Kapitalismus heißt immer Krise!
Seit dem Jahr 1890 kämpfen die Arbeiter_innen auf der ganzen Welt am ersten Mai für bessere Lebensbedingungen und gegen die kapitalistische Ausbeutung. Ausschlaggebend für dieses Datum waren die Streiks um den Achtstundentag in den USA, bei denen Streikende in Chicago von der Polizei erschossen und mehrere Anarchist_innen hingerichtet wurden. Nachdem es im vergangenen Jahr seit Langem wieder eine antikapitalistische Erste Mai Demonstration in Rosenheim gegeben hat, wollen wir auch 2011 den Kampf um die Erfüllung der Bedürfnisse der Einzelnen und für ein selbstbestimmtes Leben auf die Straßen der oberbayerischen Provinzstadt tragen. Gründe dafür gibt es mehr als genug: Die herrschende Klasse will uns weismachen, die Krise sei vorbei. Doch für viele Menschen bedeutet der Kapitalismus eine alltägliche Krise: Prekäre Arbeitsverhältnisse und Leiharbeit steigen ständig. So sind bundesweit bereits 37,1 % der Arbeitsverhältnisse sogenannte „Atypische Beschäftigungsverhältnisse“, in der Stadt Rosenheim liegt ihr Anteil sogar bei 42,0 %. Durch das 80 Milliarden Euro schwere schwarz-gelbe Sparpaket, das besonders Lohnabhängige und Arbeitslose trifft, verschärft sich die Lage für viele Menschen weiter. HartzIV Empfänger_innen wird der Rentenzuschlag gestrichen und faktisch auch das Elterngeld. Auch für alle Übrigen wurde dieses gekürzt. Ebenfalls gestrichen wurde der Heizkostenzuschlag für Wohngeldempfänger_innen. In Rosenheim betrifft das über 1100 Haushalte, deren Einkommen so niedrig ist, dass sie zusätzlich Wohngeld beziehen müssen. Weiter wurde die Finanzierung für das Projekt „Soziale Stadt“ bundesweit gestrichen. Und auch in der Krankenversicherung bekommen die abhängig Beschäftigten einen ordentlichen Schlag ins Gesicht: Gesundheitsminister Rösler, das angeblich so smarte, neue Gesicht der FDP, hat zum 01.01.2011 nicht nur den Arbeitgeber-Anteil eingefroren, sondern auch den Zusatzbeitrag für Versicherte vollkommen entgrenzt. Dieser könnte nach Hochrechnungen von VerDi bis 2020 auf 72,-€ pro Person steigen, womit der Einstieg in eine Kopfpauschale jetzt endgültig geschafft ist. Die Umverteilung von Unten nach Oben nimmt immer weiter zu und es zeigt sich, wer für die Krise zahlen soll: Diejenigen, deren Leben dadurch geprägt ist, dass sie keine andere Ware als ihre eigene Arbeitskraft verkaufen können.
We don’t need no education!
Emanzipatorische Bildung könnte
für Menschen der Schlüssel sein, die gesellschaftlichen und
natürlichen Abläufe in der Welt zu verstehen und sie mit
diesem Wissen auch zum Besseren verändern zu können. Doch die
kapitalistische Bildung dient bereits in der Schulzeit
vorrangig dazu, die Menschen so zuzurichten, dass ihre
Arbeitskraft möglichst effizient ausgebeutet werden kann.
Dieser Prozess muss zwangsweise durchlaufen werden
(Schulpflicht) und wurde mit der Einführung von G8 und
BA/MA-Abschlüssen im Studium jüngst nochmals erheblich
intensiviert. Das mehrgliedrige Schulsystem muss dabei vor dem
historischen Hintergrund der Ständegesellschaft betrachtet
werden. Heute teilt es die Menschen schon frühzeitig in
unterschiedliche Verwertungsklassen ein. Im Alter von zehn
Jahren werden mit der Zuweisung in Gymnasium, Real- und
Hauptschule die biographischen Chancen der Kinder vorsortiert
und für ganze Lebenswege entweder die Tore geöffnet oder eben
verbaut. Daneben existiert mit der „Sonderschule“ eine
Restkategorie, in die „unpassende“ junge Menschen abgeschoben
und für einfachste Tätigkeiten zugerichtet werden.
Die Zuteilung auf die unterschiedlichen Schulformen folgt
dabei der Bewertung durch Noten. Diese Bewertung kann dabei
weder den Anspruch der Objektivität erfüllen, noch sagt sie
etwas über die individuell angeeigneten Fähigkeiten aus. Der
Leistungsdruck, der durch die Vergabe von Zensuren entsteht,
behindert nicht nur den Erwerb von Fertigkeiten und
Interessen. Er verhindert auch den Erwerb von sozialen
Kompetenzen im Sinne eines solidarischen Zusammenlebens indem
Schüler_innen in Konkurrenz gedrängt werden.
