Das Philosophische Wörterbuch  BAND 1

hrg. von Georg Klaus & Manfred Buhr

04/08

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Atomismus, logischer - neupositivistische Lehre, nach der die «Welt» aus atomaren, d.h. ursprünglichen, unteilbaren, diskreten und voneinander isolierten Einzeltatsachen besteht, wobei unter «Welt» meist das unmittelbar Gegebene, die Gesamtheit der menschlichen Sinnesempfindungen, verstanden wird.
 

Philosophischstorischer Ausgangspunkt des logischen Atomismus ist der subjektive Idealismus HUMES. Nach HUME bilden einfache, unteilbare und aus diesen zusammengesetzte Sinneseindrücke die notwendige und hinreichende Grundlage der menschlichen Vorstellungen, Erinnerungen und Gedanken (ideas), d.h. der gesamten Denktätigkeit; eine gewisse Beständigkeit und Wiederkehr bestimmter Eindrücke erwecke die Illusion real, d. h. außerhalb des Menschen existierender Dinge.

Die Welt, wie sie in unseren Perzeptionen existiert, besteht aus atomartigen Ereignissen, die zusammengesetzt erscheinen, aber nie kausal verknüpft sind. Im Anschluß an HUME zerlegt MACH die Welt in unteilbare «Elemente» (Farben, Töne, Räume, Zeiten usw.) neutralen (weder materiellen noch geistigen) Charakters, die sich, in dieser oder jener Weise geordnet, zu gewissen Komplexen verbinden können.

RUSSELL und WITTGENSTEIN kommen im Rückgriff auf HUME und in Anlehnung an MACH so wie über die logische Analyse der Sprache zur Auffassung vom atomaren Charakter der «Welt». RUSSELL unterscheidet zunächst drei grundlegende Satzformen: 1. Elementarsätze, 2. Wahrheitsfunktionen von Elementarsätzen, 3. Generalisationen. 2. und 3. sind durch einfache logische Operationen aus 1. ableitbar. Der Elementarsatz kann dagegen nicht in andere Sätze zerlegt werden; er ist ursprünglich, atomar, setzt sich jedoch aus Ausdrücken (Worten) zusammen. Dem Ausdruck entspricht ein Gegenstand (eine Sache) der «Welt»; der Ordnung zwischen den Ausdrücken im Satz entspricht ein gewisser Zusammenhang zwischen den Gegenständen (Sachen); dem ganzen Elementarsatz ein Ereignis bzw. eine Einzeltatsache. Elementarsätze sind Bilder von Tatsachen. «Daß sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zueinander verhalten, stellt vor, daß sich die Sachen so zueinander verhalten» (wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus 2.15).

Der logische Atomismus russells und wittgensteins beruht auf apriorischen Grundlagen. Die diskrete Struktur der Sätze wird verabsolutiert und auf die Struktur der «Welt» übertragen. Ebenso wie der Elementarsatz eine Kombination von Ausdrücken ist, ist die Tatsache eine Kombination von Gegenständen. Ebenso wie (nach Wittgenstein) der Ausdruck nur Bedeutung innerhalb eines Satzgefüges hat, hat der Gegenstand nur «Bestand» innerhalb einer Tatsache. Der Ausdruck (das Wort) ist der einfachste Baustein des Satzes - die Gegenstände «bilden die Substanz der Welt. Darum können sie nicht zusammengesetzt sein» (Tractatus 2.0211). Russels und Wittgensteins Analyse der «Welt» bedeutet nur scheinbar eine Hinwendung des Neupositivismus zu sog. ontologischen Fragestellungen. russell betrachtet die These vom substantiell-attributiven Charakter der objektiven Realität als eine Ontologisierung der Subjekt-Prädikat-Struktur von grammatischen Sätzen und leugnet, daß den menschlichen Empfindungen etwas objektiv Reales entspreche. Nach Wittgenstein sind Gegenstände letztlich nur Namen für logisch nicht weiter zerlegbare Atome der Erkenntnis. Der logische Atomismus steht und fällt mit dem Begriff der atomaren Tatsache bzw. des Elementarsatzes (-»• Protokollaussage). Es läßt sich zeigen, daß weder ursprüngliche und voneinander isolierte «Tatsachen» noch atomare Sätze im Sinne des logischen Positivismus existieren können.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde entnommen aus:

Buhr, Manfred, Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 1, Berlin 1970, S.132

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