Handeln mit dem Klima

von Marcel Hänggi
04/07

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Wer Emissionsbegrenzungen mit einem Markt verbindet, ermöglicht effizienteren Klimaschutz. Sagt die Theorie. Die ersten Erfahrungen lassen zweifeln.

Anfang 2005 trat das aufwendigste gesetzliche Umweltregelwerk in Kraft, das es je gab. Die Zwischenbilanz des EU-Emissionshandels ist eindeutig: Seine erste Phase ist gescheitert. Für die einen ist es der Fehlstart einer guten Idee - zu ihnen gehören neben den beteiligten Regierungen AnhängerInnen marktliberaler Ideen wie das britische Wirtschaftsmagazin «Economist» oder Umweltorganisationen wie der WWF. Für andere, etwa die Durban Group for Climate Justice, ist die Idee an sich untauglich - womit nicht nur der EU-Emissionshandel infrage gestellt ist, sondern auch das Kioto-Abkommen, bei dem der Emissionshandel ebenfalls ein zentrales Element darstellt.

So funktioniert ein Emissionshandel: Die Teilnehmer brauchen Bewilligungen, um CO2 oder andere Treibhausgase in die Atmosphäre zu entlassen. Teilnehmer sind im Falle der EU 13000 Betriebe aus den fünf CO2-intensivsten Branchen. Im Falle des Kioto-Protokolls sind es 38 Industriestaaten, die das Protokoll unterzeichnet und sich verpflichtet haben, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Entwicklungs- und Schwellenländer, die das Protokoll ebenfalls unterzeichnet haben, haben keine Reduktionsverpflichtung und deshalb auch keine handelbaren Bewilligungen. Ausgegeben werden die Emissionsrechte - eine neue Form von Eigentumsrecht - von den zuständigen Behörden, den Regierungen der EU-Mitglieder respektive der Uno-Klimabehörde UNFCCC.

Wer mit den ihm zugeteilten Emissionsrechten nicht auskommt, muss zusätzliche Rechte von anderen MarktteilnehmerInnen kaufen - Verschmutzen bekommt einen Preis. Wer sparsamer ist, als er sein müsste, kann seine Rechte verkaufen und wird somit für seine Sparsamkeit belohnt. Über die Menge der ausgeteilten Rechte lässt sich die Höhe der Emissionen festlegen. So weit die Theorie.

Die erste Phase des EU-Handels dauert von 2005 bis Ende 2007, und gescheitert ist sie Ende April 2006: Innert einer Woche sackte der Preis für das Recht, eine Tonne CO2 auszustossen*, von 27 auf 11 Euro ab. Es war offensichtlich geworden, dass die EU-Regierungen mehr Rechte ausgegeben hatten, als die Industrie benötigte. Der Preis sank noch weiter und dümpelt heute um 1 Euro (zum Vergleich: Wer über MyClimate eine Tonne CO2 in der Schweiz «kompensieren» will, zahlt dafür 120 Franken). Dumm gelaufen, machen wirs das nächste Mal besser, sagen die einen. Ein Fehler im System, sagen die anderen.

Doch zuerst ein paar Klärungen weit verbreiteter Irrtümer:

  • Emissionshandel ist kein Klimaschutz: Was im Deutschen Emissionshandel genannt wird, heisst auf Englisch Cap and Trade. Das macht deutlich, dass es sich um ein System aus zwei Elementen handelt. Klimawirksam ist das Element Cap, also die Reduktion der auszugebenden Rechte. Das Trade-Element ist nicht klimarelevant.
  • Der CO2-Ausstoss wird durch die bestehenden Handelssysteme nicht verteuert. Das wäre der Fall, wenn die Emissionsrechte bei der Erstausgabe verkauft würden. Sowohl die EU wie das Kioto-Protokoll verschenken sie aber. Was die einen zum Zukauf von Rechten aufwenden, verdienen andere - wobei nicht unbedingt die klimafreundlichen Betriebe profitieren, sondern die, die am geschicktesten mit den Kursschwankungen umzugehen wissen. Die britische Elektrizitätsbranche soll mit dem Emissionshandel im Jahr 2005 zwei Milliarden Franken verdient haben.
  • Das Handelssystem ist für die beteiligte Volkswirtschaft kein Anreiz, möglichst wenig CO2 auszustossen. Sondern genau so viel wie vorgegeben. Das kann insofern ein Vorteil sein, als sich damit Ziele (theoretisch) sehr genau erreichen lassen. Würden aber in einem Bereich unerwartete Fortschritte erzielt, so werden diese zunichte gemacht, indem der Fortschritt des einen den anderen berechtigt, umso mehr CO2 auszustossen.

