Betrieb & Gewerkschaft
Kurzarbeits-Regelung
Bittersüße Pille


von
Anne Moll

04/09

trend
onlinezeitung

Die Ausweitung der Kurzarbeit auf bis zu 18 Monate ist eines der wenigen Zugeständnisse der Regierung an Teile (!) der Lohnabhängigen in der Krise. Damit kann ein Teil der Stammbelegschaften vor Entlassungen geschützt werden - vorerst. Diese Maßnahme wird von Regierung und Kapital als soziales Geschenk hingestellt, die auch von DGB, SPD und Linkspartei begrüßt wird.

Warum wurde dieses „Zuckerbrot“ verteilt? Erstens will man vor der Bundestagswahl im September größere Angriffe z.B. in Form von Entlassungen vermeiden; zweitens wollen die Kapitalisten wichtige Fachkräfte für den nächsten Aufschwung an Bord halten. Es wäre ein erheblicher Wettbewerbsnachteil, bei steigender Nachfrage die Belegschaft erst wieder zusammen trommeln zu müssen. Der sehr hohe Anteil an qualifizierter Arbeit in der deutschen Wirtschaft und die Komplexität der Produktionsabläufe können eben nur in begrenztem Umfang durch Hilfs- und Leiharbeit abgesichert werden.

Die Kurzarbeiter-Regelung dient also der Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen wie zur Befriedung der Beschäftigten. 

Kurzarbeit - das kleinere Übel? 

Natürlich ziehen die Beschäftigten die Kurzarbeit der Entlassung vor. Das ist angesichts der Angst vor der wieder deutlich ansteigenden Massenarbeitslosigkeit nur allzu verständlich. Hinzu kommen in manchen Tarifgebieten gerade in der Metall- und Elektroindustrie Aufzahlungen, so dass die Lohnabhängigen mit relativ geringen Geldeinbußen leben können und noch dazu für einige Tage pro Woche von immer stressigere und intensivere Maloche frei sind.

Doch hinter der Fassade der betrieblichen Kurzarbeiterregelung müssen wir den Gesamtkonflikt zwischen Kapital und Arbeit sehen. Zwar können durch die Kurzarbeit Entlassungen - zeitweilig - verhindert werden, doch die bereits Entlassenen, die Arbeitslosen und jene, die nach der Ausbildung ins Erwerbsleben einsteigen wollen, haben davon gar nichts.

Kurzarbeitergeld wird (auch abhängig von tariflichen und betrieblichen Regelungen) teils vom Unternehmen, teils vom Staat gezahlt. Im Grunde übernimmt der Staat einen Teil der Lohnkosten. Das heißt konkret, dass die Kosten der Kurzarbeit auch auf die Steuern zahlende Arbeiterklasse abgewälzt werden. Insofern ist Kurzarbeit kein „Geschenk“ an die ArbeiterInnen, sondern Umverteilung in der Gesellschaft wie auch im Proletariat von unten nach oben.

Dieser Umstand, dass alle Lohnabhängigen für den (kurz)arbeitenden Teil der Klasse bezahlen, ohne dass der arbeitslose Teil der Klasse etwas davon hat, vertieft zugleich auch die Spaltung der Klasse. Ein Teil - die besser gestellte, arbeiteraristokratische (Fach)arbeiterschicht - kann ihre soziale Stellung noch einigermaßen sichern, während die unteren Schichten der Klasse in die Röhre schauen.

Was mag sich ein Leiharbeiter denken, der als erster auf die Strasse geflogen ist, ohne dass Belegschaft, Betriebsrat und Gewerkschaft dagegen gekämpft haben, wenn er dann von der „verbesserten“ Kurzarbeiter-Regelung hört?!

Die Hoffnung vieler ArbeiterInnen, dass die Krise „ihren“ Betrieb verschont, ihr „Vertrauen“ in das Krisenmanagement der Regierung führen nur dazu, dass immer neue, immer größere Teile des Proletariats passiv der Krise ausgeliefert sind. Das immer deutlicher werdende Ausmaß der Krise öffnet aber immer mehr Beschäftigten die Augen. Immer mehr Beschäftigten dämmert es, dass es immer unwahrscheinlicher wird, dass gerade „ihr“ Unternehmen als Insel der Seeligen im tosenden Meer der Krise überlebt.

Nachdem schon zehntausende LeiharbeiterInnen gefeuert worden sind, werden viele KurzarbeiterInnen von heute nur die Arbeitslosen von morgen sein.

