Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Gesetz zur Leugnung des Armenier-Völkermords gerichtlich kassiert
Was sind die Gründe, und welche Tragweite hat der Richterspruch?

04/12

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Die türkische Regierung konnte und wollte ihre Zufriedenheit, ja Schadenfreude, kaum verhüllen. Am 28. Februar dieses Jahres hatte der Conseil constitutionnel, also das französische Verfassungsgericht, das neue Gesetz zur Strafandrohung gegen Leugner des Armenier-Völkermords im Ersten Weltkrieg kassiert. Es war am 22. Dezember 11 durch die Nationalversammlung, das „Unterhaus“ des französischen Parlaments, und am 23. Januar 12 durch den Senat – das parlamentarische „Oberhaus“ – verabschiedet worden. Doch infolge der Annahme des Gesetzes hatten eine Reihe von Parlamentariern das Verfassungsgericht angerufen, um die Verfassungsmäßigkeit des Textes überprüfen zu lassen.

An dem Gesetz hatte es aus guten wie aus negativen Gründen Kritik gegeben. Aus fortschrittlicheren Kreisen wurde etwa dessen Charakter als „Einzelfallgesetz“ kritisiert: De facto stellte der Gesetzestext nämlich ausschließlich die Leugnung des ab April 1915 begangenen Massenmords an den Armeniern unter Strafe. Aber beispielsweise nicht das Abstreiten, Relativieren oder Herunterspielen des jüngsten Völkermords der Geschichte, jenes von 1994 an den Tutsi in Rwanda. An dessen Auslösung war das offizielle Frankreich – durch seine massive Rückendeckung für das damals amtierende Regime, aus „geostrategischen“ Gründen, im Kontext des französischen Neokolonialismus in Afrika – alles anders als unbeteiligt gewesen. Hinzu fügten die Kritiker/innen auch das Argument, dass es der Regierungsrechten bei der Annahme des Gesetzes hauptsächlich darum ging, die Positionen der Türkei (auf deren Boden es tatsächliche eine staatliche geförderte „Leugnungsindustrie“ bezüglich des Armenier-Völkermords gibt) deswegen zu torpedieren, weil man ihrem EU-Beitritt Steine in den Weg legen und die Union als „Club des christlichen Abendlands“ bewahren möchte.

Aus den denkbar schlechtesten Gründen wiederum gab es Kritik von Protagonisten der politischen Rechten an der Gesetzesinitiative. So formulierte der zwischen der bürgerlichen und der extremen Rechten stehende, konservativ-reaktionäre Journalist Ivan Rioufol (sein neuestes Buch heißt ,De l’urgence d’être réactionnaire’: „Von der Dringlichkeit, ein Reaktionär zu sein“) eine solche Kritik. Zunächst bezeichnet er sowohl den Gesetzentwurf zum Armenier-Völkermord als auch das, seit 1990 gültige, französische Gesetz zur Holocaustleugnung  gleichermaßen als „Einschränkung der Meinungsfreiheit“ und Kriminalisierung eines „Meinungsdelikts“. Im Hintergrund steht u.a., dass er gerne der  extremen Rechten inklusive ihrer faschistischen Komponenten eine Tür zu einer aktiven politischen Rolle offen halten will. Auch wenn er selbst eher im (rechts)konservativen Lager verankert ist, möchte er sich doch die Option für eine Rechts-Rechts-Allianz ausdrücklich offen halten.

Hinzu fügt er dann noch ein weiteres Argument: Man müsse doch erst einmal die Leugnung des „Völkermords in der Vendée (von 1793/94)“ in Frankreich unter Strafe stellen, falls man denn Gesetze zur Genozid-Geschichtsschreibung erlassen wolle. Bei den historischen Vorfällen, um die es hier ging, handelt es sich um das militärische Vorgehen der jungen Republik (welche im Krieg mit den europäischen Monarchien stand) gegen einen pro-royalistischen und pro-klerikalen, jedoch überwiegen von Bauern getragenen Aufstand. Dabei kam es tatsächlich zu üblen Massakern, insbesondere den berüchtigten ,noyades’ (Ertränkungen von Gefangenen) in der Loire, für welche damals Jacques Cartier als Protagonist der Repression in Nantes & Umland verantwortlich zeichnete. Aber natürlich handelt es sich dabei um politisch motivierte Massaker, mitnichten jedoch um einen „Völkermord“.

