Strafrechtliche Ermittlungen wurden gegen den
früheren IWF-Direktor und knapp verhinderten französischen
Präsidentschaftskandidaten Dominique Strauss-Kahn
aufgenommen – wegen erschwerter Zuhältererei…
Madame lässt vielen Dank für die schönen Komplimente ausrichten:
„Ich kann Ihnen sogar sagen, zum Beispiel, dass ich total
baff über ein Ehepaar war. Ich dachte, dass die Frau eine
Prostituierte sei. Dann war ich zum Abendessen bei den Leuten
eingeladen, und ich erfuhr, dass sie in Wirklichkeit Notarin
ist.“ Vielen Dank für die Blumen auch!
Diese Worte stammen von
dem nordfranzösischen Unternehmer Fabrice Paszkowski, und sie
stehen in einem polizeilichen Vernehmungsprotokoll. Sie sollen
besagen, dass man sich von Eindrucken täuschen lassen könne. Und
dass man deswegen auch nicht immer wisse, wann man es mit
gewerbsmäßig tätigen Prostituierten zu tun hat, wenn man Umgang
mit sozusagen „willigen“ Damen betreibt.
Kaum
besser drückt sich jedoch in demselben Zusammenhang ein früherer
französischer Wirtschaftsminister und Ex-Direktor des
Internationalen Währungsfonds (IWF) aus, der beinahe hätte
französischer Präsident werden können. „Das Wort
,Material’ bezeichnet eine Person weiblichen Geschlechts“
erklärte der werte Herr den polizeilichen Vermittlungsbeamten.
Diese
hatten Dominique Strauss-Kahn, allgemein auch als „DSK“ bekannt,
Ende Februar 2012 nach dem Wortlaut verschiedener
SMS-Botschaften befragt, die auf seinem Mobiltelefon
eingespeichert und von diesem aus versandt worden waren.
Darunter befand sich eine Nachricht an besagten Fabrice
Paszkowski, die da lautete: „Möchtest Du am 4. Juli mit
mir einen wunderbaren heißen Club in Madrid
aufsuchen, zusammen mit mir und Material?“ Den
vernehmenden Beamten erklärte Strauss-Kahn dazu, „das
Vokabular“ in solchen SMS-Wechseln sei „nicht sehr
gepflegt“ gewesen. Und es gehe nun einmal
„schneller, ein Wort zu gebrauchen statt einer Liste von
Vornamen, wenn von mehreren Personen die Rede ist.“
Fabrice Paszkowksi interessierte die ermittelnden Beamten
zuerst, bevor sie auf „DSK“ stießen. Denn gegen den Betreiber
einer Firma für medizinische Geräte in Lens läuft seit dem 21.
Oktober 2011 ein Strafverfahren wegen „bandenmäßig betriebener
Zuhälterei“, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Betrugs und
Hinterziehung von Firmenvermögen. In jenem Monat kam die so
genannte „Carlton-Affäre“ ins Rollen, benannt nach einem
Luxushotel in der nordfranzösischen Regionalhauptstadt Lille.
Gegen dessen Direktor, Francis Henrion, und seinen
Kommunikationsbeauftragten René Kojfer wurde genau 14 Tage
früher ein Strafverfahren wegen erschwerter Zuhälterei eröffnet.
Der ganze Skandal war im Februar 2011 durch eine anonyme Anzeige
eingeleitet worden. Drei erfahrene Untersuchungsrichter und
–richterinnen – Stéphanie Ausbart, Mathieu Vignau und Ida Chafai
– mit Erfahrungen in Sachen Wirtschaftskriminalität ermitteln
seit Ende März 11 zu der Strafsache. Ein halbes Jahr später
eröffneten sie, im Oktober 11, die ersten Anklageverfahren gegen
einige Hauptverdächtige.
Inzwischen zieht die Strafsache weite Kreise. Denn ihren
spektakulären Charakter verdankt die Affäre insbesondere der
tiefen Verstrickung von Dominique Strauss-Kahn („DSK“), der zum
Zeitpunkt des Beginns der Ermittlungen noch als
aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat im Vorgriff auf die
Wahlen im April und Mai 12 gehandelt wurde.
