Verfehltes „Wahlkampfthema Nummer 1“

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on Hans Fricke

04/09

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Im September 2008 berichteten verschiedene Medien, dass Union und SPD mit einer Kampagne zur DDR-Geschichte in die diesjährigen Wahlkämpfe ziehen wollen und wenige Monate später beschloss der CDU-Parteivorstand ein sage und schreibe 21-Seiten-Papier, um die dritte „Rote-Socken"-Kampagne nach den Bundestagswahlkämpfen 1994 und 1999 zu starten.

Das, was aus dem CDU-Wahlkampfpapier und vom jüngsten CDU-Parteitag in Stuttgart bekannt wurde, besagt, dass mit Hilfe der einschlägigen Medien vor jedem der diesjährigen vielen Urnengänge das Lied vom DDR-„Unrechtsstaat" gesungen wird. Vor allem ARD, ZDF,Bild, Bild am Sonntag und Der Spiegel haben hier besondere Verpflichtungen als „Sturmgeschütze der Demokratie", wie Rudolf Augstein sein Boulevardmagazin allen Ernstes einmal nannte.

Getreu dem Motto: „Der Zweck heiligt die Mittel" ist es für die Wahlkämpfer der großen Koalition und ihre medialen Hilfstruppen ohne Interesse, was die CDU-geführte Bundesregierung auf eine Anfrage von Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) vom 7. Oktober 2008 geantwortet hat: „Den Begriff ‚Unrechtsstaat' gibt es im Völkerrecht nicht." Im Gutachten heißt es dazu: "Eine wissenschaftlich haltbare Definition des Begriffs ‚Unrechtsstaat' gibt es weder in der Rechtswissenschaft noch in den Sozial- und Geisteswissenschaften." Und weiter: „... es (geht) zumeist darum, die politische Ordnung eines Staates, der als Unrechtsstaat gebrandmarkt wird, von einem rechtsstaatlich strukturiertem System abzugrenzen und moralisch zu diskreditieren". Eindeutige Worte.

Worauf, wenn nicht auf die DDR-Geschichte, sollten sich Union und SPD wohl sonst konzentrieren, um von ihren eigenen Versäumnissen und Misserfolgen abzulenken, zumal sie wissen, dass mit der Geschichte der Alt-BRD weiß Gott kein Staat zu machen ist. Dennoch fordert der Beschluss des 22. CDU-Parteitages am 1./2. Dezember 2008 „Geteilt. Vereint. Gemeinsam. Perspektiven für den Osten Deutschlands", der Opfer der „Diktatur der SED" zu gedenken sowie die Geschichte der deutschen Teilung und der DDR zum „zentralen Inhalt des Schulunterrichts in ganz Deutschland" zu machen. Dem liegt offenbar die irrige Annahme zugrunde, dass sich heute kaum noch jemand an die Geschichte der deutschen Spaltung erinnert.

Wenn es der CDU um wahrheitsgemäßen Schulunterricht und eine historisch seriöse Beschäftigung mit der deutschen Nachkriegsgeschichte gehen würde, dann müsste sie ihre Mitverantwortung für die folgenschweren Schritte auf dem Weg zur Spaltung Deutschlands eingestehen, die da waren: Separate Währungsreform im Juni 1948, Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung der elf Länder der „Trizone" auf Weisung der westlichen Militärgouverneure, dass von dem auf Betreiben der Westmächte ab September 1948 tagenden parlamentarischen Rat „im Namen des deutschen Volkes" beschlossene Grundgesetz, das ebenso wie nach 1990 bei der Entscheidung über eine „von dem deutschen Volk in freier Entscheidung" zu beschließende Verfassung niemand befragte, die Verhinderung einer Volksabstimmung über dieses Grundgesetz aus Angst vor der in der Bevölkerung weit verbreiteten Ablehnung des Weststaates, die Verkündigung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und schließlich die Wahl zum ersten Deutschen Bundestag am 14. August 1949, womit - und daran muß es gestattet sein, 60 Jahre danach zu erinnern - auf Betreiben der Westmächte und mit aktiver Schützenhilfe von CDU und SPD die Spaltung Deutschlands vollzogen wurde.

Um wie vieles einfacher ist es dagegen, die Spaltung Deutschlands und ihre schlimmen Folgen für die Bürger in Ost und West, wozu letztlich auch die Staatsgrenze zwischen der DDR und der BRD mit ihren tragischen Folgen gehören, dem „Unrechtsstaat" DDR und seinen Repräsentanten anzulasten.

