Der Bezirk Halle als ein Industriezentrum mit revolutionären
Traditionen, einem kampferprobten Industrieproletariat aus den
Kämpfen der Novemberrevolution, aus den Märzkämpfen der Jahre
1919, 1920 und 1921 verfügte über eine starke
KPD-Bezirksorganisation, feste Stützpunkte in den
Massenorganisationen und in den Betrieben. Von hier ging mit die
Initiative zur Bildung des Roten Frontkämpferbundes aus, dessen
Vorsitzender Ernst Thälmann am 1. 2. 1925 geworden war. Es war
naheliegend, daß Ernst Thälmann in diesem Bezirk in der Kampagne
für die Präsidentschaftswahlen auftrat.
Von den revolutionären Arbeitern des Bezirkes Halle war die
Nominierung des Genossen Ernst Thälmann begrüßt worden.
Am 8. März 1925 hatten die Mitglieder des Roten
Frontkämpferbundes von Bitterfeld und Umgebung einen „Roten Tag"
durchgeführt. Die Strafjen Bitterfelds wurden von den
revolutionären Arbeitern beherrscht. Selbst aus Halle waren die
Roten Frontkämpfer mit 19 gemieteten Lastautos gekommen. Diese
Demonstration sollte den Klassengegnern deutlich machen, daß das
revolutionäre Proletariat nicht niedergeschlagen werden kann,
daß es auf Kampfposten steht und seinen Kampf, trotz aller
Machenschaften der Reaktion, siegreich zu Ende führen wird.
Die in Bitterfeld versammelten Demonstranten sandten an ihren
Präsidentschaftskandidaten ein Telegramm, in dem sie schrieben:
„Rote Frontkämpfer und Arbeiter Mitteldeutschlands senden Dir,
dem Roten Kandidaten für die bevorstehenden
Reichspräsidentenwahlen, vom Roten Tag in Bitterfeld
proletarische Grüße. Wir erblicken in Dir einen Vertreter des
klassenbewußten Proletariats. Schwarzweifjrot und Schwarzrotgold
sind das Symbol der Ausbeutung und Unterdrückung, des
Arbeiterbetruges und Arbeiterverrats.
Rot ist die Fahne des kämpfenden und siegenden Proletariats,
die auch Du trägst und der wir folgen werden."
Ernst Thälmann verband viel mit der Entwicklung des RFB im
Bezirk Halle. Als Vertreter der Zentrale der KPD hatte er im
Juli 1924 an den Beratungen der KPD-Bezirksleitung zur
Vorbereitung der Gründung des RFB im heutigen Otto-Schlag-Haus
teilgenommen.
Nun, am 13. März 1925, sollte die unmittelbare Begegnung der
revolutionären Arbeiter Halles mit Ernst Thälmann stattfinden.
Die KPD-Orts-gruppe Halle hatte dazu für 20.00 Uhr im Volkspark
zu einem internationalen Massenmeeting aufgerufen, denn diese
Reise führte Ernst Thälmann gemeinsam mit einem englischen und
einem französischen Genossen durch.
In seiner Begleitung befand sich von der FKP Jacques Duclos,
der im März 1925 nach Deutschland gekommen war, „um an der
Kampagne für die Reichspräsidentenwahl
teilzunehmen, bei der Genösse Ernst Thäl-mann als Kandidat
aufgestellt war". „Ich hatte damals", - so schrieb er in seinen
Erinnerungen - „auf Kundgebungen in Berlin, Leipzig, Halle und
Köln gesprochen.
Zwar hatten J. Duclos und der englische Genösse zu den
Versammelten gesprochen, aber zu einer Rede Ernst Thälmanns
sollte es nicht kommen.
Schon vorher war sich die Reaktion darin einig, daß das
Auftreten Ernst Thälmanns verhindert werden müßte, um einen
weiteren Stimmenzuwachs der KPD zu vermeiden. Als Vorwand wurde
das Auftreten der ausländischen Genossen genommen. Zwar durften
beide Referenten ihre Begrüßungsansprachen noch in ihrer
Heimatsprache halten, aber schon zu einer Übersetzung kam es
nicht mehr. Der „Klassenkampf" berichtete:
»Nach den Reden der ausländischen Genossen stimmten die
Anwesenden spontan die »Internationale' an.
Als der Übersetzer mit seinen ersten Worten begann, erschien
sofort aus einem Seiteneingang der Leutnant der Schutzpolizei
Pietzker, sprang auf den Tisch und verkündete etwas, was bei dem
begreiflichen Lärm nicht zu verstehen war. Anscheinend soll es
ein Verbot der Übersetzung gewesen sein. Die anwesenden Massen,
die sich den Grund der Störung nicht erklären konnten, wurden
natürlicherweise unruhig. Einige Erregte verlangten die
Übersetzung, damit die Arbeiter wüßten, was der englische und
französische Genösse zu sagen hatten.