Die schulische Selektion entspricht einer
gesamtgesellschaftlichen. Dabei werden auch rassistische und
sozialchauvinistische Rollenbilder reproduziert. Einschlägige
Studien belegen, dass Kinder von Migrant_innen und Armen
seltener auf Gymnasien zu finden sind, selbst wenn sie genauso
viel können wie Kinder aus bürgerlichem Haus. Das geht so
weit, dass selbst bei gleichen Noten den Eltern des einen
Kindes das Gymnasium, den anderen Eltern die Haupt- oder
Realschule empfohlen wird. Aber die Unzulänglichkeiten sind
noch tiefer gehend: An keiner einzigen Stelle im
Bildungssystem wird die Frage aufgeworfen, was ein junger
Mensch braucht, um eine Fähigkeit zu erlernen. Stattdessen
werden Vorgaben gemacht, was er können soll und wie er es zu
erlernen hat. Am Beispiel von Sprachen und Sprachlernen wird
dies deutlich: So wird das mehrsprachige Aufwachsen von
Kindern migrantischer Eltern meist nicht als eine Ressource
wahrgenommen und individuell gefördert, sondern als Defizit,
als Normabweichung vom „Deutschen“ umgewertet. Das kann schon
im Kindergarten zu Stigmatisierung und Segregation in Form von
„Sprachlerngruppen“ führen. Mit diesen wird bereits
Vierjährigen eindrucksvoll vor Augen geführt, was in dieser
Gesellschaft „normal“ ist und was als abweichend und fremd zu
gelten hat.
„Eltern wissen am besten, was für ihre Kinder gut ist“ klingt
eigentlich wie ein bürgerlicher Grundsatz, der an anderer
Stelle durchaus zu hinterfragen wäre. Anwendung findet er
jedenfalls keine, wenn es sich – wie gezeigt – um Kinder von
Migrant_innen oder um Kinder von ALG II Empfänger_innen
handelt. Um das zu verdeutlichen müssen wir ein wenig
ausholen: 2010 wurde die Berechnung der Hartz IV-Leistungen
für verfassungswidrig befunden. Sämtliche Sozialverbände sahen
gerade die Regelleistungen für Kinder für viel zu niedrig an,
weil es seit der Einführung von Hartz IV zu einer massiven
Ausweitung der Kinderarmut in Deutschland gekommen ist. Wir
hatten damals schon die Befürchtung geäußert, dass die
Regierung die Neuberechnungen beim ALG II zu einer Kürzung der
Leistung nutzen könnte. Und dieses hat sie auf die schäbigste
Art und Weise getan: Während die Erwachsenen-Bezüge um
lächerliche fünf Euro angehoben wurden, wurden die Regelsätze
für Kinder als „zu hoch“ befunden. Demnach erhalten
Jugendliche bis zu achtzehn Jahren 12,-€ und Kinder bis zu
vierzehn Jahren 10,-€ zuviel, obwohl sie schon jetzt als arm
gelten müssen. Eine sofortige Kürzung ihrer Leistungen hat die
Bundesregierung nicht gewagt, sondern wird diese in den
nächsten Jahren einfach nicht erhöhen, egal wie stark die
Preise steigen werden. Hinzu kommt, dass jungen Eltern das
Elterngeld neuerdings voll auf das ALG II angerechnet, also
faktisch gestrichen, wird. Kinderarmut wird damit in
Deutschland nicht nur zementiert, sondern bewusst von der
Regierung verschärft! Daran ändert erst recht das so genannte
„Bildungspaket“ nichts. Und zwar nicht nur, weil es viel zu
wenig und das Antragsverfahren absolut ungeeignet ist: Bislang
haben noch nicht einmal 3% der Anspruchsberechtigten einen
Antrag gestellt. Sondern auch, weil damit einmal mehr das
Sachleistungsprinzip in der Sozialhilfe praktiziert wird:
Statt dem benötigten Geld in der Haushaltskasse erhalten die
Familien unbrauchbare „Bildungsgutscheine“. Eine solche
Entmündigung wurde bislang auf breiter Front nur an
Flüchtlingen praktiziert, denen in Bayern ein Leben in
lagerartigen „Gemeinschaftsunterkünften“ und eine Ernährung
mit Essenspaketen verordnet wird. Wir verabscheuen dieses
Sachleistungsprinzip: Deshalb unterstützen wir Flüchtlinge,
junge Familien und alle anderen in ihren Kämpfen gegen
derartige Entmündigung!
