Editorial
Zwei Programme zum Vergessen


von
Karl Mueller

04/10

trend
onlinezeitung

Unlängst erschienen zwei politische Programme. Das eine nannte sich Entwurf, das andere Vorschlag. Bei dem einen handelt es sich um den Programmentwurf der Linkspartei, beim anderen um ein "Sozialrevolutionäres Stadtentwicklungprogramm", erschienen in der Interim 707. Auf den ersten Blick könnten beide verschiedener nicht sein.

Es bedarf schon einer gewaltigen ideologischen Verrenkung, um den Programmentwurf von Lafontaine und Co. als einen zu qualifizieren, "der inhaltlich einen Schritt nach links bedeutet". (Sascha Stanicic), denn es handelt sich augenscheinlich bei diesem Programm um eines, worin die bürgerliche Volkswirtschaft an die Stelle der Marxschen Kritik der bürgerlichen Ökonomie getreten und von der ArbeiterInnenklasse nicht  mehr die Rede ist. Stattdessen widmet es sich mit einem Katalog von Forderungen und Vorschlägen besonders den Sorgen der Mittelschichten (?!) vor sozialem Abstieg. Herauskommt ein Modell, das ein wenig der DDR-Ökonomie gleicht, nur aufgepeppt mit den bürgerlichen Freiheiten, die dem Grundgesetz entnommen scheinen.

"Dass wir in einer Klassengesellschaft leben, lässt sich an der zunehmend ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen ablesen." (Entwurf S.8)  Folglich lautet ein zentraler Schritt "gesellschaftlicher Umgestaltung": "Wir wollen regelmäßige Lohnzuwächse, die mindestens den Produktivitätszuwachs und die Preissteigerungen ausgleichen. Die Managergehälter müssen auf das 20fache der untersten Lohngruppen im Unternehmen begrenzt, die Vergütung mit Aktienoptionen sowie übermäßige Abfindungen müssen verboten werden." (Entwurf S. 14)

Marx nannte so eine Position "Vulgärsozialismus": "Der Vulgärsozialismus (und von ihm wieder ein Teil der Demokratie) hat es von den bürgerlichen Ökonomen übernommen, die Distribution als von der Produktionsweise unabhängig zu betrachten und zu behandeln, daher den Sozialismus hauptsächlich als um die Distribution sich drehend darzustellen." (MEW 19, S.22)

Auf den ersten Blick scheint das "Sozialrevolutionäre Stadtentwicklungprogramm" aus dem Berliner autonomen Spektrum inhaltlich aus ganz anderem Holz geschnitzt. Es wird darin das hohe Lied der Militanz gesungen und der Vorschlag will "sozialrevolutionär-anarchistisch" sein, als "Methode und Utopie zugleich".

Doch bei genauerem Hinsehen erweist sich dieses Programm nur als ein Sammelsurium hohler Phrasen besonders seichter Qualität: "Der Kiez ist ein Mikrokosmos dessen, was auch global falsch läuft." (Interim 707, S. 11) oder "Kommunikation ist das A & O einer militanten Kampagne."(ebd.)

In Grunde genommen handelt es sich hier um den wiederholten Aufguss autonomer Denke, wie sie Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts in Mode kam: "Wir kämpfen in der ersten Person." (ebd., S.10)

 Folgerichtig klingt dieser Programmvorschlag streckenweise wie eine Handreichung für religiöse Selbsterfahrungsgruppen:


Interim 707

"Jene, die mit ihrer arroganten Lebensweise brechen und mit uns nach Lösungen für ein solidarisches Leben eintreten, sind willkommen. Die real existierenden Widersprüche sind keine Ausrede, sich allen Gegebenheiten hinzugeben, sondern bleiben Anlass dafür, dass wir uns immer wieder entscheiden müssen: Was tue ich, was tun wir? Was bewirke ich, was bewirken wir dadurch? und: Wo positioniere ich mich, wir uns - durch unsere Entscheidungen, Handungen und Unterlassungen? Wie kann ich mich selbst revolutionieren, um auf der Seite derer mit zu kämpfen, die ausgegrenzt und verdrängt werden, obwohl ich (noch) nicht zu diesen gehöre?" (ebd. S.6)  AMEN

