Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Frankreich modifiziert seine Afrikapolitik…
…nach dem Motto: „Alles muss sich ändern, damit alles bleibt wie es ist“

04/08

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Der Ruf wäre vorläufig gerettet! Einen günstigen Coup gelandet hat die französische Regierung mit ihrer Ankündigung, dem tschadischen Oppositionellen Ngarlejy Yorongar in ihrem Land Asyl zu gewähren. Ein entsprechendes Versprechen hatte Premierminister François Fillon vor einem knappen Monat im Fernsehsender Europe1 abgegeben - als in der Öffentlichkeit noch unklar war, ob der Oppositionspolitiker sich überhaupt noch am Leben befand. Inzwischen ist er wieder aufgetaucht. Und ausgerechnet die frühere Kolonialmacht Frankreich, die im Februar dieses Jahres dem tschadischen Regime unter Präsident Idriss Déby Itno militärisch unter die Arme gegriffen und ihm möglicherweise die Rettung verschafft hat (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0308/t330308.html ), nimmt ihn auf.

Yorongar ist am 6. März über Kamerun nach Frankreich eingereist. In seinen ersten Erklärungen gegenüber den Medien betonte er allerdings, er wünsche so schnell wie möglich nach N’Djamena zurückzukehren und werde Präsident Idriss Déby nicht „das Geschenk machen“, im Exil zu bleiben. Er kritisierte ferner Frankreich für seine Rolle im Tschad. Präsident Nicolas Sarkozy solle damit aufhören, das autokratische Regime von Idriss Déby zu stützen, und Frankreich solle „nicht länger den Gendarmen“ bei Konflikten in dem afrikanischen Land spielen. (Vgl. u.a. http://tempsreel.nouvelobs.com)

Allerdings zeigte Yorongar sich zurückhaltend, indem er nicht den Abzug der französischen Truppen aus dem Tschad - in Gestalt der 1.200 Soldaten der ‚Opération Epervier’ (Sperber) sowie des ungefähr ebenso starken französischen Kontingents an der europäischen Truppe EUFOR, die im Grenzgebiet von Tschad, Sudan und Zentralafrikanischer Republik stationiert ist - fordert, sondern sich darauf beschränkt, eine „saubere(re) Präsenz“ Frankreichs in Afrika zu fordern. Wörtlich erklärte Yorongar dem Sender Europe1, eine „viel sauberere militärische Präsenz“ auf dem Kontinent liege „im Interesse der Glaubwürdigkeit Frankreichs“. Das Land solle insbesondere „aufhören, sich in die inneren Angelegenheiten“ der afrikanischen Länder einzumischen; im Tschad diene die französische Armee „dem Präsidenten Idriss Déby als Schirm, um sich gegen jedes Risiko eines Putschs oder auch einer Abwahl zu schützen“. (Vgl. http://www.europe1.fr )

Mit seinen Äußerungen liegt Yorongar wohl gar nicht so weit von den mutmaßlichen Zielen der französischen Außenpolitik entfernt. Denn auch in Paris hat man die Nase voll davon, von manchen afrikanischen Autokraten, die man bislang stets an der Macht gehalten hat, für deren persönliche Zwecke in innenpolitische Konflikte hineingezogen zu werden. Eine etwas reduzierte Präsenz in Afrika, um französische oder europäische „fundamentale“ Interessen abzusichern, ohne aber alternden Potentaten als Quasi-Lebensversicherung zu dienen, käme durchaus auch Sarkozys Vorstellungen entgegen. Ende vergangenen Jahres waren insgesamt 11.000 französische Soldaten, ein Drittel der Armee im Auslandseinsatz, auf dem Kontinent stationiert.

