Am 30. März d.J. wurde eine Demonstration gegen die Teuerung
in der senegalesischen Hauptstadt Dakar aufgelöst, an deren
Rande es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen
Protestierenden und staatlichen Sicherheitskräften kam. Nachdem
der dortigen Polizei die Munition ausging, bewarfen sich beide
Seite vorübergehend mit Steinen. Am darauffolgenden Tag fand
eine Spontandemonstration in einem Armenviertel der
Wirtschaftsmetropole der Côte d’IvoireElfenbeinküste - Abidjan -
namens Yopougon statt. Mehrere hundert Personen lieferte sich
einen heftigen Schlagabtausch mit den Sicherheitskräften, die
Tränengas und Gummnigeschosse einsetzten. Zwei junge
Demonstranten wurden getötet. Vier Wochen zuvor hatte es
Krawalle in mehreren Städten im westafrikanischen Burkina-Faso
gegeben.
Gleichzeitig uferte in der kamerunischen Hafenstadt Douala ein
Taxifahrerstreik zu sozialen Riots aus, die ab dem 25. Februar
aufflammten und zehn größere Städte des Landes erfassten. In
deren Verlauf wurden laut offiziellen Angaben 17 bis 40, nach
Angaben der Opposition rund 200 Menschen durch Sicherheitskräfte
erschossen; 1.800 Leute wurden festgenommen und bislang 700 von
ihnen zu Gefängnisstrafen verurteilt, die von drei Monaten bis
zu sechs Jahren Haft gehen. Oftmals handelt es sich um mehr oder
minder zufällig Festgenommene, darunter Passanten, die sich zum
falschen Zeitpunkt am falschen Ort aufhielten und dort
vorbeikamen, und die z.T. in nächtlichen Blitzprozessen durch
eine dem Regime gegenüber willfährige Justiz abgeurteilt wurden.
Neben dem Protest „gegen das teure Leben“ spielte aber auch die
Ablehnung einer Verfassungsänderung eine wichtige Rolle –
Letztere sollte dazu dienen, die bislang geltende Beschränkung
der Zahl von Präsidentschaftsmandaten (lt. Artikel 6.2 der
kamerunischen Verfassung) aufzuheben, um es Präsident Paul Biya
zu erlauben, auch bei der nächsten Wahl im Jahr 2011 wieder
anzutreten, um sich „wiederwählen“ zu lassen. Notfalls unter
Zuhilfenahme der üblichen Wahlmanipulationen.
Diese Änderung der Verfassung konnte jedoch nicht verhindert
werden, sie wurde am Donnerstag vergangener Woche (10. April)
vom kamerunischen Parlament in der Hauptstadt Yaoundé angenommen
– mit breiter Mehrheit der Abgeordneten der Präsidentenpartei
RPDC, lediglich fünf Abgeordnete der Oppositionspartei ‚Social
Democratic Front’ (SDF) blieben der Sitzung fern. Unterdessen
setzt das Regime aber in verschiedenen Richtungen auf Zuckerbrot
und Peitsche, um seine soziale Basis zu stabilisieren oder
wieder aufzubauen. Einerseits wurden die Gehälter der
Staatsbediensteten mit sofortiger Wirkung um 15 % angehoben –
letztendllich sind sie es, die in gewissem Sinne die Früchte der
Revolte ernten. Dadurch soll dem Auftauchen möglicher Risse und
Brüche innerhalb des Staatsapparats vorgebeugt werden.