Würde man auf Grenzwerte setzen - also «Cap» ohne «Trade» -, wäre die Botschaft: Stosst höchstens so viel aus; beim Handelssystem lautet sie: Stosst genau so viel aus. Weshalb also «Trade»?

Ein Grund war, im Falle der EU, Pragmatismus, wie Frank Krysiak, Professor für Umweltökonomie an der Universität Basel, erklärt: Eine CO2-Abgabe (wie sie die Schweiz halbbatzig einführt) würde in der EU als Steuer betrachtet, deren Einführung nicht in der Kompetenz der Kommission liegt. Einen anderen Grund für das Trade-Element nennt Patrick Hofstetter, Klimaexperte des WWF Schweiz: «Weil die Industrie und die Kioto-Vertragsstaaten es wünschen. Nur mit diesem Zugeständnis können wir sie ins Boot holen.»

Der Handel soll den Klimaschutz ökonomisch möglichst effizient machen, indem er dafür sorgt, dass zuerst dort etwas unternommen wird, wo es am wenigsten kostet: Angenommen, Firma A müsste 100 Franken aufwenden, um eine Tonne CO2 einzusparen, Firma B aber nur 50. Firma A kann sich die Investitionen sparen, wenn sie der Firma B ein Emissionsrecht für beispielsweise 75 Franken abkauft. Firma B muss dann eine Tonne zusätzlich einsparen, was sie 50 Franken kostet. Am Ende hat A 25 Franken gespart, B 25 Franken verdient.

Für das Klima ist das - theoretisch - irrelevant, weil es egal ist, wo auf der Welt die Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen. KritikerInnen sehen aber genau hier das Problem: Die billigsten Lösungen seien selten nachhaltig. Indem nur dort gespart werde, wo es wenig koste, würden auf fossile Energieträger ausgerichtete Strukturen länger am Leben erhalten. Dass sowohl die EU wie Kioto es zudem erlauben, statt Emissionsbewilligungen sogenannte Kompensationen mit ungewisser Wirkung zu kaufen, sei endgültig ein Schlupfloch für alle, die nichts tun wollten (zu den Kompensationen siehe die nächste Folge unserer Serie). Man kennt den Gedanken von ganz anderer Seite, etwa als Argument gegen Staatsinterventionen zum Schutz von Arbeitsplätzen: Wer notwendige Strukturanpassungen vermeidet, schadet längerfristig der Wirtschaft.

Ein Hauptproblem des Emissionshandels besteht darin, wie die dafür neu geschaffenen Eigentumsrechte vergeben werden sollen. Verschiedene Ansätze sind denkbar:

  • Sie werden pro Kopf an die gesamte Weltbevölkerung (respektive proportional zur EinwohnerInnenzahl an die Staaten) verteilt.
  • Sie werden an die Meistbietenden versteigert. Das verlangen beispielsweise ÖkonomInnen, aber auch Umweltschutzorganisationen. Nachteil: Finanzkräftige können Finanzschwache ausstechen.
  • Am meisten Rechte erhält, wer bislang noch am wenigsten Gelegenheit hatte, Treibhausgase zu produzieren. Oder im Gegenteil:
  • Am meisten Rechte erhält, wer bislang schon am meisten Treibhausgase produzierte («Grandfathering»).

Das Kioto-Protokoll mischt die beiden letztgenannten, gegensätzlichen Ansätze. Es verpflichtet die Entwicklungs- und Schwellenländer zu keinen Reduktionen, gesteht ihnen also Emissionsrechte in beliebiger Höhe zu (die allerdings nicht verkauft werden können). Die Industriestaaten erhalten ihre Rechte gemäss dem Grandfathering-Prinzip. Der EU-Emissionshandel läuft ganz nach Grandfathering: Die Branchen, die bislang am meisten CO2 produzierten (wie etwa die Stromwirtschaft), erhalten auch am meisten Emissionsrechte. Mit diesem System muss sich am wenigsten ändern, und wer am meisten verschmutzt, wird belohnt.

