Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

‚CHARLIE HEBDO’ VOM VORWURF DES RASSISMUS FREIGESPROCHEN.
Die Argumentation moslemischer Verbände zog nicht. Linke Kritik an ‚Charlie Hebdo’ bleibt, unabhängig von dem (vernünftigen) Urteil
04/07

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„In Anbetracht der Tatsache...“ 

Ach ja, die Juristensprache: „In Anbetracht der Tatache, dass Charlie Hebdo eine Satirezeitung ist, die zahlreiche Karikaturen enthält, dass niemand dazu verpflichtet ist, sie zu kaufen oder zu lesen (...); in Anbetracht der Tatsache, dass eine Karikatur als ein Portrait zu analysieren ist, das nicht dem guten Geschmack verpflichtet ist, um eine parodistische Funktion zu erfüllen; in Anbetracht der Tatsache, dass die literarische Gattung der Karikatur, obwohl absichtlich provozierend, auf diese Weise zur Freiheit der Meinungsäuberung und zur Übermittlung der Ideen und Meinungen beiträgt...“  

Nachdem man sich also lang und breit über das Wesen, den Sinn und Zweck von Karikaturen an und für sich verständigt hat, folgt eine Reihe von Absätzen später dann das viel erwartete Urteil: Freispruch für Charlie Hebdo ! Die französische Satirezeitung wurde am vorigen Donnerstag Nachmittag im Pariser Justizpalast vom Anklagepunkt der Volksverhetzung freigesprochen. Vorgeworfen worden war Charlie Hebdo, durch den Abdruck der dänischen Mohammed-Karikaturen im Februar 2006 – genauer, durch den Abdruck bestimmter dieser Karikaturen – die moslemische Bevölkerungsgruppe beleidigt und zum Hass gegen sie aufgerufen zu haben.  

Die meisten Beobachter hatten nach den beiden Prozesstagen am 7. und 8. Februar 2007 mit diesem Ausgang gerechnet. Die Verhandlung hatte auf den Tag genau ein Jahr nach der Veröffentlichung der berühmten Karikaturen des islamischen Propheten durch die Satirezeitung stattgefunden. Wie in Frankreich üblich, war das Urteil danach für einige Wochen zur Beratung ausgesetzt worden. Aber worum ging es eigentlich konkret? 

Worum ging es, und worum ging es nicht? 

Unterschiedliche Leute haben sich seinerzeit aus unterschiedlichen Gründen über das Erscheinen dieser Karikaturen aufgeregt. Moslemische Extremisten – die in der Regel die Zeichnungen aus Dänemark überhaupt nicht gesehen hatten - empörten sich oftmals darüber, dass man den Propheten ihrer Religion überhaupt bildlich darstelle, da die Abbildung des Religionsstifters im Islam verboten sei. Was übrigens umstritten ist, da es aus der Blützeit der islamisch geprägten Kulturen aus vergangenen Jahrhunderten durchaus eine Vielzahl von Bildern gibt, die angeblich das Portrait des – längst verstorbenen – Proheten Mohammed zeigen.  

Aber um diesen Vorwurf konnte es sinnvoller Weise vor einem französischen Gericht von vornherein nicht gehen. Denn falls ein solches Bilderverbot überhaupt gilt, was auch viele moslemische Gläubige abstreiten, dann höchstens für die Anhänger der islamischen Religion selbst. Nichtmoslems können unmöglich an dieses Verbot gebunden sein, dessen Nichteinhaltung also auch nicht Gegenstand einer Klage vor einem französischen Gericht sein konnte. Ausdrücklich hatte dies auch die als Nebenklägerin gegen Charlie Hebdo auftretende Pariser Zentralmoschee in ihrer Klageschrift anerkannt, indem sie schrieb, Nichtmoslems unterlägen keinesfalls einem prinzipiellen Darstellungsverbot für den islamischen Propheten.

