Luciano Romero war am
Morgen des 11. September 2005 in der nordkolumbianischen
Provinzstadt Valledupar schwer misshandelt worden, bevor er
durch zahlreiche Messerstiche schwer verletzt starb. Wenige
Tage nach seinem Tod sollte der langjährige
Nestle-Gewerkschafter auf einem internationalen Tribunal über
den Nestle-Konzern aussagen. Romero wäre einer von über
dreitausend kolumbianischen Gewerkschaftern, die in den
letzten Jahren von Paramilitärs getötet worden sind. Doch sein
Fall hat heute schon Rechtsgeschichte geschrieben. Die
Juristenvereinigung European Center for Constitutional and
Human Rights (ECCHR) hat kürzlich gemeinsam mit der
kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal, deren Mitglied
Romero war, bei der Schweizer Justiz Anzeige gegen
Verantwortliche des Nestle-Konzern gestellt. Ihnen wird
vorgeworfen, den Tod des Gewerkschafters ždurch
pflichtwidriges Unterlassen fahrlässig mit verursacht zu
haben. žDer Mord geschah im Kontext eines bewaffneten
Konflikts, in dem Gewerkschafter und andere soziale Gruppen
systematischer Verfolgung, vor allem durch Paramilitärs und
staatliche Stellen ausgesetzt sindœ, heißt es in der
Begründung der Anzeige. So sei Romero vor seinem Tod von
Nestle-Verantwortlichen fälschlich in die Nähe der
kolumbianischen Guerilla gerückt worden. Ein solcher Verdacht
sei unter den damaligen Verhältnissen in Kolumbien fast ein
Todesurteil gewesen. Auf einer Pressekonferenz in Berlin
erklärte der Sinaltrainal-Anwalt Leonardo James, dass ein
kolumbianische Richter in dem Prozess gegen zwei Mitarbeiter
des Geheimdienstes auf die Verantwortung von Nestle
hingewiesen habe. Der Jurist sei danach ebenfalls von den
Paramilitärs bedroht worden und musste das Land verlassen.
Der
Sinaltrainal-Vertreter Carlos Olava zitierte bei den
Pressegespräch den Ausspruch eines Paramilitärs, der
bekräftigte, die Gewerkschafter seien systematisch getötet
würden, weil sie der Wirtschaft gefährlich werden könnten.
Tatsächlich habe die Ermordung von Romero und anderen
Gewerkschaftern einen schweren Rückschlag bei den
Organisierungsbemühungen zur Folge gehabt. Die Menschen hätten
danach Angast gehabt, sich überhaupt noch zu organisieren. Olava
sieht auch keinen Widerspruch darin, den juristischen Weg zu
gehen und trotzdem für eine kämpferische Interessenvertretung
einzutreten.
Der Berliner
Rechtsanwalt und ECCHR-Vertreter Wolfgang Kaleck betonte, dass
mit der Anzeige juristisches Neuland betreten werde. Es gebe
aber nicht um ein Medienspektakel. Neben der Aufklärung der
Wahrheit über die Ermordung des Gewerkschafters soll auch die
Verantwortung von Konzernen thematisiert werden. Hier könnte die
Klage eine Türöffnerfunktion bekommen, hofft Kaleck,
žUnternehmen wie Nestle wissen, in welchen Gefahren ihre
Arbeiter schweben, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren
und ihre Rechte als Arbeiter verteidigen. Wenn sie solche
Verbrechen hinnehmen, werden sie zu schweigenden Komplizenœ,
heißt es in einer in der Pressemappe dokumentierten
Stellungnahme. Mittlerweile hat Nestel in einer Pressemitteilung
erklärt, dass der Konzern immer gegen Gewalt eingetreten sei,
lehnte aber jede Verantwortung für den Tod Romeos ab.
Zähmung des Kapitalismus
durch das Recht?
Die Initiative ist schon
deshalb lobenswert, weil den Angehörigen und Freunden Luciano
Romero bisher die juristische Aufarbeitung seiner Ermordung
verweigert wurde. Doch bei vielen der
Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Bestrafung des
Nestles-Konzerns einsetzen, schwingt unverkennbar die Hoffnung
mit, den Kapitalismus mit den Mitteln des Rechts zivilisieren zu
können. An diesem Punkt sollte vor falschen Hoffnungen gewarnt
werden. Recht wird unter kapitalistischen Verhältnissen immer in
erster Linie für die reibungslose Profitmaximierung sorgen.
Trotzdem sollen sich auch linke und klassenkämpferische
Organisationen juristischer Mittel bedienen, ohne zu vergessen,
dass die entscheidenden Schlachten nicht im Gerichtssaal
ausgefochten werden. Diese Zusammenhänge stellte proletarische
Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe immer in den Mittelpunkt
ihrer Agitation gestellt. Damals sollten juristische Mittel den
Klassenkampf unterstützen, nicht aber den Kapitalismus
zivilisieren. Auf der Pressekonferenz zur Nestle-Klage fiel
hingegen kein klassenkämpferisches Wort. Einige der eingeladenen
Vertreter von Nichtregierungsorganisationen stellten den
europäischen Kapitalismus als großes Vorbild hin, dem sie
nacheifern wollten Am Ende wurde noch die absurde These
geäußert, in Deutschland wäre Luciano Romero schon längst Träger
des Bundesverdienstkreuzes. Solche falschen Eingemeindungen hat
der ermoderte Gewerkschafter nun wirklich nicht verdient.
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