Im Detail wurde um die Verteilung der Rechte intensivst gefeilscht; die Kioto-Klimaverhandlungen glichen zeitweise einem Basar, und auch in den EU-Staaten wurden riesige Lobbymaschinen in Gang gesetzt. Der Handel mit seiner Bürokratie, meinen die KritikerInnen der Durban Group, sei nicht nur eine enorme Verschwendung personeller Ressourcen, sondern er motiviere Industriebetriebe vielmehr dazu, Lobby­istInnen statt UmwelttechnikerInnen einzustellen. Dass die EU in der ers­ten Phase (die Emissionsrechtezuteilung für die zweite Phase, die von 2008 bis 2012 dauert, ist neun Monate vor Beginn noch nicht definitiv) zu viele Rechte ausgegeben hat, ist für die Durban Group kein Zufall: Das sei nicht anders zu erwarten in einer Welt, wo die Industrielobby derart mächtig ist - und in einer EU, deren Mitglieder derart untereinander konkurrieren, dass kein Staat strengere Vorschriften für seine Industrie erlassen will als die anderen.

Patrick Hofstetter vom WWF Schweiz pflichtet dem bei, meint allerdings, dass dasselbe Argument - starke Industrie, schwache Politik - auch für andere Massnahmen zutreffe. Man sehe das am Gefeilsche um die Schweizer CO2-Abgabe.

Die Frage der Verteilung von neu geschaffenen Nutzungsrechten an einem Gut - der Atmosphäre respektive dem Klima -, das allen gehört, ist eine Frage der Gerechtigkeit. Ein vollständig gerechter Handel wäre aber auch mit einer idealen Verteilung nicht zu haben, denn: Auf dem Markt sind alle Emissionen gleich, egal aus welcher Quelle sie kommen. Der Markt unterscheidet nicht, ob Treibhausgase entstehen, wenn Reis angebaut wird, von dem eine ganze Region sich ernährt, oder wenn eine übersättigte Freizeitgesellschaft für Ferien um die Welt jettet. Finanzstarke VerursacherInnen von «Luxusemissionen» sitzen am längeren Hebel als finanzschwache Menschen, die auf «Existenz­emissionen» angewiesen sind.

Die Idee, Emissionen dadurch in den Griff zu bekommen, dass man ihnen einen Markt schafft, reflektiert die blinden Flecken einer marktliberal dominierten Sicht auf die Welt. Der Bericht der Durban Group for Climate Justice sagt es so: «In einer Atmosphäre der Privatisierung erschien es richtig, die Atmosphäre zu privatisieren.»

Eine Tonne CO2 entspricht beispielsweise einer Fahrt über 4000 Kilometer mit einem Auto, das pro hundert Kilo­meter acht Liter Benzin verbraucht.
Larry Lohmann: «Carbon Trading. A Critical Conversation on Climate Change, Privatisation and Power.» Herausgegeben von der Durban Group für Climate Justice und der Dag Hammarsköld Foundation. Development Dialogue Nr. 48, September 2006. 359 Seiten. Erhältlich als PDF: www.thecornerhouse.org.uk/pdf/document/carbonDDlow.pdf

Klimaschädigende Emissionen können kompensiert werden. Wirklich? Was genau kaufen wir eigentlich, wenn wir «Kompensationen» kaufen?

Ob Arosa «klimaneutrale» Winterferien verkauft oder darüber gestritten wird, ob Gaskraftwerke ihren CO2-Ausstoss im In- oder Ausland «kompensieren» müssen: Wir haben uns an die Idee gewöhnt, dass sich klimaschädigende Auswirkungen des eigenen Tuns neutralisieren lassen, indem die dabei entstehenden Treibhausgase durch Einsparungen an einem anderen Ort kompensiert werden. Was aber heisst das genau?

Einer, der in diesem Geschäft arbeitet, ist René Estermann. Der Geschäftsführer der Stiftung MyClimate nennt ein Beispiel aus seinem Portfolio: Ein Unternehmen in Südafrika betreibt ­seine Anlage für die Verarbeitung von Zitrusfrüchten bisher mit Kohle. MyClimate unterstützt die Finanzierung der Umstellung auf Biomasseenergie. Für die wegfallenden Emissionen der Kohleverbrennung verkauft MyClimate seinen KundInnen Zertifikate, mit denen diese ihren Flug «kompensieren».

