bestechen, indem sie ihnen im Wahlkampf Sozialwohnungen
versprochen hat. Das ist schlimm. Und dann die ganze
Unsicherheit! Es hat zwei Schießereien
in unserer Stadt gegeben, wie in Chicago.“
Wir fragen nach: im
Zusammenhang mit Konflikten unter Dealern?
„Keine Ahnung! Aber das muss
aufhören. Wenn man Kinder hat, muss man Angst haben.“
Das
Ehepaar stimmt offensichtlich für die Liste der vereinigten
Rechten. Anders diese beiden Franzosen tamilischer Herkunft, die
aus einem Wahllokal kommen. „Es ist gefährlich, was hier
passiert, deswegen gehen heute auch viel mehr Leute wählen als
am vergangenen Sonntag! Wir selbst waren auch schon letzte Woche
abstimmen, aber viele sind zwischenzeitlich aufgewacht.“ Die
Betreiberin eines algerischen Cafés, in dem Arabisch sprechende
Kundschaft überwiegt und die zugleich stolz darauf ist, Spanisch
zu können und Hebräisch zu lernen, sieht den Unterschied
zwischen den Listen dagegen eher gelassen. „Die Politiker auf
allen Seiten sorgen dafür, dass die Reichen immer reicher
werden. Wissen Sie, das ist überall so!“ Und auch der
Verkäufer im Kebabladen „der türkisch-kurdischen Freundschaft“:
„Was für Faschisten? Die können hier doch ohnehin nichts
ausrichten. Das war einmal, 1945, heute ist es längst vorbei. In
der Türkei, dort gibt es Faschisten, die täglich Kurden
töten, und niemand sagt etwas!“
Der Versuch des
Bürgerlichen Philippe Gaudin, im Bündnis mit den Rechtsextremen
das Rathaus der von einem riesigen Stellwerk der französischen
Eisenbahn und vierzig Prozent sozialem Wohnungsbau geprägten
Stadt südlich von Paris zu unternehmen, scheiterte. Rechnerisch
hätte es klappen müssen, denn seine eigene Liste und jene des
Front National hatten zusammengerechnet im ersten Wahlgang 58
Prozent erhalten. In der Woche zwischen den beiden Durchgängen
distanzierten sich die Parteiführungen von UMP und UDI von ihm
und entzogen ihm jegliche offizielle Unterstützung. Am Schluss
unterlag er mit 49,8 Prozent sehr knapp gegen Amtsinhaberin
Altman.
Vom FN regierte oder knapp verfehlte Rathäuser
Andernorts hatten Konservative oder auch Rechtsextreme, die in
aller Regel getrennt voneinander antraten, mehr Erfolg. Im
Großraum Paris übernahm der Front National erstmals ein Rathaus.
Dank einer relativen Mehrheit in einer Stichwahl mit vier Listen
und einem gespaltenen Mitte-Links-Lager konnte sich der
32jährige Kandidat des FN, Cyril Nauth, in der Stadt fünfzig
Kilometer westlich von Paris durchsetzen.
Die
rechtsextreme Partei regiert künftig auch die frühere
Bergarbeiterstadt Hénin-Beaumont unweit der belgischen Grenze,
wo sie sogar bereits im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit
erzielte. In der Kommune mit rund 26.000 EinwohnerInnen setzte
sich der amtierende FN-Generalsekretär Steeve Briois schon in
der ersten Runde mit 50,26 Prozent der Stimmen durch. Die Stadt
wäre bereits 2009 beinahe vom FN regiert worden, Briois
scheiterte damals nur knapp, und Marine Le Pen verfehlte im Juni
2012 den Abgeordnetensitz des Wahlkreises ebenfalls mit 49,89 %
nur um Haaresbreite. Die von sozialen Problemen gebeutelte Stadt
wird seit nunmehr zwölf Jahren durch die rechtsextreme Partei
systematisch „bearbeitet“.