Ebenso lehnen wir die Tendenz zur Privatisierung im
Bildungsbereich wie im Allgemeinen ab: Nehmen wir als Beispiel
die Privatschule Dr. Kalscheuer in Rosenheim. Für gut Betuchte
bietet diese eine Möglichkeit, ihren Sprösslingen einen
mittleren Schulabschluss zu vermitteltn, auch wenn dieser an
Regelschulen in aussichtslose Ferne gerückt ist. Ein
Tarifvertrag für das angestellte Lehrpersonal existiert in
diesem wirtschaftlich rentablen Betrieb nicht. Die
Kolleg_innen werden deshalb um Klassen schlechter vergütet als
Lehrkräfte im Beamtenverhältnis. Doch auch diesen will der
Freistaat – trotz des schlechten Tarifabschlusses im
öffentlichen Dienst der Länder – eine Nullrunde verordnen. In
beiden Fällen möchten wir die Betroffenen deshalb anregen zu
streiken! Denn die Arbeitsverhältnisse für Lehrkräfte sind
miserabel genug. Das Bildungssystem zwingt sie, eine
autoritäre Rolle einzunehmen und der – angesichts ihrer
frustrierenden Lage berechtigte – Zorn der Schüler_innen
entlädt sich meist nicht an den gesellschaftlichen
Verhältnissen oder der kapitalistischen Produktionsweise,
sondern an ihren Lehrer_innen, die scheinbar stellvertretend
für diese stehen. So wird die Schule zu einem grausamen Ort
voll gegenseitiger Demütigungen und Verletzungen.
Armut und Niedriglöhne sind auch in den genannten
Zusammenhängen keineswegs gleichmäßig auf die Geschlechter
verteilt: Von Hartz IV sind vor allem Ein-Eltern-Familien
betroffen und das sind in den derzeitigen gesellschaftlichen
Verhältnissen in aller Regel alleinerziehende Mütter. Die
Vergütung im pädagogischen Bereich ist absteigend vom
Gymnasiallehramt zur Kindertagesstätte umso schlechter, je
jünger die Kinder sind, bzw. je schlechter ihre soziale
Ausgangslage ist. Das widerspricht einerseits der Tatsache,
dass die pädagogischen Anforderungen umso höher sind, je
schlechter derzeit bezahlt wird. Andererseits werden gerade
die schlechter bezahlten Tätigkeiten umso häufiger von Frauen
ausgeübt.
Mit „We don´t need no education“ wollen wir unsere Ablehnung
der derzeitigen institutionalisierten Abrichtung in Schulen
ausdrücken. Diese ist nicht mit Bildung zu verwechseln, die
Pädagog_innen und Schüler_innen als gleichberechtigte
Partner_innen ansieht. Beide sollten vielmehr beteiligt sein
an einem kooperativen und selbstbestimmten Bildungsprozess.
Dieser baut auf individuellen Interessen auf und soll soziales
und solidarisches Handeln sowie die Fähigkeit zur Selbst- wie
auch Mitbestimmung entwickeln helfen.
We need social revolution!
Der Kapitalismus basiert auf
Klassenunterschieden und teilt uns bereits im Schulalter in
arm und reich. Aber nicht nur das: er wird unter anderem
weiter verfestigt durch Rassismus, die Einteilung in
Geschlechter und Nationalitäten und staatlich legitimierter
Herrschaft von Menschen über Menschen. So kommt es, dass wir –
selbst dicht an dicht in Wohnblöcken und Reihenhäusern –
isoliert sind und unserer Solidarität beraubt werden. Die
Solidarität, die uns fehlt, um für ein besseres,
selbsbestimmtes Leben kämpfen zu können. Wir müssen die
Grenzen, die wir zwischen uns aufbauen, überwinden, auch in
unseren politischen Kämpfen. So wichtig die verschiedenen
einzelnen Themen sind, egal ob Arbeitskämpfe, Bildungspolitik,
Anti-Atom-Proteste oder Flüchtlingssolidarität – unser
Widerstand darf sich dabei nicht auf einzelne Bereiche
beschränken, sondern muss sich gegen den Kapitalismus als
Ganzes richten. Wir wollen weder ein nur ein Stück vom Kuchen
noch eine Textausschnitt aus einem Buch. Wir wollen die ganze
Bäckerei und die komplette Bibliothek! Wir wollen nicht nur
Faire Löhne, Gute Arbeit und Soziale Sicherheit, sondern
meinen:
Soziale Revolution, das ist das Mindeste!