Allen kann man es
selten recht machen. So auch beim Salon du Livre: Die Pariser
Buchmesse, die alljährlich in den Messehallen der französischen
Hauptstadt nahe der Porte de Versailles stattfindet, musste am
Sonntag, den 16. März d.J. gegen 17 Uhr aufgrund eines
Bombenalarms vorübergehend evakuiert werden. Eine Stunde lang
blieb das Messegelände geschlossen, während Bombenentschärfer
der Pariser Polizei ihrem Expertenhandwerk nachgingen und ein
Polizeihubschrauber über ihm kreiste. Gefunden wurde jedoch kein
Sprengsatz: Es handelte sich um einen Fehlalarm, der durch die
Provokation eines anonymen Anrufers ausgerufen worden war. Als
der Spuk nach einer Stunde vorüber war, kündigte die
Ausstellungsleitung dann an, ausnahmsweise bleibe die Buchmesse
an diesem Tage bis 21 Uhr – also um sechzig Minuten länger als
vorgehen – geöffnet. Dies wiederum führte zu lautem Stöhnen und
Protesten bei den Ausstellern: Müde und im Dauerstress, wollten
sich viele von ihnen keine verlängerten Öffnungszeiten antun.
Nein, man kann es eben nicht Allen recht machen.
Hängt die anonyme
Bombendrohung – die sich in diesem Falle als nicht echt erwies –
mit den politischen Polemiken im Vor- und Umfeld der
diesjährigen Pariser Buchmesse zusammen? Das ist zwar nicht
nachgewiesen, dennoch aber höchst wahrscheinlich. Der Salon du
livre empfängt in jedem Jahr ein Land, mit seiner Literatur, als
„Ehrengast“. Für die diesjährige Messe, die vom 14 bis 19. März
stattfand, war die Wahl auf den Staat Israel gefallen. Der in
den Medien oft hergestellte Zusammenhang zum 60. Jahrestag von
dessen Gründung wurde übrigens durch die Veranstalter dementiert:
Man habe sich anlässlich einer Literaturmesse im Herbst 2006,
bei der man mit israelischen Verlegern zusammengetroffen sei,
auf diese Idee geeinigt. Und damals habe man überhaupt noch
nicht an den historischen Jahrestag gedacht.
Auch ein
Zusammenhang zum Staatsbesuch des israelischen Staatspräsidenten
Shimon Peres, der am vorletzten Donnerstag in Paris eintraf,
würde demnach nicht bestehen, jedenfalls wäre er nicht vorab
geplant gewesen. Sein französischer Amtskollege Nicolas Sarkozy
hatte zunächst angekündigt, den diesjährigen „Buchsalon“
zusammen mit Peres einzuweihen. Im Nachhinein entkräftete
Sarkozy diese Ankündigung, die längst durch alle Medien gegangen
war, jedoch: Aus dem Elysée-Palast verlautbarte, ein solcher
Abstecher des Präsidenten sei „nie geplant“ gewesen und,
aufgrund einer wichtigen EU-Tagung in Brüssel, auch gar nicht
möglich. Inhaltliche Gründe hat diese Zu- und nachfolgende
Absage wohl keine, vielmehr hatte Sarkozy wahrscheinlich nur
einmal mehr angekündigt, als er hinterher einhalten konnte.
Shimon Peres begab sich schließlich zusammen mit der
französischen Kulturministerin Christine Albanel zur Buchmesse.
Keinen Zufall
erblickten unterdessen viele arabische Akteure in dem zeitlichen
Zusammentreffen von Buchmesse, Staatsbesuch und historischem
Jahrestag. Die wichtigsten Berufsverbände von Verlegern und
Schriftstellern in der Arabischen Liga riefen vorab zum „Boykott“
der diesjährigen Pariser Buchmesse auf, da sich mit dem 60.
Jahrestag der Staatsgründung Israels zugleich auch die Flucht
und Vertreibung von rund 800.000 Palästinensern – durch diese
selbst Naqba (Katastrophe) genannt - jähre. Da dieses Unrecht
nicht aufgelöst worden sei und die Veranstalter des Pariser
Salon du livre einem „rassistischen Staat“ die Ehre erwiesen,
könne man ihm in diesem Jahr nur fernbleiben.