Es ist dieselbe Logik, wie wenn jemand sagt, er fahre «der Umwelt zuliebe» mit der Bahn in die Ferien. Natürlich ist die Bahnfahrt kein Umweltschutz: Sie verbraucht Energie, verur­sacht Lärm, produziert Feinstaub und so weiter. Doch implizit gehen wir davon aus, dass die Person eigentlich mit dem Auto fahren würde. Die Differenz zwischen der Umweltbelastung der (stattfindenden) Bahnfahrt und der Umweltbelastung der (ausbleibenden) Autofahrt ist das, was wir «der Umwelt zuliebe» tun. Beim Handeln mit Kompensationen verzichtet man nicht selbst auf die Autofahrt, sondern bezahlt jemand anderes dafür, das zu tun.

Nicht berechenbar

Die Rechnung vergleicht etwas, das ist (Bahnfahrt), mit etwas, das wäre (Autofahrt): Sie enthält eine hypothetische Komponente. Beim genannten Projekt ist das relativ einfach: Ohne die Biomasse würden weiterhin die Kohle­öfen laufen, und diese würden vermutlich gleich viel CO2 emittieren wie zuvor; diese Zahlen kennt man. Aber: Was, wenn die Firma ohne das Projekt übermorgen die Hälfte ihres Umsatzes verlöre?

Ein anderes MyClimate-Projekt, eine Windfarm in Madagaskar, soll laut Pressemitteilung auf klimaneutrale Art «die Knappheit der Stromversorgung vermindern». Das ist vermutlich sinnvoll. Aber wer könnte präzis auf ein paar Jahre hinaus beziffern, wie sich die Verminderung von Stromknappheit auf die lokale Wirtschaft auswirkt und welche Mehr- oder Minderemissionen an Treibhausgasen das mit sich bringt?

Dabei handelt es sich hier noch um unproblematische Fälle. Projekte wie Baumplantagen (deren Zertifikate von der EU nicht akzeptiert werden und die auch von verantwortungsbewussten Händlern nicht angeboten werden) oder solche zur Gewinnung von Energie aus Biomasse haben komplexe soziale Auswirkungen. Wenn in Uganda Menschen vertrieben werden, damit ein norwegisches Unternehmen dort Bäume pflanzen kann, werden diese Menschen vielleicht ein paar Kilometer weiter ein Stück Urwald roden.

Auch Auswirkungen der Kompensationsprojekte auf KäuferInnen­seite müssten in eine reelle Bilanz miteinbezogen werden. Fliegt einer, der sich ein gutes Gewissen kauft, deswegen öfter? Oder löst, wie Estermann meint, das Kaufen von Kompensationen bei den Kunden im Gegenteil einen Bewusstseinsprozess aus, der zu umweltbewussterem Verhalten führt? Und wenn jemand Zertifikate zum alleinigen Zweck kauft, um dadurch griffigere gesetzliche Regelungen zu verhindern, wie das beim Schweizer Klimarappen der Fall ist, dann müsste auch das in die Bilanz der betreffenden Projekte einbezogen werden.

Wenn nun die Reduktionsleistung solcher «Klimaschutzprojekte» etwa gleich oft über- wie unterschätzt würde, wäre die Bilanz ausgeglichen. Das ist aber kaum zu erwarten. Ein Handel mit Zertifikaten unterscheidet sich beispielsweise vom Handel mit Äpfeln: Wer vom Händler vier Äpfel verlangt und diese auch bezahlt, wird sich nicht mit drei zufriedengeben. Beim Zertifikatehandel jedoch ist der Käufer nicht an den Äpfeln interessiert, sondern an der Quittung. Käufer wie Verkäufer haben ein Interesse daran, dass auf dieser Quittung möglichst viel draufsteht - egal, wie viele Äpfel im Spiel sind.

Das Kioto-Abkommen verlangt deshalb, dass Kompensationsprojekte von unabhängigen Agenturen geprüft werden, um als CDM oder JI (vgl. Kasten Emissionshandel weiter unten) anerkannt zu werden. Doch wie unabhängig ist eine Agentur, die ihre eigenen Kunden kontrolliert? Marco Berg, der Geschäftsführer der Stiftung Klimarappen, sagt: «Eine Zertifizierungsagentur wird es sich nicht leis­ten, zu schummeln, denn damit würde sie ihr wichtigstes Kapital aufs Spiel setzen: ihre Glaubwürdigkeit.» Genügt das als Garantie? Auch die Buchprüfungsfirma Arthur Andersen hatte eine Glaubwürdigkeit zu verlieren - und verlor sie im Enron-Skandal. Weshalb sollten Klimaprüferinnen weniger schummeln als Buchprüfer, wo doch die Kontrolle der Kontrolle beim Klima so viel komplexer ist als bei einer Buchhaltung?

