Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Boykottforderungen gegen die Pariser Buchmesse aufgrund der Präsenz Israels als Ehrengast

04/08

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Allen kann man es selten recht machen. So auch beim Salon du Livre: Die Pariser Buchmesse, die alljährlich in den Messehallen der französischen Hauptstadt nahe der Porte de Versailles stattfindet, musste am Sonntag, den 16. März d.J. gegen 17 Uhr aufgrund eines Bombenalarms vorübergehend evakuiert werden. Eine Stunde lang blieb das Messegelände geschlossen, während Bombenentschärfer der Pariser Polizei ihrem Expertenhandwerk nachgingen und ein Polizeihubschrauber über ihm kreiste. Gefunden wurde jedoch kein Sprengsatz: Es handelte sich um einen Fehlalarm, der durch die Provokation eines anonymen Anrufers ausgerufen worden war. Als der Spuk nach einer Stunde vorüber war, kündigte die Ausstellungsleitung dann an, ausnahmsweise bleibe die Buchmesse an diesem Tage bis 21 Uhr – also um sechzig Minuten länger als vorgehen – geöffnet. Dies wiederum führte zu lautem Stöhnen und Protesten bei den Ausstellern: Müde und im Dauerstress, wollten sich viele von ihnen keine verlängerten Öffnungszeiten antun. Nein, man kann es eben nicht Allen recht  machen. 

Hängt die anonyme Bombendrohung – die sich in diesem Falle als nicht echt erwies – mit den politischen Polemiken im Vor- und Umfeld der diesjährigen Pariser Buchmesse zusammen? Das ist zwar nicht nachgewiesen, dennoch aber höchst wahrscheinlich. Der Salon du livre empfängt in jedem Jahr ein Land, mit seiner Literatur, als „Ehrengast“. Für die diesjährige Messe, die vom 14 bis 19. März stattfand, war die Wahl auf den Staat Israel gefallen. Der in den Medien oft hergestellte Zusammenhang zum 60. Jahrestag von dessen Gründung wurde übrigens durch die Veranstalter dementiert: Man habe sich anlässlich einer Literaturmesse im Herbst 2006, bei der man mit israelischen Verlegern zusammengetroffen sei, auf diese Idee geeinigt. Und damals habe man überhaupt noch nicht an den historischen Jahrestag gedacht.  

Auch ein Zusammenhang zum Staatsbesuch des israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres, der am vorletzten Donnerstag in Paris eintraf, würde demnach nicht bestehen, jedenfalls wäre er nicht vorab geplant gewesen. Sein französischer Amtskollege Nicolas Sarkozy hatte zunächst angekündigt, den diesjährigen „Buchsalon“ zusammen mit Peres einzuweihen. Im Nachhinein entkräftete Sarkozy diese Ankündigung, die längst durch alle Medien gegangen war, jedoch: Aus dem Elysée-Palast verlautbarte, ein solcher Abstecher des Präsidenten sei „nie geplant“ gewesen und, aufgrund einer wichtigen EU-Tagung in Brüssel, auch gar nicht möglich. Inhaltliche Gründe hat diese Zu- und nachfolgende Absage wohl keine, vielmehr hatte Sarkozy wahrscheinlich nur einmal mehr angekündigt, als er hinterher einhalten konnte. Shimon Peres begab sich schließlich zusammen mit der französischen Kulturministerin Christine Albanel zur Buchmesse. 

Keinen Zufall erblickten unterdessen viele arabische Akteure in dem zeitlichen Zusammentreffen von Buchmesse, Staatsbesuch und historischem Jahrestag. Die wichtigsten Berufsverbände von Verlegern und Schriftstellern in der Arabischen Liga riefen vorab zum „Boykott“ der diesjährigen Pariser Buchmesse auf, da sich mit dem 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels zugleich auch die Flucht und Vertreibung von rund 800.000 Palästinensern – durch diese selbst Naqba (Katastrophe) genannt  - jähre. Da dieses Unrecht nicht aufgelöst worden sei und die Veranstalter des Pariser Salon du livre einem „rassistischen Staat“ die Ehre erwiesen, könne man ihm in diesem Jahr nur fernbleiben.  