Der Vorstand der Versammlung bemühte sich sofort, die Ruhe
wieder herzustellen. Er sagte in vollkommen loyaler und
höflicher Weise dem Leutnant, daß seine
Worte leider nicht zu verstehen gewesen seien. Wenn er der
Versammlung etwas mitzuteilen habe, möchte er sich doch zur
Bühne bemühen und vom Vorstandstisch aus seine Anordnungen
ergehen lassen.
Der Leutnant Pietzker hatte in diesem Moment schon seinen
Revolver gezogen, fuchtelte mit diesem in der Luft herum,
gebärdete sich wie ein Wahnsinniger und war keinen
Vernunftsgründen zugänglich. Als nun der
Reichspräsidentschaftskandidat Thälmann von seinem
selbstverständlichen gesetzlichen Recht, Worte an seine Wähler
zu richten, Gebrauch machen und gleichzeitig zur Ruhe mahnen
wollte, ließ der Leutnant auch ihn nicht reden. Natürlicherweise
bemächtigte sich darüber der Versammlung eine große Erregung.
Bei den durch den Saal schwirrenden Rufen war der Leutnant, der
im Kommandoton irgendetwas schnarrte, nicht zu verstehen.
Jetzt spielte sich alles blitzartig ab. Plötzlich rückte aus
der Ecke, in der der Leutnant noch immer auf dem Tische stand,
eine Kolonne Schupoleute mit gezückten Gummiknüppeln und zum
Teil auch mit vorgehaltenen Maschinenpistolen und Revolvern vor.
Sofort drängte die Menge zurück.
Zu irgendeiner körperlichen Berührung der Anwesenden mit den
Schupoleuten kam es überhaupt nicht. Von irgendwelchen drohenden
Angriffen auf die Schupoleute konnte ebenfalls keine Rede sein.
Die selbstverständlich ganz unbewaffnete Menge zog sich vor den
in Waffen starrenden
Schupoleuten zurück. Der Vorsitzende der Versammlung
versuchte in diesem kritischen Moment, noch einmal mit dem
Leutnant Pietzker in Verbindung zu kommen. Er bat ihn, die
Mannschaften zurückzuziehen, er verpflichtete sich, die
Versammlung sofort in aller Ruhe aufzulösen. Der Leutnant ließ
sich auf nichts mehr ein. Er fuchtelte weiter mit dem Revolver
herum und brüllte den Vorsitzenden an: .Scheren Sie sich zurück,
oder ich schieße Sie über den Haufen!' In diesem Moment gab er
auch schon den Befehl zum Schießen. 50 bis 60 Schüsse aus
Maschinenpistolen und Revolvern knatterten in die dichtgeballte
Masse der zurückflutenden Versammlungsteilnehmer. Was dann
folgte, ist unbeschreiblich..."
Die Versammlungsteilnehmer strebten den Ausgängen zu, alles
drängte.
Durch die Wucht der nach draußen Strebenden wurden die
Treppengeländer weggerissen. Der Anblick des Versammlungsraumes
war grausam. Drei waren auf der Stelle tot, darunter der Kleine
Trompeter, Fritz Weineck, drei waren schwer
verletzt und verstarben auf dem Wege ins Krankenhaus,
etwa 20 Personen wanden sich in ihrem Blute.
Das war ein von der Reaktion und ihren bewaffneten Bütteln
bewußt provozierter und durchgeführter Mord.
In einem Bericht des Oberstaatsanwaltes an den Justizminister
konnte man lesen, daß bei dieser Provokation ermordet wurden:
„1. Fritz Weineck, etwa 30 Jahre alt, infolge eines
Brustschusses, der von hinten eingedrungen war.
2. Erich Dietze infolge Schusses in den Rücken.
3. Walter Naumann infolge Schusses quer durch die Brust.
4. Kurt Eichel infolge Lungenschusses, der von hinten
eingedrungen war.
5. Hans Dittmar infolge Kopfschusses, der von vorne
getroffen hatte.
6. Wilhelm Härtung, etwa 60 Jahre alt, anscheinend infolge
Herzschlags. (Verletzungen sind nicht festgestellt.)
7. Frau Klett infolge eines Schusses, der im Rücken
eingedrungen war und, schräg nach unten verlaufend, das Becken
und den Oberschenkel durchschlagen hatte.
8. Frau Poppe infolge eines Schusses quer durch den Bauch."
Insgesamt waren zehn Tote zu beklagen. Dem Imperialismus ist
von jeher jedes Mittel recht, um den gesellschaftlichen
Fortschritt aufzuhalten. Hatte bereits die Massendemonstration
am „Roten Tag" in Bitterfeld ohne die Anwesenheit Ernst
Thälmanns die Haltung zu ihrem Reichspräsidentenkandidaten
gezeigt, so war bei Anwesenheit von Ernst Thälmann erst recht
Zustimmung unter der Arbeiterklasse und auch bei Teilen anderer
werktätiger Schichten für ihn zu befürchten.
Aber das Echo auf das Blutbad hatte die Reaktion nicht
erwartet. In Halle, im Bezirk und in vielen anderen Orten
Deutschlands Proteststreiks, Protestdemonstrationen,
Solidaritätsaktionen in der Sowjetunion und vielen anderen
Ländern.