Bliebe, im Prinzip, ein anderer Ausweg denkbar, wollte man den Glaubensvorschriften zur Geltung verhelfen. Nämlich jener, aufgrund einer unvorteilhaften Darstellung des Religionsstifters wegen Blasphemie oder „Beschimpfung eines Bekentnisses oder einer Religionsgemeinschaft“ – wie es das deutsche Strafgesetzbuch formuliert – zu klagen. Nur, dummerweise ist das nach französischem Recht unmöglich, denn „Gotteslästerung“ oder Blasphemie ist in Frankreich seit langem nicht mehr von Strafe bedroht. Ihre Strafbarkeit wurde bereits unter der Französischen Revolution im Jahr 1791  abgeschafft. Allerdings wurde sie in den Jahren der Restauration ab 1815 wieder eingeführt, doch kaum zwanzig Jahre später erneut aus dem Gesetzbuch gestrichen. Seitdem ist es dabei geblieben. Nach geltender Gesetzeslage in Deutschland sähe es hingegen anders aus, da der § 166 des deutschen Strafgesetzbuchs die „Störung des Religionsfriedens“ unter Strafe stellt.

Die Klage der verschiedenen moslemischen Vereinigungen, die gerichtlich gegen die Wochenzeitung vorgingen, stützte sich jedoch auf einen anderen Vorwurf. Beschuldigt wurde Charlie Hebdo, mittels des Abdrucks der Karikaturen „eine Gruppe von Menschen“, nämlich die in Frankreich und anderswo lebenden Moslems, „aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religion“ kollektiv stigmatisiert zu haben. Ein solches Diffamierungsdelikt sehen mehrere Artikel des französischen Pressegesetzes („Gesetz vom 29. Juli 1881 über die Pressefreiheit“) vor, das zuletzt im Jahr 2004 abgeändert worden ist. Demnach droht für die Diffamierung einer Personengruppe aufgrund ihrer „Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, Nation, Rasse oder Religion“ eine Strafe von bis zu einem Jahr Haft und/oder 45.000 Euro Geldbube. Diese Bestimmungen resultieren aus dem Antirassismusgesetz, das im Juli 1972 eingeführt worden ist. Im Juli 1990 wurde es, nach dem Skandal um die Schändung des jüdischen Friedhofs in Carpentras, verschärft; damals wurde die Strafbarkeit der Holocaustleugnung zusätzlich in das Pressegesetz aufgenommen und das Strafmab für rassistische und/oder antisemitische Hetze verschärft. 

Festgemacht wurde der durch die Klagenden erhobene Vorwurf – nicht den Propheten, sondern die heute lebenden Moslems beleidigt und stigmatisiert zu haben -  an insgesamt drei Zeichnungen. Nicht alle zwölf Karikaturen waren also Gegenstand der Strafanzeige und der Debatten während des Prozesses. 

Angeklagt wurde erstens die Karikatur von Kurt Westergaard aus Jyllands Posten, die mit Abstand die umstrittenste von allen darstellt. Auf ihr sieht man den Propheten Mohammed, der einen Turban in Form einer Bombe mitsamt brennender Zündschnur auf dem Kopf trägt. Zum Zweiten betraf die Klage eine weitere der zwölf dänischen Karikaturen, die eine Szene zeigt, in der mehrere versengt aussehende Gestalten in den Himmel hochsteigen und auf eine Prophetengestalt Mohammed hochsehen, die sie auf einer Wolke stehend erwartet. Dieser aber ruft den scheinbaren „Märtyrern“, bei denen es sich nach Vorstellung des Betrachters wohl um Teilnehmer an Selbstmordattentaten handelt dürfte, entgegen: „Hört auf, uns ist der Vorrat an Jungfrauen ausgegangen!“ Eine Anspielung auf die 72 Jungfrauen, die angeblich den Märtyrer im Paradies erwarten sollen.  

Drittens klagten die muslimischen Vereinigungen aber auch gegen das Titelblatt der Ausgabe von Charlie Hebdo vom 8. Februar 2006, auf dem Zeichnung des hauseigenen Karikaturisten „Cabu“ abgebildet ist. Auf ihr sieht man einen vollbärtigen und Turban tragenden Mohammed, der sich beide Hände vor die Augen hält und stöhnt: „Es ist hart, von Deppen geliebt zu werden!“ (C’est dur d’être aimé par des cons!) Links darüber steht ein Titel, der sinngemäb lautet: „Mohammed wachsen die Fundamentalisten über den Kopf.“ 