Besonders schwer nachweisbar ist, ob ein Projekt wirklich «dem Klima zuliebe» zustande gekommen - im Fachjargon: additionell - ist. Wenn ich nämlich mit der Bahn in die Ferien fahre, weil eine Lawine die Strasse verschüttet hat oder weil ich realisiert habe, dass Zugfahren billiger ist, kann ich mir das nicht als Umweltschutz ans Revers heften. Genau solches geschieht aber: Beobachter schätzen, dass bis zu fünfzig Prozent aller anerkannten CDM-Projekte nicht additionell sind.

Man könnte argumentieren, selbst ein überbewertetes «Klimaschutz»-Projekt sei besser als nichts. Das gilt aber allenfalls für den freiwilligen Markt, auf dem sich Einzelpersonen oder Organisationen eindecken, um die Folgen ihres Tuns zu «neutralisieren». Auf den obligatorischen Märkten hingegen werden Kompensationen in Emissionsbewilligungen umgewandelt. Das ­heisst: Aus hypothetischen, möglicherweise überbewerteten, allenfalls gar nicht stattfindenden Einsparungen werden reale Emissionen. CDMs und JIs würden, funktionierten sie nach der Theorie, den weltweiten Treibhausgasausstoss weder vermehren noch mindern - sie wären eben klimaneutral. Jedes CDM- oder JI-Projekt, das überbewertet oder nicht additionell ist, bedeutet: mehr CO2.

«Clean» heisst bestenfalls neutral

Denn: Neutralisiert wird die Klimabilanz natürlich auf beiden Seiten des Handels. Das geht oft vergessen, auch weil wir die Dinge sprachlich verschleiern. Kompensieren wir die Emissionen unseres Ferienflugs, so nennen wir diesen «klimaneutral». Das Projekt, das die Kompensation liefert, heisst aber «Klimaschutz» oder darf sich mit dem Label Clean Development (saubere Entwicklung) schützen. Das ist Augenwischerei: Ein «Klimaschutzprojekt» wird in dem Moment, da es Zertifikate verkauft, zum Bestandteil eines klimaneutralen Geschäfts. Im besten Fall.

Im schlechtesten Fall schädigt es das Klima noch zusätzlich und hat negative soziale und ökologische Auswirkungen. Umweltorganisationen, unter ihnen der WWF, haben deshalb ein Label namens Goldstandard für ökologisch und sozial verträgliche CDMs geschaffen. Dass es für einen Mechanismus, der das Attribut «sauber» im Namen trägt, ein Label für wirklich saubere Projekte braucht, zeigt, dass der Mechanismus nicht viel wert ist. Verantwortungsbewusste Händler bieten nur Kompensationen aus Projekten an, die mindestens dem Goldstandard genügen. Das kostet: Bei MyClimate beläuft sich die Kompensation einer Tonne CO2 auf 36 Franken; der Weltmarktpreis für CDMs liegt etwa bei 8 Franken (eine Tonne CO2 entsteht bei einer Fahrt über 4000 Kilometer mit einem Auto, das acht Liter Benzin pro 100 Kilometer verbraucht).

Perverse Anreize

Doch Goldstandard- und andere sinnvolle Projekte leben in einer kleinen Marktnische. Von den bislang anerkannten CDMs gehören nur je zwei Prozent in die Bereiche Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Rund ein Viertel sind Biomasseprojekte (zu deren Risiken siehe WOZ Nr. 46/06). Fast der ganze Rest sind Projekte, die Treibhausgase auffangen und (im Fall von CO2) endlagern oder (im Fall aggressiverer Gase wie Methan oder HFC23) in harmlosere Stoffe umwandeln. An ihnen lässt sich die gewichtigste Kritik an den Kompensationen darlegen: Sie schaffen perverse Anreize.

