Peter Trotzig
Kommentare zum Zeitgeschehen

Eins, zwei, drei und vier … Arbeitsplätze wollen wir!“ Wirklich??

04/10

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Solche Parolen drücken – ob gewollt oder nicht - ein gemeinsames Interesse von Lohnarbeit und Kapital aus. Denn wer wollte allen Ernstes leugnen, dass das Kapital keine Arbeitsplätze will, nämlich möglichst viele profitable Arbeitsplätze? Dass sich unprofitable Arbeitsplätze nicht halten lassen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das allgemeine Verlangen nach Arbeitsplätzen eröffnet jedenfalls ungeahnte Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Lohnarbeit und Kapital und steht quer zu allen Versuchen, die sozialen Interessen der Lohnabhängigen denen des Kapitals entgegen zu stellen und dafür zu kämpfen. Doch schauen wir etwas näher hin.

Kleine (ideologische) Ursache ...

Die bürgerlichen Meinungsforschungsinstitute haben in Umfragen festgestellt, dass existentielle Unsicherheit immer mehr Menschen bedrückt. Selbst relativ gut verdienende Lohnabhängige machten sich „Sorgen um ihren Arbeitsplatz.“

Weil das so ist, überbietet sich Politik, auch linke Politik und gewerkschaftliche Politik, mit praktischen Vorschlägen für und dem Verlangen nach Erhalt und Vermehrung von Lohnarbeitsplätzen.

Was jedoch bedrückt die Menschen wirklich? Es ist die Sorge um ihre Lohneinkommen, die Sorge, vielleicht bald nur noch soviel Geld zu haben, dass es kaum zum Leben reicht. Würde man LohnarbeiterInnen die Frage vorlegen:

Sind sie bereit, auf ihren Arbeitsplatz zu verzichten, wenn sie weiterhin die gleiche Summe Geld erhielten?“

so würden wahrscheinlich 80 bis 90 Prozent antworten:

Aber gern doch, meinen Arbeitsplatz schenke ich Ihnen!“

Beim letzten Opel-Streik wurde vor laufender Kamera versehentlich einem Kollegen das Mikrofon unter die Nase gehalten, mit der Frage, wie denn die Arbeit drinnen so sei. Der schaute den Reporter entgeistert an und sagte sinngemäß nur:

Ja dann gehen Sie doch mal rein, in dieses Irrenhaus!“

So denken viele LohnarbeiterInnen zu Recht über ihre Arbeit und „ihren“ Arbeitsplatz. Es ist nichts, worüber man sich freuen, an dem man hängen könnte; zu beschissen ist oft die Arbeit und sind meistens die Bedingungen, unter denen sie ausgeführt werden muss. Zu sozialer Isolierung und mangelnder Anerkennung führt das Fehlen eines Arbeitsplatzes nur, wenn man von dem geringen Arbeitslosengeld I oder gar II leben muss. Die Reichen und Superreichen erleiden auch ohne Arbeitsplatz in dieser Gesellschaft in der Regel weder soziale Isolation noch mangelnde Anerkennung. In der kapitalistischen Gesellschaft hängt eben der soziale Status eines Menschen an der Menge des Geldes, über das er verfügen kann … auf keinen Fall am Besitz eines „eigenen“ Arbeitsplatzes!

Was also die Leute wirklich bedrückt, was ihre Existenzsorgen im Kapitalismus ausmacht, ist der drohende Verlust des Geldeinkommens, nicht der Verlust „ihres“ Arbeitsplatzes. Die Sorge um den „eigenen“ Arbeitsplatz ist die interessierte Verdolmetschung der Sorge um das Geldeinkommen. Es handelt sich um eine bürgerliche Sprachregelung! Wer dieser Sprachregelung einmal auf den Leim gegangen ist (das ist zweifellos die Mehrheit nicht nur der LohnarbeiterInnen, sondern auch der linken Agitatoren), der braucht nur noch einen kleinen Schritt zu gehen, um den Existenzsorgen durch Lohnabhängigkeit mit dem Kampf für (Lohn-)Arbeitsplätze zu begegnen.