In diesen drei Karikaturen erblickten die klagenden Vereinigungen nicht (nur) eine negative Darstellung ihres Religionsgründers, sondern sahen darüber hinaus alle heute lebenden muslimischen Gläubigen angegriffen. In den ersten beiden Fällen -- so ihre Argumentation -- werde eine direkte Verbindungslinie zwischen dem Islam als solchem  einerseits und den extremistischen oder terroristischen Strömungen des politischen Islamismus im 20. oder 21. Jahrhundert auf der andere Seite gezogen. Damit aber, so die Kläger, werde suggeriert, alle Moslems könnten als potenzielle Terroristen oder „Terroranfällige“ betrachtet werden. Das Gros der einfachen Gläubigen werde mit den extremen Ausdrucksformungen einer, Jahrhundert nach der Religion selbst entstandenen, politischen Strömung – von denen man sich ausdrücklich distanziere - in einen Topf geworfen. Kurz: Es handele sich um „ein Amalgam“.  

Im dritten Falle sei es die Aussage „Es ist hart, von Deppen geliebt zu werden“, welche die Menschen moslemischen Glaubens herabwürdige. Allerdings übersah die Anklage im dritten Punkt offenbar die klar auf „die Fundamentalisten“ bezogene Überschrift neben der Karikatur. Die Verteidigung versäumte es natürlich auch nicht, ihr dies entgegen zu halten.  

Blasphemievorwurf oder Rassismuskritik? 

Im Prinzip lassen sich die Argumentationen leicht auseinander halten, theoretisch jedenfalls. Auf der einen Seite geht es um Kritik an oder Angriffe auf die Inhalte eines religiösen Glaubens und um die Versuche der Repräsentanten einer bestimmten Glaubensrichtung, diese abzuwehren.  Auf der anderen Seite geht es - unabhängig von den religiösen Inhalten -  um die Auswirkungen, die ein Diskurs oder eine bildliche Darstellung auf das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit haben kann. Letztere Frage stellt sich in einer Gesellschaft, in der Christen, Moslems, Ungläubige und andere bunt durchmischt anzutreffen sind, tatsächlich immer wieder.  

In Wirklichkeit mischten sich diese beiden Ebenen in der Debatte um die Karikaturen aus Dänemark immer wieder. Manche Reaktionen basierten offenkundig auf der Vorstellung, dass ein „Angriff auf unsere Religion“ abgewehrt werden müsse, notfalls mit den Mitteln totalitären Drucks. In anderen Fällen wurde die Debatte um die Karikaturen offenkundig dafür eingesetzt, um Auswirkungen auf die Koexistenz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu provozieren. Und da die moslemische Glaubensrichtung in Europa zur Zeit vor allem die Religion von Einwanderern und Immigrantenkindern darstellt - einmal abgesehen von einer relativ marginalen Zahl von Konvertiten -, ist klar, dass es in der Debatte direkt und indirekt auch um den Platz dieser Menschen in der europäischen Gesellschaft geht. Hinter der Fassade einer Religionskritik konnte so in verschiedenen Fällen auch ihre Anwesenheit, oder ihr Recht auf einen gleichberechtigten Platz in den „abendländischen“ Gesellschaften in Frage gestellt werden. So trat der damalige rechtspopulistische italienische „Reformminister“ Robert Calderoli – von der rassistischen Separatistenpartei Lega Nord – im Parlament in Rom mit einem T-Shirt auf, auf dem die umstrittenste der dänischen Karikaturen abgebildet war: die Bombenturban-Zeichnung von Kurt Westergaard. Dass es dem italienischen Rechtsradikalen um Religionskritik und Aufklärung gegangen wäre, lässt sich wohl nur schwerlich behaupten, und über die Kriminalgeschichte des Vatikan hätte er sich wohl kaum öffentlich negativ ausgelassen. 

Aber auch auf der anderen Seite, bei den gegen Charlie Hebdo klagenden religiösen Einrichtungen französischer Moslems, wurden die beiden Diskussionsebenen – Abwehr von Religionskritik einerseits, die Frage des Zusammenlebens in einer konfessionnell „durchmischten“ Gesellschaft andererseits – eifrig durcheinander geworfen. 

