Ernst Thälmann im Bezirk Halle
13. März 1925: Die Reaktion greift zum Mord, um Thälmanns Auftreten zu verhindern


von 
SED-Bezirksleitung Halle

04/08

trend
onlinezeitung

Mit Beginn des Jahres 1924 war der revolutionäre Aufschwung der ersten Nachkriegsjahre zu Ende gegangen. In den kapitalistischen Ländern, so auch in Deutschland, hatte sich eine allmähliche Konsolidierung des bürgerlichen Herrschaftssystems durchgesetzt. Die kapitalistische Welt war in eine Periode der zeitweiligen Stabilisierung eingetreten. Damit veränderten sich die Kampfbedingungen für die Arbeiterklasse. Die erste große Begegnung mit Ernst Thälmann fand im Zusammenhang mit dem Wahlkampf der Partei zu den Präsidentschaftswahlen 1925 statt. Am 28. Februar 1925 war Friedrich Ebert, der erste Reichspräsident nach der Novemberrevolution, verstorben. Damit war die Neuwahl des Reichspräsidenten auf die Tagesordnung gesetzt. Die KPD beschloß, sich an diesen Wahlen aktiv zu beteiligen und ihren eigenen Kandidaten aufzustellen. Dafür wurde Ernst Thälmann nominiert.

Der Bezirk Halle als ein Industriezentrum mit revolutionären Traditionen, einem kampferprobten Industrieproletariat aus den Kämpfen der Novemberrevolution, aus den Märzkämpfen der Jahre 1919, 1920 und 1921 verfügte über eine starke KPD-Bezirksorganisation, feste Stützpunkte in den Massenorganisationen und in den Betrieben. Von hier ging mit die Initiative zur Bildung des Roten Frontkämpferbundes aus, dessen Vorsitzender Ernst Thälmann am 1. 2. 1925 geworden war. Es war naheliegend, daß Ernst Thälmann in diesem Bezirk in der Kampagne für die Präsidentschaftswahlen auftrat.

Von den revolutionären Arbeitern des Bezirkes Halle war die Nominierung des Genossen Ernst Thälmann begrüßt worden.

Am 8. März 1925 hatten die Mitglieder des Roten Frontkämpferbundes von Bitterfeld und Umgebung einen „Roten Tag" durchgeführt. Die Strafjen Bitterfelds wurden von den revolutionären Arbeitern beherrscht. Selbst aus Halle waren die Roten Frontkämpfer mit 19 gemieteten Lastautos gekommen. Diese Demonstration sollte den Klassengegnern deutlich machen, daß das revolutionäre Proletariat nicht niedergeschlagen werden kann, daß es auf Kampfposten steht und seinen Kampf, trotz aller Machenschaften der Reaktion, siegreich zu Ende führen wird.

Die in Bitterfeld versammelten Demonstranten sandten an ihren Präsidentschaftskandidaten ein Telegramm, in dem sie schrieben: „Rote Frontkämpfer und Arbeiter Mitteldeutschlands senden Dir, dem Roten Kandidaten für die bevorstehenden Reichspräsidentenwahlen, vom Roten Tag in Bitterfeld proletarische Grüße. Wir erblicken in Dir einen Vertreter des klassenbewußten Proletariats. Schwarzweifjrot und Schwarzrotgold sind das Symbol der Ausbeutung und Unterdrückung, des Arbeiterbetruges und Arbeiterverrats.

Rot ist die Fahne des kämpfenden und siegenden Proletariats, die auch Du trägst und der wir folgen werden."

Ernst Thälmann verband viel mit der Entwicklung des RFB im Bezirk Halle. Als Vertreter der Zentrale der KPD hatte er im Juli 1924 an den Beratungen der KPD-Bezirksleitung zur Vorbereitung der Gründung des RFB im heutigen Otto-Schlag-Haus teilgenommen.

Nun, am 13. März 1925, sollte die unmittelbare Begegnung der revolutionären Arbeiter Halles mit Ernst Thälmann stattfinden. Die KPD-Orts-gruppe Halle hatte dazu für 20.00 Uhr im Volkspark zu einem internationalen Massenmeeting aufgerufen, denn diese Reise führte Ernst Thälmann gemeinsam mit einem englischen und einem französischen Genossen durch.

In seiner Begleitung befand sich von der FKP Jacques Duclos, der im März 1925 nach Deutschland gekommen war, „um an der Kampagne für die Reichspräsidentenwahl teilzunehmen, bei der Genösse Ernst Thäl-mann als Kandidat aufgestellt war". „Ich hatte damals", - so schrieb er in seinen Erinnerungen - „auf Kundgebungen in Berlin, Leipzig, Halle und Köln gesprochen.

Zwar hatten J. Duclos und der englische Genösse zu den Versammelten gesprochen, aber zu einer Rede Ernst Thälmanns sollte es nicht kommen.

Schon vorher war sich die Reaktion darin einig, daß das Auftreten Ernst Thälmanns verhindert werden müßte, um einen weiteren Stimmenzuwachs der KPD zu vermeiden. Als Vorwand wurde das Auftreten der ausländischen Genossen genommen. Zwar durften beide Referenten ihre Begrüßungsansprachen noch in ihrer Heimatsprache halten, aber schon zu einer Übersetzung kam es nicht mehr. Der „Klassenkampf" berichtete: »Nach den Reden der ausländischen Genossen stimmten die Anwesenden spontan die »Internationale' an.

