Betrieb & Gewerkschaft
Festsetzaktionen, Betriebsbesetzungen
 „Die sozialen Konflikte radikalisieren sich“

von Bernard Schmid

04/09

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Einer in der Demo zieht ein ziemlich schräges Gesicht: Gestützt und festgehalten von zweien „seiner“ Arbeiter, läuft der Herr Werksdirektor – Alain Royer – in der Demonstration mit. Nein, nicht wirklich ganz freiwillig. Auch ein T-Shirt hat er sich zur Feier das Tages übergezogen, oder eher: es wurde ihm übergezogen, auch wenn es ziemlich schief sitzt. Darauf wird die Anzahl der Jobs, die der Konzern zu streichen im Begriff ist, verkündet.

Diese Szene spielte sich in Auxerre (in der Region Burgund) in der Fabrik für Autobatterien, Fulmen, am 29. Januar ab. Zusammen mit ihrem „Gast“ des Tages nahmen die Lohnabhängigen so an der Gewerkschafts- und Sozialprotest-Demo vom Tage teil. Eine Woche zuvor hatte der Besitzer des Werks, Exide Technologies, verkündet, den „Standort“ dichtmachen zu wollen. Aber erst am Dienstag Abend dieser Woche wurde das Ereignis durch die Mittwochs-Ausgabe (vom 1. April) der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Trotz des Datums handelte es sich keineswegs um einen Aprilscherz. Die Zeitung dokumentierte die aubergewöhnliche Demoszene auch mit einem Foto. Das Publikum wird ferner darüber informiert, dass Alain Royer damals, am 29. Januar, bis zum Ende in der Demo blieb, auch als er nicht mehr an den Ellenbogen festgehalten wurde. (Anscheinend traute er sich nicht so ganz, vorzeitig Abschied zu nehmen.) Auch verzichtete er im Nachhinein darauf, Strafanzeige gegen seine Begleiter des Tages zu erstatten. Nicht so allerdings die Firma selbst, die Anzeige erstattete und ein Kündigungsverfahren gegen die beiden Arbeiter, die auf den Fotos zu sehen sind, einleitete.

„Die Radikalisierung der sozialen Konflikte banalisiert sich“ (= normalisiert sich, breitet sich aus) lautet die Überschrift des dazugehörigen Artikels. Die Botschaft, die der Titel verkündet, banalisierte sich ihrerseits in den letzten Tagen: „Unter der Wirkung der Krise radikalisieren sich die sozialen Konflikte“, so übertitelte die christliche Tageszeitung ‚La Croix’ ihre Titelstory vom Donnerstag (o2. April), die ihre Seiten 1, 2 und 3 füllt. Und die Gratistageszeitung ‚Métro’ machte am selben Tag ihre Eins mit der Schlagzeile auf: „Die sozialen Konflikte legen eine Eskalationsstufe zu.“ Ein Gespenst geht um in Frankreich...?

Dabei geht es nicht nur um Manager und (örtliche) Direktoren, die eine Weile als unfreiwillige Gäste „ihrer“ Beschäftigten verbringen.

Klar, auch die Festsetzaktionen breiteten sich in jüngster Zeit aus. Nachdem etwa der Generaldirektor von Sony-France, Serge Foucher, in der Nacht vom 12. auf den 13. März in seinem Büro eingesperrt war, haben sich solche Aktionen inzwischen vervielfacht. Zuletzt wurden am Dienstag und Mittwoch dieser Woche vier Manager und leitende Angestellte des US-Baumaschinenherstellers Catarpillar im ostfranzösischen Grenoble für 24 Stunden festgehalten. Zuvor hatte der US-Konzern den Abbau von 733 (von insgesamt 2.800) Arbeitsplätzen verkündet. Die französische Direktion hatte den Beschluss, der jenseits des Atlantiks verkündet worden war, nur auszuführen – Verhandlungsspielraum sollte nicht bestehen. So jedenfalls der Masterplan der Konzernführung. Er ging nicht auf, der Plan: Denn infolge der Vereinbarung, die bei der Freilassung der vier Manager abgeschlossen wurde, muss nunmehr mit den Arbeiter/inne/n weiterverhandelt werden. Und auch die drei Tage des Ausstands, in die hinein die Festsetzaktion fiel, müssen infolge des Abkommens durch die Firmenleitung bezahlt werden.