Der Aufruf hatte
Konsequenzen, da die offiziellen Stände der Ausstellerländer
Marokko, Algerien und Tunesien sowie Libanon in diesem Jahr leer
blieben. Zumindest bei den erstgenannten drei Staaten handelt es
sich im strengen Sinne übrigens nicht um „arabische“, sondern
eher um arabo-berberische Länder. Aufgrund ihrer
Mehrheitssprache und ihrer Mitgliedschaft in der Arabischen Liga
fühlen sich politische Eliten und Bevölkerungsmehrheiten jedoch
einer gemeinsamen Sache verbunden. Bislang stellten insbesondere
die Ausstellungsstände der drei Maghrebstaaten, die viele
talentierte Schriftsteller auch in französischer Sprach zählen,
wichtige Attraktionspunkte der jährlichen Pariser Buchmessen dar.
Unterdessen hatte
der Boykottaufruf nicht nur Freunde unter den Autoren und
Verlegern aus diesen Ländern, oder unter den in Frankreich
lebenden Einwanderergruppen aus der Region. Dabei mischten sich
pragmatisch-taktische Erwägungen – entweder bedauerte man die
Verkaufseinbußen bei den eigenen Büchern, oder aber man beklagte,
dass man den eigenen Standpunkt durch eine „Politik des leeren
Stuhls“ nicht Erfolg versprechend vertreten könne – und
inhaltliche Motive. Nicht zuletzt mochten viele derer, die
selbst zumindest die konkrete Politik Israels gegenüber den
Palästinensern ablehnen, ohne aber dessen pure Existenz
abzulehnen, nicht mit den militanten Eiferern in Verbindung
gebracht werden.
Letztere meldeten
sich ebenfalls an der Pariser Porte de Versailles zu Wort, in
Gestalt einer Demonstration am vorletzten Samstag Nachmittag, zu
der die Gruppierung ‚Convergence des causes’ (ungefähr:
Gemeinsame Kampfgründe finden, Gemeinsame Sache machen)
aufgerufen hatte. Bei letzterer handelt es sich um eine im 18.
Pariser Bezirk ansässige Kleingruppe, die zwar bisweilen auch
linke oder rebellische Rhetorik benutzt, um ein Publikum vor
allem unter Einwandererkindern anzuziehen – aber dahinter ein
islamistisches Profil eher verbirgt denn klar zum Ausdruck
bringt. Auf ihrer Homepage werden zwar auch Texte ohne klare
ideologische Handschrift etwa zu Südamerika oder Afrika - die
auch von Linken oder bürgerlichen Demokraten stammen könnten -
verbreitet. Aber man findet dort an prominenter Stelle auch die
Fotos der beiden langjährigen Chefs des FIS - der „Islamischen
Rettungsfront“ - in Algerien, Abassadi Madani und Ali Belhadj,
aufgenommen in der Blütezeit dieser radikalen Islamistenpartei
vor etwa 15 Jahren. Ihre Demonstration zog jedoch nur ein paar
hundert Menschen an. Im Aufruf hieß es unter anderem: „Israel
verletzt die Menschenrechte, weil es Gott nicht respektiert.“ In
Algerien ist man jedoch heute mehrheitlich ziemlich schlecht auf
die „Brüder“ vom FIS zu sprechen. Aus diesem Grund dürften viele
Nordafrikaner solcherlei Aufrufen zum Protest auch eher
skeptisch gegenüber gestanden haben.
Seitens derer, die
eher pragmatisch motivierte Einwände gegen die Boykottaufrufe
vorbrachten, berief man sich in der Regel auf die notwendige
Trennung zwischen Literatur und Politik. So erklärte die
libanesische Dichterin Hyam Yared, die auf der diesjährigen
Pariser Buchmesse einen Literaturpreis für ihren ersten Roman (L’Armoire
des Ombres) entgegen nahm und trotz Boykottforderungen anreiste:
„Ich verstehe, dass eine Regierung zum Boykott aufruft, aber ich
bin Schriftstellerin. Man muss die Literatur von der Politik
entkleiden (déshabiller), auch wenn es eine heikle Übung ist.
Die Literatur kann nicht für die Geschichte verantwortlich sein.
Allenfalls kann sie Zeugnis von ihr ablegen.“ Dadurch versuchte
sie die Polemik herunterzukochen. Mit schärferen Worten vertrat
der französisch-marokkanische Starautor Tahar Ben Jalloun eine
in der Sache ähnliche Position: Er nannte es einen „Krieg gegen
die Kultur“, wenn Bücher und ihre Autor für die Politik „ihrer“
Regierung verantwortlich gemacht und deshalb boykottiert würden.
