Gegen den 4. Christlichen Gesundheitskongress vom 27.03.14 bis zum 29.03.2014

Erklärung der Gruppe "Against Hate Speech - Initiative gegen den Normalzustand"

04-2014

trend
onlinezeitung


Vorbemerkung:
In dieser Erklärung heißt es: "
Im Folgenden soll es daher weniger um die konkret beteiligten christlich fundamentalistischen Gruppen gehen, sondern aufgezeigt werden, warum es erforderlich ist, diese Entwicklungen zu beobachten und kritisch zu intervenieren." Sie geht damit weit über einen reinen Mobilisierungstext hinaus und ist es daher wert, veröffentlicht zu werden, wenngleich der Kongress bereits gelaufen ist. / red. trend

Vom 27.03.14 bis zum 29.03.2014 findet in der Bielefelder Stadthalle der 4. Christliche Gesundheitskongress statt. Was oberflächlich erst einmal wie ein harmloses Treffen von im Gesundheitsbereich arbeitenden, christlich verorteter (orientierter) Menschen wirkt, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als eine Propagandaveranstaltung von Gruppen und Organisationen die ihre diskriminierende Überzeugungen, u.a. durch solche Veranstaltungen, verstärkt in die Gesellschaft transportieren wollen. Hinter der Fassade christlicher Vorstellungen verbirgt sich eine homophobe, sexistische und frauenfeindliche Ideologie. So sind an dieser Veranstaltung Personen und Gruppen beteiligt, die das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung über ihren Körper nicht anerkennen und die Homosexualität als Krankheit ansehen. Eine genaue Beschreibung, welche Gruppen und Personen an diesem Wochenende beteiligt sind und die Hintergründe dazu finden sich in dem Text: Gegen den “Christlichen Gesundheitskongress“ in Bielefeld!, den wir hier ausdrücklich empfehlen und unterstützen möchten.

Im Folgenden soll es daher weniger um die konkret beteiligten christlich fundamentalistischen Gruppen gehen, sondern aufgezeigt werden, warum es erforderlich ist diese Entwicklungen zu beobachten und kritisch zu intervenieren.

Während seit einigen Jahren nach außen hin das scheinbar fortschrittliche Verhältnis dieser Gesellschaft zu Homosexualität und den Rechten von Frauen immer wieder als Argument bemüht wird, um die eigene Zivilisiertheit gegenüber der Rückständigkeit anderer Länder/Bevölkerungsgruppen/Religionsgemeinschaften darzustellen und sich damit abzugrenzen, nimmt innergesellschaftlich der Einfluss von Gruppen zu, die dieser gedachten Aufgeklärtheit konträr gegenüber stehen.

Durch den vermeintlichen Kampf gegen den Terror und den damit verbundenen Krieg der Zivilisationen wurden, nach dem Zerfall des sogenannten Ostblocks, neue Feindbilder benötigt , um das kollektive Wir-Gefühl weiterhin in Abgrenzung zu anderen aufrecht zu erhalten. Der Islam und damit einhergehend ein großer Teil der Menschheit wurden pauschal unter Generalverdacht gestellt und letztendlich zu Feinden des Fortschritts, der Freiheit und der Demokratie erklärt. So wurde dann auch das Bild von einem „aufgeklärten“ christlich-jüdischen Europa dem Islam, als barbarische, rückständige Religion, gegenüber gestellt.

Nicht länger nur die Herkunft, sondern verstärkt auch die Religion dient als Indikator dafür, wer zur Gemeinschaft, und damit zu den Guten, gehören darf und wer nicht. Dabei dient eine, dem Islam und islamischen Menschen, pauschal angedichtete Homophobie und Missachtung von Frauenrechten als argumentative Abgrenzung und als Beweis der Rückständigkeit islamischer Menschen, sowie ihrer Unfähigkeit sich in dieser Gesellschaft einzufinden. In Presse, Funk und Fernsehen müssen Homophobie und Frauenrechte immer wieder als vermeintlicher Beleg herhalten, ob es nun um Russland oder den Iran geht, um zu zeigen, dass der Westen und sein Wertesytem vorbildhaft für alle anderen wäre und ein lohnendes, notfalls auch mit Militärgewalt, zu exportierendes Gut ist.