Nach der spektakulären Aktion vom Dienstag/Mittwoch hat sich nun allerdings der französische Staat eingeschaltet: Präsident Nicolas Sarkozy (der definitiv überall sein möchte) verkündete am Mittwoch, den 1. April, er wolle „den Standort in Grenoble retten“. Durch Druck auf den Konzern und eventuell unter Zuschuss öffentlicher Mittel. Allerdings vermerkt die Presse dazu, dass Sarkozy Ende 2007 den Beschäftigten des Stahlwerks im lothringischen Gadrange (das dem anglo-indischen Konzern Mittal Steel, welcher Arcelor aufkaufte, gehört) ein ähnliches Versprechen abgab. Daraus wurde jedoch in der Praxis nichts, der Standort wurde dichtgemacht, freilich werden 30 Millionen Euro (und 10 Millionen „aus der Tasche“ von Mittal) u.a. in Umschulungsmabnahmen investiert.

Mitunter trifft es – neben örtlichen Direktoren, die selbst im Prinzip auch nur ausführendes Personal sind und für andernorts ansässige Schaltzentren den Kopf hinhalten – auch höhere „Viecher“. So wurde am Abend des 31. März der Multimilliardär François-Henri Pinault, früherer Intimus des Präsidenten Jacques Chirac und Besitzer mehrerer Handelsketten, durch etwa fünfzig „seiner“ Beschäftigten in einem Taxi aufgespürt – und für eine Stunde blockiert. Zuvor hatte Pinaults Konzern PPR verkündet, in seinen Handelsunternehmen FNAC (betreibt eine Reihe von Kulturkaufhäusern) und Conforama (Möbelgeschäfte) massiv Stellen abzubauen. Die Krise ist immer ein guter Moment, um „schmerzhafte“ Entscheidungen zu verkünden, auch wenn sie auch sonst erfolgt wären, um „Kosten zu sparen“.

Aber auch Betriebsbesetzungen kommen, neben Festsetzaktionen, wieder auf. So waren seit dem gestrigen Donnerstag die Lohnabhängigen des weltweit führenden Herstellers von Baukränen, Manitonow Crane (früher Potain), dazu aufgerufen, „ihre“ Werke zu besetzen, ohne allerdings die Produktion zu verhindern.

Zuvor hatten bereits seit vergangener Woche die 400 Beschäftigten der Chipkartenfabrik ‚FCI Miroconnections’ in Mantes-la-Jolie (eine entlegene Trabantenstadt circa 35 Kilometer westlich von Paris) „ihr“ Werk besetzt. Damals, Ende März, begannen sie bereits ihre fünfte Streikwoche. Sie waren am 24. Februar o9 „präventiv“ in den Ausstand getreten, weil sie Kenntnis von einem bevorstehenden „Sozialplan“ und der drohenden „Abwicklung“ ihres Werks hatten. Bis dahin hatte die Direktion stets das Vorhandensein eines „Sozialplans“ geleugnet, doch ein Dokument hat inzwischen bewiesen, dass sowohl ein solcher Plan in den Schubladen lag, dessen Auslösen für November 2009 geplant war. (Vgl. http://www.mediapart.fr/) Obwohl die Aktivität „ihres“ Arbeitgebers sich – trotz allgemeiner Krise – in einer Boomphase befindet, hat die Direktion entschieden, den Standort der Produktion nach Singapur zu verlagern. Die Werksleitung hat unterdessen den Standort schlicht und einfach aufgegeben und sich vollständig zurückgezogen, sie „verschanzt sich am zentralen Firmensitz in Versailles“.. (Vgl. http://www.bakchich.info Am 30. März wurde der Sitz in Versailles jedoch durch etwa einhundert Streikende „heimgesucht“, und drei Mitglieder der Direktion (unter ihnen der Branchenleiter für die Chipproduktion, Jérôme Duhirel) wurden einige Stunden lang festgesetzt.