Aus dem
journalistischen Kurzzeitgedächtnis heraus wird nun in
französischen Medien des Öfteren verkündet, es handele sich um
eine „Premiere“, und erstmals erhalte der FN eine absolute
Mehrheit – denn die drei Städte Toulon, Marignane und Orange
waren 1995 zunächst mit relativen Mehrheiten, in Stichwahlen mit
je drei Listen, an ihn gefallen. Das stimmt jedoch nicht
gänzlich: Am 09. Februar 1997 gewann die damalige
FN-Spitzenkandidatin Catherine Mégret, bei einer
Wahlwiederholung infolge gerichtlicher Anfechtung der Wahl von
1995, das Rathaus von Vitrolles mit absoluter Mehrheit; damals
allerdings ,erst’ in der Stichwahl (nicht, wie jetzt in
Hénin-Beaumont, gleich im ersten Durchgang). Dort regierte sie
von Februar 1997 bis im Oktober 2002, holte dann jedoch –
wiederum bei einer Wiederholungswahl, nach erneuter Anfechtung
und Annullierung jener von 2001 – eine endgültige Niederlage.
Ansonsten überwiegen
auch in diesem Jahr bei den rechtsextremen Erfolgen meist die
relativen Mehrheiten, in Stichwahlen mit jeweils mehreren
Listen.
Der
Front National übernimmt auch die lothringische frühere
Stahlstadt Hayange mit 15.000 Einwohner/inne/n – ihr 34jähriger
Spitzenkandidat, der frühere Linke Fabien Engelmann, wurde vor
drei Jahren wegen rechtsextremer Betätigung aus der CGT
ausgeschlossen – mit 34,7 % (Stichwahl), sowie Villers-Cotterêts
in der Picardie mit 41,53 % oder die von sozialem Niedergang
geprägte Mittelmeerstadt Béziers mit 46,98 % der Stimmen.
Villers-Cotterêts, rund 10.000 Einwohner/innen, zählt zu den
krisengebeutelten Landstrichen. Der örtliche Spitzenkandidat des
FN, der 50jährige Franck Briffaut, trat bereits 1977 dem Front
National bei. Damals handelte es sich noch um eine
Splittergruppe mit zum Teil offen neonazistischen Zügen.
In Béziers – 71.000
Einwohner/innen - , hatte der vom FN unterstützte, doch selbst
parteilose Spitzenkandidat Robert Ménard schon im ersten
Durchgang 44,88 % erhalten, wodurch ihm der Sieg beinahe
gesichert erschien. Hinzu kam, dass die örtliche
Sozialdemokratie sich weigerte, der Aufforderung der
landesweiten Parteiführung Folge zu leisten und ihre Liste aus
der Stichwahl zurückzuziehen. Letztere hatte im ersten Durchgang
schlechter abgeschnitten, und die Politik der Sozialdemokratie
bestand frankreichweit darin, in solchen Fällen zugunsten einer
besser platzierten bürgerlichen Liste zurückzuziehen, „um den FN
im Rathaus zu verhindern“. Allerdings leistete die örtliche
Sektion in Béziers einer entsprechenden Aufforderung eben nicht
Folge.
Dagegen lehnte die Parteiführung der stärksten Formation im
bürgerlich-konservativen und wirtschaftsliberalen Lager, die
UMP, eine solche Politik in der vergangene Woche klar und
rundheraus ab. Die Leitung der UMP redete einer
Aufrechterhaltung ihrer Listen überall, wo dies rechtlich
möglich war (d.h. wo diese im ersten Durchgang mindestens 10
Prozent der Stimmen erhielten), das Wort; deswegen kam es auch
zu zahllosen Stichwahlen mit drei oder vier Listen. Diese
Politik des ,Ni – ni‘ oder „Weder – Noch“ (nämlich
„weder Bündnis mit dem Front National noch Beteiligung an
einer ,demokratischen Front gegen den FN‘ alias front
républicain“) ist seit den
Bezirksparlamentswahlen vom März 2011 offizielle Linie der UMP.
Zuvor hatten ihre Vorläuferparteien auf der bürgerlichen
Rechten, der neogaullistische RPR und die
liberal-christdemokratische UDF, in den 1990er Jahren noch
überwiegend eine Strategie des front républicain,
also einer Blockbildung zwischen Sozialdemokraten und
Konservativ-Liberalen gegen den FN in den Stichwahlen,
praktiziert. Jedenfalls dort, wo ein Sieg oder drohender
„Durchmarsch“ des FN rechnerisch möglich erschien. Seit 2011 ist
dies nun offiziell passé. Mittlerweile wachsen auch im
sozialdemokratischen Lager und auf der etablierten Linken die
Zweifel an einer Strategie des front républicain;
zum Einen aufgrund der Unwilligkeit der bürgerlichen Rechten,
daran mitzuwirken. Auf der anderen Seite aber auch aufgrund der
Gefahr einer zunehmend geringen „Unterscheidbarkeit" zwischen
den etablierten Linken (für welche unterdessen vor allem ihre
Wirtschaftspolitik gründlich sorgt!). Die angebliche
„Ununterscheidbarkeit“ und „Differenzlosigkeit zwischen den
Altparteien“, welche die Rechtsextremen nur noch mit dem
Einheitskürzel „UMPS“ für die UMP und den Parti Socialiste
benennen,, ist unterdessen tatsächlich eines der zentralen
Argumente der Wahlkämpfer des FN.