Zumindest einige der Kläger konnten offensichtlich die jeweiligen  Argumentationen nicht auseinanderhalten. Am deutlichsten wurde dies bei der Prozessführung der mit Abstand reaktionärsten unter den Klägerparteien: der in Saudi-Arabien ansässigen „Islamische Weltliga“ –- die mit einem Büro in Frankreich vertreten ist, über das sie Strafanzeige erstattet hatte. Ihr Anwalt Salah Djemai versuchte schon am ersten Prozesstag, anlässlich der Befragung des Hautangeklagten Philippe Val, Chefredakteur und presserechtlich Verantwortlicher von Charlie Hebdo, diesen in die Klemme zu bringen. Mittels wiederholter Nachfrage versuchte er ihn zu veranlassen, zu erklären, ob er sich darüber bewusst sei, dass er „einen der Pfeiler des Islam, den ersten und wichtigsten Pfeiler der Religion“ attackiere. Damit meinte er das muslimische Glaubensbekenntnis (Schahada), dessen Verse auf dem Bomben-Turban in der umstrittenen Karikatur abgebildet sind. Daraufhin hatte Philippe Val jedoch leichtes Spiel zu antworten, dass er sich vor einem Gericht der Republik und nicht vor einem Kirchengericht befinde - und dass er als Nicht-Anhänger der islamischen Religion nicht an den absoluten Respekt eines Gegenstands, „der für die Gläubigen und allein für die Gläubigen heilig ist“, gebunden sei. In diesem Moment fanden die Sympathiebekundungen des Saales, die normalerweise in einem Gerichtsverfahren strikt verboten sind, deutlichen Ausdruck. Ohne vom Vorsitzenden Richter ernstlich gerügt zu werden. 

Aber auch der Rektor der Pariser Zentralmoschee, Dalil Boubakeur, begab sich zumindest an einer Stelle auf gefährliches Terrain. Boubakeur ist gewiss kein Fundamentalist und Republikfeind, sondern ein sehr staatstragender Herr, der dem französischen Nochpräsidenten Jacques Chirac eng verbunden ist und ansonsten auch der Regierung der nicht islamistischen Republik Algerien nahe steht. Dass Boubakeur überhaupt - neben der „Islamischen Weltliga“, der ebenfalls stockreaktionären Union des organisations islamiques de France (UOIF, den Muslimbrüdern nahe stehend) und einer kommunitaristischen Splitterpartei – als Klägerpartei gegen Charlie Hebdo auftrat, führten viele Beobachter auf einen Wunsch nach „Beruhigung der Situation“ zum Zeitpunkt des Erscheinens der Karikaturen zurück. So sagte der libanesisch-christliche Schriftsteller und Experte für arabische Länder Antoine Sfeir, der als Zeuge der Verteidigung von Charlie Hebdo vorgeladen worden war, vor dem Pariser Gericht auf Nachfrage hin aus, seines Erachtens habe Boubakeur vor allem aufgebrachte junge Moslems beruhigen wollen: „Im Gerichtssaal diskutieren ist besser, als Aufruhr auf der Strabe zu haben.“ Aber bei einer Pressekonferenz, die er wenige Tage vor Eröffnung des Pariser Prozesses abhielt, zitierte Boubekaur als einen der Unterstützer seiner Position den konservativen Abgeordneten Jean-Marc Roubaud.  

Derselbe Parlamentarier hatte jedoch am 28. Februar 2006 in der französischen Nationalversammlung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der darauf abzielte, eine Strafbarkeit der Blasphemie wieder einzuführen. Demnach gelte es, alle „Äuberungen und Handlungen, die jedwede Religion beleidigen, zu verbieten“. Dabei konnte Roubaud durchaus nicht als Wortführer des Antirassismus und des Respekts ehemaliger Kolonialuntertanen gelten. Beispielsweise gehörte er zu den geradezu fanatischen Verteidigern des „Gesetzes vom 23. Februar 2005“. Dieser Gesetzestext wollte Lehrer und Wissenschaftler in Frankreich darauf verpflichten, „die positive Rolle der Kolonisierung in Übersee und insbesondere in Nordafrika“ in Unterricht, Forschung und Lehre zu betonen; der entsprechende Passus ist jedoch inzwischen gestrichen und das Gesetz entschärft worden, nachdem es zu internationalen Protesten gekommen war. Allerdings hatte Roubaud bislang keine Chance, mit seinem Gesetzesentwurf zur Blasphemie durchzukommen.   

