Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Rechtsterrorismus, Häuflein Irre oder Gurkentruppe?
Zum Auftauchen der ‚Fraction Nationaliste Armée
Révolutionnaire’ im Pariser Umland - Unbekannte Combo bombt gegen Radarfallen und für Einwanderungsstopp

04/08

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Auf den ersten Blick ähnelt das Bekennerschreiben, ein eng bedruckter Brief im Bleiwüstenformat, entfernt dem optischen Stil uralter Briefchen von der früheren westdeutschen RAF. Oben prangt ein fünfzackiger Stern vor rotem Hintergrund, vor dem allerdings nicht (wie bei der guten alten RAF) eine Maschinenpistole, sondern eine waagerecht aufgestellte Kalaschnikow abgebildet ist. Davor prangen die Buchstaben der Abkürzung, den sich die Organisation als Namen für ihre Combo gegeben hat: Nicht R – A – F in diesem Falle, sondern F – N – A – R. Allerdings hört der Spaß spätestens dann auf, sobald man einen Blick darunter wirft - auf den Rest des Blatts Papier, das als Bekennerschreiben dienen soll und bei der Redaktion der Pariser Regenbogenzeitschrift ‚Paris Match’ (abgedruckt in ihrer Ausgabe vom 20. März 08) eingegangen ist.  

Dort entziffert man zunächst den vollen Organisationsnamen, und dieser lautet ‚Fraction Nationaliste Armée Révolutionnaire’ (FNAR oder Fnar). Also „Revolutionäre Bewaffnete Nationalistische Fraktion“. Da es sich um eine Gruppe oder ein Grüppchen aus dem französischen Kernland handelt und mitnichten aus einem Gebiet, dessen Bewohner sich aus guten oder auch schlechten Gründen für irgendwie unterdrückt oder marginalisiert halten könnten (von französischen Restkolonien bis hin zur Mittelmeerinsel Korsika), hat das Ganze also schon hier einen unverkennbar rechten Anklang. Handelt es sich bei der RAF noch um Leute, die von ihrem – wie „durchgeknallt“, jedenfalls in bestimmten Phasen, auch immer daherkommenden – Selbstverständnis her Internationalist/inn/en und „Weltrevolutionäre“ waren, so handelt es sich hier um bekennende, reine Nationalisten. 

Noch unangenehmer wirkt die ganze Sache, wenn man sich den Inhalt von Aktionen – zu denen sich bekannt wird – und Forderungen anschaut. Die Überschrift des Bleiwüsten-Bekennerschreibens lautet: „Warum jagen wir die Radarfallen in die Luft?“ Das wird zunächst einmal bloß durchgeknallt. Ist es aber nicht, jedenfalls ist es als materielle Drohung mit einer „Aktionsform“ durchaus ernst zu nehmen (was noch keine Aussagen über den Inhalt zulässt). Denn die fragliche Combo hat tatsächlich in den letzten Monaten, seit Juni 2007, acht Zerstörungen von Radarfallen im Straßenverkehr durch Sprengstoff sowie zwei versuchte, aber misslungene Anschläge solcher Art verübt. Der letzte (gescheiterte) Versuch, eine Radarfalle explodieren zu lassen, ereignete sich in der Nacht vom 2. zum 3. Februar dieses Jahres in dem Kaff Puiseux-le-Hauberger, im Département Oise (Region Picardie, ein paar Dutzend Kilometer nördlich von Paris). Tatorte der wohl meistens nächtlich begangenen Anschläge waren Landstraßen in den Départements Oise (Bezirkshauptstadt Beauvais, nördlich von Paris), Val-d’Oise (Hauptstadt Cergy-Pontoise, in derselben Richtung aber näher an Paris) sowie Les Yvelines (Haupstadt Versailles, westlich von Paris). Alle „Aktionen“ fanden also im, weitläufigeren, Pariser Umland statt. 