Aber auch an der
wohlhabenderen Côte d’Azur, wo die extreme Rechte unter anderem
aufgrund der starken Präsenz früherer französischer
Algeriensiedler seit langem hohe Wahlergebnisse erzielt, konnte
sie Gewinne einstreichen.
Der
erst 26jährige FN-Kandidat David Rachline, Facebook-Beauftragter
seiner Partei und Verteidiger der Thesen des Antisemiten
Dieudonné M’bala M’bala, wird nun Bürgermeister in Fréjus, einer
Stadt mit gut 52.000 Einwohner/innen. Er erhielt im ersten
Durchgang 40,3 Prozent und in der Stichwahl an diesem Sonntag
dann 45,55 Prozent. Der von ihm in der Vergangenheit
verteidigte, französische (schwarze) Antisemit Dieudonné hatte
vergangene Woche übrigens öffentlich dazu aufgerufen, „entweder
Wahlenthaltung (zu üben) oder den Front National“
zu wählen.
Auch die Kleinstadt Cogolin an der Côte d’Azur fiel an den Front
National, mit 53,1 % in der Stichwahl für seinen
Spitzenkandidaten, den 40jährigen Pariser Unternehmer
Marc-Etienne Lansade. In Cogolin zog er in die Stichwahl gegen
den konservativen Amtsinhaber Jacques Sénéquier ein, der bislang
einerseits durch mafiöse Praktiken auf sich aufmerksam machte,
andererseits aber auch durch eigene Aufrufe zugunsten der Wahl
von FN-Kandidaten in der Nachbarschaft im Jahr 2012. In Cogolin,
11.000 Einwohner/innen, fanden am Wahlabend jedoch heftige
Proteste von mindestens 200 Jugendlichen im Rathaus statt, wie
ein Teilnehmer dem Verf. dieser Zeilen live am Telefon
berichtete. In Béziers und Fréjus waren vorsorglich
Hundertschaften der Bereitschaftspolizei vor Verkündung der
Wahlergebnisse mobilisiert worden.
Die
rechtsextreme Partei scheiterte allerdings in den
südfranzösischen Städten Perpignan und Avignon sowie im
lothringischen Forbach, wo sie sich ebenfalls Wahlchancen
ausgemalt hatte. In Perpignan und Forbach waren die Nummer Zwei
und Nummer Drei in der Parteihierarchie, der 44jährige Louis
Aliot und Florian Philippot (32), als Spitzenkandidaten für die
Rathäuser angetreten. Aliot erhielt in der ersten Runde 34,19 %
und lag damit in Führung, Philippot erzielte in Lothringen
seinerseits 37,35 % und landete ebenfalls auf dem ersten Platz.
Beide scheiterten jedoch in der Stichwahl mit 44,88 % (Aliot)
respektive 35,17 %. Die Übernahme des Bürgermeisteramts misslang
ebenfalls dem Anwalt und parteilosen, jedoch 2012 für den FN in
die Nationalversammlung gewählten Abgeordneten Gilbert Collard
im südfranzösischen Saint-Gilles. Dort erhielt er im ersten
Durchgang 42,57 %, und in der Stichwahl 48,49 %. Allerdings
könnte seine berüchtigte Arroganz, die ihm selbst innerhalb der
Partei den Ruf eines „Ekelpakets“ eintrug - er „verbrauchte“
innerhalb eines knappen Jahres drei örtliche Wahlkampfleiter,
die alle nichts mehr mit ihm zu schaffen haben möchten -, ihm
ein Bein gestellt haben. Im Vorfeld der Wahl hatte Collard sich
allzu sicher gezeigt, den Wahlsieg bereits in der Tasche zu
haben: „Ich brauche keinen Wahlkampf zu betreiben, die
Ereignisse machen Wahlkampf für mich!“ (Vielleicht hatte
der Mann aber auch schlicht keine Lust, ein Rathaus zu führen;
ein solcher Erfolg fiel in seinen Augen vielleicht von
vornherein zu mickrig aus. Dagegen spricht allerdings, dass er
nach dem, wie er erklärte, „knappen“ und angeblich verdächtigen
Wahlausgang eine gerichtliche Anfechtung des Wahlergebnissen
angekündigte.)