Andererseits setzen zumindest Teile des Regimes auf das Anheizen
eines offenen rassistischen Hasses unter verschiedenen
ethnischen Gruppen (Kamerun, das gut 14 Millionen
Einwohner/innen hat, wird von 380 ‚Ethnien’ bewohnt, ist als ein
Vielvölkerstaat wie die meisten Länder des Kontinents). Die in
Paris erscheinende Zeitschrift ‚Afrique – Asie’ zitiert etwa in
ihrer April-Ausgabe einen amtierenden Minister mit den Worten,
Angehörige nicht aus der Hauptstadt Yaoundé stammender
Volksgruppen sollten „sofort unseren Boden verlassen, denn dort
(in der Hauptstadt) werden sie sich nie wieder in Sicherheit
befinden“. Unterdessen gehen auch die Korruptionsprozesse gegen
abgehalfterte frühere Größen des Regimes, darunter einen
ehemaligen Finanzminister, weiter: Dadurch soll dem Publikum
erlaubt werden, „Dampf abzulassen“ und seinen Hass an diesen
Bauernopfern auszutoben. So jedenfalls die Vorstellungen des
Regimes. Die jüngste Maßnahme, die am Sonntag/Montag früh
bekannt geworden ist, besteht nun darin, dass eine Verbilligung
der Kilowattstunden Strom für die kamerunischen Haushalte
angekündigt wird, um ihre Lebenshaltungskosten zu senken.
Am
vergangenen Dienstag und Mittwoch (8./9. April) fand unterdessen
in Burkina-Faso ein Generalstreik der Gewerkschaften gegen
unerschwingliche Lebenshaltungskosten statt. Auch darüber wird
an dieser Stelle, in Kürze, noch ausführlich zu berichten sein.
Soweit ein kurzer Überblick über die Welle von Protesten und
Unruhen, die den afrikanischen Kontinent derzeit überzieht: eine
Folge des Legitimitätsverlusts vieler Regierungen, vor allem
aber der für viele Haushalte unerträglich gewordenen Teuerung.
Der Preisanstieg, der mit weltwirtschaftlichen Faktoren
zusammenhängt - dem gewachsenen Nahrungsmittelbedarf einer
nunmehr mehrheitlich nicht in der Landwirtschaft tätigen
Bevölkerung Asiens, und erhöhten Treibstoffpreisen im
internationalen Transport - trifft jene Länder besonders hart,
die zu den Verlierern der internationalen Arbeitsteilung
gehören. Eine Wirtschaftsstruktur, die durch die frühere
französische Kolonialmacht eng auf den Export weniger Rohstoffe
oder Agrarprodukte zugeschnitten worden ist, und eine hohe
Importabhängigkeit auf vielen Gebieten machen diese Staaten für
Preisschwankungen im internationalen Maßstab besonders anfällig.
‚Contre la vie chère’, „gegen das teure Leben“: Der Slogan
verbindet derzeit die Proteste in vielen Ländern des
französischsprachigen Afrika.
Frage: Könnten Sie uns kurz zusammenfassen, was am vorigen
Sonntag und in den Tagen danach passiert ist?
Antwort: Am Sonntag, den 30. März haben wir die
Regierung dazu aufgefordert, etwas zu unternehmen, um den
Verbraucherinnen und Verbrauchern das tägliche Überleben zu
erleichtern. Seit einigen Monaten wohnen wir einem Schwindel
erregenden Anstieg der Preise bei…
Frage: In welchen Größenordnung sich das europäische Publikum
diese Preise, und ihren Anstieg, vorzustellen? Und was bedeutet
das gemessen an den Löhnen?
Antwort: Der durchschnittliche Lohn im Senegal
liegt zwischen 80 und 100 Euro pro Monat. Viele Menschen haben
aber keinen festen Lohn oder kein Gehalt, sondern arbeiten im so
genannten informellen Sektor - etwa als Weiterverkäufer von
Waren auf den Straßen. Dies zieht das Durchschnittseinkommen
nach unten. Nach den verfügbaren Statistiken lebt jeder
Senegalese im Schnitt mit höchstens zwei Euro pro Tag.
Seit mehreren Monaten steigen die Verbraucherpreise in einer
Weise, dass viele Menschen sich nicht mehrere Mahlzeiten pro Tag
leisten können. Die Milch kostet rund 300 francs CFA (Francs der
französischen Währungszone in Afrika) - 46 Cents - pro Liter,
ihr Preis hat sich innerhalb weniger Monate fast verdoppelt. Der
Preis für Reis, „das“ Grundnahrungsmittel in unserem Land, ist
im selben Zeitraum um fast die Hälfte geklettert. Tomaten,
Speiseöl, Reis, auch Seife… alles ist wesentlich teurer
geworden.
