Deutschland/Israel/Palästina
Eine schwierige Beziehungsfindung

Interview mit Peter Ullrich

04/09

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Vorbemerkung:
Nach einem Vortrag in Frankfurt bat mich das "Friedensjournal" um ein Interview über das Verhältnis der Linken zum Nahostkonflikt. Erscheinen konnte es dann doch nicht. Die Redaktion freute sich zwar über meine Kritik an den Antideutschen, aber die Bezeichnung der Hamas als "extrem reaktionär" konnte sie aber nicht akzeptieren. Das war dem "Friedensjournal" wohl zu friedlich. Deswegen veröffentliche ich das Interview hier. (P.U.)

FJ: Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist von einem wechselhaften Verhältnis linker Kräfte zu Israel geprägt. Welche Rolle spielt dabei die neue Israel-Solidarität, die sich seit 1990 bei den „Antideutschen“ entwickelt hat?

PU: Die Antideutschen haben sich als Reaktion auf bestimmte (Fehl-)Entwicklungen der Gesamtgesellschaft (Vereinigungseuphorie, Nationalismus 1989/1990) und der Linken (bspw. Linksnationalismus, linker Antisemitismus und weltbildhafter Antizionismus) gebildet. Diese negativen Inhalte, gegen die strategisch-politisch opponiert wurde, wurden dann aber extrem radikalisiert. So wurden aus ehemals unterstützten Opfern (bspw. Jüdinnen und Juden, die gegen Antisemitismus oder Antizionismus in Schutz genommen wurden) Objekte der Identifikation. Am Ende wurde von den verbliebenen Antideutschen alles Jüdische und alles Israelische idealisiert. Das ist eine absurde Position, aber sie hat mit dazu beigetragen, dass die linksdeutsche Nahostdebatte in den letzten Jahren so hitzig geführt wurde und so auch komplexere Sichtweisen entstehen konnten, die mehr als nur einseitige Solidarisierungen beinhalten.

FJ: Während des Gaza-Krieges haben auch deutsche Neonazis ihre Sympathie für die Hamas und die Palästinenser bekundet. Wie gehen nun in Deutschland die Antifa-Gruppen mit dieser Thematik um?

PU: Es ist ein schlimmes Zeichen, dass es auch in der Linken „Solidarität“ mit der Hamas gibt. Das ist nicht deshalb schlimm, weil auch Nazis das mit einigen ideologischen Verrenkungen gelegentlich praktizieren, sondern schlicht wegen des eindeutigen reaktionären Charakters der Hamas. Andere begehen wiederum den Fehler, deswegen die Palästinenser/innen als Wiedergänger der Nazis zu begreifen. Die Antifa ist da also komplett gespalten. Es gibt antideutsch orientierte und traditionslinke, eher antiimperialistische Kräfte, aber auch ein großes Feld von Zwischenpositionen. Für die Antifa bedeutet das natürlich, dass sie ihre Koperationspartner und Symbole hinterfragen muss um keine Verwechslungen aufkommen zu lassen.

FJ: An welcher Stelle wird bei einer Solidarisierung mit Palästina durch linke Kräfte und soziale Bewegungen auch Antisemitismus transportiert?


PU: Antisemitismus zeigt sich v.a. in einer sehr breiten Grauzone des Antizionismus und der Palästinasolidarität, die manchmal eine Flanke nach rechts offen hat. Deutlich wird dies bspw. bei den anderen Standards, die an Israel angelegt werden. Warum wird nicht Saudi-Arabien, Sudan, Somalia oder Sri Lanka zu einem großen Thema der Linken? Da wirken alte nationale Verletzungen mit, denn Israel erinnert Deutsche, die sich nicht vom Denken in nationalen Kategorien gelöst haben (auch Linke), immer auch an die Shoah, die zeigt, wie absurd und gefährlich nationales Denken eigentlich ist. Das führt dann zu Gleichsetzung der israelischen Besatzung mit dem Nationalsozialismus, im deutschen Kontext also einer Form der Täter-Opfer-Umkehr. Gelegentlich gibt es sogar Kritik an Israel mit Bezügen zum alten christlichen Antijudaismus, bspw., wenn Sharon als „Antichrist“ gebrandtmarkt wird. Das wichtigste Einfallstor liegt aber in der Kooperation mit Antisemiten. Viele sehen in der Hamas komischerweise nur Befreiungskämpfer, aber sie ignorieren deren offen antisäkulares, antifeministisches, antidemokratisches, autoritäres und eben auch eindeutig antisemitisches (und nicht nur antizionistisches) Programm. Weder der Raketenbeschuss auf Zivilist/innen noch die Attentate können als etwas verstanden werden, was der linken Hoffnung auf Befreiung der Menschen aus sie unterdrückenden Verhältnissen zuträglich ist. Die Hamas steht nun einmal auch dafür. Die Hamas muss als Faktor im Konflikt sehr wohl ernstgenommen, darf aber nicht als Bündnispartner für Linke missverstanden werden. Aus manchen Teilen der Friedensbewegung bekommt die Hamas einen mir unverständlichen Kredit, schließlich sei sie ja demokratisch gewählt. Doch wenn wir gegen Kriege und Sozialabbau der Bundesrepublik demonstrieren weisen wir ja auch nicht immer darauf hin, dass die Kanzlerin demokratisch gewählt wurde. Was falsch ist, ist auch falsch, wenn die Mehrheit es mitträgt.