Auch die folgenden Ereignisse und Entwicklungen in der Geschichte der Alt-BRD dürften kaum geeignet sein, den Schulkindern nahe gebracht zu werden und bei ihnen Stolz auf 60 Jahre BRD zu wecken:

Die ab Sommer 1947 mit Beginn des kalten Krieges erfolgte bedenkenlose Restauration des Verwaltungs-, Justiz-, Polizei-, und sonstigen Behördenapparates unter nahezu restloser Einbeziehung des „bewährten Fachpersonals" der verbrecherischen Nazidiktatur, auch vieler aufs Schwerste Belasteter, die es zu Beispiel dem „Judenreferenten" im Reichsinnenministerium Hans-Maria Globke ermöglichte, höchste Beamter der BRD und engster Vertrauter des Bundeskanzlers Konrad Adenauer, dem Verbindungsmann zwischen Ribbentrop- und Goebbelsministerium Kurt-Georg Kiesinger sogar Bundeskanzler und dem unerbittlichen Marinestabsrichter Hans Filbinger CDU-Ministerpräsident in Stuttgart zu werden, wobei Filbingers Aufstieg zum Kandidaten für die Wahl des Bundespräsidenten von 1979 nur durch die Enthüllungen der DDR gestoppt werden konnte. Auch der frühere Oberregierungsrat in Hitlers Reichsinnenministerium Hans Ritter von Lex, um einen weiteren Repräsentanten der jungen Bundesrepublik Deutschland zu nennen, wurde reaktiviert und vertrat 1955 als bewährter Fachmann des in Nürnberg gehenkten Nazi-Innenministers die Bundesregierung im KPD-Verbotsprozess.

Zu dieser unrühmlichen Geschichte der BRD gehören auch siebzehn höchst abenteuerliche Jahre, in denen sich die von ehemaligen Nazis dominierte Justiz, darunter viele bis heute straflos gebliebene Blutrichter, in "Vorneverteidigung" gegen „Staatsfeinde" - vor allem Kommunisten, aber auch des Leninismus unverdächtige pazifistische Christen oder zur nationalen Einheit willige Gewerkschafter - übte.

Mit 1951 verabschiedeten Paragraphen und damals gebildeten siebzehn übers Land verteilten speziellen „Staatsschutzkammern" wurde gegen rund 150 000 Bundesbürger wegen „Staatsgefährdung", „Geheimbündelei", „Rädelsführerschaft" und weiteren schwammigen Delikten ermittelt, wo statt der Tat die Gesinnungzählte. Rund 60 000 Leute landeten in Gefängnissen - „Zahlen, die einem ausgewachsenen Polizeistaat alle Ehre machen", wie Staatsrechtsprofessor Werner Maihofer, später Bundesinnenminister, schon 1965 konstatierte.

Aber nicht nur die Zahlen taten das, auch die Methoden und die Urteile. Die fielen manchmal allein dank „Zeugen vom Hörensagen" - Beamte der politischen Polizeikommissariate gaben Aussagen ihrer V-Leute wieder, die weder benannt noch auf ihre Glaubwürdigkeit hinterfragt werden konnten.

Ebenso wenig würde es im Interesse von Union und SPD liegen, im Jubiläumsjahr der BRD an die Ablehnung einer Volksabstimmung über die von Adenauer vehement geforderte und forcierte deutsche Wiederbewaffnung zu erinnern, weil einer Emnid-Umfrage zufolge 75(!) Prozent der Bundesbürger eine Wiederbewaffnung ablehnten. Und Stolz würde es bei den Schulkindern und ihren Eltern sicher ebenfalls nicht hervorrufen, wenn sie 60 Jahre nach Gründung der BRD mit der skandalösen Tatsache konfrontiert würden, dass alle hohen Posten in der neuen Bundeswehr mit Generälen und höheren Offizieren der Hitler-Wehrmacht besetzt, die Hitler-Generäle Speidel und Heusinger die ersten Befehlshaber der Bundeswehr, der von den Alliierten zu 18 Jahren Gefängnis verurteilte Kriegsverbrecher Generalfeldmarschall von Mannstein Berater im Bonner Verteidigungsministerium, der ebenfalls wegen Kriegsverbrechen mit 25 Jahren Gefängnis bestrafte Hitler-General Foertsch Generalinspekteur der Bundeswehr, Dr. Eberhard Tauber, engster Mitarbeiter von Goebbels, Leiter der "Aktivpropaganda gegen die Juden" und ehrenamtlicher Richter am berüchtigten Volksgerichtshof, Aufbauleiter des Amtes für psychologische Kriegsführung der Bundeswehr wurden und dass zu den Gründern der „Organisation Gehlen", dem späteren Bundesnachrichtendienst (BND), nach amerikanischen Einschätzungen etwa 400 stark belastete Nazis, vor allem aus der SS, dem Sicherheitsdienst (SD) und der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), gehörten.