Die Krise trifft zudem eine Arbeiterklasse, die schon vor der jetzigen Krise arg gebeutelt worden ist. Seit Jahren ist das Reallohnniveau gesunken. Die Agenda-Gesetze brachten zwei strategische Einschnitte mit sich: Es wurde ein immer weiter wachsender Sektor von flexibilisierter Billiglöhnerei geschaffen, zugleich wurden die sozialen Leistungen für Arbeitslose gekürzt. Die Auswirkungen der derzeitigen Wirtschaftskrise treffen also eine Klasse, deren soziale Lage, deren Reproduktionsmöglichkeiten merklich schlechter sind als früher.

War Kurzarbeit früher nur eine kurze Phase mit weniger Einkommen, nach der wieder eine tarifliche Anstellung wahrscheinlich war, so ist die Situation heute deutlich anders. Die Aussicht, länger oder dauernd arbeitslos zu sein oder nur einen schlecht bezahlten Job zu bekommen, ist viel höher als früher. Auch unter den derzeit im Hagelschlag der Krise aufgespannten „Rettungsschirmen“ ist Platz für Börsenzocker, Banker, Millionäre und Bankrotteure - nicht aber für jene, welche die Werte schaffen. 

Stunde der Heuchler 

Die Kurzarbeiterregelung - also niedrigerer Lohn, der tw. vom Staat, also partiell auch von der Arbeiterklasse bezahlt wird - wird von vielen Seiten als Lösung ohne Alternative gepriesen. Viele Betriebsräte (BR), die Gewerkschaftsführungen, SPD, DIE LINKE u.a. Parteien sagen Ja dazu. Sie alle folgen dabei einer Logik: Geht es dem Unternehmen gut - sprich: kann der Standort gerettet werden -, geht es auch den ArbeiterInnen gut. Daher müssten letztere auch Zugeständnisse machen, um ihre Jobs zu sichern.

Doch, was von dieser Argumentation zu halten ist, zeigen schon die „Erfolge“ der diversen Standortsicherungsverträge u.ä. betrieblicher Vereinbarungen der letzten Jahre. Die Löhne gingen runter, die Arbeitszeiten rauf, der Flächentarif wurde ausgehöhlt. Oft genug gingen trotz allen „Entgegenkommens“ der Beschäftigten - oder besser: von Betriebsrat und Gewerkschaft - Jobs verloren, in einigen Fällen der ganze Standort.

Solche und noch drastischere Folgen drohen, für die kommenden Jahre typisch zu werden. Die Krise offenbart das riesige Ausmaß von Überkapazitäten, nicht nur in der Autoindustrie. Schon deshalb ist es mehr als blauäugig anzunehmen, dass Kurzarbeit ein probates Mittel wäre, Entlassungen und Pleiten zu verhindern und sich in bessere Zeiten zu hangeln.

Den diversen bürgerlichen Sozial-Heuchlern geht es nur darum, der Arbeiterklasse scheibchenweise, Sektor für Sektor, Betrieb für Betrieb, Verzicht abzuringen und zugleich Widerstand zu verhindern. Diesen Krisen-Managern geht es um die Profite, um Konkurrenzvorteile, um das Überleben der deutschen Kapitalisten. Damit es mit denen wieder aufwärts geht, müssen die ArbeiterInnen eben ein paar Schritte abwärts gehen ...

Kurzarbeit ist also keine Lösung, sondern nichts anderes als eine partielle Niederlage einer Belegschaft, ja der Arbeiterklasse insgesamt.

Doch die Realität vieler Betriebe, die Kurzarbeit eingeführt haben, zeigt auch, dass der angestrebte „Befriedungseffekt“ momentan noch funktioniert. Aufgrund betrieblicher bzw. tariflicher Regelungen erhalten KurzarbeiterInnen oft 80-90 Prozent ihres vorherigen Lohns - bei deutlich kürzerer Arbeitszeit. Das macht verständlich, warum spontaner Protest gegen die Kurzarbeit bisher ausgeblieben ist. Die meist zustimmende Haltung der BR und der Gewerkschaft zur Kurzarbeit verstärken diese Passivität noch.

Aber unter dem Druck der Krise und angesichts riesiger Überkapazitäten ist es nur eine Frage der Zeit, dass es Massenentlassungen und viele Bankrotte geben wird. Das „kleinere Übel“ Kurzarbeit ist nur ein besonderer Weg ins große Desaster. 

Unsere Antworten 

Natürlich kann Kurzarbeit anstelle von Entlassungen selbst nach einem energischen Kampf in einer bestimmten Kräftekonstellation ein erzwungener, unvermeidlicher Kompromiss sein. Doch es wäre falsch - und eine vorauseilende Kapitulation -, wenn Kurzarbeit von vornherein als einzige Alternative zu Entlassungen dargestellt wird, wie es von vielen BR gehandhabt wird.