Große (praktische) Wirkung …

Je höher die Arbeitsproduktivität in dieser Gesellschaft (durch Einsatz von Maschinerie, Wissenschaft und Technik), je schärfer die Krisen der Kapitalakkumulation, desto unsicherer die Einkommen von LohnarbeiterInnen. Das Kapital selbst sorgt dafür, dass das Angebot an Ware Arbeitskraft die Nachfrage übersteigt. Um sich greifende Lohnarbeitslosigkeit ist die Folge. Die LohnarbeiterInnen verlieren nicht etwa „ihren“ Arbeitsplatz, der hat ihnen nämlich nie gehört (weder das Stückchen Fabrik oder Büro in dem sie arbeiten, noch die sachlichen Mittel, mit deren Hilfe sie die Arbeit verrichten!), sondern ihre Arbeitskraft wird nicht mehr nachgefragt, also auch nicht gekauft!

Es ist vielmehr das Kapital , das profitable Arbeitsplätze, die ihm gehören, verliert. Es verliert diese Arbeitsplätze, weil sie gar nicht mehr profitabel oder nicht mehr profitabel genug sind.

Das Kapital schafft und erhält nur solche Arbeitsplätze, die seinen Profit mehren. Wer sozialen Widerstand gegen das Kapital unter der zentralen Parole „Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen“ stellen will, den hat das Kapital da, wo es ihn haben will! ... und es geht fortan hauptsächlich darum, zu wie viel Verzicht und Einschränkung man denn bereit ist, um profitable Arbeitsplätze für das Kapital zu schaffen und zu sichern.

Nicht der Verlust eines „eigenen“ Arbeitsplatzes ist Ursache des Verlustes von Lohneinkommen, sondern die rückläufige Nachfrage des Kapitals nach Ware Arbeitskraft (nichts anderes nämlich können Lohnabhängige in dieser famosen Gesellschaft ihr Eigen am „Produktivvermögen“ dieser Gesellschaft nennen)!

Das interessiert aber beispielsweise von sozialdemokratischem Geist benommene GewerkschafterInnen schon lange nicht mehr. Sie kämpfen um Erhalt und Schaffung „unserer“ (Lohn-)Arbeitsplätzen. Und je prekärer die Situation von Lohnabhängigen, umso mehr treten andere Fragen in den Hintergrund und bestimmt der K(r)ampf um Lohnarbeitsplätze das Geschehen. Begleitet wird das Getöse vielfach von einer linken Kritik, die den Gewerkschaften vorwirft, nicht konsequent genug für den Erhalt von (Lohn-)Arbeitsplätzen zu kämpfen.

Ob Tarifauseinandersetzung oder Betriebsratswahlen, überall und immer geht es um zu erstreitende „sichere“ Lohnarbeitsplätze. „Kluge“ gewerkschaftsnahe Ökonomen, wollen solche Arbeitsplätze durch stärkere Kaufkraft auf Seiten der Lohnabhängigen (Nachfrage beleben) herbei zaubern. Die Gewerkschaftsfunktionäre selbst beklagen das „Missmanagement“ in den Unternehmen. (Warum eigentlich wechseln sie nicht offen die Seite, werden einfach alle Manager und zeigen uns, wie es geht?) Unten, an der Basis, kommt dann schon mal was anderes dabei 'rum. Mir liegen Wahlprogramme zu Betriebsratswahlen vor, in denen es kurz und knapp heißt:

Es gibt nichts mehr zu verteilen! Es geht um den Erhalt unserer Arbeitsplätze!“ So gesehen könnte man auch gleich einpacken. Verzicht ist angesagt, damit die Arbeitsplätze des Kapitals erhalten bleiben. Die praktische Politik der Gewerkschaften, auch in den jetzt abgeschossenen Tarifauseinandersetzungen, hat das schon längst zu ihrer Maxime gemacht. Der ganze K(r)ampf um Lohnarbeitsplätze hat vor allem ein Resultat, eine große Wirkung, dass nämlich der Klassenkampf um Forderungen, die einen Sinn machen, nicht oder schlecht geführt wird und die Klasse der Lohnabhängigen Stück für Stück Verlust erleidet.

