Betrieb & Gewerkschaft
Tarifrunde Öffentlicher Dienst
Die Linken und der Streik

von
Helga Müller

04/08

trend
onlinezeitung

In unserem Flugblatt zur Tarifrunde 2008 schrieben wir: “Über den Charakter dieses Tarifkampes darf man sich keinen Illusionen hingeben: es geht im Kern nicht um die Frage, ob “der Aufschwung bei den Menschen ankommen soll” oder es sinnvoll wäre, die Massenkaufkraft zu erhöhen. Es geht auch nicht nur um leere Kassen der “Öffentlichen Hand”. Es geht nach vor um den Generalangriff auf die gesamte Arbeiterklasse, auf das sich das deutsche Kapital im internationalen Wettbewerb gegenüber der Konkurrenz besser positionieren kann. (...) Für einen wirklichen Erfolg ist Zweierlei nötig:

  • eine breite Mobilisierung der Arbeiterklasse - auch über die vom Tarif Betroffenen hinaus;

  • dass die Beschäftigten die Kontrolle über den Kampf in die eigenen Hände nehmen.”

Als RevolutionärInnen wissen wir, dass der rein ökonomische Kampf um höheren Lohn oder bessere Arbeitsbedingungen das System der Lohnarbeit, auf dem der Kapitalismus beruht, nicht außer Kraft setzt. Zudem bleibt den Lohnabhängigen verborgen, dass sie einen Teil der Arbeitszeit nur für den Kapitalisten arbeiten und das nicht in Form des Lohnes ausbezahlt wird. Daraus resultiert der “natürliche Reformismus” der Arbeiterklasse.

Die Politik der Gewerkschaftsführung spiegelt diesen Bewusstseinsstand wider udn befestigt ihn. Zugleich sind die Gewerkschaftsbürokraten so vielfältig mit dem bürgerlichen Staat verbunden, dass sie sich selbst als Vermittler zwischen den Kapitalinteressen und den Interessen der Arbeiterklasse verstehen und somit für die Bourgeoisie die Funktion übernehmen, die Arbeiterklasse an die kapitalistischen Verhältnisse zu binden.

Um der Arbeiterklasse zu helfen, ihre Unabhängigkeit vom bürgerlichen Staat und den kapitalistischen Verhältnissen zu erreichen, ist es notwendig, jeden ökonomischen Kampf mit politischen Fragen zu verbinden und die Frage der Kontrolle des Kampfes aufzuwerfen. Das ist die Aufgabe von RevolutionärInnen in den Gewerkschaften.

Der Tarifkampf bot eine gute Möglichkeit, mit Aktionsvorschlägen, Progaganda und Agitation mehr ArbeiterInnen zu erreichen, als das in „normalen Zeiten der Fall“ ist. Daher wollen wir auch betrachten, was linke Organisationen dazu zu sagen haben.

Die SAV

Die SAV und ihr "Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di" geht in ihrem Info vom 14.03.08 sehr richtig auf die Frage der großen ökonomischen Kampfstärke der KollegInnen im Öffentlichen Dienst insbesondere in den Bereichen, in denen die just-in-time Produktion durchbrochen werden kann (wie im Flughafenbereich), auf die Frage des gemeinsamen Kampfes aller in den Tarifkämpfen befindlichen KollegInnen, auf die Durchsetzung eines Vollstreiks im öffentlichen Dienst, auf die verschiedenen Ebenen der Kontrolle des Kampfes ein und auch auf die wichtige Frage: Wer soll die Zeche zahlen?. Das können wir unterstützen.

Trotzdem bleibt die Frage der Dimension der Angriffe offen. So geht es u.a. darum, weitere Bereiche des Öffentlichen Dienstes zu privatisieren und damit den Profitbedingungen des Kapitals zu unterwerfen.

Wir denken, dass es notwendig ist, dies aufzuzeigen, um den KollegInnen klar zu machen, dass es eben nicht nur um Lohnforderungen geht, sondern um die Verteidigung von gesellschaftlichen Errungenschaften, die im Interesse der gesamten Arbeiterklasse liegen, und die nun von den Kapitalisten und ihren Statthaltern in Bund und Kommunen angegriffen werden.

Nur wenn wir diese politische Dimension aufzeigen, können wir erklären, dass hinter dem Verrat der Funktionäre nicht Unfähigkeit oder Feigheit steht - auch wenn dies zusätzlich der Fall sein kann - sondern die politische Bindung an das kapitalistische System. Die Basisopposition in den Gewerkschaften - die auch die SAV z.B. mit ihrem "Netzwerk" aufbauen will - muss deshalb nicht nur kämpferisch sein, sondern auch für den Bruch mit dem Kapitalismus kämpfen.

Der RSB

Der Revolutionär-sozialistische Bund (RSB) geht in seinem Flugblatt Uns reicht's vom März 2008 auf die Kampfbereitschaft der KollegInnen ein und unterstreicht, dass die Forderungen berechtigt sind und schließt dem noch weitergehende Forderungen an wie Weg mit der Leistungsentgeltregelung, Abschaffung der Meistbegünstigungsklausel, Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Entgelt- und Personalausgleich und Gegen Privatisierungen und Ausgliederungen.

Wir stimmen mit dem RSB überein, dass vor allem die Forderung der Arbeitszeitverkürzung und die Verteilung der Arbeit auf alle wie auch die Forderung gegen Privatisierung eine wichtige Forderung nicht nur in diesem Tarifkampf ist. Aber dass der wichtigen Frage der Kontrolle über den Kampf, also der Frage, wie die Gewerkschaftsbürokratie erfolgreich geschlagen werden kann, nur die Forderung Kein Abschluss ohne Mitgliederbefragung! in diesem Flugblatt gewidmet wird, ist doch zu kurz gefasst. Da entsteht der Eindruck, dass es ausreichen würde, wenn die KollegInnen nur genug streiken und die Öffentlichkeit auf ihrer Seite haben, dann könnten sie zumindest einen Teil ihrer Forderungen durchsetzen.