Was schlagen wir vor, wenn ein Unternehmen mit Entlassungen droht oder Kurzarbeit einführen will? Was ist die Antwort auf die vom Management präsentierte „Alternative“ Entlassungen oder Kurzarbeit?

Der erste Schritt muss sein, dass jede Kungelei zwischen BR und Gewerkschaftsapparat mit dem Management aufgedeckt wird. Die Belegschaft und die Beschäftigten anderer Betriebe  der Region, der Branche, des Konzerns müssen vollständig über die Pläne des Unternehmens informiert werden. Das wiederum macht nur Sinn, wenn die Beschäftigten wissen, wie die Lage des Unternehmens wirklich ist, ob es z.B. wirklich zahlungsunfähig ist.

Hier ist zwingend die Forderung zur Offenlegung aller Geschäftunterlagen, Investitions- und Finanzpläne, Konten, Beteiligungen usw. geboten. Erst muss ein Unternehmen beweisen, dass kein Geld mehr da ist, bevor überhaupt Kurzarbeit o.ä. Regelungen eingeführt werden können. Dazu muss es Organe von Arbeiterkontrolle geben, also gewählte VertreterInnen der (Konzern)Belegschaft, der Gewerkschaft usw.

Anstatt auf Geheimverhandlungen und Kompromisse zu vertrauen, muss von vornherein klargemacht werden, was Kurzarbeit für die Gesamtklasse bedeutet und dass sie keine wirkliche Lösung ist. Die einzige effektive Antwort auf die Krise und die Versuche des Managements, ihre Probleme auf Kosten der Beschäftigten und der gesamten Arbeiterklasse zu lösen, besteht darin, Widerstand zu organisieren. Im besten Fall können Entlassungen und Kurzarbeit vermieden werden, im schlechteren können bessere Bedingungen für einen Kompromiss herausgeholt werden. Vor allem können die Beschäftigten auch Erfahrungen im  Kampf machen und sind so für kommende Konflikte besser gerüstet.

Sollte sich herausstellen, dass die Firma wirklich gezwungen ist, Kurzarbeit o.ä. Maßnahmen einzuführen, muss - entgegen z.B. der spalterischen Praxis, erst die LeiharbeiterInnen zu feuern, um die Stammbelegschaft zu halten - gefordert werden, dass die vorhandene Arbeit auf alle Beschäftigten aufgeteilt wird. Dazu muss auch die Wiedereinstellung bereits Entlassener gefordert werden.

Diese Form von „Kurzarbeit“ müsste jedoch in voller Höhe bezahlt werden! Wir fordern: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Dafür muss der Einsatz aller Gelder des Kapitalisten gefordert werden. Sollte das nicht möglich sein, muss die Lohnlücke vom Staat überbrückt werden. Anstatt Milliarden bankrotten Banken und Finanzjongleuren in den Rachen zu werfen, müssen diese Gelder den Lohnabhängigen zu gute kommen.

Sollte das Unternehmen tatsächlich bankrott sein oder Entlassungen ankündigen, muss dessen entschädigungslose Verstaatlichung verlangt werden - allerdings unter Arbeiterkontrolle! Dazu müssen von der Basis Delegierte der Belegschaft, der Gewerkschaft, der Arbeitslosen usw. gewählt werden, die kontrollieren, dass die Verstaatlichung nicht nur ein fauler Deal zwischen Kapitalisten und Staat wird, der sich für die Beschäftigten als Mogelpackung erweist.

Diese Arbeiterkontrolle erlaubt auch, die Produktion gemäß den realen Bedürfnissen der Massen (inklusive der ökologischen) umzustellen. 

Dimension 

Letztlich ist es aber generell eine Illusion, in Zeiten einer dramatischen Krise wie jetzt zu glauben, mit betrieblichen Insellösungen wie z.B. der Kurzarbeit, einen Ausweg zu weisen. Die Krise wie die Lösungsversuche von Kapital und Staat sind Klassenkampf von oben gegen das Proletariat. Diesen Generalangriff kann nur die gesamte Klasse durch koordinierten Kampf zurückschlagen. Das heißt: Jeder Angriff auf eine Belegschaft muss mit einer Gegenreaktion der Klasse beantwortet werden! Ein Unterstützungskomitee, ein Solidaritätsstreik, eine gewerkschaftliche Kampagne über den betroffenen Betrieb hinaus sind dafür geeignete Mittel.

Dazu braucht es aber auch Strukturen, die den Kampf tragen und führen, die Druck auf BR und Gewerkschaften aufbauen, diese zum Kampf zwingen oder deren Führungsrolle ersetzen können - eine klassenkämpferische Basisbewegung. 

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir von

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 418
13. April 2009
 

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