Der Aufruf hatte Konsequenzen, da die offiziellen Stände der Ausstellerländer Marokko, Algerien und Tunesien sowie Libanon in diesem Jahr leer blieben. Zumindest bei den erstgenannten drei Staaten handelt es sich im strengen Sinne übrigens nicht um „arabische“, sondern eher um arabo-berberische Länder. Aufgrund ihrer Mehrheitssprache und ihrer Mitgliedschaft in der Arabischen Liga fühlen sich politische Eliten und Bevölkerungsmehrheiten jedoch einer gemeinsamen Sache verbunden. Bislang stellten insbesondere die Ausstellungsstände der drei Maghrebstaaten, die viele talentierte Schriftsteller auch in französischer Sprach zählen, wichtige Attraktionspunkte der jährlichen Pariser Buchmessen dar.  

Unterdessen hatte der Boykottaufruf nicht nur Freunde unter den Autoren und Verlegern aus diesen Ländern, oder unter den in Frankreich lebenden Einwanderergruppen aus der Region. Dabei mischten sich pragmatisch-taktische Erwägungen – entweder bedauerte man die Verkaufseinbußen bei den eigenen Büchern, oder aber man beklagte, dass man den eigenen Standpunkt durch eine „Politik des leeren Stuhls“ nicht Erfolg versprechend vertreten könne – und inhaltliche Motive. Nicht zuletzt mochten viele derer, die selbst zumindest die konkrete Politik Israels gegenüber den Palästinensern ablehnen, ohne  aber dessen pure Existenz  abzulehnen, nicht mit den militanten Eiferern in Verbindung gebracht werden.  

Letztere meldeten sich ebenfalls an der Pariser Porte de Versailles zu Wort, in Gestalt einer Demonstration am vorletzten Samstag Nachmittag, zu der die Gruppierung ‚Convergence des causes’ (ungefähr: Gemeinsame Kampfgründe finden, Gemeinsame Sache machen) aufgerufen hatte. Bei letzterer handelt es sich um eine im 18. Pariser Bezirk ansässige Kleingruppe, die zwar bisweilen auch linke oder rebellische Rhetorik benutzt, um ein Publikum vor allem unter Einwandererkindern anzuziehen – aber dahinter ein islamistisches Profil eher verbirgt denn klar zum Ausdruck bringt. Auf ihrer Homepage werden zwar auch Texte ohne klare ideologische Handschrift etwa zu Südamerika oder Afrika - die auch von Linken oder bürgerlichen Demokraten stammen könnten - verbreitet. Aber man findet dort an prominenter Stelle auch die Fotos der beiden langjährigen Chefs des FIS - der „Islamischen Rettungsfront“ - in Algerien, Abassadi Madani und Ali Belhadj, aufgenommen in der Blütezeit dieser radikalen Islamistenpartei vor etwa 15 Jahren. Ihre Demonstration zog  jedoch nur ein paar hundert Menschen an. Im Aufruf hieß es unter anderem: „Israel verletzt die Menschenrechte, weil es Gott nicht respektiert.“ In Algerien ist man jedoch heute mehrheitlich ziemlich schlecht auf die „Brüder“ vom FIS zu sprechen. Aus diesem Grund dürften viele Nordafrikaner solcherlei Aufrufen zum Protest auch eher skeptisch gegenüber gestanden haben.  

Seitens derer, die eher pragmatisch motivierte Einwände gegen die Boykottaufrufe vorbrachten, berief man sich in der Regel auf die notwendige Trennung zwischen Literatur und Politik. So erklärte die libanesische Dichterin Hyam Yared, die auf der diesjährigen Pariser Buchmesse einen Literaturpreis für ihren ersten Roman (L’Armoire des Ombres) entgegen nahm und trotz Boykottforderungen anreiste: „Ich verstehe, dass eine Regierung zum Boykott aufruft, aber ich bin Schriftstellerin. Man muss die Literatur von der Politik entkleiden (déshabiller), auch wenn es eine heikle Übung ist. Die Literatur kann nicht für die Geschichte verantwortlich sein. Allenfalls kann sie Zeugnis von ihr ablegen.“ Dadurch versuchte sie die Polemik herunterzukochen. Mit schärferen Worten vertrat der französisch-marokkanische Starautor Tahar Ben Jalloun eine in der Sache ähnliche Position: Er nannte es einen „Krieg  gegen die Kultur“, wenn Bücher und ihre Autor für die Politik „ihrer“ Regierung verantwortlich gemacht und deshalb boykottiert würden.  