Charlies Verteidigung

Gegenüber den Klägerparteien verteidigte sich Charlie Hebdo unter Berufung auf ihre Grundpositionen. Dem Vorwurf, die beiden von ihr nachgedruckten dänischen Karikaturen sowie jene mit den ins Paradies aufsteigenden Selbstmordattentäter böten Anlass zur Bildung eines „Amalgams“ zwischen dem Islam als solchem und dem bewaffneten politischen Islamismus, begegnete die Zeitung unter Verweis auf die dritte angeklagte Zeichnung. Da ihr eigenes Titelbild in der Ausgabe vom 8. Februar 2006 einen Propheten darstellt, dem – ausweislich der Überschrift - „die Islamisten über den Kopf“ wachsen und der sich bitterlich über die Zuneigung von „Deppen“ beklagt, könne kein Zweifel daran, bestehen, „in welchem Lichte unsere Veröffentlichung auszulegen ist“. Also in dem Sinne, dass „die Instrumentalisierung der islamischen Religion durch politische Bewegungen, die in ihrem Namen zu handeln vorgeben“, kritisiert werde –- und nicht alle 1,2 Milliarden Muslime auf der Welt angeprangert würden. Vor diesem Hintergrund seien auch die kritischen Artikel zu lesen, die in der inkriminierten Ausgabe von Charlie Hebdo den Abdruck der Karikaturen begleiteten. Tatsächlich wurden mehrere dieser Textbeiträge von Menschen verfasst, die moslemischer Konfession sind oder aus moslemischen Einwanderfamilien stammen, aber gegen den konservativen Islam und/oder gegen den radikalen Islamismus opponieren.  

Ein Vorwurf der generellen Diskriminierung von moslemischen Einwanderern lässt sich gegen Charlie Hebdo tatsächlich nicht erheben, will man der Logik verhaftet bleiben. Die Wochenzeitung hat in ihren Karikaturen sehr häufig die fanatischen Anhänger aller drei monotheistischen Religionen einander absolut gleichgestellt und auch immer nebeneinander abgebildet. Ferner hat sie während ihrer ganzen Existenz gegen rassistische Politiker protestiert und in der Vergangenheit beispielsweise eine Petition für das Verbot des Front National initiiert. Erst jüngst kritisierte die Zeitung heftig den Vorstob des konservativen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy, der in den letzten Wochen mehrfach die Schaffung eines „Ministeriums für Immigration und nationale Identität“ für nach der Wahl ankündigte und damit ein gefährliches Amalgam schuf. Auch dass der Minister versuchte, die Kritik an konservativem Islam, Islamismus und anderen negativen Phänomenen in sein Vorhaben nationaler Identitätsstiftung einzugemeinden – wer seine Frau unterdrücke oder seine Tochter beschneiden lasse, habe nichts in Frankreich zu suchen – statt sie als Ausdruck universeller Werte zu begreifen, die sich nicht durch Abschiebungen durchsetzen lassen (!), stimmte die Zeitung nicht milde. Charlie Hebdo widmete der Kritik an Sarkozys Auslassungen eine volle Doppelseite. 

Obwohl der Minister zuvor mit einem amtlichen Schreiben zugunsten der Wochenzeitung in ihren Prozess interveniert hatte, bleibt er also in der Schusslinie der Charlie-Karikaturisten. Sarkozys schriftliches Leumundszeugnis, mit Briefkopf des Innenministeriums, zugunsten von Charlie Hebdo („Ein Zuviel an Satire ist besser als ein Zuviel an Zensur“) war von einem der Anwälte der Zeitung vor Gericht verlesen worden. Aus einem formalen Grund war es allerdings durch die Richter nicht als gültige Zeugenaussage gewertet worden: Es fehlte eine Kopie von Sarkozys Ausweispapieren, die nicht dem Leumundszeugnis beigelegt worden war, wie die Strafprozessordnung es vorschreibt.  