Der Diskurs um Frauenrechte und die Akzeptanz von Homosexualität wird von oben geführt und hat wenig mit der gesellschaftlichen Situation hier zu tun, denn was anderen vorgeworfen wird, ist auch im Denken großer Teile der Bevölkerung verankert. Sexismus und Homophobie sind in dieser Gesellschaft bei weitem nicht abgeschafft. Gerade was Homosexualität, oder auch Trans- und Intersexualität, angeht gibt es weiterhin Vorurteile und Diskriminierung. Eine öffentliche Diskussion darüber oder gar eine Aufarbeitung über die Verfolgung Homosexueller wurde nie wirklich geführt und die Vorbehalte in der Bevölkerung sind nach wie vor vorhanden. Dies zeigt zum Beispiel die Reaktionen auf den Bildungsplan 2015 in Baden-Württemberg. Durch die Schaffung eines Mahnmals für die, während des Nationalsozialismus, ermordeten und verfolgten Homosexuellen wurde die Verantwortung einfach historisiert und die Diskriminierung für beendet erklärt. Die Möglichkeit einer Ehe zweiter Klasse (Lebenspartnerschaft) sollte dies noch unterstreichen.

Während also nach außen hin, ungeachtet der gesellschaftlichen Realitäten, so getan wird, als sei Homophobie überwunden und die Rechte aller Menschen gleichermaßen geachtet, wirken nach innen hin mehr und mehr Kräfte, die diesem Bild einer liberalen, aufgeklärten Gesellschaft gänzlich widersprechen.

Religion wird in unserer Gesellschaft zunehmend wieder identitätsstiftend. Der propagierte Gegensatz der „Kulturen“, aber auch die Bedingungen, in denen sich Menschen in dieser Gesellschaft wiederfinden, die Komplexität der politischen Zusammenhänge, Globalisierung, Kriege, Angst vor dem sozialen Abstieg durch Arbeitslosigkeit, Vereinzelung, Entfremdung, Konkurrenz bei der Arbeit und im übrigen Leben führen dazu, dass Menschen auf der Suche nach einfachen Lösungen und Antworten in die Religion flüchten.

Auf diesen Markt der Illusionen und Heilsversprechungen haben gerade christlich-fundamentalistische Gruppen Zulauf. Meistens werden diese Gruppen als Evangelikale bezeichnet, wobei es keine klare Definition für diesen Begriff gibt. Neben Freikirchen und Hauskirchen gehören zu ihnen auch Gemeinden aus den evangelischen Landeskirchen. Die Deutsche Evangelische Allianz ist dabei ein wichtiger und starker Dachverband der viele Evangelikale Kirchen und Einzelpersonen angeschlossen sind.

Die Arten des Frömmigkeitsstils, sowie die Radikalität des Glaubens unterscheiden sich, sodass letztendlich keine scharfen Abgrenzungen zu den anderen christlichen Kirchen gezogen werden können.

Gemeinsam haben die meisten Evangelikalen aber einen Absolutheitsanspruch auf ihren Glauben, eine strenge Glaubensauslegung anhand der Bibel. die sich auf sämtliche Lebensbereiche auswirkt, die Missionierung als zentrale Aufgabe, ein patriarchales Familienbild als Kern der Gemeinschaft, sowie eine autoritäre Gesellschaftsvorstellung.

Die geschätzten 1,3 Millionen Evangelikalen in Deutschland bezeichnen sich selber oft als bibelorientierte oder entschiedene, sowie bibeltreue oder auch bekennende Christen. Ein weiteres Merkmal sind Heilungsgottesdienste wie auch Dämonenaustreibung.

Der Absolutheitsanspruch des Glaubens und der Bibel führen zur Ablehnung anderer Glaubensrichtungen, was sich mittlerweile hauptsächlich auf den Islam fokussiert und streckenweise in reinem Islamhass ausartet. Homophobie ist eine weitere Auswirkung der direkten und unkritischen Bibelauslegung. Homosexualität wird mitunter als Krankheit, Sünde oder Perversion bezeichnet und gilt größtenteils als veränderbar. Es gibt einige Initiativen und Vereine die Homosexuelle davon überzeugen wollen, dass ihre sexuelle Ausrichtung aus tieferliegenden Problemen hervor geht. „Praktizierte Homosexualität“ gilt gemeinhin als Sünde. Auch die Gegnerschaft zur Abtreibung entstammt der christlich, biblischen Vorstellung von Ehe und Familie als Zentrum christlicher Werte und dem göttlichen Auftrag der Vermehrung. Innerhalb der Familienstruktur herrscht eine patriarchale Rollenverteilung und eine repressive Kindererziehung, bei der körperliche Züchtigung meist nicht abgelehnt wird.

Direkte Folge der Annahme, dass die Bibel unumstößliche Wahrheit darstellt ist auch die Ablehnung der Evolutionstheorie und die Propagierung der biblischen Schöpfungsgeschichte als wissenschaftliche Alternative (Kreationismus) dazu.