Mit Nuancen und Abstufungen schloss sich dem der palästinensische linksnationalistische Intellektuelle Elias Sanbar, einer der prominentesten Akademiker der palästinensischen Diaspora und zugleich Repräsentant der Autonomiebehörde bei der UNESCO in Paris, an. Er erklärte sein „Unverständnis“ gegenüber dem Ruf nach Boykott: „Ich verstehe nicht, wie man Schriftsteller boykottieren kann. Wenn man ein Werk schätzt oder nicht schätzt, dann fragt man nicht nach dem Pass seines Autors.“ Er fügte hinzu, dass er es „bedauere“, dass israelische Schriftsteller sich für eine nationale Propagandashow hätten einspannen lassen, da die israelische Botschaft in Paris selbst die eingeladenen Autoren - 40 an der Zahl - ausgewählt habe und da das Schicksal der Palästinenser auf der Buchmesse offiziell nicht thematisiert werden sollte. „Ich bedauere umso mehr, dass Friedensaktivisten wie David Grossmann, den ich sehr gut kenne, für diese Propaganda haben einspanne lassen.“

Eine andere Linie fuhr hingegen der ägyptische Erfolgsautor Alaa El Aswani, der seinen zweiten Roman - Chicago - auf der Buchmesse vorstellte und in Frankreich von einem größeren Verlag, Actes Sud, publiziert wird. Er hielt inhaltlich an den Motiven der Protestierenden fest und warf der israelischen Militärpolitik „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor. Dennoch kam er nach Paris zur Literaturmese, rechtfertigte dies allerdings auch damit, dass er dort „Fotos von libanesischen und palästinensischen Kindern, die zu Opfern der israelischen Armee wurden, verteilen“ könne. 

Auf israelischer sowie französisch-jüdischer Seite gab es ebenfalls heftige inhaltliche Debatten, bevor die Bücherausstellung eröffnet wurde. Eine Minderheit von oppositionellen Israelis forderte ihrerseits die französische Öffentlichkeit zum Boykott auf. Unter ihnen der von einer israelischen Universität an die Hochschule im britischen Exeter gewechselte Historiker Ilan Pappe. Aber auch der Leiter der Literaturbeilage der israelischen Tageszeitung Haaretz, Benny Ziffer, kritisierte die Präsenz Israels als Ehrengast beim Salon du Livre harsch und rief mit den Worten zum Boykott auf, es sei „unanständig, dass israelische Schriftsteller nach Paris kommen und dort Ehren empfangen, während palästinensische Mütter an Checkpoints frieren und blockiert bleiben.“  

Nicht zum Boykott rief etwa die linksalternative bis linksradikale „Französische jüdische Union für den Frieden“ (UJFP) auf, die zur Buchmesse ging, dort aber die inhaltliche Auseinandersetzung unter Einschluss von Arabern und Juden über die Frage eines zukünftigen Zusammenlebens organisierte. Zusammen mit dem linken Verlag La Fabrique, der zahlreiche oppositionelle oder pazifistische israelische Autoren in Frankreich publiziert, organisierte die UJFP drei Debatten auf der Buchmesse. Auf ihren Stand lud sie israelische Besatzungsgegner und kritische JournalistInnen wie Amira Hass (die mutige Reporterin von der Tageszeitung Ha’aretz) oder Michel Warschawski vom Alternativ Information Center in Jerusalem ein. Auch wenn es am Anfang zu einer Rangelei zwischen linksoppositionellen jüdischen Menschen und den Sicherheitsbeamten des israelischen Präsidenten Shimon Peres - anlässlich von dessen Abstecher bei der Buchmesse - kam, so zog doch die UJFP zum Abschluss in einem Kommuniqué eine positive Bilanz aus ihrer Anwesenheit dort. Man habe die rund 200.000 Besucher des Salon du livre mit der Kritik an der konkreten Besatzungspolitik konfrontiert, und zugleich die grundsätzliche Möglichkeit zu jüdisch-arabischer Koexistenz unterstrichen.           

Zum Stein des Anstoßes bei den Kritikern - jedenfalls jenen, die nicht gegen die pure Existenz eines „Gott ungefälligen“ Israel sind - wurde, neben der Auswahl von Autoren durch die israelische Botschaft, dass nur solche Schriftsteller eingeladen wurden, die auf Hebräisch publizieren. Unter ihnen auch ein arabischstämmiger Israeli, Sayed Kashua. Dabei besteht in Israel selbst längst ein Sprachmosaik, und viele Bürger des Staates schreiben auf Arabisch oder auch Russisch oder Polnisch. Daran machte etwa auch die UJFP ihre Kritik an der offiziellen Konzeption fest, und die Vereinigung verwies zudem auf die „Diskriminierung arabischstämmiger Bürger Israels“, deren Armutsquote mit 50 Prozent ungleich höher sei als die anderer Israelis, die im nationalen Durchschnitt bei 15 % liegt.  