Bis dahin klingt die Sache nach „Freie Fahrt für freie Bürger“, was ohnehin schon eine reaktionäre und sozialdarwinistisch fundierte Parole ist, für die sich laut geschichtlicher Erfahrung in der Regel auch entsprechende Arschlöcher (von der hessischen CDU bis zur schweizerischen rechtspopulistischen „Autopartei“) mobilisieren ließen. Aber auch dabei bleibt es nicht, es kommt alles noch viel schlimmer. 

In ihrem Bekennerschreiben droht die unbekannte Gruppierung unverhohlen: „Trotz der acht (vollzogenen) und zwei versuchten Zerstörungen hat die Regierung uns nicht ernst genommen, und deshalb werden wir gezwungen sein, für Personen wesentlich gefährlichere Ziele auszuwählen und Apparate mit größeren Verletzungsfähigkeiten auszuwählen.“  (Der Stil wirkt im Original einigermaßen gestelzt.) 

Nunmehr kündigt die Gruppierung nicht mehr nur an, ein Lösegeld in Höhe von 4 Millionen Euro – als angebliche Antwort auf die „Erpressung“ in Gestalt von Bußgeldzahlungen für zu schnell fahrende Autofahrer, die dank der Radarfallen erwischt werden – zu fordern. Sondern zusätzlich erhebt sie nun auch noch „politische“ Forderungen, und da wird es dann völlig grausam. 

So beginnt es, nach der Forderung nach Abschaffung von Radarfallen, mit der (bei solchen Idioten, die freies Rasen einfordern) quasi unvermeidlichen Forderung nach radikaler bzw. „zunehmender und spürbarer“ Steuersenkung. Allerdings wird auch eine staatliche Kontrolle über „die Preise von Grundbedarfsmitteln und Wohnungsmieten“ gefordert, was nicht mit dem bis dahin vorherrschenden individualisistisch-wirtschaftsliberalen Profil im Einklang zu stehen scheint. Aber da gerade auch die Kleinbürger derzeit stark unter dem Anstieg der Teuerung (bei Treibstoffen, aber auch anderen Gütern des täglichen Bedarfs) leiden, dies aber nicht in Lohnforderungen umsetzen können, wird eine solche Forderung – in wirtschaftsindividualistischem Kontext – durchaus „nachvollziehbar“. Offenbar hat man es also mit rabiaten, eher rechten, aber auf eine diffuse Vorstellung von „sozialer Gerechtigkeit“ (zu ihren eigenen Gunsten) orientierten Radaubürgern zu tun. 

Dann kommt es aber richtig dicke. Denn nach einer Prise eher plumper Sozialdemagogie (so wird gefordert, „die Macht der Regierung über die Wirtschaftsbosse“ zu gewährleisten „und nicht umgekehrt, wie es derzeit der Fall ist“, aber auch auf „die finanzielle Gesundheit der Konzerne“ zu achten) fährt der Bekennerbrief dann mit folgenden Forderungen fort: „Der totale Stopp der Immigration (Einwanderungsstopp) und die Zurücksendung sämtlicher Illegalen. Wir sind keine Rassisten, aber wir denken, dass Frankreich seine keltische und griechisch-römische Kultur sowie seine christliche religiöse Vorherrschaft bewahren muss. Wir fügen hinzu, dass die Einwohner der französischen Überseegebiete und –bezirke (Anmerkung d. Verf.: Antilleninseln, La Réunion...) vollwertige Franzosen sind und es nicht auf die Hautfarbe ankommt.“ Noch dazu wird „ein großes Programm zur Steigerung der französischen Geburtenrate“, also eine so genannt natalistische Politik, gefordert. 