Zwei andere führende Berufspolitiker allerdings waren explizit durch die Anwälte der Wochenzeitung als Zeugen vorgeladen worden und lieferten auch ihre Aussagen im Gerichtssaal. Der Christdemokrat François Bayrou und der sozialdemokratische Parteivorsitzende François Hollande bezeugten so im Gerichtssaal, dass ihrer Auffassung nach die Interpretation zutreffe, Charlie Hebdo habe allein die Islamisten attackieren und nicht sämtliche Moslems stigmatisieren wollen. Diese Art der Prozessführung, die wesentliche Teile der politischen Klasse eingebunden und vor Gericht (als positive Leumundszeugen) zitiert hat, rief unterdessen vor allem auf der Linken Kritik hervor.  

Kritik, Diskussion 

In Kreisen der auberparlamentarischen Linken (wo Charlie Hebdo seit der Unterstützung des Kriegs der NATO gegen Serbien von 1999 sowie der Europaparlaments-Kandidatur des neoliberalen Grünen Daniel Cohn-Bendit im selben Jahr, und der anschliebenden Spaltung, zunehmend kritisch betracht wird) ist mitunter der Vorwurf laut geworden, Chefredakteur Val habe sich auf dieser Weise der Mehrheitsgesellschaft und den Institutionen angedient. Die Kritik am Islamismus sei deshalb billig, und das Argument der Verteidigung der Meinungsfreiheit wird als gering zählender Vorwand bezeichnet. So wurde es etwa durch die Homepage Bellaciao, die von in Frankreich lebenden Anhängern der italienischen Partei Rifondazio Comunista betrieben wird und eine gewisse Rolle in der globalisierungskritischen Bewegung spielt, formuliert. (Vgl. http://bellaciao.org/fr ;   vgl. auch http://www.leplanb.org/page.php?sommaire=6 ) Die Prozessführung, die ein Verlesen des Schreibens von Innenminister Sarkozy implizierte, habe das Argument diskrediert, Charlie verteidige die Freiheit der Meinungsäuberung, hieb es: Viel gewichtigere Bedrohungen für den Laizismus und die Ausdrucksfreiheit, die von der Kapitalkonzentration in den Medien und von der Politik ausgingen, würden so mit Schweigen überdeckt. Denn Sarkozy möchte den ersteren abschwächen und erscheint für zweitere als bedrohlich, seitdem er die Entlassung des Chefredakteurs der Zeitschrift Paris Match (Alain Genstar) durchsetzen konnte, nur weil diese über seine Eheprobleme berichtet hatte.

Aber auch von Seiten der linken Kritiker wurde in der Regel nicht behauptet, Charlie Hebdo habe rassistische Motive verfolgt. Ihre antiklerikale Tradition spricht dagegen. Allerdings behauptete Laurent Lévy von der Bewegung der Indigènes de la République (Eingeborenen der Republik), die 2005 mit einer Kritik am französischen Umgang mit der Kolonialvergangenheit entstanden und inzwischen sehr stark in einen „postkolonial“ begründeten Kommunitarismus und Kulturrelativismus abgedriftet ist, Charlie Hebdo handele „rassistisch“. Ihm zufolge habe die Wochenzeitung „die Islamophobie zu ihrer Geschäftsgrundlage gemacht“.  (Vgl. http://lmsi.net/article.php3?id_article=510)

Das ist natürlich Unfug. Aber Kritik daran, dass die (von Libertären mitunter als „anarcho-bourgeois“ bezeichnete) linksliberale Zeitung sich durch die Art ihrer Prozessführung zum Grenzträger der Mehrheitsgesellschaft aufgeschwungen hat, bleibt unterdessen berechtigt. Dem politischen Establishment hat die früher so unverschämt antiautoritär auftretende Zeitung, die sich durch Philippe Val den Grünen und der linksliberalen Schickeria angenähert hat, so ermöglicht, sich selbst als Repräsentant der sich selbst als zivilisiert feiernden Mehrheitsgesellschaft in Szene zu setzen – in Abgrenzung zu einer so genannten „anderen Kultur“. Oder warum sollte eine linke Zeitung so eine Figur wie den (durchaus nicht allein der Aufklärung verpflichteten, vgl. sein Engagement für die katholischen Privatschulen) christdemokratischen Präsidentschaftsfuzzi François Bayrou zu ihrem Prozess zitieren? Was hat dieser dort zu suchen?  