Frage: Was sind denn die Ursachen für diese drastische Teuerung?
Antwort: Häufig wird die weltweite Konjunktur
angeführt, etwa der gestiegene Bedarf der asiatischen Länder,
sowie die Verteuerung von Rohöl und damit auch der
Treibstoffpreise. Aber dies ist mitunter nur ein Vorwand, um
kräftig auf die Preise für Endverbraucher draufzuschlagen. Wir
liegen in der französischen Währungszone: Der franc-CFA war
früher an den französischen Franc, und ist jetzt an den Euro
angekoppelt. Das Erdöl, das im Senegal verbraucht wird, aber
bezahlen wir in Dollar! Gemessen am Wechselkurs zwischen Euro
und Dollar ist das hierzulande verbrauchte Rohöl aber demnach
für uns nicht teurer, sondern eher billiger geworden, aufgrund
des niedrigen Dollarkurses im Vergleich zur EU-Währung. Dass das
Öl sich verteuert hat, ist also in diesem Fall nur ein Vorwand,
um den Konsumenten mehr Geld aus der Tasche zu nehmen.
Frage: Hat denn die Regierung keine Vorschläge dafür
unterbreitet, wie man die Konsequenzen für die senegalesische
Bevölkerung in Grenzen halten könnte?
Antwort: Drei Tage vor den Auseinandersetzungen
vom vorletzten Sonntag hatte der Conseil national de la
consommation (Nationale Konsumrat) getagt. Ihm gehören alle
wichtigen wirtschaftlichen Akteure an: der Staat, Vertreter der
Händler und Geschäftsleute, die Industrie, die
Verbraucherverbände, sowie Vertreter der Journalisten. Der
Handelsminister hat uns aus diesem Anlass aber nur gesagt: Es
wird nicht möglich sein, die Krise vor dem Jahr 2015 zu lösen.
Bis dahin sollen die strukturellen Probleme beim Reisanbau, die
in unserer Landwirtschaft bestehen, behoben sein. Wir sagen seit
Jahren, dass Verbesserungen beim Anbau dieses wichtigsten
Grundnahrungsmittels erfolgen müssen. Aber bis dahin, bis zum
Jahr 2015, müssen die Leute auch überleben.
Die Republik muss eine Anstrengung aufbringen. So gibt es
einheimische Geschäftsleute und Zwischenhändler, die - durch
Spekulation - den Anstieg der Preise und seine Folgen für unsere
Bevölkerung noch verschlimmern. Wenn der Weltmarktpreis für ein
Produkt um zehn Prozent steigt, dann nehmen Zwischenhändler
sowie Geschäftsbesitzer hier im Senegal die dadurch ausgelöste
Verknappung zum Anlass, um beim Endverbraucher gleich 20 bis 30
Prozent mehr einzustreichen. So ist der Preis für ein Kilo Seife
bei den Industriellen um 44 Prozent auf umgerechnet 2,10 Euro
gestiegen, er wird aber auf einem Niveau von 2,50 Euro an den
Verbraucher weitergegeben.
Frage: Und was lässt sich also tun?
Antwort: Wir haben vom Staat verlangt, für eine
Transparenz der Preis zu sorgen. Er muss eingreifen und
bestimmte Preismarkierungen oder -obergrenzen festlegen, in
Konzertierung mit den verschiedenen wirtschaftlichen und
sozialen Akteuren. Zusätzlich muss er sich um ein Problem
kümmern, das enorm auf dem Budget der einzelnen Haushalte
lastet, nämlich die Höhe der Mieten. Im Zentrum von Dakar kostet
der Quadratmieter inzwischen 20.000 franc-CFA, umgerechnet 30
Euro, zur Miete. Hinzu kommen die Nebenkosten. Das sind Preise
ähnlich wie in Europa, aber bei völlig anderen
Einkommensverhältnissen. Hier müsste durch Gesetze zur
Mietpreisbindung und ähnliche Maßnahmen eingegriffen werden.