Wir denken - auch wenn man nicht in jedem Flugblatt alles schreiben kann -, dass es gerade nach den Erfahrungen der letzten Streiks notwendig ist aufzuzeigen, welche Gefahren ihnen drohen, wenn die Bürokratie die Kontrolle über den Kampf behält und was die Beschäftigten dagegen tun können.

Was ist z.B., wenn sich die Bürokratie nicht an das Ergebnis der Mitgliederbefragung hält? In letzter Instanz ist immer entscheidend, dass die Basis a) auf diese Probleme politisch vorbereitet sind und b) eigene Kampfstrukturen aufbauen, die wenn nötig auch ohne und gegen die Bürokratie handeln kann.

Die DKP

Die DKP geht in ihrem Artikel Bereit zum Streik in unsere zeit vom 14.03.08 ausschließlich auf den Kaufkraftverlust der KollegInnen ein und dass daher die Lohnforderung berechtigt und notwendig sei. Es werden verschiedene ver.di-Funktionäre zitiert, die vom Vollstreik reden. Es wird darauf verwiesen, dass dies auch notwendig sei, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Als Beispiel wird ironischerweise der Kampf der GdL genannt, zu dessen Unterstützung die DKP sich nicht durchringen konnte.

Es fällt aber kein Wort darüber, wie diese leeren Versprechungen der Gewerkschaftsbürokraten von Seiten der KollegInnen auch gegen den Willen der Führung durchgesetzt werden können - gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den letzten Tarifkämpfen. Die KollegInnen werden damit politisch allein gelassen und so den Manövern der Gewerkschaftsbürokratie überlassen.

Gleichzeitig wird auch im Artikel auf die Steuerpolitik, auf die Zunahme der privaten Vermögen eingegangen und dass der Staat nur die Vermögenssteuer wieder einführen müsste, dann wäre wieder genügend Geld da - eine typisch linksreformistische Sichtweise, dass das Vermögen nur umverteilt werden müsse, dann wären alle Probleme gelöst. Kein Wort davon, dass der bürgerliche Staat im Interesse der Kapitalisten agiert, auch und gerade in der Steuerpolitik.

Die MLPD

Auch die maoistische MLPD geht in ihrem Info Tarifstreik aktuell 2 vom 10.3.08 auf die ökonomische Stärke der Streiks ein (Flughäfen). Sie verweist auf neue Schichten, die sich an den Streiks beteiligen und dass ein konsequenter Streik für die Durchsetzung notwendig sei. Aber darauf, wie dieser konsequente Streik erreicht werden soll, wird überhaupt nicht eingegangen.

Dafür werden die Streiks der letzen Zeit als Beleg dafür angeführt, dass es einen allgemeinen Linkstrend gibt und der Albtraum der Regierenden darin bestünde, “dass - unterstützt von der MLPD - “wachsende Massenkritik am Kapitalismus und wachsende Kampfentschlossenheit in die Arbeiteroffensive übergehen und dabei auch die Regierungspolitik ins Visier“ genommen werden könnte.

Natürlich stimmen wir der MLPD zu, dass es in der Vorhut der Arbeiterklasse - gerade durch die Erfahrung der Führung der Kämpfe gegen Massenentlassungen und der Tarifkämpfe durch den Gewerkschaftsapparat und die Erfahrung mit der SPD in der Regierung - eine zunehmende Bereitschaft gibt, sich mit Systemfragen auseinanderzusetzen und mit RevolutionärInnen diese Fragen zu diskutieren.

Aber es gibt zum einen keine geradlinige Entwicklung des Bewusstseins der Arbeiterklasse insgesamt. Nach wie vor haben darauf die reformistischen Apparate großen Einfluss. Zum anderen gehen wir auch nicht von einer Offensive der Arbeiterklasse aus. Nach wie vor handelt es sich bei allen Kämpfen um Defensivkämpfe, die dazu genutzt werden müsste, eine Offensive vorzubereiten, in diese zu kommen.

Dafür, dass die Arbeiterklasse ihre ökonomischen Kämpfe mit politischen Fragen, letztlich mit dem Kampf um die Macht verbinden und die Gewerkschaftsapparate bekämpfen muss, die sie an das System binden wollen, braucht sie das bewusste Eingreifen einer revolutionären Organisation, die über ein Programm, eine Analyse des Kapitalismus verfügt. Dieser Frage widmen sich die MLPD-Daueroptimisten allerdings nicht!

Perspektive

Obwohl die Spitzen der Gewerkschaften bei den meisten aktiven und kämpferischen Basismitgliedern in den letzten Jahren viel Vertrauen verspielt haben, haben sie dennoch genügend Macht, um Kämpfe zu kontrollieren und in eine Sackgasse zu führen.

Immer, wenn die Klasse von ihnen verkauft wird, werden die Kapitalisten wieder ein Stück stärker. Die Arbeiterklasse muss aus diesen Niederlagen wenigstens lernen und eine klassenkämpferische Basisbewegung aufbauen, um bessere Kampfinstrumente für die Zukunft zu haben. An diesen Aufgaben müssen sich linke Organisationen messen lassen. Diese Fragen müssen diskutiert werden, wenn eine Gewerkschaftslinke entstehen soll, die überhaupt den Namen verdient.

Editorische Anmerkungen

Den erhielten wir durch die  ARBEITERMACHT-INFOMAIL - erstveröffentlicht in , Neue Internationale 128, April 2008


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