Auf den ersten Blick ähnelt das
Bekennerschreiben, ein eng bedruckter Brief im Bleiwüstenformat,
entfernt dem optischen Stil uralter Briefchen von der früheren
westdeutschen RAF.
Oben prangt ein
fünfzackiger Stern vor rotem Hintergrund, vor dem allerdings
nicht (wie bei der guten alten RAF) eine Maschinenpistole,
sondern eine waagerecht aufgestellte Kalaschnikow abgebildet ist.
Davor prangen die Buchstaben der Abkürzung, den sich die
Organisation als Namen für ihre Combo gegeben hat: Nicht R – A –
F in diesem Falle, sondern F – N – A – R. Allerdings hört der
Spaß spätestens dann auf, sobald man einen Blick darunter wirft
- auf den Rest des Blatts Papier, das als Bekennerschreiben
dienen soll und bei der Redaktion der Pariser
Regenbogenzeitschrift ‚Paris Match’ (abgedruckt in ihrer Ausgabe
vom 20. März 08) eingegangen ist.
Dort entziffert man zunächst den
vollen Organisationsnamen, und dieser lautet ‚Fraction
Nationaliste Armée Révolutionnaire’ (FNAR oder Fnar).
Also „Revolutionäre
Bewaffnete Nationalistische Fraktion“. Da es sich um eine Gruppe
oder ein Grüppchen aus dem französischen Kernland handelt und
mitnichten aus einem Gebiet, dessen Bewohner sich aus guten oder
auch schlechten Gründen für irgendwie unterdrückt oder
marginalisiert halten könnten (von französischen Restkolonien
bis hin zur Mittelmeerinsel Korsika), hat das Ganze also schon
hier einen unverkennbar rechten Anklang. Handelt es sich bei der
RAF noch um Leute, die von ihrem – wie „durchgeknallt“,
jedenfalls in bestimmten Phasen, auch immer daherkommenden –
Selbstverständnis her Internationalist/inn/en und „Weltrevolutionäre“
waren, so handelt es sich hier um bekennende, reine
Nationalisten.
Noch unangenehmer wirkt die
ganze Sache, wenn man sich den Inhalt von Aktionen – zu denen
sich bekannt wird – und Forderungen anschaut.
Die Überschrift des
Bleiwüsten-Bekennerschreibens lautet: „Warum jagen wir die
Radarfallen in die Luft?“ Das wird zunächst einmal bloß
durchgeknallt. Ist es aber nicht, jedenfalls ist es als
materielle Drohung mit einer „Aktionsform“ durchaus ernst zu
nehmen (was noch keine Aussagen über den Inhalt zulässt). Denn
die fragliche Combo hat tatsächlich in den letzten Monaten, seit
Juni 2007, acht Zerstörungen von Radarfallen im Straßenverkehr
durch Sprengstoff sowie zwei versuchte, aber misslungene
Anschläge solcher Art verübt. Der letzte (gescheiterte) Versuch,
eine Radarfalle explodieren zu lassen, ereignete sich in der
Nacht vom 2. zum 3. Februar dieses Jahres in dem Kaff
Puiseux-le-Hauberger, im Département Oise (Region Picardie, ein
paar Dutzend Kilometer nördlich von Paris). Tatorte der wohl
meistens nächtlich begangenen Anschläge waren Landstraßen in den
Départements Oise (Bezirkshauptstadt Beauvais, nördlich von
Paris), Val-d’Oise (Hauptstadt Cergy-Pontoise, in derselben
Richtung aber näher an Paris) sowie Les Yvelines (Haupstadt
Versailles, westlich von Paris). Alle „Aktionen“ fanden also im,
weitläufigeren, Pariser Umland statt.
Bis dahin klingt die Sache nach
„Freie Fahrt für freie Bürger“, was ohnehin schon eine
reaktionäre und sozialdarwinistisch fundierte Parole ist, für
die sich laut geschichtlicher Erfahrung in der Regel auch
entsprechende Arschlöcher (von der hessischen CDU bis zur
schweizerischen rechtspopulistischen „Autopartei“) mobilisieren
ließen. Aber
auch dabei bleibt es nicht, es kommt alles noch viel schlimmer.
