Thailand: Was steckt hinter der politischen Krise?

von
Sean Ambler

04/09

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Am 14. April zogen sich die RegimegnerInnen, die „Rothemden“, nach massiver Repression durch den Staatsapparat vorerst aus den Städten zurück. Hunderte AktivistInnen, AnführerInnen der Revolte, wurden festgenommen. Doch das ist wohl nur ein vorläufiges Ende der revolutionären Zuspitzung. Im Folgenden wollen wir auf deren Hintergründe und politische Perspektiven eingehen. 

Abbruch der ASEAN-Konferenz 

Eine Woche von Protesten, die im Abbruch der Assoziation von Südostasiatischen Nationen (ASEAN)-Konferenz gipfelte und weite Bereiche der thailändischen Hauptstadt lahmlegte, ist vorübergehend von der thailändischen Armee beendet worden. Die „Rothemden“-AktivistInnen von der Vereinigten Nationalen Demokratiefront gegen Diktatur (UDD) haben gegen die Regierung von Abhisit Vedjadjiva mobilisiert, die durch einen kaum verhüllten Putsch im vergangenen Dezember an die Macht gekommen war.

Dies war der vorerst letzte Kampf seit dem offenen Militärputsch 2006 gegen das Regime von Thaksin Shinawatra. Die Antwort der verschiedenen Elemente des thailändischen Staates auf die Ereignisse dieses Wochenendes zeigen die Tiefe der politischen Krise, in der die nationale Bourgeoisie steckt, seit die Fraktionierungen unter der Thaksin-Regierung aufbrachen.

Viele aus der traditionellen Elite fordern die brutale Unterdrückung der Proteste. Thaksin wiederum ruft zu einer ‚friedlichen Revolution’ auf. Diese Spaltungen haben eine Gelegenheit und die Möglichkeit zu einer Revolution im thailändischen Staat offenbart, denn der Konflikt schwelt weiter, und es ist völlig unklar - trotz Behauptungen seitens der Regierung, wieder alles unter Kontrolle zu haben -, welche Seite den Sieg davontragen wird.

Nach der Belagerung des Gipfels in Pattaya, die schließlich zum Abbruch der ASEAN-Regionalwirtschaftskonferenz führte, spitzte sich die Lage am 11.4. zu einer revolutionären Situation zu. Zehntausende von protestierenden „Rothemden“ der UDD konnten Polizei und Armee, die zum Schutz des Konferenzgeländes aufgeboten waren, überrennen, so dass die Konferenz, die ursprünglich am selben Tag stattfinden sollte, abgesagt werden musste. Mit Leichtigkeit konnten die DemonstrantInnen dem Thaistaat, der von der chinesischen Regierung eine 10 Milliarden-Dollar schwere Wirtschaftshilfe erhalten sollte, einen Schlag versetzen. Das verweist auf Brüche in der Armee, auf die mangelnde Bereitschaft von Mannschaftsdienstgraden der thailändischen Armee, die ja oft aus den gleichen ländlichen und städtischen Armutsverhältnissen wie die DemonstrantInnen stammen, äußerste Gewalt gegen den Massenprotest einzusetzen.

Am Montagmorgen, dem 13. April, änderte sich das. Die Truppen eröffneten das Feuer, einige schossen zwar über die Köpfe der DemonstrantInnen, andere jedoch in die Menge. Am Ende des Tages waren über 90 Verwundete zu verzeichnen, viele davon am Siegesdenkmal, wo die Protestierenden die Din Daeng-Kreuzung blockierten. Die ProtestaktivistInnen wehrten sich tapfer, fuhren Busse in die Reihen des Militärs und warfen Molotow-Cocktails, deren Benzin aus einem erbeuteten Panzer stammte. Als die Nacht hereinbrach, waren auch zwei Todesopfer unter den Demonstranten zu beklagen. 

Ausgangspunkt der gegenwärtigen Krise 

Die gegenwärtige politische Krise nahm 2006 ihren Ausgang, als Thaksin Shinawatras Thai Rak Thai-Partei (TRT, was wörtlich übersetzt ‚Thais lieben Thais’ bedeutet), durch einen Militärputsch gestürzt und eine Militärherrschaft bis 2007 ersetzt wurde.

Der Staatsstreich erfolgte auf wachsenden Druck von Teilen der Traditionseliten, die in der Volksallianz für Demokratie (PAD) organisiert sind. Ihr Name stellt die Deutsche Demokratische Republik im Orwellschen Doppelsinn in den Schatten. Diese Organisation mobilisierte unter Führung von Sondhi Limthongkul, einem Medienmilliardär und früheren Anhänger Thaksins, Demonstrationen von Leuten in gelben Hemden und lieferten damit auch den Vorwand für den Putsch vom September 2006, nachdem zweimal Wahlen zu Gunsten der TRT ausgegangen waren. Ihre zentrale Forderung war die Absetzung von Thaksin und der TRT, ihre soziale Basis hat die PAD in der Mittelschicht. Der Grund für ihren Protest lag in ihrem Unmut über die zunehmende Dominanz von ausländischem Kapital in Thailands Wirtschaft. Gelb ist die Traditionsfarbe der thailändischen Königsfamilie und wurde absichtlich gewählt, um die Ergebenheit der Protestierenden gegenüber der etablierten Ordnung anzuzeigen.