Alles nachprüfbare historische Sachverhalte, die im Superjubiläumsjahr von Union und SPD nicht unter den Teppich gekehrt werden dürfen, sondern es verdienen, in Erinnerung gerufen zu werden, und die man in Geschichtsbüchern und Jubiläumsschriften der Bundesrepublik vergeblich sucht.

Nicht anders verhält es sich mit dem Traditionsverständnis und dem Interventionsauftrag der Bundeswehr. Kurz vor dem 50. Jahrestag der Gründung der NVA der DDR scheute sich das Bundesverteidigungsministerium nicht, in einem offiziellen Schreiben an die Standortältesten in den Wehrbereichen vom 13. Dezember 2005 zu erklären: „Die NVA war die Armee des Unrechtsregimes der DDR. Ihr Auftrag und ihre innere Ordnung sind unvereinbar mit dem Selbstverständnis der Bundeswehr als Streitkräfte in der Demokratie und ihrer Soldaten als Staatsbürger in Uniform", obwohl unstrittig ist, dass sich diese Bundeswehr gemäß besagtem „Auftrag" als Mitglied der NATO zu einer Aggressionsarmee entwickelt hat, mittlerweile nahezu weltweit „deutsche Interessen" (sprich: Ressourcen der deutschen Industrie) verteidigt, maßgeblich am Überfall auf Jugoslawien teilgenommen hat und sich am Hindukusch aktiv am „unverhüllten Kolonialkrieg gegen das Selbstbestimmungsrecht der Paschtunen" (zitiert aus einer Erklärung des Oberstleutnant der Bundeswehr Jürgen Rose vom 25.Mai 2007) beteiligt.

Dass der NVA vom Bundesverteidigungsministerium böswillig unterstellte Auftrag in Wahrheit darin bestand, die Grenzen der DDR zuverlässig zu schützen und gegen jeden Aggressor zu verteidigen und sie die einzige deutsche Armee in der Geschichte war, die keinen Krieg, schon gar nicht einen Angriffskrieg, geführt hat, worauf ihre ehemaligen Angehörigen heute noch stolz sein dürfen, wird unterschlagen, weil diese unbestreitbaren Tatsachen das jahrzehntelang sorgsam gepflegte Bild von der NVA als einer Aggressionsarmee ad absurdum führen würde.

Diese historische Wahrheit den Schulkindern im Super-Gedenkjahr zu vermitteln, dürfte weder dem von ihnen erwarteten Stolz auf die Bundeswehr förderlich sein, noch im Interesse der Wahlstrategen von Union und SPD liegen.

Aber auch die Geschichte der BRD in den vergangenen fast zwei Jahrzehnten nach Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands dürfte den Wahlkämpfern aus Union und SPD kaum geeignet erscheinen, in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes gestellt zu werden. Schließlich müssten sie dann ihre politische Verantwortung für den für die westdeutschen „Eliten" ebenso erfolg- wie ertragreich verlaufenen Anschluss der DDR an die BRD eingestehen, wozu neben Kohls Täuschung ostdeutscher Wähler mit in Aussicht gestellten „blühenden Landschaften", die stabsmäßig organisierte Plünderung des ostdeutschen Volksvermögens mit Hilfe der „Treuhand" und kontrolliert von Kohls Finanzstaatsekretär und heutigen Bundespräsidenten Horst Köhler in Höhe von 1,4 Billionen(!) DM, die Zerstörung von 70 Prozent der Arbeitsplätze in Industrie und Landwirtschaft der DDR, eine Entvölkerung der verheißenen „blühenden Landschaften" durch massenhafte Arbeitsmigration, von neuen in alte Bundesländer, besonders von Hochqualifizierten, was zu einer weiteren Vertiefung des Ost-West-Disparitäten führt, eine forcierte Deindustrialisierung Ostdeutschlands und eine gigantische Enteignung der früheren DDR-Bürger durch den für sie verhängnisvollen Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" gehören.