In
Avignon hatte der FN-Bewerber Philippe Loutiaux im ersten
Durchgang 29,63 % erzielt und den ersten Platz belegt. Olivier
Py, Leiter des europaweit bekannten Theaterfestivals von Avignon
– das alljährlich im Juli stattfindet – hatte daraufhin mit dem
Abzug der Kulturveranstaltung aus der Stadt gedroht. Doch in der
Stichwahl (mit insgesamt drei Kandidatenlisten) landete die
FN-Liste mit 35,02 % dann nur auf dem zweiten Platz. Die
Spitzenposition nimmt in der zweiten Runde die
sozialdemokratische Liste mit 47,47 % der abgegebenen Stimmen
ein. Dadurch fällt die Stadt Avignon, die bislang konservativ
war, völlig entgegen dem landesweiten Trend nunmehr an die
Sozialdemokratie.
Doch ein Vorort der Kulturstadt Avignon, Le Pontet mit knapp
17.000 Einnwohner/innen, wird künftig vom FN regiert. Sein
31jähriger Spitzenkandidat Joris Hebrard erhielt in der
Stichwahl 42,62 % der Stimmen. Ebenso fällt Le Luc im Raum
Toulon (9.500 Einwohner/innen) mit 42,02 % der Stimmen sowie
Beaucaire im zentralen Südfrankreich (15.000 Einwohner/innen)
mit 39,81 % a, den FN.
Auch ein
Bezirksrathaus in Marseille, das des „sieben Sektors“ – es
umfasst einen Teil der proletarisierten „Nordquartiere“ der
Stadt -, ging an den Front National. Dort regiert künftig
Stéphane Ravier, der als Spitzenkandidat des Front National für
das Bezirksrathaus sowie für das zentrale Rathaus von Marseille
angetreten war, als Bezirksbürgermeister. Er erhielt in der
Stichwahl eine relative Mehrheit mit 35,33 % der Stimmen.
…
Und sonstige
Rechtsextreme
Andere Neofaschisten, mit Parteibuch der rivalisierenden
Regionalpartei Ligue du Sud (die der „identitären“ Bewegung
zugehört), gewannen oder behielten ihrerseits die Rathäuser von
Orange, Bollène und Camaret-sur-Aigues. Die beiden erstgenannten
Kommunen wurden bereits bislang von Parteivertretern der Ligue
du Sud, dem Ehepaar Jacques und Marie-Claude Bompard, geführt.
Bompard war erstmals
im Juni 1995 gewählt worden, damals auf einer Liste des FN. Er
kehrte dieser Partei im September 2005 aufgrund persönlicher
Rivalitäten mit ihrem damaligen Chef Jean-Marie Le Pen den
Rücken und führt heute den Vorsitz der rechtsextremen
Kleinpartei Ligue du Sud, hat sich jedoch seit 2012 auch mit dem
FN ausgesöhnt. Letzterer verzichtete auf eine
Konkurrenzkandidatur. Jacques Bompard hatte bereits bei den
Rathauswahlen im März 2001 und im März 2008 jeweils Rekordwerte
in Höhe von 60 respektive 61 Prozent für seine Wiederwahl
erzielt. Nunmehr wurde er am 23. März 2014, im ersten Wahlgang,
mit 59,82 % der abgegebenen Stimmen wiedergewählt. Er tritt
damit sein viertes Mandat an der Spitze des Rathauses an.
Seine Ehefrau Marie-Claude (ebenfalls ,Ligue du Sud‘, ebenso wie
Monsieur im Film ,Mains brunes sur la ville‘ über
die rechtsextreme Kommunalpolitik von 2012 zu sehen), ist
ihrerseits seit 2008 Bürgermeisterin der Nachbarstadt Bollène.
Dort verfehlte sie im diesjährigen ersten Durchgang der
Kommunamwahl ihrerseits nur knapp die absolute Mehrheit: An ihr
schrammte sie mit 49,34 % knapp vorbei. In der Stichwahl trat
sie nur noch einer (sozialdemokratisch geführten) Liste entgegen
und konnte sich mit 55,35 Prozent der Stimmen klar durchsetzen.