Die TRT hatte anfangs die Demokraten auf Grundlage einer Plattform gegen den IWF abgelöst, die seit Wiedereinführung der parlamentarischen Demokratie 1992 das Land regiert hatten. Sie legte zwar populäre Sozialprogramme auf, v. a. zum ersten Mal eine umfassende Gesundheitsfürsorge und Kleinstkredite, wollte aber Thailand zugleich für ausländische Investoren öffnen und staatliche Einrichtungen privatisieren.

Diese Politik verstieß gegen die Interessen eines Großteils der heimischen Bourgeoisie, die Thaksins eigenen Verkauf seines Medienimperiums Shin Corp für 1,9 Milliarden an einen Staatsinevstor aus Singapur im Februar 2006 als Vorwand nutzte, um eine ausgiebige Kampagne gegen Korruption zu starten. Die Kapitalkontrolle durch die Militärregierung ab September 2006 wurde offen von der PAD unterstützt, führte aber zu einem dramatischen Zusammenbruch des Wertpapiermarkts und von Auslandsinvestitionen. Dies erwies sich auch für die Thaikapitalisten als so unattraktiv, dass die Nachfolgerin der TRT, die PPP (Volksmachtpartei), die ersten Wahlen nach dem Staatsstreich gewinnen konnte. Sie verfehlte mit 233 Sitzen knapp die absolute Mehrheit und bildete mit 5 kleinen Parteien im Dezember 2007 eine Koalition.

In dem einen Jahr ihrer Machtausübung festigte das Militär die Kontrolle über Thailands Politik und erließ eine neue Verfassung. Sie war dazu bestimmt, den judikativen Arm des Staates, eine ausgewählte Gruppe von ideologisch königstreuen Beamten, und das Militär zu ermächtigen, politische Parteien auflösen und ihre Führer und Apparate von der parlamentarischen Bühne für bestimmte Zeit verbannen zu können, und damit einer Reihe von sanften Putschen, wie sie 2008 zweimal in Thailand stattgefunden haben, die Tür zu öffnen. Diese Verfassung, die zwar formal legal etabliert wurde, ging in Wahrheit aber nur vor dem Hintergrund eines Verbots von politischer Aktivität vonstatten. Keine Ablehnungskampagne war erlaubt, nur die vom Militär unterstützte „Ja“-Kampagne.

Trotz eines klaren Votums für die PPP enthoben die Verfassungsrichter Premierminister Samak Samaravedj am 9.9.08 seines Amtes, weil er als Gastgeber einer Kochshow Geld erhalten hatte. Der unmittelbare Hintergrund dieser Entscheidung, was während des zweiten Verfassungsputsches im Dezember noch deutlicher wurde, waren die Proteste der PAD, die am 26.9.08 mit der Besetzung des Regierungssitzes begonnen hatten.

Nach der Steigerung der Proteste durch die Besetzung der beiden Hauptflughäfen Bangkoks von „Gelbhemden“ als AnhängerInnen der PAD wurden die PPP und zwei kleinere Parteien durch das Verfassungsgericht am 2.12.08 aufgelöst - vorgeblich wegen Wahlbetrugs, was zwar stimmte, aber für alle Thai-Parteien zutrifft, die WählerInnen durch kleine Bestechungen zur Stimmabgabe veranlassen.

Während die PPP wieder gegründet wurde, diesmal unter dem Namen Puea Thai, wechselten viele Abgeordnete die Seite, einige von der früheren PPP zu den Demokraten, die eine unsichere, doch auf gegenseitigem Vorteil beruhende Beziehung mit der PAD verbindet. Auch das Militär war in die Bestechungsaffäre verwickeln, wo unter Berufung auf glaubwürdige Thai-Medienquellen Summen von 1,2 Mill. Dollar an Parlamentarier geflossen sind, um sie wechselwillig zu machen. Die Bestechung war groß genug, um eine beträchtliche Anzahl von Stimmen für die Wahl einer Regierung der Demokratischen Partei zu sichern. Dadurch wurde Abhisit Vedjadjiva Premierminister. Er versuchte zwar, mit der Einführung von begrenzten populistischen Maßnahmen Unterstützung zu gewinnen, aber er wurde den Makel des Putsches nicht los. Die Mehrheit der Thai-Arbeiterklasse und der armen Bauern, die gleichzeitig die Masse der Bevölkerung stellen, sind jedenfalls gegen ihn. 

