Deutsche Zustände III
Dokumente aus den Zonen der Rechtlosigkeit

von Peter Nowak

04/10

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Am 21. August 2009 erhängte sich der 26 Jahre alte Mahmud O. in der Einzelzelle der JVA Nürnberg. Der irakische Flüchtling war wegen Bedrohung eines Landesmannes verhaftet worden, obwohl er wegen psychischer Probleme in Behandlung war.

Am 24. August 2009 stirbt die 32jährige Libanesin A. T. im sächsischen Mittweida, nachdem sie eine große Menge Medikamente geschluckt hat. Zuvor hatte die Mutter von zwei Kindern die Mitarbeiter der Ausländerbehörde vergeblich angefleht, auf den geplanten Zwangsumzug der Familie aus dem Flüchtlingsheim Frankenau ins abgelegene Mobendorf zu verzichten. Noch während die Frau im Krankenhaus mit dem Tode rang, wurde der Ehemann von den BehördenvertreterInnen angewiesen, den Umzug fortzusetzen.

Diese zwei Flüchtlingsschicksale aus dem Jahr 2009 wurden in der kürzlich erschienenen 17. Auflage der Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ aufgenommen.

Seit 1993 gibt die Antirassistische Initiative Berlin (ARI) den jährlich aktualisierten Report heraus, der die verschiedenen Formen von Gewalt, Verletzungen und Diskriminierungen gegen Flüchtlinge recherchiert und auflistet.
Durch staatliche Maßnahmen kamen seit 1993 mindestens 378 Flüchtlinge ums Leben –
durch rassistische Übergriffe und Brände in Flüchtlingsunterkünften starben 82 Menschen.

Lag in den ersten Jahren der Schwerpunkt auf rechter Gewalt gegen Flüchtlinge lag, überwiegen jetzt die Berichte über die Folgen der deutschen Asylpolitik. So sind im letzten Jahr 25 Suizidversuche von Flüchtlingen aus Angst vor einer drohenden Abschiebung dokumentiert. Die Unterbringung in Lagern, das Verbot, zu arbeiten und ohne Genehmigung den zugewiesenen Landkreis zu verlassen, haben einen wesentlichen Anteil an Verzweiflungstaten der Flüchtlinge, heißt es in der ARI-Dokumentation. Eine zusätzliche Belastung sind die in den letzten Jahren sprunghaft angestiegenen Asyl-Widerrufverfahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Zwischen 2003 und 2009 gab es 62385 Fälle, die meistens mit einer politischen Neueinschätzung der Herkunftsländer der Flüchtlinge verbunden ist. Ebenfalls gestiegen ist die Zahl von minderjährigen Flüchtlingen in Abschiebehaft. Allein in Berlin sind für das letzte Jahr 9 Fälle dokumentiert.

ARI-Sprecherin Elke Schmidt vermutet eine noch höhere Dunkelziffer bei der Gewalt gegen Flüchtlinge. „Von einigen Bereichen, in denen es sich bundesdeutsche Flüchtlingspolitik abspielt, haben wir kaum Informationen“, betont Schmidt. Dazu zählen viele Abschiebegefängnisse, aber auch der Transitbereich von Flughäfen, wo Flüchtlinge an der Einreise gehindert werden.

Die alljährlich erweiterte Dokumentation der ARI gibt mehr Auskunft über die demokratische Gesellschaft als die Sonntagsreden vieler Politiker zusammen. Mitten in der Gesellschaft werden Menschen zentrale Rechte vorenthalten, nur weil sie keinen deutschen Pass haben. Sie können ihre Wohnung nicht frei wählen und haben auch kein Recht auf freie Mobilität.

Verurteilt - freigesprochen

Nur eine kleine Meldung im Lokalteil der Frankfurter Rundschau vermeldete, dass in Hessen in diesen Tagen ein Psychologe zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er einem Flüchtling in einem Gutachten bescheinigt hat, wegen einer posttraumatischen Störung nicht reisefähig zu sein. Die Richter waren der Ansicht, er habe den Menschen nicht gründlich genug untersucht. Ein 82jähriger Psychiater wurde hingegen Mitte April freigesprochen. Er hatte den 30jährigen Kurden Mustafa Alcali für gesund und damit fit genug für die Abschiebung erklärt. Alcali hatte sich kurz danach in Abschiebehaft das Leben genommen. Die Ärzte in einer Hanauer Klinik hatten die Gefahr des Freitods erkannt und das auch in einem Kurzbrief geschrieben. Doch für den psychiatrischen Kreis, der noch mit über 80er aktiv ist, um Deutschland vor Flüchtlingen zu schützen, interessierte sich nicht dafür. Er bezeichnete die Warnung der Hanauer Ärzte als Gefälligkeitsgutachten.

Im Dezember 2009 wurden vom Amtsgericht Nürnberg hingegen ein Arzt und ein Pfleger vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Beide waren der fahrlässigen Tötung angeklagt worden, weil sie sich zunächst mit telefonischen Ratschlägen begnügt hatten, als sich der 23jährige armenische Flüchtling David Sargarian die Pulsadern aufgeschnitten hatte und den Notruf ausgelöst hat. Bevor schließlich eine medizinische Hilfe eintraf, war der junge Mann verblutet. In der 16ten Folge der Dokumentation hatte die ARI auch über diesen Fall berichtet. In der aktuellen Folge ist mit Mahmud O. erneut ist aus der JVA Nürnberg erneut der Suizid eines Flüchtlings notiert.
Es ist gut, dass es eine Initiative gibt, die die deutschen Zustände dokumentieren. Mehr ist leider heute kaum möglich, weil es eine angemessen Kritik und Praxis gegen die deutschen Verhältnisse heute nicht gibt.

Infos zur Dokumentation im Netz gibt es unter:
http://www.ari-berlin.org/doku/Beispiele_aus_der_ARI-Dokumentation.pdf

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Vom Autor siehe auch