Der Besitzer, der in den USA ansässige Investmentfonds ‚Bain Capital’ (er hat weltweit 14.000 Lohnabhängige unter seinem Kommando), scheint auf die Strategie des „Aussitzens“ und „Totlaufen-Lassens“ zu setzen. Unterdessen hat er aber beim zuständigen Gericht in Nanterre in einem Eilverfahren den Erlass einer Einstweiligen Verfügung zur polizeilichen Räumung des besetzten Werks beantragt. (Ergebnisse sind bis zur Stunde nicht näher bekannt.)Am Dienstag, den o6. April begannen unterdessen - nach sechswöchigem Streik - Verhandlungen um das „Schicksal“ der Firma FCI in Gegenwart des Präfekten von Versailles. (Vgl. http://www.agefi.com/

Umfrage: Verständnis für Festsetzaktionen relativ verbreitet

Laut einer Umfrage, die am Dienstag, den o7. April in der Tageszeitung ‚Le Parisien’ erschien, ist die französische Bevölkerung betreffend ihre Haltung im Hinblick auf die Festsetzaktionen gespalten. Generell bezeichnen (im allgemeinen Bevölkerungsdurchschnitt) 50 Prozent sie als „nicht akzeptabel“, hingegen 45 % als „akzeptabel“. Unter den Industriearbeiter/innen steigt der Anteil für letzt genannte Auffassung auf 56 Prozent, bei den Angestellten liegt er demnach bei 50 %. Hingegen sinkt er in der sozialen Kategorie „höhere Angestellte plus Freiberufler“ auf 40 Prozent. Die Umfrage wurde am 1. und 2. April dieses Jahres erstellt.

Eine andere Befragung, die am 2. und 3. April für das bunte Wochenmagazin ‚Paris Match’ durchgeführt wurde, ergab folgendes Bild: 30 % „bejahen/unterstützen“ (approuver) solche Aktionen, und 63 % „bekunden ihr Verständnis, ohne zu unterstützen“. Nur 7 % „verurteilen scharf“ solche Aktionen.

Präsident Nicolas Sarkozy griff am Montag Nachmittag (o6. April), vor rund 1.OOO Zuhörer/inne/n bei einer öffentliche Veranstaltung im Umland von Marseille, solche Aktionen und ihre Befürworter scharf an. „Wir leben in einem Rechtsstaat. Ich werde solche Dinge nicht zulassen“ rief der Staatschef aus. Und er tönte dazu: „Das Verhalten einer bestimmten Anzahl von Patrons ist nicht hinnehmbar, aber die übergrobe Mehrheit (immense majorité) der Unternehmenschef leidet unter der Krise und verhält sich ausgezeichnet (formidablement bien).“ Sarkoy nannte im selben Atemzug wie die militanten Lohnabhängigen auch die „Randalierer“, sowie die kriminellen Brandstifter, vom Wochenende in Strasbourg – vgl. neben stehende Artikel zum NATO-Gipfel vom o3./o4. April.

Zuvor hatte selbst die rechtssozialdemokratische, doch populistische Politikerin Ségolène Royal Verständnis für solche Aktionen von Lohnabhängigen in Betrieben bekundet, wenn „alle Verhandlungswege blockiert“ seien. Allerdings hat Royal, die nach dem Parteikongress der französischen „Sozialisten“ vom 12. – 14. November 2008 von der Parteispitze verdrängt worden ist, derzeit wenig zu verlieren und betreibt eine Sympathiekampagne in eigener Sache.- Die aktuelle Parteivorsitzende, Martine Aubry, hat am Mittwoch früh (o8. April) erklärt, sie „verurteile“ die Festsetzaktionen, aber letztere seien „erklärbar“ und resultierten mitunter aus dem „Gefühl der Erniedrigung“ bei Lohnabhängigen. (Vgl. http://www.lemonde.fr/web/depeches/0,14-0,39-38962474@7-37,0.html)

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.