Bewegung 

Zwar sind die Aktionen der letzten Tage von der UDD organisiert worden, die eng mit Thaksin verbunden ist, einem bürgerlichen Politiker, der die Wirtschaft privatisiert und muslimische Separatistenbewegungen im Süden brutal unterdrückt, aber die Proteste richten sich gegen die Kontrolle der politischen Macht durch das Militär. Die bürgerlichen Medien stellen die AktivistInnen in der Hauptsache als Anhänger Thaksins dar. Doch das gilt längst nicht für alle. Die UDD umfasst auch Angehörige der Internationalen Sozialistischen Tendenz (in Deutschland: Linksruck), deren Sektion sich in Thailand Arbeiterdemokratiegruppe/Linkswende Thailand nennt. An ihrer Spitze stand der Akademiker Giles Dji Unpakorn, bevor er nach dem Putsch 2006, worüber er ein Buch verfasste, aus Thailand fliehen musste.

Während Thaksin wieder Land gewinnen möchte für seinen Wiedereinstieg in die thailändische Politik, rufen viele Protestierende nach völlig neuen Wahlen statt nach der Wiedereinsetzung Thaksins von oben. Auch die Beweggründe für ihre Unterstützung der UDD sind teils geleitet durch Illusionen aufgrund der sozialen Reformen, die Thaksins Regierung neben Privatisierungen auch eingeführt hat.

Trotz der Tapferkeit der UDD-Anhänger und des klaren Rückhalts in den Massen für ihre Forderungen, liegt ihr Fehlschlag im Mangel an unabhängiger Arbeiterpolitik. Thaksin und seine Partei Puea Thai werden nicht die notwendigen Methoden anwenden, um das Militär zu besiegen, d h. einen Generalstreik durchführen und eine starke Gewerkschafts- und Bauernbewegung aufbauen, weil ihre eigenen Klasseninteressen dem im Wege stehen. Trotz Thaksins Aufruf zu einer „friedlichen Revolution“ werden seine AnhängerInnen zunehmend gewalttätige Mittel einsetzen müssen, um ihr Recht auf Protest zu verteidigen.

Es wäre eine Niederlage für die Bestrebungen von tausenden Demonstranten, wenn alles nur mit der Rückkehr eines kapitalistischen Bürokraten wie Thaksin enden würde. Er würde nicht nur die Hoffnungen einer UnterstützerInnen aus der Bauernschaft und Arbeiterklasse enttäuschen, sondern auf diese auch die Kosten der kapitalistischen Krise abwälzen.

Wenn die Arbeiterklasse und die armen Bauern in einem zukünftigen Anlauf eine erfolgreich Revolution gegen das Oberkommando der Armee, die monarchistische Clique und die traditionelle Elite durchführen, so müssen sie auch dann sicherstellen, dass sie – und niemand sonst – die Früchte ihrer Revolution erntet.

Genau das ist zu befürchten, falls die Arbeiterklasse nicht politisch mit Thaksin bricht und ihre eigene revolutionäre Arbeiterpartei schafft, die für die Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung kämpft.

In der unmittelbaren Zukunft müssen die Arbeiterorganisationen, v. a. die verschiedenen Gewerkschaftsverbände ihre Mitglieder zu Streiks und zu Protestkundgebungen aufrufen. Arbeiter- und Soldatenräte mit wähl- und abwählbaren Delegierten müssen aufgebaut werden, um die Arbeiterklasse zu mobilisieren und die Repressionsmaschine Thailands zu paralysieren. Die Weigerung etlicher Mannschaftsdienstgrade, auf die Protestler zu schießen, ist dabei wichtig. Die Soldaten müssen dazu ermutigt werden, Komitees zu bilden, die freie Wahl ihrer Offiziere fordern sowie das Vetorecht gegen alle Befehle.

Heute müssen RevolutionärInnen für die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung kämpfen. Eine solche revolutionäre Versammlung müsste die Monarchie abschaffen und den Generalstab entmachten. Sie müsste gegen den Großgrundbesitz vorgehen und die großen Ländereien untern den armen Bauern aufteilen. Sie sollte die parlamentarischen Körperschaften durch Machtorgane der Arbeiterklasse und armen Bauern, durch Arbeiter- und Bauernräte ersetzen.

Kurz, RevolutionärInnen in Thailand müssen der Strategie der permanenten Revolution folgen, so dass der Kampf für Demokratische gegen die Monarchie, gegen das Oberkommando der Armee und die Großgrundbesitzer direkt übergeht zum Kampf um die Macht der Arbeiterklasse und für die sozialistische Revolution in Thailand. Zugleich muss die Revolution auf ganz Südasien - eine Region, die in ihrer Gesamtheit unter der Weltwirtschaftskrise und autoritären, bürgerlichen Diktaturen leidet - ausgedehnt, internationalisiert werden und mit dem Kampf für eine Sozialistische Föderation der gesamten Region verbunden werden.

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir von

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 418
15. April 2009

 

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