Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nicht sehr gepflegt
Solche Figuren regieren uns (oder beinahe)

04/12

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Strafrechtliche Ermittlungen wurden gegen den früheren IWF-Direktor und knapp verhinderten französischen Präsidentschaftskandidaten Dominique Strauss-Kahn aufgenommen – wegen erschwerter Zuhältererei…

Madame lässt vielen Dank für die schönen Komplimente ausrichten: „Ich kann Ihnen sogar sagen, zum Beispiel, dass ich total baff über ein Ehepaar war. Ich dachte, dass die Frau eine Prostituierte sei. Dann war ich zum Abendessen bei den Leuten eingeladen, und ich erfuhr, dass sie in Wirklichkeit Notarin ist.“ Vielen Dank für die Blumen auch!

Diese Worte stammen von dem nordfranzösischen Unternehmer Fabrice Paszkowski, und sie stehen in einem polizeilichen Vernehmungsprotokoll. Sie sollen besagen, dass man sich von Eindrucken täuschen lassen könne. Und dass man deswegen auch nicht immer wisse, wann man es mit gewerbsmäßig tätigen Prostituierten zu tun hat, wenn man Umgang mit sozusagen „willigen“ Damen betreibt.

Kaum besser drückt sich jedoch in demselben Zusammenhang ein früherer französischer Wirtschaftsminister und Ex-Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus, der beinahe hätte französischer Präsident werden können. „Das Wort ,Material’ bezeichnet eine Person weiblichen Geschlechts“ erklärte der werte Herr den polizeilichen Vermittlungsbeamten.

Diese hatten Dominique Strauss-Kahn, allgemein auch als „DSK“ bekannt, Ende Februar 2012 nach dem Wortlaut verschiedener SMS-Botschaften befragt, die auf seinem Mobiltelefon eingespeichert und von diesem aus versandt worden waren. Darunter befand sich eine Nachricht an besagten Fabrice Paszkowski, die da lautete: „Möchtest Du am 4. Juli mit mir einen wunderbaren heißen Club in Madrid aufsuchen, zusammen mit mir und Material?“ Den vernehmenden Beamten erklärte Strauss-Kahn dazu, „das Vokabular“ in solchen SMS-Wechseln sei „nicht sehr gepflegt“ gewesen. Und es gehe nun einmal „schneller, ein Wort zu gebrauchen statt einer Liste von Vornamen, wenn von mehreren Personen die Rede ist.“

Fabrice Paszkowksi interessierte die ermittelnden Beamten zuerst, bevor sie auf „DSK“ stießen. Denn gegen den Betreiber einer Firma für medizinische Geräte in Lens läuft seit dem 21. Oktober 2011 ein Strafverfahren wegen „bandenmäßig betriebener Zuhälterei“, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Betrugs und Hinterziehung von Firmenvermögen. In jenem Monat kam die so genannte „Carlton-Affäre“ ins Rollen, benannt nach einem Luxushotel in der nordfranzösischen Regionalhauptstadt Lille. Gegen dessen Direktor, Francis Henrion, und seinen Kommunikationsbeauftragten René Kojfer wurde genau 14 Tage früher ein Strafverfahren wegen erschwerter Zuhälterei eröffnet. Der ganze Skandal war im Februar 2011 durch eine anonyme Anzeige eingeleitet worden. Drei erfahrene Untersuchungsrichter und –richterinnen – Stéphanie Ausbart, Mathieu Vignau und Ida Chafai – mit Erfahrungen in Sachen Wirtschaftskriminalität ermitteln seit Ende März 11 zu der Strafsache. Ein halbes Jahr später eröffneten sie, im Oktober 11, die ersten Anklageverfahren gegen einige Hauptverdächtige.

Inzwischen zieht die Strafsache weite Kreise. Denn ihren spektakulären Charakter verdankt die Affäre insbesondere der tiefen Verstrickung von Dominique Strauss-Kahn („DSK“), der zum Zeitpunkt des Beginns der Ermittlungen noch als aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat im Vorgriff auf die Wahlen im April und Mai 12 gehandelt wurde.