Merke:

Sobald daher die Arbeiter hinter das Geheimnis kommen, wie es angeht, daß im selben Maß, wie sie mehr arbeiten, mehr fremden Reichtum produzieren und die Produktivkraft ihrer Arbeit wächst, sogar ihre Funktion als Verwertungsmittel des Kapitals immer prekärer für sie wird; sobald sie entdecken, daß der Intensitätsgrad der Konkurrenz unter ihnen selbst ganz und gar von dem Druck der relativen Übervölkerung abhängt; sobald sie daher durch Trade's Unions usw. eine planmäßige Zusammenwirkung zwischen den Beschäftigten und Unbeschäftigten zu organisieren suchen, um die ruinierenden Folgen jenes Naturgesetzes der kapitalistischen Produktion auf ihre Klasse zu brechen oder zu schwächen, zetert das Kapital und sein Sykophant, der politische Ökonom, über Verletzung des "ewigen" und sozusagen "heiligen" Gesetzes der Nachfrage und Zufuhr. Jeder Zusammenhalt zwischen den Beschäftigten und Unbeschäftigten stört nämlich das "reine" Spiel jenes Gesetzes.“

Marx, Kapital Bd. 1, S. 669,670

Was hätten unsere heutigen „Trade Unions“ je mit einem „planmäßigen Zusammenwirken zwischen Beschäftigten und Unbeschäftigten“ zu tun gehabt? Nichts, buchstäblich nichts! Das u.a. macht ihre Anerkennung im System aus, wie die Ohnmacht der Klasse der LohnarbeiterInnen! Man ist zu sehr dem „ökonomischen Sachverstand“ verpflichtet, als dass man durch den „Zusammenhalt zwischen Beschäftigten und Unbeschäftigten das 'reine' Spiel“ von Nachfrage und Zufuhr stören möchte.

Ohne diesen Zusammenhalt sind die LohnarbeiterInnen zum Verzicht auf der ganzen Linie verurteilt, umso mehr, je mehr die industrielle Reservearmee des Kapitals sich verfestigt und anschwillt.

Ziele, die Sinn machen

Lohnarbeitslosigkeit ist das unvermeidliche Produkt von kapitalistischer Produktion und Akkumulation. Der Erhalt jedes Arbeitsplatzes, den sich das Kapital schafft und für dessen profitable Nutzung es die Ware Arbeitskraft braucht, ist weder sinnvoll noch wünschenswert. Es handelt sich auch nicht um ein realistisches Ziel, das etwa für gesicherte Geldeinkommen sorgen könnte, sondern führt in die perspektiv- und ausweglose Sackgasse ständigen Verzichts.

Realistische und sinnvolle Ziele für die Klasse der Lohnabhängigen, zur Abschwächung ihrer Spaltung und zur Linderung der sozialen Folgen von Lohnarbeitslosigkeit könnten sein:

Streichung von Hartz IV, Erhöhung des Arbeitslosengeldes und Auszahlung während der gesamten Dauer der Arbeitslosigkeit. Finanzierung der Arbeitslosenversicherung allein aus Beiträgen des Kapitals. Unterstellung der Arbeitslosenversicherung unter Selbstverwaltung.

Solange ein Kampf für solche sozialen Ziele nicht von erheblichen Teilen der Klasse geführt wird, stirbt jede Belegschaft unvermeidlich für sich allein und die Lebensbedingungen der Lohnarbeitslosen, wie der Beschäftigten wird zunehmend schlechter. Es bleibt dann in der Tat nur der mehr oder weniger aussichtslose K(r)ampf um jeden Lohnarbeitsplatz auf Betriebsebene. Was dabei herauskommen kann, hängt immer von den konkreten Umständen der Pleite oder „Restrukturierungen“ des Kapitals ab.

Macht ein Unternehmen große Gewinne und plant Entlassungen, um diese weiter zu vergrößern, so könnte ein Streik und die Besetzung des Betriebes das verhindern.

Steht der Laden vor dem aus, dürfte ein Streik gegen Entlassungen kaum diese Entlassungen verhindern. Es blieben 2 Alternativen:

  • Ein neuer Investor tritt auf den Plan und es geht um die Konditionen, zu denen die Belegschaft oder Teile davon weiter beschäftigt werden. Viel Stoff für Auseinandersetzungen um den abverlangten Verzicht.

  • Im Falle einer endgültigen Schließung käme nur noch „ein großer Sprung nach vorn“, die Gründung einer Produktivgenossenschaft zur Fortführung der Produktion, ggf. auch mit anderen Produkten, in Frage.

In jedem Fall aber lösen solche betrieblichen Kämpfe nicht die Probleme, die sich den Lohnabhängigen insgesamt stellen. Da helfen nur soziale Ziele, die die Konkurrenz unter ihnen abschwächen und auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen aller Lohnabhängigen abzielen, seien es soziale Reformziele gegen die Folgen der kapitalistischen Produktionsweise oder seien es Ziele, deren Durchsetzung eine soziale Revolution zur Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise einleiten würden.

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.