Gesamtbilanz der
Kommunalwahlen
Konservative und Wirtschaftsliberale nahmen der französischen
Sozialdemokratie zahlreiche Städte ab, darunter langjährige
Bastionen wie Limoges – die Stadt war seit 1912 ununterbrochen
sozialdemokratisch regiert -, Maubeuge in Nordostfrankreich und
Nevers in Burgund. Insgesamt 155 Rathäuser in Kommunen mit über
neuntausend Einwohnern gingen der Sozialistischen Partei
verloren. Ein Mitglied des Parti Socialiste (PS), der eher zum
sozialliberalen rechten Flügel zählende, Politologe Pascal
Perrineau, kommentierte am Sonntag Abend im Fernsehen:
„Normalerweise bedeutet ein Wahlniederlage bei
Kommunalwahlen, dass 30 oder 35 Rathäuser einen Mehrheitswechsel
erleben.“ Das Ausmaß fiel dieses Mal ungleich größer aus
und wird von manchen mit einem Erdbeben verglichen.
Die
Stadt Grenoble verlor die so genannte „Sozialistische“ Partei
hingegen an die Grünen. Und ihre Versuche, der französischen KP
ihre seit Jahrzehnten regierten Rathäuser im nord- und
südöstlichen Pariser Umland abzunehmen – der Prozess hatte 2008
begonnen -, scheiterten in diesem Jahr meist kläglich.
Allerdings verlor die KP ihrerseits symbolträchtige Pariser
Vorstädte wie Bobigny und Saint-Ouen an Konservative und
Liberale.
In beiden
Wahlgängen erreichte die Stimmenthaltung frankreichweit mit je
knapp 37 Prozent eine neue Rekordhöhe, die bislang noch nicht
bei Rathauswahlen verzeichnet wurde. Die Wahlabstinenz strafte
vor allem die Sozialdemokratie ab. Deren Wirtschaftspolitik – im
„Pakt für Verantwortung“, der noch im April im Parlament
diskutiert werden soll, werden den Unternehmen 30 Milliarden
Nachlässe bei Steuern und Sozialabgaben ohne verizifierbare
Gegenleistungen, und 50 Milliarden Senkung der öffentlichen
Ausgaben versprochen – kann in der eigenen Wählerschaft fast
niemanden mehr überzeugen. Präsident François Hollande wird
nunmehr versuchen, durch einen Personenwechsel im Amt des
Premierministers ohne Veränderung der Politikinhalte
weiterzuwursteln.
Als Trost bleibt
der Sozialdemokratie unterdessen, dass sie die Großstädte Paris
und Lyon sowie Strasbourg behält, wo sie auf ein spezifisches
linksbürgerliches Wählermilieu bauen kann. Ferner hatte sich die
UMP-Spitzenkandidatin Nathalie Kosciusko-Morizet zuvor mit ihren
großbürgerlichen Allüren und ihren sinnfreien Sprüchen – etwa
über „Gnadenmomente in der Pariser
Métro“ und besonders ihrer
ständig überlasteten Horrorlinie 13, die erkennen ließen, dass
sie niemals öffentliche Verkehrsmittel benutzt – gründlich und
bis auf die Knochen blamiert. Gar zu peinlich waren ihre
Versuche, krampfhaft „volksnah“ zu wirken, und ihre bizarren
Äußerungen wurden zum Gegenstand zahlloser Witze und
Sticheleien. In der Fläche können diese lokal begrenzten Erfolge
der großstädtischen jedoch ihre Verluste auf keinen Fall
aufwiegen. Und in der dritten Metropole, Marseille, brach die
Partei gnadenlos ein. Sie landete dort nur auf dem dritten
Platz. Der konservativ-wirtschaftsliberale Amtsinhaber
Jean-Claude Gaudin behauptete sich dort deutlich, und der Front
National erzielte im stadtweiten Schnitt beachtliche 27,2
Prozent in den Stichwahlen auf Bezirksebene.
Die hohen Werte der
Rechtsextremen werden allerdings durch die Stimmenthaltung in
den übrigen Lagern, besonders in der sozialdemokratischen
Wählerschaft, nicht erklärt. In jenen Städten, in denen die
Neofaschisten besonders hoch abschnitten, fiel die
Wahlbeteiligung oft ersichtlich höher als der Durchschnitt aus.
Editorische Hinweise
Wir
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