Bei den letzten wiedergegebenen Absätzen, die auf nicht gar zu plumpe Art und Weise formuliert worden sind, handelt es sich um Programmpunkte, die aus Schriften des Front National (FN) oder generell einer „etablierten“ rechtsextremen Kraft zitiert worden sein könnten. Tatsächlich hat man sich bei diesen Kräften in jüngerer Vergangenheit intensiv Gedanken darüber gemacht, wie man die so genannte „eigene kulturelle Identität“ Frankreichs begründen könnte. Und kam dabei (angesichts der Unmöglichkeit einer fundamentalen Einigung zwischen Fundamentalkatholiken und rassistischen Neuheiden, die in der französischen extremen Rechten miteinander koexistieren) auf eine Kompromissformel: einen Mix aus „griechisch-römischen und keltischen / ‚indoeuropäischen’, vorchristlichen Wurzeln und Jahrhunderten christlich-katholischer Kultur“. Dieser Cocktail soll allen, den auf das Keltentum oder ‚La Grèce’ (das vorchristliche, antike Griechenland) schwörenden Neuheiden ebenso wie den auf das Christentum abfahrenden Nationalkatholiken, etwas anbieten. Jedenfalls Spurenelemente davon finden sich auch in dem Geschreibsel der „FNAR’-Combo, die man ansonsten auch für Wirrköpfe halten könnte. Auch fand im Oktober 2007 eine Polemik innerhalb der extremen Rechten rund um die Frage statt, ob schwarze Staatsbürger aus den französischen Überseegebiete sozusagen „richtige“ Franzosen seien (was Marine Le Pen befürwortete). Es deutet also zumindest etwas darauf hin, dass die Urheber des Bekennerschreibens nähere Kenntnis von den Debatten der extremen Rechten haben könnten. Gleichzeitig aber ist - aus Sicht einer relativ „etablierten“ Partei wie es FN - ihr Aktionsmodus wenig Erfolg versprechend, auf zu geringe Massenwirksamkeit ausgelegt oder schlicht Zeitverschwendung. 

Die Polizei – die nach den hinter der ‚FNAR’ steckenden Mitgliedern fahndet - vertritt die Auffassung, dass die Gruppierung mit ihren (technischen) Vorgehensweisen und ihren Drohungen durchaus ernst gemeint sei. Zugleich ist ihr „Operationsgebiet“ bisher geographisch ziemlich eng beschränkt, auf drei Départements im weiteren Pariser Umland. 

Handelt es sich also um eine Gurkentruppe von Dorfmilitanten? Um eine Handvoll Irre? Um „Spaßvögel“ mit üblem Sinn für „Humor“, ähnlich dem mysteriösen Grüppchen AZF (benannt nach einer Explosion in einem Chemiewerk in Toulouse im September 2001, zehn Tage nach ‚Nine Eleven’, die damals manche Beobachter fälschlich an ein Attentat glauben ließ) - das 2004 mit der Drohung, Bahngeleise zu sprenge, ein dickes Lösegeld erpressen wollte und dann spurlos in der Versenkung verschwand? Oder doch um Hobbyterroristen mit ernst zu nehmendem rechtem (rechtspopulistischem bis rechtsextremem) Hintergrund, einer halbwegs ausformulierten Ideologie – auch in strukturierten rechten Parteien ist sie ja auch oft nicht anspruchsvoller! –, und möglicherweise mit Erfahrung mit politischer Aktion?

Dies wird wohl die nähere Zukunft erweisen müsse, falls man es denn erfährt. Aber sicher ist unterdessen, dass „etablierte“ rechtsextreme Parteien wie der FN – die in Zeiten ihres Höheflugs auch manchen Durchgeknallten als „Durchlauferhitzer“ dienen konnten, wofür der FN aber heute i.d.R. keine genügend stabile Mitgliederstruktur aufweisen dürfte – eventuell im Bann seiner „Ideen“ stehende Hitzköpfe kaum zu kontrollieren vermag. Denn welche ernsthaften Angeboten hat er ihnen im Augenblick zu unterbreiten? Als „aufsteigende“ Partei schien der FN gefährlich.  Aber auch in seiner jetzigen Looserphase, wo er manche durchgeknallten Fans freisetzen könnte, sorgt er für ungute Erscheinungen. Falls die (organisierte) extreme Rechte denn, von nahe  oder von fern, etwas mit den Radarfallenbombern zu tun hat.

Editorische Anmerkungen

Den Aufsatz erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.