Zum Stand des
Verfahrens in New York
Seine
politische Karriere wurde jedoch jäh unterbrochen, nachdem er in
einem anderen Zusammenhang am 14. Mai 2011 in New York unter dem
Vorwurf der versuchten Vergewaltigung und der sexuellen
Aggression festgenommen wurde. Eine Zimmerfrau in einer Filiale
der französischen Hotelkette Sofitel in New York, die aus Guinea
stammende Nafissatou Diallo, hatte Strafanzeige gegen
Strauss-Kahn gestellt. Die französische Sozialdemokratie musste
sich daraufhin einen anderen Präsidentschaftskandidaten suchen,
und „DSK“ kam erst für ein paar Tage in ein New Yorker
Gefängnis.
Nach
Hinterlegung einer Kaution von mehreren Millionen Dollar wurde
er in Hausarrest überführt. Im August 2011 wurde das
Strafverfahren jedoch eingestellt, weil die Zeugin selbst
widersprüchliche Aussagen gemacht habe. Unter anderem soll sie
Unregelmäßigkeiten in ihrem Asylverfahren in den USA sowie
Aktivitäten ihres Ehemanns als Dealer verschwiegen haben. Die
Staatsanwaltschaft stufte daraufhin ihre Glaubwürdigkeit herab,
entließ Strauss-Kahn aus dem Hausarrest und stellte die
Ermittlungen ein. Doch damit ist die Geschichte noch nicht vom
Tisch. Denn nunmehr steht noch ein zivilrechtliches Verfahren,
das durch eine Schadensersatzklage von Nafissatou Diallo
ausgelöst wurde, ins Haus. Es wurde am Mittwoch, den 28. März
d.J. mit einer ersten Anhörung vor einem New Yorker Gericht
eingeläutet.
Im
Laufe des April 12 wird man mutmaßlich wissen, wie
es in dem Zivilprozess weitergeht, da der zuständige Richter
Douglas McKeon dann über das Argument von Strauss-Kahns Anwälten
entschieden haben wird, wonach DSK zum fraglichen Zeitpunkt
„diplomatische Immunität“ besessen habe. Und zwar,
weil er in seiner Eigenschaft als IWF-Direktor aus Washington
über New York gereist sei – von dort aus sollte er an jenem Tag
nach Berlin abfliegen, um Bundeskanzlerin Angela Merkel zu
treffen. Doch die offizielle Position des IWF in der
US-Bundeshauptstadt lautete im Mai 2011, Strauss-Kahn habe nur
„aus privaten Gründen“ einen Abstecher in New York
eingelegt, sei also zu jener Zeit nicht in Ausübung seines Amtes
tätig gewesen. Je nachdem, ob der Richter das Argument der
Geltung einer Immunität Strauss-Kahns aufgrund seiner Funktionen
gelten lässt nicht, kann das Verfahren dann im Laufe des April
12 fortgesetzt werden oder nicht.
Es
gilt als gut möglich, dass es mit einer Verurteilung
Strauss-Kahns zu Zahlungen in mehrfacher Millionenhöhe oder
einer entsprechenden „gütlichen Einigung“ mit finanzieller
Entschädigung enden könnte. Unstrittig ist bei der Sache von
beiden Seiten her, dass Geschlechtsverkehr in der Suite
Strauss-Kahns im Sofitel stattgefunden hat – acht Minuten,
nachdem Diallo diese betreten hatte. Strauss-Kahn räumte in
diesem Zusammenhang am 04. September 11 beim französischen
Fernsehsender TFI eine „moralische Verfehlung“
ein. Ansonsten beharrt er jedoch auf der Behauptung, dass
folgende vier Elemente auf die zurückliegende Beziehung zwischen
ihm und Diallo zuträfen: Beide hätte sich zuvor nicht gekannt,
der Geschlechtsverkehr sei einvernehmlich erfolgt, es sei ohne
Gewalt zugegangen, und ohne Bezahlung. Beobachterinnen und
Beobachter gehen jedoch davon aus, dass mindestens einer der
vier Elemente in der Kette „zu viel“ sei –
mindestens eines sei unzutreffend, während jeweils drei der
anderen zusammen einen Sinn ergeben könnten.
In
den USA wird vor diesem Hintergrund auch mit Hochspannung
verfolgt, was sich unterdessen zwischen Paris und Lille tut.