Als der Übersetzer mit seinen ersten Worten begann, erschien sofort aus einem Seiteneingang der Leutnant der Schutzpolizei Pietzker, sprang auf den Tisch und verkündete etwas, was bei dem begreiflichen Lärm nicht zu verstehen war. Anscheinend soll es ein Verbot der Übersetzung gewesen sein. Die anwesenden Massen, die sich den Grund der Störung nicht erklären konnten, wurden natürlicherweise unruhig. Einige Erregte verlangten die Übersetzung, damit die Arbeiter wüßten, was der englische und französische Genösse zu sagen hatten.

Der Vorstand der Versammlung bemühte sich sofort, die Ruhe wieder herzustellen. Er sagte in vollkommen loyaler und höflicher Weise dem Leutnant, daß seine Worte leider nicht zu verstehen gewesen seien. Wenn er der Versammlung etwas mitzuteilen habe, möchte er sich doch zur Bühne bemühen und vom Vorstandstisch aus seine Anordnungen ergehen lassen.

Der Leutnant Pietzker hatte in diesem Moment schon seinen Revolver gezogen, fuchtelte mit diesem in der Luft herum, gebärdete sich wie ein Wahnsinniger und war keinen Vernunftsgründen zugänglich. Als nun der Reichspräsidentschaftskandidat Thälmann von seinem selbstverständlichen gesetzlichen Recht, Worte an seine Wähler zu richten, Gebrauch machen und gleichzeitig zur Ruhe mahnen wollte, ließ der Leutnant auch ihn nicht reden. Natürlicherweise bemächtigte sich darüber der Versammlung eine große Erregung. Bei den durch den Saal schwirrenden Rufen war der Leutnant, der im Kommandoton irgendetwas schnarrte, nicht zu verstehen.

Jetzt spielte sich alles blitzartig ab. Plötzlich rückte aus der Ecke, in der der Leutnant noch immer auf dem Tische stand, eine Kolonne Schupoleute mit gezückten Gummiknüppeln und zum Teil auch mit vorgehaltenen Maschinenpistolen und Revolvern vor. Sofort drängte die Menge zurück.

Zu irgendeiner körperlichen Berührung der Anwesenden mit den Schupoleuten kam es überhaupt nicht. Von irgendwelchen drohenden Angriffen auf die Schupoleute konnte ebenfalls keine Rede sein. Die selbstverständlich ganz unbewaffnete Menge zog sich vor den in Waffen starrenden

Schupoleuten zurück. Der Vorsitzende der Versammlung versuchte in diesem kritischen Moment, noch einmal mit dem Leutnant Pietzker in Verbindung zu kommen. Er bat ihn, die Mannschaften zurückzuziehen, er verpflichtete sich, die Versammlung sofort in aller Ruhe aufzulösen. Der Leutnant ließ sich auf nichts mehr ein. Er fuchtelte weiter mit dem Revolver herum und brüllte den Vorsitzenden an: .Scheren Sie sich zurück, oder ich schieße Sie über den Haufen!' In diesem Moment gab er auch schon den Befehl zum Schießen. 50 bis 60 Schüsse aus Maschinenpistolen und Revolvern knatterten in die dichtgeballte Masse der zurückflutenden Versammlungsteilnehmer. Was dann folgte, ist unbeschreiblich..."

Die Versammlungsteilnehmer strebten den Ausgängen zu, alles drängte.

Durch die Wucht der nach draußen Strebenden wurden die Treppengeländer weggerissen. Der Anblick des Versammlungsraumes war grausam. Drei waren auf der Stelle tot, darunter der Kleine Trompeter, Fritz Weineck, drei waren schwer verletzt und verstarben auf dem Wege ins Krankenhaus, etwa 20 Personen wanden sich in ihrem Blute.

Das war ein von der Reaktion und ihren bewaffneten Bütteln bewußt provozierter und durchgeführter Mord.

In einem Bericht des Oberstaatsanwaltes an den Justizminister konnte man lesen, daß bei dieser Provokation ermordet wurden:

„1. Fritz Weineck, etwa 30 Jahre alt, infolge eines Brustschusses, der von hinten eingedrungen war.

2. Erich Dietze infolge Schusses in den Rücken.

3. Walter Naumann infolge Schusses quer durch die Brust.

4. Kurt Eichel infolge Lungenschusses, der von hinten eingedrungen war.

5. Hans Dittmar infolge Kopfschusses, der von vorne getroffen hatte.

6. Wilhelm Härtung, etwa 60 Jahre alt, anscheinend infolge Herzschlags. (Verletzungen sind nicht festgestellt.)

7. Frau Klett infolge eines Schusses, der im Rücken eingedrungen war und, schräg nach unten verlaufend, das Becken und den Oberschenkel durchschlagen hatte.

8. Frau Poppe infolge eines Schusses quer durch den Bauch."

Insgesamt waren zehn Tote zu beklagen. Dem Imperialismus ist von jeher jedes Mittel recht, um den gesellschaftlichen Fortschritt aufzuhalten. Hatte bereits die Massendemonstration am „Roten Tag" in Bitterfeld ohne die Anwesenheit Ernst Thälmanns die Haltung zu ihrem Reichspräsidentenkandidaten gezeigt, so war bei Anwesenheit von Ernst Thälmann erst recht Zustimmung unter der Arbeiterklasse und auch bei Teilen anderer werktätiger Schichten für ihn zu befürchten.

Aber das Echo auf das Blutbad hatte die Reaktion nicht erwartet. In Halle, im Bezirk und in vielen anderen Orten Deutschlands Proteststreiks, Protestdemonstrationen, Solidaritätsaktionen in der Sowjetunion und vielen anderen Ländern.

Editorische Anmerkungen

Ernst Thälmann im Bezirk Halle
Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen
Arbeiterbewegung bei der Bezirksleitung Halle der SED Halle 1974

S.17-24 OCR-Scan Red. trend