FJ: Sie haben sich intensiv mit dem Verhältnis der Linken in Großbritannien zu dem Nahostkonflikt befasst. Gibt es dort eine andere Wahrnehmung des Konfliktes?

PU: Die britische Linke ist anders; besonders der weltweite Imperialismus des Königreiches war für sie prägend. Daher ist sie viel mehr für Imperialismus und Rassismus (bspw. Islamophobie) sensibilisiert als die deutsche Linke, die das Thema Rassismus oft stiefmütterlich behandelt. Andererseits fehlt ihr – wie so häufig in der Arbeiterbewegung - für die Bedeutung und Gefahr des Antisemitismus völlig der Sinn. Daher kümmert man sich in Großbritannien sehr um die Rechte der Palästinenser/innen und den Kampf gegen die Besatzung. Andererseits wird kein Gedanke daran verschwendet, welche Rechte der israelischen Bevölkerung zustehen, welche Bedürfnisse diese hat. In dieser Situation ist man viel schneller als hierzulande bereit, mit allen zu kooperieren, die irgendwie auch gegen Israel sind. Es gibt in der britischen, sehr traditionalistischen und stark vom Trotzkismus beeinflussten Linken viel mehr als in der Bundesrepublik Kooperation mit Muslimen. Leider gehören dazu auch reaktionäre muslimische Vereine (wie Ableger der Muslimbruderschaft) oder islamistische Theologen. Das geht einher mit einer verharmlosenden Idealisierung der islamistischen Militanten im Irak und des autoritären Regimes im Iran. Immer wieder können da auch Antisemiten mit der Hofierung durch Teile der Linken und der Friedensbewegung rechnen.
Dabei ist es klar: Man kann (und sollte!) gegen die israelische Besatzung sein oder gegen einen möglichen Krieg gegen den Iran. Man sollte deswegen aber nicht im Umkehrschluss die Palästinenser/innen für alle Strategien entschuldigen (nur weil man sie möglicherweise erklären kann) oder – wie in der britischen Gewerkschaftslinken geschehen – die iranische Demokratie (eigentlich eine Theokratie) über den grünen Klee loben. Hier gilt es stattdessen Ambivalenzen auszuhalten. In einer kapitalistischen und nationalstaatlich organisierten Welt behält niemand eine weiße Weste, oder Adorno dekontextualisierend: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, d.h. kaum jemand bleibt in dieser Welt moralisch sauber. Diese Ambivalenzen muss man auch ertragen, will man die Sicht auf die Welt nicht zu sehr vereinfachen.

FJ: Zurück zu Deutschland: Gibt es Ihrer Meinung nach einen Königsweg zwischen den beidseitigen Überidentifikationen?

PU: Nein, ich sehe keinen Königsweg. Ich finde es spannend, dass die linken Sichtweisen auf den Konflikt historisch und geografisch kontingent sind. Ganz konkrete gesellschaftliche Konstellationen eröffnen Spielräume für Ideologiebildungsprozesse, die manchmal auch Lernprozesse sein können, die komplexere, vielschichtigere, weniger eindimensionale Sichtweisen auf den Konflikt ermöglichen, wie die Entwicklung in der deutschen Linken in den letzten Jahren belegt.
Die Linke muss sich dieser situativen Prägungen bewusstwerden, sie mitreflektieren. Als Maßstab kann ihr dabei nur ein konsequenter Universalismus gelten, der kein Übel, von dem Menschen betroffen sind, als das kleinere akzeptiert. Dieser Universalismus darf weder vor dem Leiden der Palästinenser/innen noch vor ihren extrem reaktionären „Befreiern“ von der Hamas kapitulieren.

 

Editorische Anmerkungen

Den  Text erhielten wir vom Autor - weiteres siehe Vorbemerkung.

Bücher zum Thema von Peter Ullrich: Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland (Dietz, Berlin 2008) sowie Begrenzter Universalismus. Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt (AphorismA, Berlin 2007)