Aus vergleichbaren Gründen, aber auch aus einem anderen Motiv – nämlich der Wunsche nach Aufrechterhaltung guter zwischenstaatlicher Beziehungen zur Türkei, der einen Teil der Parlamentarier der Regierungspartei UMP bewegte – gingen eine Reihe von Parlamentariern also zum Verfassungsgericht. So der rechtskonservative Abgeordnete Jacques Myard (UMP).

Am 28. Februar 2012 urteilte dieses Gericht nun, das neue Gesetz habe die Meinungsfreiheit auf unzulässige, d.h. nicht verfassungskonforme Weise eingeschränkt. Dies ist in den Augen der Richter deswegen den Fall, weil das Gesetz einen Tatbestand des Völkermords sanktioniere, der durch denselben Gesetzgeber selbst festgeschrieben worden sei – im Jahr 2001 hatte ein vom französischen Parlament verabschiedetes „Erinnerungsgesetz“ den Völkermord an den Armeniern staatsoffiziell anerkannt. Darin sieht das Verfassungsgericht einen entscheidenden Unterschied zur ,Loi Gayssot‘ von Juli 1990, also jenem französischen Gesetz, das die Holocaustleugnung – die „Auschwitzlüge“ – unter Strafe stellt: Letzteres bezog sich nicht auf eine vom Gesetzgeber selbst etablierte Quelle historischer Wahrheit, sondern auf ein internationales Gerichtsurteil. Nämlich das Urteil des Tribunals von Nürnberg von 1946/47. Rechtstechnisch ist dies insofern eine andere Vorgehensweise, als der Gesetzgeber sich hier nicht gewissermaßen selbst zitiert, sondern auf ein rechtskräftiges Urteil als „Wahrheitsquelle“ bezieht. (In jedem Fall droht – anders als manche Berichte behaupteten – das Gesetz gegen die „Auschwitzlüge“ nicht mit dem neuen Verfassungsgerichtsurteil zu kippen.)

Allerdings bleiben diese juristischen Erwägungen sehr umstritten. In der Pariser Abendzeitung Le Monde vom 05. März 12 kritisiert Sévane Garibian, Doktorin der Rechtswissenschaft und Hochschullehrerin für Jura in der Schweiz (Genf und Neuchâtel), es handele sich im Kern um eine „Prämie für Straflosigkeit“: Die Täter des Armenier-Völkermords seien einer gerichtlichen Strafe entgangen – u.a. weil der im Vertrag von Sèvres von 1920 vorgesehene Internationale Strafgerichtshof dazu doch nicht eingerichtet worden sei -, und dies diene nun auch noch als Argument für die Straflosigkeit der Leugnung ihrer Taten. Ihm widerspricht der Rechtsprofessor Hubert Lesaffre in der Ausgabe vom 15. März 12: Das Verfassungsgericht habe keineswegs für ungestrafte Leugnung plädiert, sondern lediglich auf bestimmten rechtlichen Mechanismen beharrt. Er schlägt vor, Armenien oder ein anderer Staat könnte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die in der Türkei florierende, staatlich sanktionierte Leugnung des Armenier-Genozids zu klagen – die zweifellos eine Einschränkung der Meinungsfreiheit darstelle, da abweichende Äußerungen dort rigoros bestraft werden. Würde die Türkei dafür verurteilt, dann hätte man das geforderte internationale Gerichtsurteil in der Hand…

Nicolas Sarkozy hat bereits angekündigt, im Falle seiner Wiederwahl zum Präsidenten am 06. Mai 12 werde er das Parlament dazu auffordern, einen neuen Gesetzestext zu der Sache vorzulegen – der wasserdicht sein solle, indem er den Kritiken des Verfassungsgerichts Rechnung trage. Auch der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat François Hollande hat sich in den Stunden nach dem Urteil der Verfassungsrichter, und nochmals anlässlich eines Besuchs in Marseille (Hochburg der armenischstämmigen Bevölkerung in Frankreich), in diesem Sinne ausgesprochen. Hingegen distanziert sich der „Kandidat der Mitte“, der christdemokratisch-liberale Politiker François Bayrou (,Mouvement Démocrate‘, MoDem) von diesen Bemühungen. Er hatte von Anfang an – wohl um sich von den beiden anderen Bewerbern des Etablishments zu unterscheiden – die Gesetzesinitiative als „Eingriff in die Freiheit der Historiker“ kritisiert.

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