Schon im Laufe der 1990er Jahre hatte man in Paris von offizieller Seite her begonnen, darüber nachzudenken, wie man nicht länger gezwungen werde, sich um die „häuslichen Angelegenheiten“ örtlicher Regime zu kümmern, sofern die eigenen Interessen nicht zwingend daran gekoppelt sind. (Vgl. http://www.nadir.org/ ) Dennoch blieb und bleibt es eine delikate Übung, sich von den bislang französischen Interessen überaus dienlichen korrupten Diktatoren ein Stück weit abzusetzen. Denn zu den wesentlichen Attributen französische postkolonialer Großmachtpolitik gehört es, darauf vertrauen zu können, dass ein bestimmter Block afrikanischer Staaten etwa in der UN-Vollversammlung quasi automatisch zusammen mit dem französischen Vertreter abstimmt - jedenfalls bei wichtigen Fragen.  

Jüngst scheint Frankreich etwa im Tschadkonflikt begonnen zu haben, diese Doktrin zum Teil in die Tat umzusetzen. Tatsächlich hat Frankreich zwar kurzfristig dem seit Dezember 1990 diktatorisch regierenden Idriss Déby faktisch den Kragen gerettet und ihm geholfen, den Angriff der - vom Nachbarstaat Sudan unterstützen - Rebellen auf die Hauptstadt N’Djamena in den ersten Februartagen abzuwehren. Gleichzeitig aber scheint Paris mittelfristig auch noch andere Karten in dem Konflikt zu spielen. Die militärische Koalition der Rebellen ihrerseits, deren Anführer größtenteils aus gestürzten früheren Günstlingen des Präsidenten sowie aus Warlords bestehen, hatte Frankreich relativ freundliche Signale zugesandt. Als sie noch glaubten, N’Djamena einnehmen zu können, erklärten die Rebellenführer, nichts gegen französische Interessen unternehmen zu wollen. Paris ist auf dieses „Angebot“ nicht eingegangen, indem es sich dafür entschied, dem Regime unter der Hand militärische Hilfestellung zu gewähren - obwohl es nach außen hin doch lieber eine angebliche „Nichteinmischung“ zu demonstrierten versuchte. Aber gegenüber der zivilen Opposition, die es von der militärischen Rebellenkoalition zu unterscheiden gilt, scheint Paris gewisse Schritte unternommen zu haben.

Außenminister Bernard Kouchner hatte Ende Februar zunächst den heftigen Zorn der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erregt, indem er im Fernsehsender LCP-Sénat versicherte, der Oppositionsführer Yorongar halte sich „noch versteckt, aber ziemlich glaubwürdige Zeugen“ – die freilich ungenannt blieben – „versichern, dass er noch am Leben sei“. An anderer Stelle ließ er durchsickern, dass „die französische Seite“ glaube, Yorongar halte sich im Nachbarland Kamerun auf. Yorongar war am 3. Februar durch die Präsidentengarde verhaftet, man könnte auch sagen entführt, worden und blieb zunächst mehrere Wochen lang „verschwunden“. Kouchner war der erste, der von seinem Wiederauftauchen gehört haben wollte. Menschenrechtsorganisationen und die eigene Familie Yorongars, der bis dahin als Abgeordneter die benachteiligten Südprovinzen des Tschad vertreten hatte, zweifelten seine Worte offen an.

Und doch hatte Kouchner Recht, denn Yorongar war damals auf dem Weg nach Kamerun. Genaues über die Bedingungen seiner Ausreise sind offiziell nicht bekannt. Augenzeugen, die sich damals im Tschad aufhielten, berichteten jedoch gegenüber dem Verfasser dieser Zeilen, die französische Armee habe Yorongar aufgegriffen und vor den Häschern des Regimes gerettet. Der Oppositionspolitiker war am 12. Februar zu einer Hinrichtung oder Scheinhinrichtung auf einen Friedhof von N’Djemana geführt worden. Eine zum fraglichen Zeitpunkt vorbeikommende französische Armeepatrouille hatte ihn jedoch, so die vorliegenden Angaben, aufgegriffen, so dass Yorongar mit dem Leben davon kam. Noch fehlt unterdessen aber jegliche Spur von einem zweiten Anführer der zivilen und demokratischen Opposition, der zusammen mit Yorongar gekidnappt und auf einem Militärstützpunkt festgehalten worden war. Viele Beobachter glauben inzwischen, Ibni Oumar Mahamat Saleh, der Sprecher einer Koalition von Oppositionsparteien, der allen Anzeichen nach schwer misshandelt worden ist, sei tot. Das offizielle Frankreich, so bemängeln tschadische Oppositionelle, sei über sein Schicksal auf dem laufenden, ohne es zugeben zu wollen.