Zum Stand des Verfahrens in New York

Seine politische Karriere wurde jedoch jäh unterbrochen, nachdem er in einem anderen Zusammenhang am 14. Mai 2011 in New York unter dem Vorwurf der versuchten Vergewaltigung und der sexuellen Aggression festgenommen wurde. Eine Zimmerfrau in einer Filiale der französischen Hotelkette Sofitel in New York, die aus Guinea stammende Nafissatou Diallo, hatte Strafanzeige gegen Strauss-Kahn gestellt. Die französische Sozialdemokratie musste sich daraufhin einen anderen Präsidentschaftskandidaten suchen, und „DSK“ kam erst für ein paar Tage in ein New Yorker Gefängnis.

Nach Hinterlegung einer Kaution von mehreren Millionen Dollar wurde er in Hausarrest überführt. Im August 2011 wurde das Strafverfahren jedoch eingestellt, weil die Zeugin selbst widersprüchliche Aussagen gemacht habe. Unter anderem soll sie Unregelmäßigkeiten in ihrem Asylverfahren in den USA sowie Aktivitäten ihres Ehemanns als Dealer verschwiegen haben. Die Staatsanwaltschaft stufte daraufhin ihre Glaubwürdigkeit herab, entließ Strauss-Kahn aus dem Hausarrest und stellte die Ermittlungen ein. Doch damit ist die Geschichte noch nicht vom Tisch. Denn nunmehr steht noch ein zivilrechtliches Verfahren, das durch eine Schadensersatzklage von Nafissatou Diallo ausgelöst wurde, ins Haus. Es wurde am Mittwoch, den 28. März d.J. mit einer ersten Anhörung vor einem New Yorker Gericht eingeläutet.

Im Laufe des April 12 wird man mutmaßlich wissen, wie es in dem Zivilprozess weitergeht, da der zuständige Richter Douglas McKeon dann über das Argument von Strauss-Kahns Anwälten entschieden haben wird, wonach DSK zum fraglichen Zeitpunkt „diplomatische Immunität“ besessen habe. Und zwar, weil er in seiner Eigenschaft als IWF-Direktor aus Washington über New York gereist sei – von dort aus sollte er an jenem Tag nach Berlin abfliegen, um Bundeskanzlerin Angela Merkel zu treffen. Doch die offizielle Position des IWF in der US-Bundeshauptstadt lautete im Mai 2011, Strauss-Kahn habe nur „aus privaten Gründen“ einen Abstecher in New York eingelegt, sei also zu jener Zeit nicht in Ausübung seines Amtes tätig gewesen. Je nachdem, ob der Richter das Argument der Geltung einer Immunität Strauss-Kahns aufgrund seiner Funktionen gelten lässt nicht, kann das Verfahren dann im Laufe des April 12 fortgesetzt werden oder nicht.

Es gilt als gut möglich, dass es mit einer Verurteilung Strauss-Kahns zu Zahlungen in mehrfacher Millionenhöhe oder einer entsprechenden „gütlichen Einigung“ mit finanzieller Entschädigung enden könnte. Unstrittig ist bei der Sache von beiden Seiten her, dass Geschlechtsverkehr in der Suite Strauss-Kahns im Sofitel stattgefunden hat – acht Minuten, nachdem Diallo diese betreten hatte. Strauss-Kahn räumte in diesem Zusammenhang am 04. September 11 beim französischen Fernsehsender TFI eine „moralische Verfehlung“ ein. Ansonsten beharrt er jedoch auf der Behauptung, dass folgende vier Elemente auf die zurückliegende Beziehung zwischen ihm und Diallo zuträfen: Beide hätte sich zuvor nicht gekannt, der Geschlechtsverkehr sei einvernehmlich erfolgt, es sei ohne Gewalt zugegangen, und ohne Bezahlung. Beobachterinnen und Beobachter gehen jedoch davon aus, dass mindestens einer der vier Elemente in der Kette „zu viel“ sei – mindestens eines sei unzutreffend, während jeweils drei der anderen zusammen einen Sinn ergeben könnten.