HFC23 ist ein Gas, das 11 700-mal stärker zum Treibhauseffekt beiträgt als CO2. Es entsteht als Abfallprodukt der Kühlindustrie. Vor allem in China liessen es Fabriken bislang in die Umwelt entweichen. Dank CDM-Projekten werden sie vernichtet statt ausgestossen, was wenig kostet und viel bringt. Eine gute Sache? Ja, wenn sie vorgeschrieben wäre. Im Rahmen eines CDM-Projekts bringt sie keine Treibhausgasreduktion, weil für jede vernichtete Tonne HFC23 ein CDM-Käufer 11 700 Tonnen CO2 zusätzlich ausstossen darf. Und statt dass der Verschmutzer für die Beseitigung seines Drecks zahlt, verdient er, und zwar nicht schlecht: Eine im Februar in «Nature» publizierte Studie kommt zum Schluss, dass HFC23-Zertifikate auf dem Markt fünfzigfach überzahlt seien. Davon nimmt in China der Fiskus 65 Prozent an sich, die in einen «Fonds für nachhaltige Entwicklung» - in Wirklichkeit ein Infrastrukturfonds - fliessen. China wird sich hüten, HFC23-Vorschriften zu erlassen.

Bildlich ausgedrückt: Eine Hummer-Fahrerin kann mehr «für die Umwelt tun», wenn sie einmal mit der Bahn statt mit dem Auto in die Ferien fährt, als ein Toyota-Prius-Fahrer. Lässt sich dieses «für die Umwelt» für gutes Geld verkaufen, ist die Offroader-Fahrerin wenig motiviert, ihr Auto gegen einen Kleinwagen einzutauschen, während der regelmässige Bahnfahrer sowieso leer ausgeht.

Falsche Anreize schaffen nicht nur die genannten HFC23-Projekte, sondern tendenziell alle «Klimaschutz»-Projekte, die Zertifikate für den CO2-Handel generieren. Das gilt selbst für Goldstandardprojekte, wie WWF-Klimaexperte Patrick Hofstetter bestätigt - allerdings seien diese Anreize bei sinnvollen Projekten so gering, dass der positive Anreiz, überhaupt in klimaschonende Technologie zu investieren, überwiege.

Was also tun? Sich das Klimaticket doch sparen? Das wäre zu billig. Sofern ein Zertifikat von einem seriösen Anbieter stammt, ist fliegen mit Zertifikat besser als fliegen ohne. Aber wirklich gut ist nur, gar nicht zu fliegen. Und «klimaneutral» sollte man seinen Flug in keinem Fall nennen.

Arosa: Pulver leicht

Anbieter von CO2-Kompensationen auf dem freiwilligen Markt müssen sich nicht einmal an die laschen Regeln des Kioto-Protokolls halten, andererseits sind einige Händler auch strenger. MyClimate beispielsweise unterwirft laut Geschäftsführer René Estermann all seine Projekte den offiziellen Regeln der CDM-Zertifizierung und strebt den Goldstandard an. Die effektive Zertifizierung durch die Uno ist für Kleinprojekte allerdings zu teuer. Hier ist der Kunde darauf angewiesen, MyClimate zu vertrauen, wie Estermann bestätigt.

Neben seriösen Anbieterinnen tummeln sich viele unseriöse auf dem Markt. Die Universität Tufts hat dreizehn Anbieter unter die Lupe genommen. Vier betrachtet sie als seriös (Atmosfair, Climate Friendly, MyClimate, NativeEnergy), sechs werden mit Vorbehalt empfohlen, drei gar nicht. Die Unterschiede sind beträchtlich. Selbst bei den vier besten: Atmosfair berechnet für einen Transatlantikflug 66 Prozent mehr CO2 als MyClimate.

Arosa, das «klimaneutrale» Winterferien anbietet, kauft über den deutschen ClimatePartner Zertifikate einer Gülle-Biogasanlage in Deutschland. Matthias Seiche, Klimaexperte beim deutschen Umweltverband Bund, sagt, ClimatePartner mache ihm einen wenig transparenten Eindruck, die angebotenen Projekte würde er unterschiedlich bewerten. ClimatePartner beruft sich auf die Tüv Süd, die die Biogasanlage gemäss Uno-Standards geprüft habe. Arosa schenkt die Kompensationen den Gästen, die das wollen - von der Idee, dass der Verursacher zahlt, bleibt da nicht mehr viel. Obschon gratis, haben bisher nur neun Prozent der Gäste «klimaneutral» gebucht.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien in zwei Teilen in der WOZ wir spiegelten von
http://www.woz.ch/artikel/2007/nr13/wirtschaft/14754.html (Teil1)
http://www.woz.ch/artikel/2007/nr14/wirtschaft/14787.html (Teil2)

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