Gar nicht aufgefallen ist den linken KritikerInnen bislang übrigens, dass auch einer der Anwälte von Charlie Hebdo eine Vita hat, die ihn nicht unbedingt zum prädestinierten Verteidiger der Freiheit der Meinungsäuberung erhebt. Denn der Charlie-Wahlverteidiger Georges Kiejman ist nicht nur ehemaliger Kommunikationsminister am Hoftstaat des republikanischen Monarchen François Mitterrand (1991), sondern war früher auch Verteidiger vieler hochgesteller Persönlichkeiten des Establishments – unter anderem gegen die Presse. In dieser Eigenschaft hatte er im Sommer 1990 eine Einschränkung der Pressefreiheit gefordert, mit der Begründung, es sei „dringend erforderlich, die Journalisten an ihre Verantwortung zu erinnern“. Letztere sollten wesentlich leichter aufgrund von „Diffamierung“ etwa von Prominenten in Prozesse verwickelt und verurteilt werden können. (Vgl. dazu http://www.humanite.presse.fr/journal/1991-05-18/1991-05-18-642872  ) 

Noch so eine Unterstützung von falschen Freunden, auf die aufrichtige Aufklärungsverfechter wohl besser von vornherein verzichtet hätten. Mal völlig abgesehen davon, wie Maître Kiejman Art und Weise mitten im Prozess die junge, üppige und blonde Dänisch-Übersetzerin (die für den ebenfalls als Zeugen der Verteidigung geladenen Jyllands Posten-Redakteur zwischen Französisch, Englisch und Dänisch hin- und herjonglierte) eunter den Augen des Gerichts offen anbaggerte. Das war im ersten Augenblick noch witzig, im nächsten aber schon machohaft plump und auf Altherren-Niveau. 

Ein Randphänomen: Dieudonné agitiert auf dem Gerichtsflur

Ein peinliches Randphänomen während einer Prozesspause, das sich wohl niemand herbeigewünscht hatte, war das Auftauchen des politiqch durchgeknallten Theatermachers Dieudonné M’bala M’bala. Der schwarze Franzose ist nicht allein Antisemit, sondern flirtet auf immer unverhohlenere Weise in der Öffentlichkeit mit der Le Pen-Sippschaft herum. So hielt Dieudonné (der Künstler ist allgemein unter seinem Vornamen bekannt) sich nun Mitte März 2007 mit der Gattin des rechtsextremen Politikers, Jany Le Pen, im Herkunftsland seines Vaters auf: in Kamerun. Jany Le Pen, die einige hochrangige Parteikader mitgebracht hatte und angeblich in „humanitärer Mission“ unterwegs war, traf Dieudonné, der sie für ein Engagement zugunsten des bedrohten Pygmäen-Volks zu überreden versuchte. Im Anschluss an seine Rückkehr nach Paris hielt Dieudonné eine Pressekonferenz in diesem Sinne ab, über die in der rechtsextremen Presse breit berichtet wurde. Anscheinend bereitet Dieudonné sich darauf vor, Le Pen seine Stimme bei der Präsidentschaftswahl zu geben, im Austausch gegen ein Versprechen, sich für das bedrohte Volk im kamerunischen Regenwald einzusetzen. (Zuvor hatte der Berufsprovokateur zwischendurch angekündigt, er wolle seine Stimme dem linkspopulistischen Kandidaten José Bové – der dieses Ansinnen jedoch dankenswerter Weise energisch zurückwies.)

Während des Pariser Prozesses um ‚Charlie Hebdo’ tauchte Dieudonné also am zweiten Prozesstag, am 8. Februar, als Pausenclown auf. (Vgl. dazu das ausführliche Video dazu:  http://www.dailymotion.com/video/x15z14_dieudonne-sinvite-au-proces-de-char ) Dieudonné, dessen Präsenz niemand erwünscht hatte, erklärte vor laufenden Mikrophonen, es ginge es ihm darum, „am heutigen Tag zu sehen, was man sagen darf, wie weit die Meinungsfreiheit geht, wen man beleidigen darf“. In seinen Augen drehte es sich mutmablich darum, die Dinge so hinzustellen, als würden die Muslime beleidigt – und ihm müsse nunmehr also ein Freibrief dafür ausgestellt werden, dass er seinerseits pauschal über die Juden herziehen darf. Dieudonnés unerbetener Besuch stieb jedoch auf offene Ablehnung.