In den USA wird vor diesem Hintergrund auch mit Hochspannung verfolgt, was sich unterdessen zwischen Paris und Lille tut. Denn in Frankreich wurde DSK wiederum am Montag, den 26. März 12 durch die in der Akte „Carlton-Affäre“ tätigen Untersuchungsrichter – und erstmals nicht mehr nur durch Polizeibeamte – vernommen. Am Abend kam er nach achtstündiger Vernehmung und Zahlung einer Kaution in Höhe von 100.000 Euro frei, gegen ihn wurde jedoch seinerseits ein Strafverfahren wegen „bandenmäßig betriebener Zuhälterei“ eröffnet. Eine historische Premiere unter der Fünften Republik in Frankreich.

Hintergründe in Frankreich

DSK war in politischen und journalistischen Kreisen schon vor dem 14. Mai 2011, der eine jähe Wende in seiner Laufbahn brachte, für seine mutmaßlich krankhafte Sexsucht bekannt. Auch wenn es vor jenem Datum nie in einer Zeitung explizit geschrieben wurde, so wussten doch viele Leute Bescheid. Seit Anfang 2011 – also mehrere Monate vor dem New Yorker Zwischenfall - hatte der berühmte Karikaturist „Plantu“ ihn regelmäßig in Le Monde mit einem Penis anstelle der Nase im Gesicht gezeichnet.

Seine Neigungen machten sich einige Hauptakteure der „Carlton-Affäre“ zunutze, um nach dem damals allgemein erwarteten Ausgang der Präsidentschaftswahl in Frankreich politischen oder wirtschaftlichen Einfluss nehmen zu können. Ein führender Polizeifunktionär in Nordfrankreich – Jean-Christophe Lagarde -, der auf eine Karriere als „Sicherheitspolitiker“ wartete, Geschäftsmänner wie Paszkowski oder der Bauunternehmer David Roquet belieferten Strauss-Kahn mit Frischfleisch. Zusammen mit als Escort-Girls bezeichnete Prostituierten richteten sie von ihnen so genannte „subtile Partys“ – also Gruppensexfeten – in Paris, Brüssel und in Washington für ihn aus. Mindestens drei mal besuchten die Herren mitsamt weiblicher Gefolgschaft den damaligen IWF-Direktor in der US-Hauptstadt. Bezahlt wurden Flugtickets und andere Rechnungen etwa durch das Unternehmen Paszkowkis und das seiner Ex-Freundin Virginie Dufour sowie durch die nordfranzösische Filiale des Baukonzerns Eiffage.

DSK“ möchte von alldem nichts gewusst haben, sondern davon überzeugt gewesen zu sein, es mit unbezahlten Anhängerinnen der freien Liebe zu tun gehabt zu haben. Auch, so wehrte er sich gegen den Vorwurf der Verstrickung in „bandenmäßig betriebene Zuhälterei“, habe er sich nie um die Vorbereitung des Ablaufs der Abende gekümmert. Hingegen geben die Ermittler an, nach ihrem bisherigen Wissen habe Strauss-Kahn sehr genaue Anweisungen über Personen und Ablauf gegeben.

Strauss-Kahns damalige politische Freunde in der sozialdemokratischen Partei – die sich inzwischen zum Großteil von ihm abwandten – beschwerten sich bei den ersten Aufdeckungen der Affäre im Laufe des Herbst 2011 noch: „Und wir hatten alle Mühe, einen Termin in Washington bei ihm zu bekommen! Wir hatten gedacht, er sei beruflich derart ausgelastet...“

DSK ist heute politisch weitgehend isoliert, da er für die französische Sozialdemokratie mittlerweile zum Klotz am Bein wurde. Unzufrieden darüber, dass Einzelheiten über seine Vernehmungen in der Pariser Abendzeitung Le Monde publiziert wurden, erstattete er am vergangenen Mittwoch Strafanzeige gegen dieselbe wegen „Verletzung seines Privatlebens“ sowie des Ermittlungsgeheimnisses. Einige Wochen zuvor hatte er während einer (dank einer Indiskretion bekannt gewordenen) Unterredung mit seinem Nachfolger als Bürgermeister der Pariser Vorstadt Sarcelles – François Pupponi, gegen den seit Herbst 2011 wegen eventueller Mafiakontakte ermittelt wird – geäußert, „die Journalisten“ seien „wirklich verkommene Aasgeier“.

Editorische Hinweise

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