Texte
zur antikapitalistischen
Organisations- und Programmdebatte

04/12

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011/12 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle – konkretisieren!
von Bronsteyns Agentur für Augenöffnung und kreative Weltveränderung

Die Forderung nach Verstaatlichung bestimmter Sektoren des Kapitals (Kapitalgruppen) wird in der Linken bereits wieder diskutiert, und das ist gut so.

Verstaatlichungsforderungen haben es aber auch an sich, dass sie (zu Recht) eine große Debatte hervorrufen, nämlich ob Verstaatlichungsforderungen überhaupt sinnvoll sind, denn der Staat unter den heutigen Bedingungen ist immer auch ein kapitalistischer Staat, der letzten Endes immer nur die Interessen der kapitalistischen Klasse zum Ausdruck bringt.

Bloße Verstaatlichung ist bekanntlich noch kein Sozialismus.

Ich halte nichts davon, die Formel „Verstaatlichung“ durch „Vergesellschaftung“ zu ersetzen. Zwar weist „Vergesellschaftung“ implizit auf eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus hin, in der es nur einen „absterbenden Staat“ geben wird, aber diese Etappe der gesellschaftlichen Entwicklung ist noch nicht erreicht. Auf dem Weg zu diesem Ziel liegt eine Kleinigkeit – eine Revolution.

Verstaatlichung macht auch schon im Kapitalismus Sinn, aber nur, wenn sie unter der Kontrolle der Arbeiter stattfindet. Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle – das ist eine nun schon historische Forderung vor allem der trotzkistischen Strömung.

Da ich nicht alle Debatten gleichzeitig in einem Artikel führen kann, gehe ich einfach mal davon aus, dass Verstaatlichung (z.B. der Banken) unter Arbeiterkontrolle für eine essentielle Forderung halte, an der festzuhalten ist. Debatten darüber, ob dem doch nicht so ist, führe ich anderswo.

Mit geht es um diese aus meiner Sicht hochaktuelle Forderung.

Im Rahmen der Occupy-Bewegung ist sie immer wieder hochgekommen.

Die Losung ist richtig, aber noch nicht genügend konkretisiert.

Es gibt zum einen das schlichte semantische Problem, dass viele Arbeiter nicht verstehen, was unter Arbeiterkontrolle eigentlich zu verstehen ist.

Das darunter liegende Problem ist, dass es überhaupt unklar ist, wie Arbeiterkontrolle zu verstehen ist.

Wie soll diese Arbeiterkontrolle ausssehen? Wie wird sie organisiert? Schaut etwa den Betriebsrat der (vom kapitalistischen Staat eingesetzten) Geschäftsleitung „auf die Finger“? Viele Arbeiteraktivisten werden abwinken bei dieser Frage. „Das macht er doch sowieso (nicht)?“ Wird ein eigener Arbeiterrat zu diesem Zweck eingeführt? Wer führt ihn ein? Usw.

Es gibt eine sehr einfache Lösung, die aus meiner Sicht auch jeder Beschäftigte sofort versteht.

Und die lautet:

Wahl der Vorgesetzten durch die Beschäftigten.

Diese Forderung ist viel weniger utopisch als viele spontan denken mögen.

Denn gerade in der Hochtechnologie- und IT-Branche wurde zu den letzten Boom-Zeiten von kapitalistischen Konzernen viel experimentiert. Aus kapitalistischer Sicht steigert das die Identifikation der „Mitarbeiter“ mit ihrem Unternehmen.

Ein Beispiel von vielen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Semco_System

Jetzt in der Krisenphase ist es um solche durchaus erfolgreiche Experimente still geworden, da Vorgesetzte wieder nach dem Kriterium ausgewählt werden müssen, so skrupellos wie möglich die Vorgaben der Unternehmensleitung durchzusetzen. Da ist kein Platz mehr für „Motivation durch Identifikation“, „Humankapital Mitarbeiter“ usw.

Aber unabhängig davon ist das Prinzip der Wählbarkeit der Vorgesetzten eine jedem „Mitarbeiter“ (Arbeiter) leicht zu vermittelnde Idee, ganz grundsätzlich.

Gewiss, dem steht „die Eigentumsfrage“ entgegen.

Denn natürlich hebelt die Wählbarkeit der Vorgesetzten in einem kapitalistischen Betrieb tendenziell die Verfügungsgewalt des kapitalistischen Eigentümers über seine Produktionsmittel aus.

Nun sprechen wir von der Wählbarkeit der Vorgesetzten aber im Zusammenhang mit der Forderung nach Verstaatlichung, zum Beispiel aller Banken.

Der Staat präsentiert sich seinen Bürgern als Vertreter „der Allgemeinheit“, insofern ist Staatsbesitz im Rahmen des bürgerlichen Überbaus Gemeineigentum. Gewiss ist der Staat und sein Apparat in praxi im Kapitalismus immer ein bürgerlicher, ein kapitalistischer Staat, der durch hunderttausende von Fäden eng mit den verschiedenen Fäden der Bourgeosie verbunden ist.

Aber im Bewusstsein der Mehrheit der Bevölkerung ist Staatsbesitz Gemeineigentum. Also, diese Schlussfolgerung aus der bürgerlichen Logik, muss das Gemeineigentum auch im Sinne und Interesse der Gemeinschaft (der Mehrheit der “Staatsbürger”)  verwaltet werden.