Die Liga für Menschenrechte (LDH) - eine traditionsreiche französische Vereinigung, die während der Dreyfus-Affäre vor 100 Jahren entstanden ist - forderte ihrerseits kurz vor der Buchmesse, im Namen der Chancen für ein künftiges Zusammenleben doch noch arabischsprachige israelische sowie palästinensische Schriftsteller zusätzlich einzuladen.  

Hingegen wollte der französisch-israelische Verleger Michael Valensi den Einwand bezüglich der Sprache nicht gelten lassen: „Ich bin nicht sicher, ob die Präsenz von Autoren, die auf Arabisch oder Französisch schreiben, das Problem gelöst hätte. Der Hintergedanke derer, die zum Boykott aufrufen, ist, dass sie ohnehin Israels Existenz ablehnen.“ Der Romanschriftsteller Yoshua Kenaz verwies seinerseits darauf, dass auch die französische Republik eine offizielle Nationalsprache habe und diese - zu Lasten von Regionalsprachen wie etwa Bretonisch - in jeder Hinsicht privilegiere. Allerdings verglich der Mann dabei auf unzulässige Weise Äpfel mit Birnen, da der französische Zentralstaat zwar in der Vergangenheit (heute jedoch nicht länger) die Regionalsprachen und sprachlichen Minderheiten marginalisierte, ihre Beziehung jedoch nicht als ein Kolonialverhältnis analysiert werden konnte. 

Jene israelischen Autoren, die offiziell zum Salon du Livre eingeladen worden war (39 von 40 geladenen Schriftstellern kamen), gehören ihrerseits zum Teil selbst dem „Friedenslager“ in Israel an, das offensiv für ein künftiges Zusammenleben mit den Arabern - etwa im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung - wirbt. Unter ihnen waren Amos Oz, David Grossmann und Avraham Burg die Prominentesten, die mit einer offiziellen Einladung in der Tasche nach Paris reisen konnten. Diese geladenen Gäste äußerten sich nicht so sehr in der Öffentlichkeit, zumal im Vorfeld ein Deal mit der Botschaft zur Nichterörterung der israelischen Palästinapolitik in der Öffentlichkeit abgeschlossen worden war - wobei Amos Oz seinerseits die Abwesenheit einer arabischsprachigen Literatur bedauerte.  

Ihre Anwesenheit wurde jedoch durch die Kritiker und Gegner des Boykottaufrufs oft als wichtiges Argument zitiert. So bezeichnete die auf Dritte-Welt-Themen spezialisierte Zeitschrift Jeune Afrique, die in Paris erscheint, den Boykott unter Verweis auf die Anwesenheit dieser Autoren als absurd, auch wenn die Schriftstellerin Fawzia Zouari in einem nebenstehenden Gastkommentar eine gegenläufige Position vertreten konnte. Allerdings weigerte sich der Schriftsteller Aaron Shabtai, der offiziell durch die israelische Delegation (und damit indirekt durch die Botschaft) eingeladen worden war, aufgrund des politischen Kontextes und der von den Kritikern befürchteten Instrumentalisierung, die Buchmesse zu betreten. 

Alles in allem lässt sich feststellen, dass die Debatte um die diesjährige Pariser Buchmesse keineswegs zwei geschlossene monolithische „nationale“ Blöcke - „die Juden“ kontra „die Araber“ - einander gegenüber stellte. Vielmehr hat sie in „beiden Lagern“, sofern man diese ‚ethnische’ Brille überhaupt für einen Moment aufbehalten möchte, politische und ideologische Bruchlinien zutage gefördert. Nicht ‚ethnische’ oder religiöse Zugehörigkeit, sondern politische Positionen erwiesen sich bei den meisten Teilnehmer/inne/n an der Debatte als entscheidend. Abgesehen natürlich von Fanatikern wie jenen von ‚Convergence des Causes’ (und ansonsten von Islamisten oder israelischen Nationalreligiösen und Siedlungsverfechtern). Die Frage, wie das Kolonialverhältnis aufzubrechen und zugleich ein gleichberechtigtes Zusammenleben von jüdischen UND arabischen Bevölkerungen in Zukunft angestrebt werden kann, ist damit freilich noch keiner Klärung zugeführt worden.

Editorische Anmerkungen

Den Aufsatz erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.