Der missionarische Auftrag, den die meisten Evangelikalen gleichfalls der Bibel entnehmen und als überaus wichtigen Bestandteil ihres Glaubens betrachten, führt dazu, dass Evangelikale versuchen gesellschaftlich wichtige Positionen zu besetzen, Einfluss auf die Politik zu nehmen und durch Veranstaltungen, Medienpräsenz und Internet öffentlich sichtbar zu sein. Die Missionierung anderer soll nicht nur in den Kirchen und auf der Straße stattfinden, sondern sich auf alle Lebensbereiche, sei es an der Arbeitsstätte oder auf dem Fußballplatz (der eben auch Arbeitsstätte einiger prominenter Evangelikaler ist, die z.B. bei Fußballspielen durch das zeigen von T-Shirts, mit der Aufschrift: Jesus liebt dich oder ähnliches, versuchen den missionarischen Auftrag zu erfüllen) beziehen. Auch wenn die Missionierung teilweise irrwitzige Züge trägt (z.B. Arbeitsgruppen beim Christival mit dem Titel: „Hilfe mein Nachbar ist Muslim“ oder Gruppen, die sich speziell auf das Missionieren von Menschen jüdischen Glaubens ausrichten), steckt dahinter aber auch der Anspruch öffentlich wahrnehmbar zu sein, die eigenen konservativen, reaktionären und autoritären Werte zu verbreiten und letztendlich gesellschaftliche Relevanz zu erhalten. Beispiele deutscher, evangelikaler Missionare wie Reinhard Bonnke, die in afrikanischen Ländern vor einigen zehntausend Gläubigen predigen und schwere Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen verursachen, zeigen annähernd das Ausmaß der aggressiven Missionierung die nicht selten mit militärischen und martialischen Vokabular (wie Kreuzzug und ähnliches) gespickt ist. (vgl. auch „Mission Gottesreich“, Lambrecht/Baars, Christoph Links Verlag, Berlin 2009)

Auch Bestrebungen in einigen Ländern Afrikas die repressiven Maßnahmen gegen Homosexuelle zu verschärfen, wie jüngst der Versuch in Uganda Homosexualität unter Todesstrafe zu stellen, sind oftmals auf Einwirkungen von christlichen Fundamentalisten zurück zu führen. So sagte etwa David Bahati, Mitinitiator des Uganda Anti-Homosexuality Bill, das die Grundlage des Gesetzes die Bibel sei. Während Evangelikale aus Europa und den USA solche Vorhaben massiv unterstützen, deuten Politiker_innen aus den selben Ländern lediglich Entrüstung an, ohne dabei die eigentlich Verantwortlichen zu benennen oder daraus Konsequenzen zu ziehen, denn dies würde ja das Bild vom überlegenen Abendland stören.

Dabei wird die Einflussnahme evangelikaler Gruppen auf Politik und Gesellschaft stetig stärker. Längst schon sucht die evangelische Kirche, der die Gläubigen wegrennen, den Schulterschluss mit den zuvor verpönten evangelikalen Fundamentalist_innen und auch an dem Gesundheitskongress zeigt sich, dass diese Gruppen mit ihren homophoben, sexistischen und frauenfeindlichen Vorstellungen mittlerweile akzeptiert sind. So unterstützen z.B. die von Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel diese Veranstaltung. Ein weiteres Beispiel für die Akzeptanz in oder aber Ignoranz der Gesellschaft ist die Georg-Müller-Schule in Bielefeld, eine von 168 Schulen, die im Verband evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS), vertreten sind. Auf dieser Privatschule wird eine kreationistische Entstehungsgeschichte vermittelt, also eine Vorstellung der Entstehung unserer Welt eng angelegt an den Geschichten der Bibel, und auch sonst wird ein bibeltreues Verständnis vermittelt, welches beinhaltet „…dass Ehebruch, vorehelicher Geschlechtsverkehr und Homosexualität „biblisch falsches Handeln“ sei „und Gott in der Bibel sehr ernst davor warnt“ (vgl. FAZ, Kreationismus, Adam, Eva und der Stegosaurus, Julia Kern, 22.06.13). Jugendliche werden hier nicht nur unterrichtet, sondern geformt und ausgerichtet, auf eine konservative und der Vernunft widersprechende Weltanschauung.

Der Gesundheitskongress in Bielefeld ist nur eine von etlichen Initiativen, so sind z.B. der 1000-Kreuze-Marsch in Berlin oder Münster oder die ProChrist Veranstaltung die letztes Jahr in Bielefeld stattgefunden hat weitere Veranstaltungen christlicher Fundamentalist_innen, mit denen diese Gruppen öffentlich intervenieren und so gesellschaftliche Relevanz erlangen wollen. Den Bestrebungen ihr konservatives Wertesystem und ihre diskriminierenden Anschauungen weiter in der Gesellschaft zu verankern muss an jeden Punkt und zu jeder Zeit entgegen gewirkt werden.

Editorische Hinweise

Die Stellungnahme erhielten wir von den AutorInnen zur Veröffentlichung.