Vorgänge, die Egon Bahr (SPD) veranlassten zu erklären, er kenne kein Volk auf Erden, das so enteignet worden ist, Günter Grass im Mai 1992 feststellen ließen: „Es ist zu einer entsetzlichen Kolonialisierung gekommen. Mit großer Arroganz. Die Besitzenden werden die Westdeutschen sein. Und die führen in der ehemaligen DDR einen Morgenthau-Plan durch, der Gebiete verarmen lässt, die von der Geschichte her Industriegebiete waren(...)", und den früheren Ersten Bürgermeister Hamburgs, Henning Voscherau (SPD), 1996 zu der Feststellung veranlassten: "In Wahrheit waren fünf Jahre Aufbau Ost das größte Bereicherungsprogramm für Westdeutschland, das es je gegeben hat." (Kölner Stadt-Anzeiger, 22.5. bzw. Die Welt, 4.12.1996)

Den Auftakt zu dieser „Wiedervereinigung" nach Bonner Regie gab stellvertretend für die BRD-Regierung Wolfgang Schäuble mit den Worten: „Liebe Leute, es handelt sich um einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik - nicht um die umgekehrte Veranstaltung. Wir haben ein gutes Grundgesetz, das sich bewährt hat. Wir tun alles für Euch. Ihr seid herzlich willkommen. Wir wollen nicht kaltschnäuzig über eure Interessen hinweggehen. Aber hier findet nicht die Vereinigung zweier Staaten statt." In Siegermanier geäußerte Sätze, die nicht vergessen sind und wenig geeignet sein dürften, im Superwahljahr bei den ostdeutschen Wählerinnen und Wählern Zustimmung zu Verlauf und Ergebnis der vergangenen fast zwei Jahrzehnte hervorzurufen, zumal sie erleben mussten, wie kaltschnäuzig in der Praxis über ihre Interessen hinweggegangen wurde und weiter wird.

Dass im kunterbunten Gedenkmarathon des Superjubiläumsjahres 2009 wenig Raum für ein Kriegsjubiläum, den zehnten Jahrestag der ersten Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an einem Krieg, blieb, dürfte kein Zeichen von Vergesslichkeit, sondern vielmehr Ausdruck von nachträglichem Unbehagen sein. Zu offensichtlich war die erpresserische Sanktionspolitik der NATO gegenüber Jugoslawien, zu augenscheinlich die Rechts- und Völkerrechtswidrigkeit ihres Überfalls auf diesen souveränen Staat und UN-Mitglied am 24. März und zu durchsichtig die lügenhaften „Begründungen" für die deutsche Teilnahme an diesem Überfall durch die damaligen Minister Scharping und Fischer, den der Bundestag in einer Sonderdebatte als den „Sturz der letzten kommunistischen Bastion in Europa" feierte.

Der Siegesjubel nach den 78tägigen Terrorangriffen, denen viele Hundert Zivilisten zum Opfer fielen, war längst verklungen, als sich in einigen Medien Zweifel breit machten. Im NDR meinte ein Kommentator mit Blick auf den Bombenkrieg, es werde „eine ganze Reihe von Fragen wohl immer umstritten bleiben. Etwa die, ob die Luftangriffe ohne UN-Mandat überhaupt zulässig waren. Im Deutschlandfunk wurde gar mehrfach daran erinnert, dass der NATO-Angriff auf Serbien ohne UN-Mandat erfolgte, und ebenfalls eingeschätzt, dass „auch zehn Jahre nach dem Kosovo-Krieg die Argumente und Gründe für das Eingreifen der NATO umstritten (bleiben)".

