Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Rrrrechtsum!
Die französische Sozialdemokratie nach den Rathauswahlen

04-2014

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Die französische Sozialdemokratie regiert nach ihrer Schmach bei den Kommunalwahlen weiter; ohne die Grünen, und mit ihrem bisherigen Innenminister als Premier. Dadurch wird ein allenfalls sozialdemokratisch angehauchter Sarkozy-Verschnitt zum neuen Regierungschef. Irgendein positiver Ansatz im Sinne eines „Politikwechsels“ ist davon nicht zu erwarten.

Konservative und Wirtschaftsliberale nahmen den französischen Sozialdemokraten am Sonntag, den 30. März zahlreiche Städte ab, darunter auch langjährige Bastionen wie Limoges – die Stadt wurde seit 1912 ununterbrochensozialdemokratisch regiert –, Maubeuge in Nordostfrankreich und Nevers in Burgund. Insgesamt 155 Rathäuser in den Kommunen mit über 9.000 Einwohner/inne/n gingen der „Sozialistischen“ Partei (dem PS, Parti Socialiste) dabei verloren.

Deren Mitglied, der Politologe Pascal Perrineau, kommentierte dazu am Sonntagabend im Fernsehen: „Normalerweise bedeutet eine Wahlniederlage bei Kommunalwahlen, dass 30 oder 35 Rathäuser einen Mehrheitswechsel erleben.“ Dieses Mal wurden es ein bisschen mehr...

In beiden Wahlgängen erreichte die Stimmenthaltung mit je knapp 37 Prozent eine neue Rekordhöhe, die bislang noch nicht bei Rathauswahlen verzeichnet wurde. Die Wahlabstinenz schadete vor allem den Sozialdemokraten. Deren Wirtschaftspolitik – im „Pakt für Verantwortung“, der noch im April im Parlament diskutiert werden soll, werden den Unternehmen 30 Milliarden Euro Nachlässe bei Steuern und Sozialabgaben ohne verizifierbare Gegenleistungen, und 50 Milliarden Senkung der öffentlichen Ausgaben versprochen – kann in der eigenen Wählerschaft fast niemanden mehr überzeugen.

Präsident François Hollande bekräftigte jedoch diese Politik am Montag Abend, den 31. März 14, als er den Wechsel seines Premierministers ankündigte. In seiner TV-Ansprache (vgl. http://www.lemonde.fr/ ) verkündete er klipp und klar: „Es sind die Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen.“ Deswegen gelte es, sie zu stärken. Dass er sich genau so und nicht anders positionieren müssen, hatte ihm am selben Tag u.a. die EU-Kommission klipp und klar signalisiert, vgl. http://www.bruxelles2.eu/

Als Zeichen „sozialer Gerechtigkeit“ kündigte er lediglich an, neben den Sozialabgaben und Steuern der Unternehmen bis 2017 wolle er - unter dem Titel „Ergänzung des Verantwortungspakts durch einen Solidarpakt“ - auch jene der Lohnabhängigen zu senken, was die Sozialkassen weiter belasten und finanziell „austrocknen“ wird. Und das soziale Verteilungsproblem in erster Linie über Steuersenkungen anzugehen, ist ein traditioneller Ausweis rechter, nicht sozialdemokratischer oder gar linker Politik.

Als neuen Regierungschef ernannte Hollande noch am Montag, den 31. März seinen bisherigen Innenminister Manuel Valls, der vor allem für seinen Egozentrismus und seine ungezügelten Ambitionen (auf die künftige Präsidentschaft) bekannt wurde. Gewisse Ähnlichkeiten mit dem seinerzeitigen konservativen Innenminister Nicolas Sarkozy, mit welchem er öfter verglichen sind, sind kein reiner Zufall.

Valls hatte sich 2011 als Rechtsaußen der Sozialdemokratie um ihre damalige Präsidentschaftskandidatur beworben, aber bei der Urabstimmung nur 5,6 Prozent erhalten. Die konservative Zeitung Le Figaro nannte ihn am Montag den „wirtschaftsliberalsten Sozialdemokraten“. (Vgl. http://www.lefigaro.fr) Der linke Parteiflügel schrie auf, Emmanuel Maurel sprach etwa von einer „seltsamen Wahl“ Hollandes. Der frühere Sozialdemokratie und jetzige Chef der von ihm gegründeten Linkspartei (PG), Jean-Muc Mélenchon, nannte die Ernennung Valls‘ gar einen „politischen Selbstmord“ seiner früheren Parteifreunde.

Grüne nicht dabei

Valls stellte an diesem Mittwoch, den 02. April seine neue Regierung vor; in ihrer Zusammensetzung hat sich gar nicht so viel verändert. Nur zwei neue Minister tauchen auf, ein paar sozialdemokratische Minister/innen wechseln den Posten und bleiben im Kabinett. Allerdings beschlossen die französischen Grünen bzw. ihre ökologisch-bündnisliberale Bündnisformation EE-LV (Europe Ecologie-Les Verts) am Vorabend, nicht unter dem Rechtssozialdemokraten Valls weiterhin mitzuregieren. Ihre beiden bisherigen Minister/innen, Cécile Duflot und Pascal Canfin, erklärten am 01. April ihren Rücktritt aus dem Kabinett.