Ende Februar 2008 legte Präsident Sarkozy unterdessen selbst einen Abstecher in N’Djamena ein, auf der Durchreise zu seinem Staatsbesuch in der Republik Südafrika. Dabei versuchte er sich vor den Kameras und Mikrophonen in iner Gleichgewichtsübung: Er bezeichnete das Regime des - im Dezember 1990 durch einen Putsch, mit Pariser Billigung, an die Macht gekommenen - tschadischen Präsidenten als „legitim“. Er fügte jedoch hinzu, dies gebe ihm nicht die Berechtigung dazu, „jeden Quatsch“ (n’importe quoi) anzustellen. Sarkozy erreichte die Einrichtung einer „internationalen Untersuchungskommission“ über das Schicksal der „verschwundenen“ Oppositionspolitiker. Letztere wird zwar unter dem Vorsitz des tschadischen Parlamentspräsidenten Nassour Ouaïdou stehen. Aber Nicolas Sarkozy verlangte, neben ihm und Vertretern des tschadischen Regimes sollten auch Repräsentanten „der Europäischen Kommission, Frankreichs und des Roten Kreuzes“ an dem Untersuchungsausschuss teilnehmen. Am Donnerstag erklärte jedoch das Internationale Kommission vom Roten Kreuz (IKRK), eine Teilnahme an einem solchen Gremium komme für es nicht in Frage: „Dies verletzt unsere Grundsätze der Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit.“

Einen Tag später sicherte der französische Präsident Sarkozy in seiner Rede vor dem südafrikanischen Parlament in Cape Town – wo man die neokoloniale Politik seines Landes mit Argwohn beobachtet – zu, Frankreich werde „sämtliche Militärabkommen mit früheren Kolonien in Afrika“ überarbeiten und künftig Transparenz in die wechselseitigen Beziehungen einziehen lassen. Dazu gehöre, dass die militärischen Kooperations- respektive Verteidigungsabkommen, die Frankreich mit mehreren afrikanischen Regimes verbinden und die oft geheime Klauseln enthalten - wie im Falle des Tschad - nunmehr erstmals in Gänze veröffentlicht werden sollten. Er kündigte gar eine völlige „Neubegründung“ der französisch-afrikanischen Beziehungen, auf veränderter Grundlage, an. Frankreichs Verhalten im Tschad, wo seine dort stationierte Armee „nicht in die jüngst stattgefundenen Kämpfe eingegriffen“ habe, stellte Nicolas Sarkozy dabei als geradezu modellhaft hin und strich das angebliche Raushalten des offiziellen Frankreich aus dem dortigen Konflikt heraus. Die Franzosen hätten sich dort, so Sarkozy, „verboten, auf Afrikaner zu schießen“.  

Dies ist zwar nur bestenfalls die halbe Wahrheit, in Anbetracht der französischen Munitionslieferungen über Libyen und seiner militärischen Beteiligung an den Kämpfen um den Flughafen von N’Djamena. Und was seine Ankündigungen betrifft, so dürfte vieles nicht so heiß gegessen werden, wie es auf den Tisch gebracht wurde. Aber die politische Ankündigung ist da, ob es sich nun um ein Programm oder eher nur um fromme Sprüche handeln möge.