Es geht um nichts weniger als um die Frage, wie ein verstaatlichter Betrieb davor bewahrt werden kann, den Manipulationen der Kapitalvertreter im Staatsapparat zum Opfer fallen, indem auch dieser Betrieb im Sinne des Kapitals geführt wird. Diese Frage bis nach der Revolution zu verschieben, ist nicht sinnvoll, denn dann wird sie niemals geschehen. Ohne Mobilisierung der Arbeiterklasse für ihre sozialen Interessen gibt es auch keine Revolution.

Verstaatlichte Betriebe wie privatwirtschaftliche Betriebe werden von Managern geleitet.

Der oder die Eigentümer geben den Managern Vorgaben, Kennzahlen oft, Ziele, die sie erreichen müssen. Management-Lehre ist keine Geheimwissenschaft, sondern eine leicht zu lernende Ansammlung von Methoden. Manager sind es gewohnt, Vorgaben umzusetzen.

Unter kapitalistischen Bedingungen bestehen diese Vorgaben in aller Regel darin, den Profit zu maximieren (das nennt sich dann Rendite).

Aber prinzipiell können es auch andere Vorgaben sein. Zum Beispiel könnte einem verstaatlichten Betrieb (z.B. einer Bank) die Vorgabe gemacht werden, kostendeckend zu arbeiten und beispielsweise zusätzlich noch zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen usw.

Ein guter Manager setzt das alles um.

Es gibt keinen Grund, warum nicht die Beschäftigten selbst diese guten Manager auswählen könnten, fachlich kompetenter dürften sie allemal sein als ein betriebsfremder eingesetzter Manager.

Die dem verstaatlichten Betrieb gemachten Vorgaben müssen natürlich Gegenstand öffentlicher Diskussion sein. Keine Geschäftsgeheimnisse, keine wirtschaftliche Geheimdiplomatie. Ein von der Belegschaft mit Mehrheit gewählter Manager ist logischerweise bestens geeignet, solche (“gemeinwirtschaftlichen”) Vorgaben umzusetzen, jedenfalls besser als jeder von staatlichen Behörden eingesetzte.

Aber ein Betrieb, dessen Vorgesetzte von der Belegschaft gewählt werden, und die wiederum als Manager auf verschiedenen Ebenen öffentlich diskutierte Vorgaben erfüllen müssen, ist im Prinzip der direkten Kontrolle des Staates entzogen.

Die Mitarbeiter des Betriebes selbst sind es, die über die Einhaltung der Vorgaben wachen.

Die Forderung müsste also lauten:

Verstaatlichung (der Banken o.a.) unter Kontrolle der Arbeiter/Beschäftigten, umgesetzt durch die Wählbarkeit und jederzeitige Abrufbarkeit aller Vorgesetzten auf allen Hierarchie-Ebenen.

Die Unternehmensziele des verstaatlichten Betriebes müssen bei transparenten Geschäftsbüchern einem öffentlichen Diskurs unterliegen.

Manche mögen stutzen bei dieser Forderung.

Gewiss ist die Forderung nach Wählbarkeit der Vorgesetzten in zerfallenden Armeen (z.B. im Rahmen der russischen Revolution) in Erinnerung.

Hier löste sich das starre Stabliniensystem einer repressiven Armee in die Soldatenräte auf.

Warum gab es nicht früher schon solche Forderungen auch für (vor allem verstaatlichte) Betriebe?

Es ist einfach zu beantworten: Weil die fachliche Hierarchisierung etwa zwischen Handarbeiter und Ingenieur eine solche Vorstellung nicht zuliess.

Das hat sich in heutigen Großunternehmen, und in Banken allzumal, längst geändert.

Von den Eigentümern eingesetzte Vorgesetzte sind ihren Untergebenen in aller Regel fachlich nicht überlegen, sondern unterlegen.

Die viel gerühmten Management-Methoden, so sie nützlich sind, sind sie auch leicht erlernbar, durch die Mehrheit der Beschäftigten.

Die vorgestellte Losung hat noch einen weiteren gewaltigen Vorteil.

Sie vermittelt nämlich eine Sozialismuskonzeption, die so gar nichts zu tun hat mit den stalinistischen Schreckgespenstern, die die bürgerliche Propaganda so liebt.

Wählbarkeit der Vorgesetzten – das gab es noch nicht einmal in der DDR und wäre dort auch kaum vorstellbar gewesen.

Aber in einem High-Tech-Sektor wie den Banken ist die Wählbarkeit der Vorgesetzten allein schon aus fachlichen Gründen naheliegend.

Die Losung in dieser Form bietet also die Möglichkeit, das Ohr der Masse der einfachen Beschäftigten zu erreichen, die sich (noch) gar nicht groß mit Politik und ihren Kompliziertheiten beschäftigen wollen.

Wählbarkeit der Vorgesetzten – das ist ein Thema, das fast jedem Lohnabhängigen nahe geht, der dann an seine eigenen Vorgesetzten in seinem persönlichen Leben denkt und sich fragt, ob das alles nicht anders viel besser laufen würde.

Editorische Hinweise

 Erstveröffentlicht wurde der Artikel auf der Website des Autors. Zweitveröffentlicht im SIB-Blog, wo er breit diskutiert wird.