Perzeption
[lat] - eigtl: Wahrnehmung. |
Im engeren Sinne derjenige Teilprozeß der Wahrnehmung, in
dem die durch die Sinnesorgane aufgenommenen Informationen
den Projektionszentren des Großhirns übermittelt werden,
aber durch die Apperzeption noch nicht derjenige Teil der
Informationen ausgewählt ist, der ins Bewußtsein tritt. Nach
ARISTOTELES hat alles Denken und Wissen seinen Ursprung in
der Perzeption, womit er der Ansicht PLATONS von der
Existenz eingeborener Ideen entgegentritt. Mit dem Aufkommen
des Sensualismus LOCKES, BERKELEYS und anderer rückte die
Perzeption in neuerer Zeit abermals in den Mittelpunkt des
Interesses. Im Kampf gegen die Annahme eingeborener Ideen
durch den Rationalismus (DESCARTES,
Cambridger Schule), deren Vorhandensein oftmals mit dem
Argument verteidigt wurde, sie existierten unbewußt,
bestreitet LOCKE die Existenz unbewußter, außerhalb des
Bewußtseins verbleibender Perzeptionen: |
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Alles Wahrgenommene gelange ins Bewußtsein; der Umfang des
Bewußten sei - weil die Seele als «tabula rasa» angenommen
wird - identisch mit der Gesamtheit der Perzeptionen. HUME und
BERKELEY teilen diesen Standpunkt. HUME versteht unter
«perceptions» Bewußtseinsinhalte schlechthin, und für BERKELEY
bedeutet perzipieren, eine Vorstellung unmittelbar erleben.
LEIBNIZ unterscheidet - im Kampf sowohl gegen den englischen
Sensualismus als auch gegen den Cartesianismus - als erster
von den Perzeptionen die Apperzeptionen. Im Zusammenhang mit
seiner
Lehre vom Stufenreich der Monaden, die durch den Grad
an Klarheit und Deutlichkeit ihrer Vorstellungen geordnet
sind, schuf er den Begriff der unbewußten Wahrnehmungen oder
Vorstellungen (petites oder insensibles perceptions), deren
Bereich er für wesentlich größer hielt als den Bereich
derjenigen Perzeptionen, die durch Apperzeption ins Bewußtsein
gelangen. Diese Entdeckung LEIBNIZ' negierte die für den
Rationalismus und Empirismus bis dahin gleichermaßen gültige
These, daß der Geist nur so viel in sich enthalte, als im
Selbstbewußtsein enthalten sei, und nahm die in der späteren
Psychologie gewonnene Erkenntnis von der Existenz unbewußter
psychischer Vorgänge vorweg: «Übrigens gibt es gar viele
Anzeichen, aus denen wir schließen müssen, daß es in jedem
Augenblick in uns eine unendliche Menge von Perzeptionen ohne
bewußte Wahrnehmung und Reflexion gibt, d.h. Veränderungen in
der Seele selbst, deren wir uns nicht bewußt werden, weil
diese Eindrücke entweder zu gering und zu zahlreich oder zu
gleichförmig sind, so daß sie im einzelnen keine hinreichenden
Unterscheidungsmerkmale aufweisen. Nichtsdestoweniger können
sie zusammen mit anderen ihre Wirkung tun und sich insgesamt
wenigstens in verworrener Weise zur Wahrnehmung bringen. So
führt die Gewohnheit dazu, auf die Bewegung einer Mühle oder
eines Wasserfalles nicht mehr zu achten, wenn wir eine
Zeitlang ganz nahe dabei gewohnt haben» (Neue Abhandlungen
über den menschlichen Verstand, Vorwort).
Die
Unterscheidung des Wahrnehmungsvorgangs in Perzeption und
Apperzeption in dem von LEIBNIZ induzierten Sinne fand -
vermittelt vor allem durch WUNDT, der unter Perzeption den
Eintritt von Wahrnehmungen ins Blick/e/rf des Bewußtseins
(Perzeptionsschwelle) und unter Apperzeption den Eintritt der
Wahrnehmung in den Blick-punkt des Bewußtseins
(Apperzeptionsschwelle) verstand - Eingang in die Psychologie
und konnte durch die Anwendung der Informationstheorie auch
quantitativ faßbar gemacht werden (H.FRANCK u.a.).
Eine Verabsolutierung der Wahrnehmung nimmt der sog.
Perzeptionalismus vor (E. J. HAMILTON, Perzeptionalismus und
Modalismus 1911), indem er behauptet, daß alle Erkenntnis
lediglich auf der Wahrnehmung beruhe und daß die Dinge so
beschaffen sind, wie sie wahrgenommen werden.
Editorische
Anmerkungen
Der Text wurde entnommen aus:
Buhr,
Manfred, Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 2, Berlin 1970, S.830
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