In ihrem Bekennerschreiben droht
die unbekannte Gruppierung unverhohlen: „Trotz der acht
(vollzogenen) und zwei versuchten Zerstörungen hat die Regierung
uns nicht ernst genommen, und deshalb werden wir gezwungen sein,
für Personen wesentlich gefährlichere Ziele auszuwählen und
Apparate mit größeren Verletzungsfähigkeiten auszuwählen.“ (Der
Stil wirkt im Original einigermaßen gestelzt.)
Nunmehr kündigt die Gruppierung
nicht mehr nur an, ein Lösegeld in Höhe von 4 Millionen Euro –
als angebliche Antwort auf die „Erpressung“ in Gestalt von
Bußgeldzahlungen für zu schnell fahrende Autofahrer, die dank
der Radarfallen erwischt werden – zu fordern.
Sondern zusätzlich
erhebt sie nun auch noch „politische“ Forderungen, und da wird
es dann völlig grausam.
So beginnt es, nach der
Forderung nach Abschaffung von Radarfallen, mit der (bei solchen
Idioten, die freies Rasen einfordern) quasi unvermeidlichen
Forderung nach radikaler bzw.
„zunehmender und
spürbarer“ Steuersenkung. Allerdings wird auch eine staatliche
Kontrolle über „die Preise von Grundbedarfsmitteln und
Wohnungsmieten“ gefordert, was nicht mit dem bis dahin
vorherrschenden individualisistisch-wirtschaftsliberalen Profil
im Einklang zu stehen scheint. Aber da gerade auch die
Kleinbürger derzeit stark unter dem Anstieg der Teuerung (bei
Treibstoffen, aber auch anderen Gütern des täglichen Bedarfs)
leiden, dies aber nicht in Lohnforderungen umsetzen können, wird
eine solche Forderung – in wirtschaftsindividualistischem
Kontext – durchaus „nachvollziehbar“. Offenbar hat man es also
mit rabiaten, eher rechten, aber auf eine diffuse Vorstellung
von „sozialer Gerechtigkeit“ (zu ihren eigenen Gunsten)
orientierten Radaubürgern zu tun.
Dann kommt es aber richtig
dicke. Denn
nach einer Prise eher plumper Sozialdemagogie (so wird gefordert,
„die Macht der Regierung über die Wirtschaftsbosse“ zu
gewährleisten „und nicht umgekehrt, wie es derzeit der Fall ist“,
aber auch auf „die finanzielle Gesundheit der Konzerne“ zu
achten) fährt der Bekennerbrief dann mit folgenden Forderungen
fort: „Der totale Stopp der Immigration (Einwanderungsstopp) und
die Zurücksendung sämtlicher Illegalen. Wir sind keine Rassisten,
aber wir denken, dass Frankreich seine keltische und
griechisch-römische Kultur sowie seine christliche religiöse
Vorherrschaft bewahren muss. Wir fügen hinzu, dass die Einwohner
der französischen Überseegebiete und –bezirke (Anmerkung d. Verf.:
Antilleninseln, La Réunion...) vollwertige Franzosen sind und es
nicht auf die Hautfarbe ankommt.“ Noch dazu wird „ein großes
Programm zur Steigerung der französischen Geburtenrate“, also
eine so genannt natalistische Politik, gefordert.
Bei den letzten wiedergegebenen
Absätzen, die auf nicht gar zu plumpe Art und Weise formuliert
worden sind, handelt es sich um Programmpunkte, die aus
Schriften des Front National (FN) oder generell einer
„etablierten“ rechtsextremen Kraft zitiert worden sein könnten.