Würden also Union und SPD anstatt mit einer generalstabsmäßig geplanten und organisierten aufwendigen Verleumdungskampagne gegen die seit 1990 nicht mehr existierenden DDR in die diesjährigen Wahlkämpfe zu ziehen, die Geschichte und Gegenwart der BRD in den Mittelpunkt stellen, dann müssten sie sich vor den Wählerinnen und Wählern rechtfertigen und verantworten für die ständig wachsende Zahl von Hartz-IV-Opfern, von den Betroffenen als „Armut per Gesetz" empfunden, für die vom Staat geduldeten bzw. geförderten Hungerlöhne, die vieltausendfache Umwandlung von tariflich gebundenen Arbeitsplätzen in Leiharbeitsplätze und Ein-Euro-Jobs, die Massenarbeitslosigkeit, die erzwungene Abschiebung älterer Arbeitnehmer auf das Abstellgleis, die Kinder- und Altersarmut, die Obdachlosigkeit, Armenspeisungen, den Pflegenotstand, eine Gesundheitspolitik, die den Superprofiten des Pharma-Kartells dient und für die der Slogan zutrifft: „Weil du arm bist, musst du früher sterben", die Verweigerung gewerkschaftlicher Rechte für viele Beschäftigte und ihre Einschüchterung durch namentliche bekannte Unternehmen, die nach wie vor nicht leistungsgerechte Entlohnung der Frauen, die kategorische Ablehnung von Forderungen nach verfassungsrechtlich garantierten sozialen Grundrechten wie das Recht auf Arbeit, auf soziale Sicherheit und auf Wohnung, die Verweigerung von Volksbefragungen, Volksentscheiden und des Rechtes auf Generalstreik, eine bisher in Deutschland noch nie da gewesene und sich immer mehr vergrößernde Kluft zwischen Arm und Reich, Bildungschancen in Abhängigkeit vom Geldbeutel der Eltern, das Recht junger Deutscher, sich weltweit für die Profitinteressen des Kapitals töten oder zum Krüppel schießen zu lassen, eine Bundestagsmehrheit, die in Grundfragen (Abschaffung der D-Mark, aktive Teilnahme Deutschlands an völkerrechtswidrigen Kriegen, Rente ab 67, Verweigerung einer Volksabstimmung zur EU-Verfassung, die die Preisgabe staatlicher Souveränität beinhaltet) gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit entscheidet und dafür, dass Politiker beider Parteien die sogenannten Rahmenbedingungen gesetzt haben, mit denen erst die Schranken niedergerissen wurden, die Extraprofite und Expansion ohne Maß und Halte sowie Betrugshandlungen und persönliche Bereicherungen ermöglichen, was zur gegenwärtigen Krise führte, deren Folgen in „bewährter" kapitalistischer Manier in erster Linie die Lohnabhängigen, sozial Schwachen und Kranken tragen sollen, wogegen die Schuldigen straffrei ausgehen und sowohl während als auch nach der Krise in ihrer unersättlichen Gier fortfahren werden.

Aus alledem ergibt sich, dass es für die Parteien der großen Koalition bedeutend einfacher ist, mit dem Kampfbegriff „Unrechtsstaat" DDR sowie mit Schlagworten wie „Diktatur des Proletariats", „Unfreiheit und sozialistische Planwirtschaft", „katastrophale Erblasten" usw. um sich zu werfen, Unkenntnis historischer Entwicklungen zu fördern, feindselige Stimmung gegen die DDR zu schüren und den Graben zwischen Ost und West zu vertiefen, als sich mit für beide Parteien unangenehmen und deshalb gern verdrängten historischen Wahrheiten, gegenwärtigen Fehlentwicklungen und Erfordernissen auseinander zu setzen und sich zu ihrer Verantwortung für die katastrophalen Folgen neoliberaler Regierungspolitik und der deutschen Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegen zu bekennen.

Im übrigen offenbaren die Wahlkampfstrategen von Union und SPD eine erschreckende Realitätsferne, denn sie sollten wissen, dass die Menschen sich mehr für ihr Hier und Heute, für ihren immer härter werdenden Existenzkampf interessieren, als für scharfmacherische Parolen und Forderungen von um ihre Wahlchancen bangenden Parteien.

Hätten sich die führenden Politiker der großen Koalition nicht schon längst von den Sorgen und Nöte der Menschen entfernt und würden sie dem „Volk aufs Maul" schauen, dann wüssten sie, dass die Zeit, als es schon fast zum guten Ton gehörte, auf die nicht mehr existierende DDR einzuschlagen und die Lebensleistungen ihrer Bürgerinnen und Bürger zu negieren, vorbei ist.

Die öffentliche Diskussion über die im März vom Ministerpräsidenten Mecklenburg-Vorpommerns, Erwin Sellering (SPD), zur DDR geäußerte Meinung, die noch immer anhält, zeigt, dass er damit sehr vielen Ostdeutschen aus dem Herzen gesprochen hat. Sie gehen mit ihm konform, wenn er sagt: „Es ist ja nicht so, dass ein idealer Staat auf einen verdammenswerten Unrechtsstaat stieß. Die alte Bundesrepublik hatte auch Schwächen, die DDR auch Stärken."