Wir haben der Regierung also gesagt: „Achtung, heute können
viele Bürger die stetige Verschlimmerung ihrer Situation kaum
noch ertragen.“ Aber keine einzige konkrete Maßnahme dagegen
wurde angekündigt.
Frage: Und was passierte dann an jenem Sonntag konkret?
Antwort: Für jenen Tag hatten wir eine einen
Antrag darauf gestellt, eine Bürgerrechtsdemonstration
durchzuführen, um der Regierung zu zeigen, dass es für viele
Leute in diesem Land so nicht weitergehen kann. Die
Demonstration und auch ein Sit-in vor einem öffentlichen Gebäude
wurden jedoch durch die Präfektur verboten. Daraufhin haben wir
gesagt: „Wir sind Demokraten, wir respektieren die Republik, wir
werden das Verbot nicht gewaltsam übertreten. Aber wir werden
dennoch an den Ort gehen, um die Bürger zu treffen, die zu der
Versammlung gehen wollten - um sie aufzufordern, mit uns eine
Pressekonferenz abzuhalten.“ Die Anführer wurden dann durch die
Polizei festgenommen. Die Bevölkerung ging daraufhin auf die
Straße, um die Verhafteten zu verteidigen…
Frage: Um wen handelt es sich denn bei diesen Anführern?
Antwort: Um Momar Ndao und Jean-Pierre Dieng. Der
Erstgenannte ist Vorsitzender unserer Vereinigung, der Ascosen -
es handelt sich um die älteste Verbrauchervereinigung im
Senegal, und sie existiert bereits seit 1989. Dieng ist der
Vorsitzende der „Nationalen Union der Konsumenten des Senegal“,
UNCS.
Sie wurden nach ihrer Verhaftung dem Staatsanwalt vorgeführt,
unter den Vorwürfen der Störung der öffentlichen Ordnung, des
Ungehorsams gegenüber behördlichen Anordnungen sowie der
Sachbeschädigung. Letzteres bezieht sich darauf, dass
Demonstranten einen Bus angezündet haben sollen. 10 bis 20
Anwälte haben sich daraufhin zu ihrer Verteidigung gemeldet,
unter ihnen Maître Kane, der selbst einer Verbrauchervereinigung
- SOS Consommauteurs - vorsteht.
Frage: Drohen den Festgenommenen denn harte Strafen?
Antwort: Nein, so hoffen wir bisher. Wir hoffen,
dass es ein Missverständnis mit der Polizei gegeben hat: Diese
glaubte, die Autorität des Staates werde angegriffen, dabei war
das gar nicht der Fall. Wir sind keine Abenteurer, sondern
verantwortungsbewusste Bürger.
Die Festgenommen werden ab diesem Mittwoch (9. April) vor
Gericht gestellt. Wir glauben nicht, dass sie definitiv
verurteilt werden.
Frage: Und hat es inzwischen denn Antworten auf ihre
Forderungen gegeben?
Antwort: Ja, am letzten Donnerstag ist Präsident
Abdoulaye Wade in seiner Rede am Vorabend des Nationalfeiertags
- dem Jahrestag der Proklamation der senegalesischen
Unabhängigkeit am 5. April 1960 - darauf eingegangen. Er hat
angekündigt, dass die Behörden sehr genau auf die Spekulation
durch Geschäftsleute achten und jene, die vom Elend der Leute
profitieren, verfolgen werden. Und dass der Staat weiterhin
Grundnahrungsmittel und Güter des täglichen Grundbedarfs
subventionieren wird. Er hat auch angekündigt, dass es einen
breiten sozialen Dialog geben wird, und dass untere
Einkommensschichten von Steuerlasten in Höhe von rund fünf
Milliarden franc-CFA entbunden werden. Wir werden wachsam sein,
was die Einhaltung dieser Versprechen betrifft.
Editorische
Anmerkungen
Den Aufsatz
erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.
Dieses Interview erschien, in einer redaktionell überarbeiteten
Fassung und leicht gekürzt, in der Berliner Wochenzeitung
‚Jungle World’ vom 10. April.
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