Einige Parteifreunde und –freundinnen waren darüber allerdings hellauf empört und schäumten vor Zorn. Sei es, weil Valls ihnen angeblich ein „Riesenministerium für Umwelt, Verkehr und Energiewende“ angeboten hat (was allerdings mit inhaltlichen Vorgaben einhergegangen wären: Valls ist pro Ausbau der Atomenergie und sein Industrieminister Arnaud Montebourg pro Schiefergasförderung). Oder sei es – was zumindest in einigen Fällen viel wahrscheinlicher ist - schlicht deswegen, weil vom Ehrgeiz zerfressene Grünen-Funktionäre und –funktionärinnen nun abermals ihre Chancen, Minister zu werden, wegschwimmen sehen. Einige Grüne kriegten sich deswegen jeweils gar nicht wieder ein vor Wut... (Vgl. http://rue89.nouvelobs.com ; und die Reaktion des alten Ex-Rebellen, neoliberalen Grünen und Anpasserhäuptlings Daniel Cohn-Bendit: http://tempsreel.nouvelobs.com/politique/

Valls versus EU?

Von der neuen Regierung sind selbstverständlich keinerlei, keinerlei, keinerlei positive Änderungen gegenüber der bisherigen Kabinettspolitik zu erwarten. Allerdings dürfte Manuel Valls sich darauf verstehen, sozial bedingte Frustrationen über die Regierungspolitik zum Teil dadurch „abzuführen“, dass er sie gegen Brüssel richtet. Die EU-Schelte könnte er deswegen umso „glaubhafter“ als Diskurselement nutzen, als der jetzige Premierminister Valls sich im Vorfeld des Referendums vom 29. Mai 2005 – der Volksabstimmung über den damals geplanten EU-Verfassungsvertrag – gegen den Text ausgesprochen hatte. Die französische Sozialdemokratie war damals gespalten (rund 60 Prozent für und rund 40 Prozent gegen den Verfassungsvertrag). Besonders die Parteilinke, mit oder ohne Anführungszeichen, stemmte sich gegen den Verfassungsvertrag aufgrund dessen stark wirtschaftsliberaler Ausrichtung. Während die damalige innerparteiliche Mehrheit unter François Hollande u.a. sich aus Gründen der „Realpolitik“ für die notwendige-da-unvermeidliche Annahme des Textes aussprach. Es gab aber neben dem „linken Nein“ zum EU-Verfassungsvertrag, verkörpert u.a. durch den damaligen sozialdemokratischen Parteilinken Mélenchon sowie durch die französische KP und andere Linkskräfte, auch ein „rechtes Nein“. Es war motiviert durch nationalistische Beweggründe, durch die Ablehnung einer stärkeren supranationalen Einbindung Frankreichs, oder auch (wenngleich dieses Argument eigentlich das Thema der Abstimmung verfehlte) durch die Gegnerschaft zu einem angeblich geplanten EU-Beitritt der Türkei. Zugespitzt ausgedrückt: Das „linke Nein“ war ein nicht-nationalistisches, da es nicht das Prinzip der Supranationalität als solches ablehnte, sondern nur konkrete Politikinhalte oder „Verfassungs“bestimmungen auf EU-Ebene; das „rechte Nein“ hingegen war nicht an Politikinhalte, sondern am Nationalismus festgemacht. Manche bürgerlichen Politiker, wie etwa der nationalistische Ex-Sozialdemokratie, frühere Verteidigungsminister (um 1990/91) und Innenminister (von 1997 bis 2000) Jean-Pierre Chevènement und manche Gaullisten, standen allerdings irgendwo zwischen dem „linken“ und dem „rechten Nein“ oder vereinigten Elemente von beiden. Valls stand eher auf diesem Standpunkt. Er war mitnichten ein Linker, warf dem EU-Verfassungsvertrag jedoch vor, Politikspielräume der Regierenden auf nationaler/einzelstaatlicher Ebene einzuschränken.

Am Donnerstag, den 03. April kündigte der künftige bzw. hinfortige Finanzminister Michel Sapin (im alten Kabinett war er Arbeits- und Sozialminister) im Rundfunkinterview an, Frankreich werde „in Brüssel mit der EU-Kommission über den Rhythmus der Absenkung der französischen Defizite diskutieren“; vgl. http://www.lemonde.fr Also über die einzuschlagende Geschwindigkeit beim „Abbau der Staatsverschuldung und des Haushaltsdefizits“. Dadurch erhält der Schwarze Peter ab nun nach Brüssel geschoben, auf dass es so aussehen möge, als stehe Frankreich diesbezüglich unter (äußerem Druck). Das Prozedere, notfalls einen kleinen verbalen Konflikt mit „Brüssel“ zu inszenieren - um nicht als der Repräsentant einer antisozialen Politik, sondern als Anführer des Widerstands dazustehen – praktizierten bereits rechte Regierungen im vergangenen Jahrzehnt. Vgl. dazu das Vorgehen Jacques Chiracs vor nunmehr zwölf Jahren: http://jungle-world.com/

Ausblick

Am Sonntag, den 06. April 14 wollen Oberschüler/innen gegen Valls demonstrieren. Und am 12. April wird eine – seit längerem geplante - gemeinsamen Demo von NPA (Neuer Antikapitalistischer Partei), Linkspartei (PG) und anderen progressiven Kräften unter dem Thema „Der Tag der Revolte von links“ stattfinden.

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.