„Es klemmt für die 200 Euro in Guadeloupe“ übertitelt die
linksliberale Pariser Tageszeitung ‚Libération’ einen Artikel
vom 24. Mârz o9. Der Grund: Es ist zur Stunde noch völlig
unklar, ob – wie es zeitweise schien – eine Mehrheit der
Lohnabhängigen auf der französischen Karibikinsel in den
Genuss der 200 Euro Erhöhung für alle tiefen tiefen Löhne (bis
zum 1,4fachen des gesetzlichen Mindestlohns, d.h. rund 1.400
Euro nett) kommen wird.
In
der Nacht vom o4. zum o5. März dieses Jahres hatten das
Kollektiv LKP, die französische Staatsmacht sowie die –
sozialdemokratisch geführte - Regional- und Bezirksregierung der
Insel das oben zitierte Abkommen geschlossen. Es sah eine
„Beendigung“ der Krise und die Erfüllung eines Katalogs von rund
140 Forderungen vor. Deren wichtigste war die Erhöhung aller
Niedriglöhne („niedrig“ gemessen vor allem an den überteuerten
Lebenshaltungskosten in dem französischen „Überseebezirk“) um
200 Euro. Dieser Forderung wurde stattgegeben. Dabei werden die
Kosten für die Finanzierung der Lohnerhöhung zwischen den
Arbeitgebern einerseits, dem Staat – der den Lohnabhängigen eine
„Sonderprämie“ für die Einführung des RSA (ein „Kombilohn“, der
eine Aufstockung von Sozialleistungen durch Hungerlöhne ohne
Verlust der sozialen Leistungsansprüche erlaubt) – und der
Inselregierung aufgeteilt. Die beiden Letztgenannten geben den
Arbeitgebern dabei faktische Subventionen durch Nachlässe bei
den Steuern und Sozialabgaben/„Lohnnebenkosten“, um die
Aufwendung der 200 Euro zu erleichtern. Die finanzielle Hilfe
von Staat und Inselregierung – durch Sonderprämie, Steuer- und
Abgabenerlässe – macht dabei jeweils 150 Euro der 200 Euro
Erhöhung aus. Aber sie soll auf drei Jahre hinaus befristet
sein: Danach sollen die Arbeitgeber diesen Anteil (oder was die
Preisentwicklung bis dahin davon übrig gelassen hat) übernehmen.
Zunächst zeichnete sich ab, dass die von der Insel selbst
stammenden „kleinen“ Arbeitgeber – die bspw. ein kleines
Touristenhotel und drei oder vier Angestellte haben – das
Abkommen schon in einem frühen Stadium akzeptierten; aber die
von „Weiben“
(Festlandfranzosen oder ‚Békés’ = Nachfahren der früheren
Sklavenhalter) kontrollierten Grobunternehmen
wie Supermärkte und Hotelketten es verweigerten. Der MEG
(‚Mouvement des entrepreneurs de Guadeloupe’), der örtliche
Arbeitgeberverband – Mitgliedsorganisation beim französischen
Kapitalistenverband MEDEF – verweigert bis jetzt seine
Unterschrift unter das Abkommen. Allerdings scherte der Verband
der Bauindustrie, unter dem sozialen Druck der Massenproteste,
aus seinen Reihen aus und unterzeichnete das Abkommen.
Inzwischen wenden auch viele Grobunternehmen
der Tourismus- oder Supermarktbranche das Abkommen faktisch an
(und zahlen die erhöhten Löhne aus), aber ohne es zu
unterzeichnen. Juristisch sind sie damit nicht an das Abkommen
gebunden, und könnten morgen oder übermorgen einfach de facto
von ihm zurücktreten, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu
müssen. Der MEG beruft sich unter anderem darauf, die
ökonomischen Perspektiven lieben
sich nicht mittel- und längerfristig bewerten.
Abhilfe sollte eine juristische Prozedur namens ‚extension’, das
Äquivalent zur deutschen „Allgemeinverbindlich-Erklärung“ (AVE)
eines Tarifvertrags, bringen. Darüber fällt zunächst die
Nationale Tarifkommission (Commission nationale de la
négociation collective) einen Beschluss, der für den Arbeits-
und Sozialminister zwar nicht rechtlich bindend ist, ihm aber
dennoch eine politische Vorgabe bietet. Danach entscheidet der
Arbeits- und Sozialminister definitiv darüber, ob eine AVE für
einen Kollektivvertrag vorgenommen wird. Fällt dieser Beschluss
positiv aus, dann bedeutet dies, dass alle Arbeitgeber in dem
betreffenden Wirtschaftssektor – ob sie (oder die Verbände, in
denen sie Mitglied sind) die Vereinbarung unterzeichnet haben
mögen oder nicht – an den Kollektivvertrag gebunden sind und
nicht von ihm abweichen können.
Ursprünglich hatte es so ausgesehen, als werde der Beschluss
dazu im Falle des Abkommens von Guadeloupe bis am Freitag , den
20. März gefällt. Der Gewerkschaftsdachverband Force Ouvrière
(FO) hatte am o7. März die Nationale Kommission, welcher er wie
die anderen Dachverbände angehört, zu dem Thema einberufen.
Arbeits- und Sozialminister Brice Hortefeux hatte zunächst in
der Öffentlichkeit erklärt, er wolle die Sitzung der Kommission
am 20. März abwarten. Danach wisse man, was bei der Sache
herauskommt.
Doch
die Entscheidung wurde vertagt, und es soll nun eine zweite
Sitzung mit allen „Sozialpartnern“ einberufen werden. Arbeits-
und Sozialminister Hortefeux hat sich eine zusätzliche Frist bis
zum o3. April eingeräumt, um im Anschluss daran seinen Beschluss
zu fällen.