Jüngste Umfragergebnisse beweisen, dass die Zahl derjenigen", die sich trotz Springer-Presse und anderer Konzern-Medien eine sachliche und differenzierte Sicht auf die DDR bewahrt haben, von Jahr zu Jahr wächst, was nicht gleichbedeutend damit ist, dass alle diese Menschen die DDR, wie sie war, wiederhaben wollen.
Sie sind es aber leid, von Leuten, die das Leben in der DDR zumeist nur aus der Boulevardpresse oder vom Hörensagen kennen, seit 1990 Tag für Tag gesagt zu bekommen, dass sie vier Jahrzehnte lang in einem „totalen Unrechtsstaat" in sozialer Sicherheit, ohne Zukunftsangst gelebt, sich gebildet und gearbeitet, ihre Kinder zu anständigen. fleißigen und allseitig gebildeten Persönlichkeiten erzogen und sich selbst in vielerlei Hinsicht gesellschaftlich organisiert und auch ehrlichen Herzens engagiert zu haben.

Höchste Zeit also zu begreifen, dass die vom 22. CDU-Parteitag beschlossene Strategie für das Superwahl- und Supergedenkjahr 2009 verfehlt ist, dass man mit der Verteufelung der DDR nicht auf Dauer von jahrelangen eigenen Versäumnissen und katastrophalen Fehlentwicklungen des neoliberalen Wirtschaftssystems ablenken und diesseits der Elbe Wahlen gewinnen kann.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe, er schrieb uns dazu:

"Liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen,

Die Strategie von Union und SPD für das Superwahl- und Supergedenkjahr 2009 läuft eindeutig darauf hinaus, die Geschichte der DDR in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit und Diskussion zu stellen, und auf diesem Wege eine politische Auseinandersetzung sowohl über die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre als auch über Bilanz und Zukunft des inhumanen und desaströsen neoliberalen Wirtschaftssystems zu vermeiden, um nach der Bundestagswahl wieder in gewohnter Weise zur Tagesordnung übergehen zu können.
In der seit einigen Wochen eskalierenden Debatte über die Bewertung der DDR bleiben die einen in der Manier kalter Krieger bei ihrem Pauschalurteil über den "totalen Unrechtsstaat" DDR, der laut Klaus Kinkel vor dem 15. Deutschen Richtertag "in weiten Bereichen genauso unmenschlich und schrecklich" gewesen sei "wie das faschistische Deutschland", während sich die anderen seit kurzem moderater geben und für eine differenzierte Beurteilung der DDR plädieren.
Beiden geht es um Wahlerstimmen und beiden scheint die Interpretatuion der Vergangenheit von existenzieller Bedeutung für Gegenwart und Zukunft zu sein.
Daraus ergibt sich die Aufgabe, die Pläne der Geschichtsklitterer in Politik, Medien und Wissenschaft zu durchkreuzen, die verleumderischen Angriffe auf die DDR zurückzuweisen und die Geschichtsrevisionisten zu zwingen, die historische Wahrheit anzuerkennen und sich endlich auch kritisch mit der wenig rühmlichen Geschichte der Alt-BRD zu beschäftigen.
Das wiederum setzt voraus, Schluss zu machen mit der unerträglichen Doppelmoral und Heuchelei der Regierenden und der Konzern-Medien sowie mit der schon fast zur Gewohnheit gewordenen Schwarz/weiss-Malerei und der Praxis, die Alt-BRD und die DDR mit zweierlei Maß zu messen.
Das setzt weiter voraus, dass wichtige politische, ökonomische, militärische und geheimdiestliche Entwicklungen und Sachverhalte, die, soweit sie die DDR betreffen, seit zwanzig Jahren vollständig auf dem Tisch der Öffentlichkeit liegen, in Bezug auf die Alt-BRD nicht weiterhin streng unter Verschluss gehalten und kritische Nachfragen sowie Untersuchungen dazu tabuisiert werden dürfen.
Der Anregung und Förderung der öffentlichen Diskussion über einige dieser unverzichtbaren Erfordernisse möge der Inhalt des beigefügten Anhangs dienen.

Seine Verbreitung ist ausdrücklich erwünscht!

Mit freundlichen Grüßen
Hans Fricke
Rostock

Hans Fricke ist Autor des im August 2008 im Berliner Verlag am Park erschienenen Buches „Politische Justiz, Sozialabbau, Sicherheitswahn und Krieg", 383 Seiten, Preis 19,90 Euro, ISBN 978-3-89793-155-8.