Mit Nuancen und
Abstufungen schloss sich dem der palästinensische
linksnationalistische Intellektuelle Elias Sanbar, einer der
prominentesten Akademiker der palästinensischen Diaspora und
zugleich Repräsentant der Autonomiebehörde bei der UNESCO in
Paris, an. Er erklärte sein „Unverständnis“ gegenüber dem Ruf
nach Boykott: „Ich verstehe nicht, wie man Schriftsteller
boykottieren kann. Wenn man ein Werk schätzt oder nicht schätzt,
dann fragt man nicht nach dem Pass seines Autors.“ Er fügte
hinzu, dass er es „bedauere“, dass israelische Schriftsteller
sich für eine nationale Propagandashow hätten einspannen lassen,
da die israelische Botschaft in Paris selbst die eingeladenen
Autoren - 40 an der Zahl - ausgewählt habe und da das Schicksal
der Palästinenser auf der Buchmesse offiziell nicht thematisiert
werden sollte. „Ich bedauere umso mehr, dass Friedensaktivisten
wie David Grossmann, den ich sehr gut kenne, für diese
Propaganda haben einspanne lassen.“
Eine andere Linie
fuhr hingegen der ägyptische Erfolgsautor Alaa El Aswani, der
seinen zweiten Roman - Chicago - auf der Buchmesse vorstellte
und in Frankreich von einem größeren Verlag, Actes Sud,
publiziert wird. Er hielt inhaltlich an den Motiven der
Protestierenden fest und warf der israelischen Militärpolitik „Verbrechen
gegen die Menschlichkeit“ vor. Dennoch kam er nach Paris zur
Literaturmese, rechtfertigte dies allerdings auch damit, dass er
dort „Fotos von libanesischen und palästinensischen Kindern, die
zu Opfern der israelischen Armee wurden, verteilen“ könne.
Auf israelischer
sowie französisch-jüdischer Seite gab es ebenfalls heftige
inhaltliche Debatten, bevor die Bücherausstellung eröffnet wurde.
Eine Minderheit von oppositionellen Israelis forderte ihrerseits
die französische Öffentlichkeit zum Boykott auf. Unter ihnen der
von einer israelischen Universität an die Hochschule im
britischen Exeter gewechselte Historiker Ilan Pappe. Aber auch
der Leiter der Literaturbeilage der israelischen Tageszeitung
Haaretz, Benny Ziffer, kritisierte die Präsenz Israels als
Ehrengast beim Salon du Livre harsch und rief mit den Worten zum
Boykott auf, es sei „unanständig, dass israelische
Schriftsteller nach Paris kommen und dort Ehren empfangen,
während palästinensische Mütter an Checkpoints frieren und
blockiert bleiben.“
Nicht zum Boykott
rief etwa die linksalternative bis linksradikale „Französische
jüdische Union für den Frieden“ (UJFP) auf, die zur Buchmesse
ging, dort aber die inhaltliche Auseinandersetzung unter
Einschluss von Arabern und Juden über die Frage eines
zukünftigen Zusammenlebens organisierte. Zusammen mit dem linken
Verlag La Fabrique, der zahlreiche oppositionelle oder
pazifistische israelische Autoren in Frankreich publiziert,
organisierte die UJFP drei Debatten auf der Buchmesse. Auf ihren
Stand lud sie israelische Besatzungsgegner und kritische
JournalistInnen wie Amira Hass (die mutige Reporterin von der
Tageszeitung Ha’aretz) oder Michel Warschawski vom Alternativ
Information Center in Jerusalem ein. Auch wenn es am Anfang zu
einer Rangelei zwischen linksoppositionellen jüdischen Menschen
und den Sicherheitsbeamten des israelischen Präsidenten Shimon
Peres - anlässlich von dessen Abstecher bei der Buchmesse - kam,
so zog doch die UJFP zum Abschluss in einem Kommuniqué eine
positive Bilanz aus ihrer Anwesenheit dort. Man habe die rund
200.000 Besucher des Salon du livre mit der Kritik an der
konkreten Besatzungspolitik konfrontiert, und zugleich die
grundsätzliche Möglichkeit zu jüdisch-arabischer Koexistenz
unterstrichen.
Zum Stein des
Anstoßes bei den Kritikern - jedenfalls jenen, die nicht gegen
die pure Existenz eines „Gott ungefälligen“ Israel sind - wurde,
neben der Auswahl von Autoren durch die israelische Botschaft,
dass nur solche Schriftsteller eingeladen wurden, die auf
Hebräisch publizieren. Unter ihnen auch ein arabischstämmiger
Israeli, Sayed Kashua. Dabei besteht in Israel selbst längst ein
Sprachmosaik, und viele Bürger des Staates schreiben auf
Arabisch oder auch Russisch oder Polnisch. Daran machte etwa
auch die UJFP ihre Kritik an der offiziellen Konzeption fest,
und die Vereinigung verwies zudem auf die „Diskriminierung
arabischstämmiger Bürger Israels“, deren Armutsquote mit 50
Prozent ungleich höher sei als die anderer Israelis, die im
nationalen Durchschnitt bei 15 % liegt.