Tatsächlich
hat man sich bei diesen Kräften in jüngerer Vergangenheit
intensiv Gedanken darüber gemacht, wie man die so genannte „eigene
kulturelle Identität“ Frankreichs begründen könnte. Und kam
dabei (angesichts der Unmöglichkeit einer fundamentalen Einigung
zwischen Fundamentalkatholiken und rassistischen Neuheiden, die
in der französischen extremen Rechten miteinander koexistieren)
auf eine Kompromissformel: einen Mix aus „griechisch-römischen
und keltischen / ‚indoeuropäischen’, vorchristlichen Wurzeln und
Jahrhunderten christlich-katholischer Kultur“. Dieser Cocktail
soll allen, den auf das Keltentum oder ‚La Grèce’ (das
vorchristliche, antike Griechenland) schwörenden Neuheiden
ebenso wie den auf das Christentum abfahrenden
Nationalkatholiken, etwas anbieten. Jedenfalls Spurenelemente
davon finden sich auch in dem Geschreibsel der „FNAR’-Combo, die
man ansonsten auch für Wirrköpfe halten könnte. Auch fand im
Oktober 2007 eine Polemik innerhalb der extremen Rechten rund um
die Frage statt, ob schwarze Staatsbürger aus den französischen
Überseegebiete sozusagen „richtige“ Franzosen seien (was Marine
Le Pen befürwortete). Es deutet also zumindest etwas darauf hin,
dass die Urheber des Bekennerschreibens nähere Kenntnis von den
Debatten der extremen Rechten haben könnten. Gleichzeitig aber
ist - aus Sicht einer relativ „etablierten“ Partei wie es FN -
ihr Aktionsmodus wenig Erfolg versprechend, auf zu geringe
Massenwirksamkeit ausgelegt oder schlicht Zeitverschwendung.
Die Polizei – die nach den
hinter der ‚FNAR’ steckenden Mitgliedern fahndet - vertritt die
Auffassung, dass die Gruppierung mit ihren (technischen)
Vorgehensweisen und ihren Drohungen durchaus ernst gemeint sei.
Zugleich ist
ihr „Operationsgebiet“ bisher geographisch ziemlich eng
beschränkt, auf drei Départements im weiteren Pariser Umland.
Handelt es sich also um eine
Gurkentruppe von Dorfmilitanten?
Um eine Handvoll
Irre? Um „Spaßvögel“ mit üblem Sinn für „Humor“, ähnlich dem
mysteriösen Grüppchen AZF (benannt nach einer Explosion in einem
Chemiewerk in Toulouse im September 2001, zehn Tage nach ‚Nine
Eleven’, die damals manche Beobachter fälschlich an ein Attentat
glauben ließ) - das 2004 mit der Drohung, Bahngeleise zu sprenge,
ein dickes Lösegeld erpressen wollte und dann spurlos in der
Versenkung verschwand? Oder doch um Hobbyterroristen mit ernst
zu nehmendem rechtem (rechtspopulistischem bis rechtsextremem)
Hintergrund, einer halbwegs ausformulierten Ideologie – auch in
strukturierten rechten Parteien ist sie ja auch oft nicht
anspruchsvoller! –, und möglicherweise mit Erfahrung mit
politischer Aktion?
Dies wird wohl die nähere
Zukunft erweisen müsse, falls man es denn erfährt.
Aber sicher ist
unterdessen, dass „etablierte“ rechtsextreme Parteien wie der FN
– die in Zeiten ihres Höheflugs auch manchen Durchgeknallten als
„Durchlauferhitzer“ dienen konnten, wofür der FN aber heute
i.d.R. keine genügend stabile Mitgliederstruktur aufweisen
dürfte – eventuell im Bann seiner „Ideen“ stehende Hitzköpfe
kaum zu kontrollieren vermag. Denn welche ernsthaften Angeboten
hat er ihnen im Augenblick zu unterbreiten? Als „aufsteigende“
Partei schien der FN gefährlich. Aber auch in seiner jetzigen
Looserphase, wo er manche durchgeknallten Fans freisetzen könnte,
sorgt er für ungute Erscheinungen. Falls die (organisierte)
extreme Rechte denn, von nahe oder von fern, etwas mit den
Radarfallenbombern zu tun hat.
Editorische
Anmerkungen
Den Aufsatz
erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.
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