Das Lied der Kommune
Manfred Sohn: Der dritte Anlauf - Alle Macht den Räten.
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esprochen von Peter Nowak

04/12

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„Gewiss, doch sie kommt, die Kirschenzeit.
Wenn die Nachtigall singt, die Spottdrossel singt,
in das Lied der Commune“,

sang der linke Barde Franz Joseph Degenhardt in den siebziger Jahren.

Dem damaligen marxistischen Gewerkschaftler Manfred Sohn scheinen die Zeilen nicht aus dem Kopf gegangen zu sein. Diesen Erinnerungen ist es zu verdanken, dass auf dem Cover des kürzlich im Papyrossa-Verlag erschienenen Buches von Sohn mit dem optimistischen Titel „Der dritte Anlauf – Alle Macht den Räten“ zwei Kirschen prangen. Der niedersächsische Landesvorsitzende der Linken singt in dem Buch tatsächlich ein neues Lied der Pariser Commune, die für einen neue sozialistische Bewegung mehr als die ehemalige Sowjetunion ein Vorbild sein soll. Dabei gelingt es ihm gleich im ersten seiner neun Kapitel des einfach zu lesenden Buches eine erstaunliche Präzisierung des Kommunegedankens. Dort zieht er eine Linie von der Pariser Commune zur aktuellen Kommunalpolitik, auf die er sich als Politiker der Linken besonders konzentriert. Er beschreibt, wie im Zeichen von Schuldenbremsen und Spardiktaten die politischen Spielräume für die Kommunen immer enger werden. Güter der Daseinsvorsorge werden privatisiert, Kultureinrichtungen geschlossen. Dagegen setzt Sohn auf eine Kommune, deren Bewohner die Interessen selbstbewusst vertreten und landet wieder bei der Pariser Kommune. Im folgenden Kapitel setzt sich Sohn mit der politischen Verarbeitung der kurzen Geschichte der Pariser Kommune in der marxistischen Literatur auseinander und kommt zu dem Schluss, dass Marx und Engels die Dezentralität eine wichtige Vorbildrolle für andere sozialistische Entwicklungen zugesprochen haben, die in der Sowjetunion aber schnell in Vergessen gerieten. Über die von Karl Marx verfasste Schrift: „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ schreibt Sohn: „Alles, was im weiteren Text dieses kleinen Büchleins als dezentralisierter Sozialismus, als Stärkung der Kommune gedacht war, steht unter dem Generalvorbehalt der Verknüpfung mit Eigentumsfrage“. Die ist für ihn bis heute zentral. „Gibt die Verfassung unserer Kommunen alle Macht in die Hand und lass der Deutschen Bank und den vier großen Energiekonzernen... ihr Eigentum und die scheinbare kommunale Macht wird regelmäßig zur Lachnummer“, schreibt der Autor und dürfte bei vielen Initiativen, die mit Referenden für die Rekommunalisierung von Gütern der Daseinsvorsorge kämpfen, auf Zustimmung stoßen.

Irrweg Silvio Gesell

Neben dem Rätegedanken widmet sich Sohn der überwiegend von Frauen geleisteten Reproduktionsarbeit, der er eine zentrale Rolle bei einen neuen sozialistischen Anlauf zuspricht. In mehreren Kapiteln beschäftigt er sich mit Schriften Rosa Luxemburgs dazu, und geht auch auf die aktuelle Debatte in der Linkspartei ein So beschäftigt er sich kritisch-solidarisch mit der von der feministischen Sozialistin Frigga Haug in die Debatte gebrachten Modelle der Neuregelung Lebens- und Arbeitszeit. Mit seiner Verknüpfung von Dezentralisierung und Reproduktionsarbeit hat Sohn wichtige Gedanken formuliert, die auch bei sozialen Initiativen außerhalb der Linkpartei sowie bei Feministinnen auf Interesse stoßen dürften. Dem belesenen Autor gelingt es, seine aktuellen Thesen mit historischen Schriften der Arbeiterbewegung zu belegen. Allerdings überzeugen seine auch in der feministischen Debatte umstrittenen Ausflüge in die Matriarchatsforschung ebenso wenig, wie sein kurzer Bezug auf den Zinstheoretiker Silvio Gesell. Warum Sohn den erklärten Antimarxisten Gesell überhaupt erwähnt und dabei die lange Debatte über die antisemitischen Implikationen von dessen Geld- und Zinstheorie ausblendet, bleibt offen.

Warnung vor der Herrmann-Dierkes-Sackgasse

Eine anderer Schwachpunkt ist die Ausblendung der Tatsache, dass sich aus einer starken kommunalen Verankerung nicht nur Impulse für eine linke Politik, sondern auch ein Versacken im Reformismus entstehen kann. Schließlich hatte der Revisionismus in der Sozialdemokratie historisch in den starken kommunalen Hochburgen ihre Basis. Wenn wir aktuell nach NRW blicken, können wir sehen, wie ein standortbornierte Kommunalbezug in den Sozialdemokratismus führt.

Hören wir die Stimme eines Parteifreundes von Dierkes, der bisher durch die Propagierung von Israel-Boykott-Parolen aufgefallen ist und wahrscheinlich auch deshalb von manchen als Linker gehandelt wurde:

„Sobald Linke an der ›Macht‹ – und sei es auch nur der Abwicklungs-Macht einer bankrotten Stadt – beteiligt sind, gilt das Menschenrecht auf Wohnen, gilt das Gemeineigentum usw. offensichtlich gar nix mehr? Was ist in den Hermann Dierkes (Vorsitzender der Linksfraktion) gefahren, das ist ja nicht irgendein Streamliner, wenn ich mich recht entsinne? Hab ich mit dem nicht schon Geld für und mit Haus- und Landbesetzern in Brasilien gesammelt, und jetzt findet er nichts dabei, wenn seine Ex-Kollegen von Thyssen aus ihren Werkssiedlungen verdrängt werden? Wie kann man so tief sinken? Hab ich irgendwas verpasst? Ist der nur wegen der Haushaltskoalition im Duisburger Rat nach – ich denke – mehr als 40 Jahren auf der richtigen Seite zum Verräter geworden?“

Dierkes fand auch nichts dabei, mit dafür zu sorgen, dass ein Sozialdemokrat zum Planungsdezernenten von Duisburg mit Unterstützung der Linkspartei gewählt wurde, obwohl mit Ida Schillen eine profilierte Linke zur Kandidatur bereit war. Aber eine erklärte Feministin und Antikapitalistin wollte der Duisburger Standortnationalist Dierkes „seiner“ Stadt nicht zumuten. Auch dieser reaktionäre Mief kann entstehen, wenn man nur auf das Kommunale setzt. Nicht jeder Bezug aufs Kommunale führt zur Straße Pariser Commune, zu oft endet es in die Hermann-Dierkes-Sackgasse. Deswegen sollte auch jedes Blinken vor dem Silvio-Gesell-Holzweg kritisch kommentiert werden.

 

Manfred Sohn
Der dritte Anlauf - Alle Macht den Räten.
Papyrossa Verlag, Köln 2012, 180 Seiten, 12,90 Euro