Das Ergebnis im Pariser Prozess  

Am Resultat des Prozesses bestanden insofern nur geringe Zweifel, als auch die Staatsanwältin als Vertreterin der Anklagebehörde nach dem zweitägigen Prozess einen Freispruch gefordert hatte. Von vornherein hatten die Anhörungen einen Verlauf genommen, die eine Verurteilung höchst unwahrscheinlich erscheinen lieben. 

Allerdings hatte es noch erhebliche Debatten bezüglich einer der drei inkriminierten Karikaturen gegeben. Es handelt sich um die Zeichnung mit dem Bombenturban, der vorgeworfen wurde, dem Amalgam zwischen dem Islam als solchem und dem zeitgenössischen Terrorismus Tür und Tor zu öffnen. Mehrere der durch Charlie Hebdo selbst oder ihre Anwälting als Zeugen der Verteidigung zum Prozess berufenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zeigten sich äuberst reserviert gegenüber dieser bestimmten Karikatur. Der Franzose tunesischer Herkunft Abdelwahab Meddeb, Hochschullehrer in Paris, Philosoph und Islamexperte, der sich zum Atheismus oder mindestens Agnostizismus bekennt, etwa erklärte: „Ja, offen gesagt, diese Karikatur kann für manche beleidigend sein.“ Diese Darstellung des islamischen Propheten verweise auf eine uralte Vorstellung in Europa, die die moslemische Religion nur als fanatischen, kriegerischen und grausamen Konkurrenten des Abendlands wahrnehme. Um sich mit dem Islam auseinanderzusetzen, so forderte er, müsse man ihn mindestens kennen und dürfe nicht in Plattheiten verfallen. Er endete jedoch seine Ausführungen damit, dass er klipp und klar feststellte, er verteidige das Recht von Charlie Hebdo auf den Abdruck der Karikaturen, die der Meinungsfreiheit und der offenen Diskussion diene. Der Franzose christlich-libanesischer Herkunft Antoine Sfeir, Journalist und Experte für die arabischen Länder bei vielen Institutionen, erklärte, er sei selbst beim Anblick der fraglichen Karikatur „bewegt und schockiert“ gewesen. Aber, fügte er hinzu, er könne keine negativen Beweggründe bei Charlie Hebdo erblicken, vielmehr habe die Wochenzeitung ihre Leser über den Inhalt der weltweit umstrittenen Karikaturen informieren wollen.           

Diesen Abwägungen ist das Gericht, mit ganz ähnlichen Überlegungen, gefolgt. In der Urteilsbegründung stellt es zunächst fest, dass „diese Zeichnung, für sich genommen und isoliert betrachtet, geeignet erscheint, die Gesamtheit der Anhänger dieser Glaubensrichtung“ zu beleidigen oder als potenziell gefährlich hinzustellen. Jedoch, so fährt das Pariser Gericht vor, könne die Karikatur „nicht losgelöst vom Kontext ihrer Veröffentlichung betrachtet werden“. Aufgrund des Titelblatts und der begleitenden Artikel könne kein Zweifel mehr daran bestehen, dass - „trotz des schockierenden, ja beleidigenden Charakters dieser Karikatur“ - die Gesamtheit „des Umfelds und der Umstände der Publikation“ zu berücksichtigen seien“. Und die schlössen „jeden Vorsatz, unmittelbar und grundlos die Gesamtheit der Moslems zu verletzen“, aus.  

Das Pariser Urteil ist insgesamt vernünftig. Ob die Freiheit der Meinungsäuberung damit auf Dauer abgesichert ist oder ob ihr neue Gefahren drohen (etwa aufgrund der ökonomischen Prozesse in der Medienlandschaft oder aufgrund von Sarkozys autoritäter Politik, oder auch aufgrund neuer Vorstöbe zur Strafbarmachung so genannter „Blasphemie“), wird die nähere Zukunft erweisen müssen.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor am 1.4.2007 zur Verfügung gestellt.