Die Liga für
Menschenrechte (LDH) - eine traditionsreiche französische
Vereinigung, die während der Dreyfus-Affäre vor 100 Jahren
entstanden ist - forderte ihrerseits kurz vor der Buchmesse, im
Namen der Chancen für ein künftiges Zusammenleben doch noch
arabischsprachige israelische sowie palästinensische
Schriftsteller zusätzlich einzuladen.
Hingegen wollte der
französisch-israelische Verleger Michael Valensi den Einwand
bezüglich der Sprache nicht gelten lassen: „Ich bin nicht sicher,
ob die Präsenz von Autoren, die auf Arabisch oder Französisch
schreiben, das Problem gelöst hätte. Der Hintergedanke derer,
die zum Boykott aufrufen, ist, dass sie ohnehin Israels Existenz
ablehnen.“ Der Romanschriftsteller Yoshua Kenaz verwies
seinerseits darauf, dass auch die französische Republik eine
offizielle Nationalsprache habe und diese - zu Lasten von
Regionalsprachen wie etwa Bretonisch - in jeder Hinsicht
privilegiere. Allerdings verglich der Mann dabei auf unzulässige
Weise Äpfel mit Birnen, da der französische Zentralstaat zwar in
der Vergangenheit (heute jedoch nicht länger) die
Regionalsprachen und sprachlichen Minderheiten marginalisierte,
ihre Beziehung jedoch nicht als ein Kolonialverhältnis
analysiert werden konnte.
Jene israelischen
Autoren, die offiziell zum Salon du Livre eingeladen worden war
(39 von 40 geladenen Schriftstellern kamen), gehören ihrerseits
zum Teil selbst dem „Friedenslager“ in Israel an, das offensiv
für ein künftiges Zusammenleben mit den Arabern - etwa im Rahmen
einer Zwei-Staaten-Lösung - wirbt. Unter ihnen waren Amos Oz,
David Grossmann und Avraham Burg die Prominentesten, die mit
einer offiziellen Einladung in der Tasche nach Paris reisen
konnten. Diese geladenen Gäste äußerten sich nicht so sehr in
der Öffentlichkeit, zumal im Vorfeld ein Deal mit der Botschaft
zur Nichterörterung der israelischen Palästinapolitik in der
Öffentlichkeit abgeschlossen worden war - wobei Amos Oz
seinerseits die Abwesenheit einer arabischsprachigen Literatur
bedauerte.
Ihre Anwesenheit
wurde jedoch durch die Kritiker und Gegner des Boykottaufrufs
oft als wichtiges Argument zitiert. So bezeichnete die auf
Dritte-Welt-Themen spezialisierte Zeitschrift Jeune Afrique, die
in Paris erscheint, den Boykott unter Verweis auf die
Anwesenheit dieser Autoren als absurd, auch wenn die
Schriftstellerin Fawzia Zouari in einem nebenstehenden
Gastkommentar eine gegenläufige Position vertreten konnte.
Allerdings weigerte sich der Schriftsteller Aaron Shabtai, der
offiziell durch die israelische Delegation (und damit indirekt
durch die Botschaft) eingeladen worden war, aufgrund des
politischen Kontextes und der von den Kritikern befürchteten
Instrumentalisierung, die Buchmesse zu betreten.
Alles in allem lässt
sich feststellen, dass die Debatte um die diesjährige Pariser
Buchmesse keineswegs zwei geschlossene monolithische „nationale“
Blöcke - „die Juden“ kontra „die Araber“ - einander gegenüber
stellte. Vielmehr hat sie in „beiden Lagern“, sofern man diese ‚ethnische’
Brille überhaupt für einen Moment aufbehalten möchte, politische
und ideologische Bruchlinien zutage gefördert. Nicht ‚ethnische’
oder religiöse Zugehörigkeit, sondern politische Positionen
erwiesen sich bei den meisten Teilnehmer/inne/n an der Debatte
als entscheidend. Abgesehen natürlich von Fanatikern wie jenen
von ‚Convergence des Causes’ (und ansonsten von Islamisten oder
israelischen Nationalreligiösen und Siedlungsverfechtern). Die
Frage, wie das Kolonialverhältnis aufzubrechen und zugleich ein
gleichberechtigtes Zusammenleben von jüdischen UND arabischen
Bevölkerungen in Zukunft angestrebt werden kann, ist damit
freilich noch keiner Klärung zugeführt worden.
Editorische
Anmerkungen
Den Aufsatz
erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.
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