Die inhaltlich Aussage bzw. die politische Stoßrichtung ist trotz brachialem Wortgeklingel ("Gebt der Mittelschicht Heroin und Zunder")  simpel und reformistisch zugleich: "Wir wehren uns gegen kapitalistische, neoliberale Gentrifizierung, gegen deregulierten Wohnungsmarkt, geplanten und aministrativ erzeugten Wohnungsmangel, staatliche Baupolitik, die nur Vermögende fördert." (ebd. S.9)" Darüber hinausgehende Ziele, wie die Abschaffung des Lohnsystems, (k)nennen die autonomen AutorInnen nicht.

So grundverschieden beide Programme erscheinen mögen, in ihnen steckt eine gemeinsame Kernthese. Sie lautet bei den Autonomen kurz und knapp: "Es geht nicht um die Arbeiter_innenklasse, die ist futsch." (ebd.S. 6)

Die Linkspartei dagegen gibt sich charmanter, sie ignoriert das Proletariat einfach: "Gemeinsam mit gewerkschaftlichen Kräften, sozialen Bewegungen, mit anderen linken Parteien, mit Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland, Europa und weltweit sind wir auf der Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative." (Entwurf, Präambel)

Kurzum: Zwei Programme zum Vergessen, zweimal Reformismus pur, einmal soft (Die LINKE) und einmal hardcore (Autonome).

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In Kenntnis der derzeitigen ideologischen und politischen Lage der radikalen Linken haben wir uns entschlossen, im April 2010 eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel Nieder mit dem Lohnsystem! durchzuführen. Wir hoffen mit dieser Veranstaltungreihe die selbstverschuldete Unmündigkeit linker Kräfte und ihr Sektierertum durch einen entsprechenden Diskurs ein wenig zum Erodieren zu bringen. Die Erosion der autonomen Nischen und des linken Autismus  braucht aber mehr als nur Aufklärung. Es braucht dafür eine gemeinsame und strömungsübergreifende Praxis.

Zur Zeit haben sich im Kampf gegen den kapitalistischen Stadtbau in Berlin verschiedene Stadtteilgruppen gebildet, die in ihren Wohngebieten angefangen haben,  die Gegenwehr zu organisieren.

Freilich, so wichtig es ist, gegen die augenfälligen Auswirkungen der Kapitalverwertungstrategien auf dem Immobliensektor anzugehen, so darf die Benennung der Ursachen nicht zu kurz kommen. Wir empfehlen als einen möglichen Grundlagentext, 1978 erschienen und immer noch aktuell: Gesellschaftlicher Reproduktionsprozeß und Stadtstrukturen. Er könnte als methodischer Rahmen von empirischen Untersuchungen im Stadtteil dienen, die dringend notwendig sind, um Widersprüche einordnen und Bündnisse schmieden zu können.


Die 1. Stadtteilzeitung aus dem Schillerkiez
20 Seiten - kostenlos - z.B. erhältlich in der LUNTE

12.4.2010 um 20 Uhr
Stadtteilversammlung für den Schillerkiez

Mit Kurzvortrag: "Formen des Widerstandes"
in der "Lange Nacht", Weisestr. 8

Denn in einer Gesellschaft, in der die überwiegende Mehrheit der Menschen durch ihre Arbeitskraft bestimmt wird, muss der Zusammenhang zwischen Produktion und Reproduktion konkret ins Bewußtsein gehoben werden. Schlussendlich wenn sich die Kämpfe in den gesellschaftlichen Teilbereichen mit den Kämpfen des Proletariats im Betrieb, der Werkstatt und im Callcenter verbinden, dann reifen die Konturen einer neuen Gesellschaft heran. Diese werden durch Inbesitznahme, Selbstorganisation und Vergesellschaftung bestimmt sein.

TREND(s) im Netz - hier die jüngsten Zahlen:

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