Denn in Frankreich wurde DSK wiederum am Montag, den 26. März 12
durch die in der Akte „Carlton-Affäre“ tätigen
Untersuchungsrichter – und erstmals nicht mehr nur durch
Polizeibeamte – vernommen. Am Abend kam er nach achtstündiger
Vernehmung und Zahlung einer Kaution in Höhe von 100.000 Euro
frei, gegen ihn wurde jedoch seinerseits ein Strafverfahren
wegen „bandenmäßig betriebener Zuhälterei“
eröffnet. Eine historische Premiere unter der Fünften Republik
in Frankreich.
Hintergründe in
Frankreich
DSK
war in politischen und journalistischen Kreisen schon vor dem
14. Mai 2011, der eine jähe Wende in seiner Laufbahn brachte,
für seine mutmaßlich krankhafte Sexsucht bekannt. Auch wenn es
vor jenem Datum nie in einer Zeitung explizit geschrieben wurde,
so wussten doch viele Leute Bescheid. Seit Anfang 2011 – also
mehrere Monate vor dem New Yorker Zwischenfall - hatte der
berühmte Karikaturist „Plantu“ ihn regelmäßig in Le Monde
mit einem Penis anstelle der Nase im Gesicht gezeichnet.
Seine
Neigungen machten sich einige Hauptakteure der „Carlton-Affäre“
zunutze, um nach dem damals allgemein erwarteten Ausgang der
Präsidentschaftswahl in Frankreich politischen oder
wirtschaftlichen Einfluss nehmen zu können. Ein führender
Polizeifunktionär in Nordfrankreich – Jean-Christophe Lagarde -,
der auf eine Karriere als „Sicherheitspolitiker“ wartete,
Geschäftsmänner wie Paszkowski oder der Bauunternehmer David
Roquet belieferten Strauss-Kahn mit Frischfleisch. Zusammen mit
als Escort-Girls bezeichnete Prostituierten
richteten sie von ihnen so genannte „subtile Partys“ – also
Gruppensexfeten – in Paris, Brüssel und in Washington für ihn
aus. Mindestens drei mal besuchten die Herren mitsamt weiblicher
Gefolgschaft den damaligen IWF-Direktor in der US-Hauptstadt.
Bezahlt wurden Flugtickets und andere Rechnungen etwa durch das
Unternehmen Paszkowkis und das seiner Ex-Freundin Virginie
Dufour sowie durch die nordfranzösische Filiale des Baukonzerns
Eiffage.
„DSK“ möchte von alldem
nichts gewusst haben, sondern davon überzeugt gewesen zu sein,
es mit unbezahlten Anhängerinnen der freien Liebe zu tun gehabt
zu haben. Auch, so wehrte er sich gegen den Vorwurf der
Verstrickung in „bandenmäßig betriebene Zuhälterei“, habe er
sich nie um die Vorbereitung des Ablaufs der Abende gekümmert.
Hingegen geben die Ermittler an, nach ihrem bisherigen Wissen
habe Strauss-Kahn sehr genaue Anweisungen über Personen und
Ablauf gegeben.
Strauss-Kahns damalige politische Freunde in der
sozialdemokratischen Partei – die sich inzwischen zum Großteil
von ihm abwandten – beschwerten sich bei den ersten Aufdeckungen
der Affäre im Laufe des Herbst 2011 noch: „Und wir hatten
alle Mühe, einen Termin in Washington bei ihm zu bekommen! Wir
hatten gedacht, er sei beruflich derart ausgelastet...“
DSK
ist heute politisch weitgehend isoliert, da er für die
französische Sozialdemokratie mittlerweile zum Klotz am Bein
wurde. Unzufrieden darüber, dass Einzelheiten über seine
Vernehmungen in der Pariser Abendzeitung Le Monde
publiziert wurden, erstattete er am vergangenen Mittwoch
Strafanzeige gegen dieselbe wegen „Verletzung seines
Privatlebens“ sowie des Ermittlungsgeheimnisses.
Einige Wochen zuvor hatte er während einer (dank einer
Indiskretion bekannt gewordenen) Unterredung mit seinem
Nachfolger als Bürgermeister der Pariser Vorstadt Sarcelles –
François Pupponi, gegen den seit Herbst 2011 wegen eventueller
Mafiakontakte ermittelt wird – geäußert, „die
Journalisten“ seien „wirklich verkommene Aasgeier“.
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