Ungemach droht Frankreich unterdessen aus einer anderen Ecke. Der seit 41 Jahren amtierende und damit dienstälteste afrikanische Präsident, Omar Bongo Ondimba, unbestrittener Herrscher über den Ölstaat Gabun, zürnt. Ein Grund dafür ist die Abschiebung zweier gabunesischer Staatsbürger – einer Jurastudentin und eines Doktoranden, die in Toulouse respektive Reims ansässig waren - von französischem Boden am 19. Februar und am 29. Februar. Bislang waren die Bürger des erdölreichen und (mit nur 1,2 Millionen Einwohner/inne/n) bevölkerungsarmen Staates, die zumindest für afrikanische Verhältnisse in der Regel relativ wohlhabend, von den hässlichen Seiten der französischen Einwanderungspolitik verschont geblieben. Auch wenn faktisch im vergangenen Jahr bereits 75 gabunesische Staatsbürger/innen aus Frankreich abgeschoben worden sind, so fiel die Abschiebepolitik gegenüber ihrem Land doch bis dahin noch relativ wenig spektakulär aus (verglichen mit ärmeren Ländern des Kontinents wie Mali oder Guinea). Nun fühlt sich die Bevölkerung in Gabun, wo es im März zu Protestdemonstrationen kam, die allerdings vom Regime initiiert worden waren, erstmals betroffen.  

Hinzu kam am 3. März dieses Jahres die Ausstrahlung einer Reportage über den Immobilienbesitz Omar Bongos in Paris, wo der Potentat allein 33 Residenzen – darunter eine Villa, die allein einen „Wert“ in Höhe von 18 Millionen Euro haben soll - besitzt, im öffentlich-rechtlichen französischen Fernsehen.  

Omar Bongo, eine langjährige zuverlässige Stütze der französischen Einflusspolitik auf dem Kontinent, entdeckt nun plötzlich die Verve eines „anti-neokolonial klingenden“ Diskurses. Um seinen scharfen Worten Nachdruck zu verleihen, kündigte er an, französische Geschäftsleute und andere Bürger, die ohne gültigen Aufenthaltstitel in Gabun wohnen, nun seinerseits abzuschieben. Trotz seines Rufs als langjähriger willfähriger Büttel der Franzosen erhielt er dafür von vielen Afrikanern, die sich zumindest amüsiert zeigen, Applaus.

Unterdessen zeichnet sich ab, dass hinter den aktuellen Auseinandersetzungen und zwischenstaatlichen Zerwürfnissen vor allem ein ernsthafter wirtschaftlicher Konflikt steckt - dessen Ursache in der zunehmenden chinesischen Präsenz in Gabun (wie auf dem Rest des afrikanischen Kontinents) zu suchen ist. So kolportierte das in Paris erscheinende Wochenmagazin ‚Jeune Afrique’ in ihrer Ausgabe vom 16. März 08, der „Rat französischer Investoren in Afrika“ (CIAN), dem Großkonzerne wie bspw. Bolloré angehören, habe sich über den wachsenden wirtschaftlichen Einfluss Chinas in Gabun beschwert. Im Hintergrund: Präsident Omar Bongo hatte den Asiaten eine Konzession zum Eisenerzschürfen zugeschanzt, statt den Franzosen. Es ging ursprünglich um das Bergwerk von Belinga, aber  inzwischen bemühen sich die Chinesen um weitergehende Operationsfelder. Jeune Afrique schreibt dazu: „Indem sie in die Infrastruktur investieren, hoffen sie, auch auf anderen Sektoren Erfolge davonzutragen, insbesondere im Transportwesen.“  Ein Berater des gabunesischen Staatsoberhaupts wird ferner mit folgenden Worten zitiert: „Es sind immer dieselben, die Bouygues, Bolloré und die anderen Mitglieder des ‚Rats französischer Investoren in Afrika’, CIAN. Sie haben ihr Vermögen bei uns erworben, aber sie haben das Eindringen Chinas in den ihnen reservierten Hinterhof (dans leur domaine réservé) nicht verdaut. Ihre Verbindungen zum Elysée-Palast und zur französischen Presse“ – Anmerkung: von der die Rüstungs- und Gemischtwarenkonzerne Bouygues und Bolloré, zusammen mit Dassault, über zwei Drittel kontrollieren – „sind hinlänglich bekannt.“ (Ausgabe N° 2462, p. 34) 

Auch deswegen zürnt man in Paris gegen Gabun, und versucht seinen alternden Potentaten nun unter Druck zu setzen. Aber der alte Fuchs wird sich das nicht so einfach bieten lassen… Abwarten, wie das Theaterstück weitergeht!

Editorische Anmerkungen

Den Aufsatz erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.