Noch
ist unklar, was dabei herauskommt. Die Debatte hat sich –
vordergründig jedenfalls – an einem ideologischen Punkt
kristallisiert: Das Abkommen spricht in seiner Präambel von
einer „Plantagenwirtschaft“ (économie de plantation) auf
Guadeloupe, und stellt damit die derzeitige Inselökonomie in
eine Reihe mit jener der früheren Sklavenhalter – deren
unmittelbare Nachfahren tatsächlich noch mindestens rund 50
Prozent der örtlichen Ökonomie kontrollieren. Vor einigen Jahren
waren es rund 80 %, aber die Konkurrenz durch
festlandfranzösische Unternehmen, im Kleinhandel auch durch
Chinesen und Inder, hat ihren Anteil etwas zurückgehen lassen.
Diese
Begrifflichkeit sei unakzeptabel, fauchte alsbald die
französische Innenministerin Michèle Aliot-Marie. In dasselbe
Horn stieb
auch Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot vom MEDEF.
Inzwischen spricht auch der französische „Staatssekretär für die
Überseegebiete“ Yves Jégo von einer „unakzeptablen Präambel“.
Allerdings kritisiert er gleichzeitig ebenfalls jene
Arbeitgeber(verbände), die bislang ihre Unterschrift
verweigerten, „da sie Unrecht hatten, nicht an der Diskussion
darum teilzunehmen“. (In den letzten Märztagen kursierten in
Paris immer lauter werdende Nachrichten, dass Präsident Nicolas
Sarkozy seinen Staatssekretär austauschen möchte. Allem Anschein
nach ist die Linie Yves Jégos zu „weich“ gewesen. Zu Anfang der
Woche kursierte unterdessen der Name einer aus Guadeloupe
stammenden Journalistin als der seiner möglichen Nachfolgerin.
Die hübsche Dame, im Badeanzug, zierte daraufhin bereits die
Seite Eins einer britischen Boulevardzeitung als ‚Sarkozy’s new
minister’. Ihre Ernennung wurde jedoch inzwischen von allen
Seiten dementiert.)
Noch
schwerer als die Präambel dürften Arbeitgebern, Staatsmacht und
den privilegierten Klassen auf den Antillen wohl die 200 Euro im
Magen liegen. Aber sicherlich wird die weitere
Auseinandersetzung um das – allgemein verbindliche –
Inkrafttreten der Vereinbarung an beiden Fronten, der
„symbolischen“ u. ideologischen und an der „materiellen, geführt
werden. Nun muss genau im Auge behalten werden, was in den
kommenden Tagen und Wochen mit dem Abkommen passieren wird.
Rache der Staatsmacht?
Ein
sehr schlechtes Zeichen ist unterdessen, dass die
Staatsanwaltschaft in der Inselhauptstadt Pointe-à-Pitre – auf
Guadeloupe – am Samstag, den o7. März o9 ein Strafverfahren
gegen den (schwarzen) Sprecher des Kollektivs LKP, Elie Domota,
einleitete. Dem 42jährigen wird in dem Ermittlungsverfahren, das
von Amts wegen eröffnet wurde, „Aufstachelung zum Rassenhass“ –
so lautet ein Delikttatbestand des französischen
Strafgesetzbuchs, vergleichbar dem deutschen
Volksverhetzungsparagraphen – vorgeworfen. Gegen Weibe.
Was
hatte er verbrochen? Elie Domota hatte jenen Arbeitgebern, die
nicht zur Anerkennung und Umsetzung des am 4. März
abgeschlossenen Abkommens bereit seien, damit gedroht, sie
müssten auf Dauer die Insel verlassen: „Wir werden es nicht
zulassen, dass eine Bande von Béké wieder die Sklaverei
einführen möchte.“ Dies wurde von Amts wegen als Rassenhatz
gegen Weibe
gewertet. In Wirklichkeit bezeichnet der Begriff „Béké“ aber
mitnichten eine Hautfarbe, sondern die Zugehörigkeit zu einer
fest definierten sozialen Gruppe. Ein Eintrag im französischen
Wikipedia erklärt beispielsweise, als Béké bezeichne man auf den
französischen Antillen „die Nachfahren der frühen, Sklaven
haltenden Siedler“. Und im übrigen auch nicht alle ihrer
Nachfahren. Denn wer in diesen Kreisen eine „Mischehe“ mit
Dunkelhäutigen eingeht, wird – auch heute noch – regelmäbig
von seiner Klasse oder Kaste verbannt und ausgeschlossen.
Die
Staatsanwaltschaften in Frankreich sind an Weisungen aus dem
Justizministerium gebunden – nicht jedoch die Richter/innen -,
so dass klar ist, dass die politischen Machthaber in
Point-à-Pitre und Paris dieses Ermittlungsverfahren
unterstützen. Schon zuvor zeichnete sich ab, dass zumindest
Teile des regierenden Bürgerblocks in Paris das LKP eine
ziemlich irre Ecke drücken möchten und auf Rache sinnen. So
bezeichnete der Abgeordnete der französischen Regierungspartei
UMP, Frédéric Lefebvre – ein Provokateur, der oft als
Lautsprecher Nicolas Sarkozys agiert – das LKP Anfang März als
‚tontons macouts’ (ungefähr: Macheten-Onkel). Dadurch verglich
er das Protestkollektiv mit einer Miliz, die unter dem
haitianischen Diktator Duvalier, gestürzt 1986, mit brutaler
faschistischer Gewalt gegen Oppositionelle vorging und in der
gesamten Karibik einen finsteren Namen im kollektiven Gedächtnis
hinterlassen hat.
Editorische
Anmerkungen
Den Artikel
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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