Algerien:
Das Schicksal der unabhängigen Presse in ihrem einstigen arabischsprachigen «Musterland»

von Bernhard Schmid 
04/06

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Lange Jahre galt Algerien als das Land mit dem höchsten Ausmab an Pressefreiheit unter allen arabischsprachigen Staaten, aber auch allen afrikanischen Ländern mit Ausnahme der Republik Südafrika. Zur Zeit aber ist es dort ein besonders gefährliches Metier geworden, Journalist oder gar Karikaturenzeichner zu sein. Ob sich nun die Armee, der Präsident, ein lokaler Funktionär oder gar – auf hypothetische Weise – ein Prophet beleidigt fühlt: Die Sache droht schlecht auszugehen. Diese Erfahrung bestätigte sich in den letzten Wochen mehrmals.

 

Nicht aufgrund der Morde, die durch bewaffnete Islamisten an Pressemitarbeitern verübt werden. Sie waren in den ersten Hälfte der 90er Jahre die Hauptbedrohung für die algerische Journalistinnen und Journalisten, die deshalb – auch ohne durch staatlichen Druck dazu gezwungen zu sein – oftmals in der ersten Reihe der aktiven Gegner der Islamisten standen. Die Staatsmacht belieb ihnen darum während der Jahre des Bürgerkriegs auch weitgehend ihre Pressefreiheit, die sie 1989 mit dem Zusammenbruch des alten Einparteiensystems unter dem Front de libération nationale (FLN, Nationale Befreiungsfront) und dem kurzen demokratischen Frühling danach errungen hatten. Allerdings wollte sie den Fluss «sicherheitsrelevanter Nachrichten» dringend kanalisiert wissen. Entsprechend achtete sie darauf, die Kontrolle über die Weitergabe von Informationen rund um den bewaffneten Konflikt zwischen Staatsmacht und radikalen Islamisten zu behalten. Doch solange die Journalisten klare Antipathien für die Islamisten hegten, was die Mehrheit unter ihnen von sich aus und aus freien Stücken tat, konnten sie ansonsten ihren Beruf weitgehend ungestört ausüben. Jene, die nicht dem Terrorismus zum Opfer fielen, erinnern sich sogar gerne an eine Zeit euphorischer, von innerer  Überzeugung getragener und weitgehend unbehinderter Tätigkeit zurück – die sie in Gegensatz zum heutigen, von Gängelung und Verunsicherung geprägten Alltag sehen.

 

Denn seit längerem will die Staatsmacht dem unkontrollierten Treiben ein Ende setzen. Die kritische Presse wird nicht länger als potenzielle Unterstützung in Auseinandersetzung mit «staatsgefährdenden» Bestrebungen der Islamisten, sondern als lästiger Störfaktor wahrgenommen. Bereits im Mai und Juni 2001 nahmen die algerische Nationalversammlung und der Senat – die beiden Parlamentskammern – eine Zusatzbestimmung zum Strafgesetzbuch an, durch die die «Beleidigung» des Präsidenten, der Armee oder der Justiz sanktioniert werden. Dafür drohen Haftstrafen von 3 bis 12 Monaten ohne Bewährung und Geldbuben, die allein mitunter die Betroffenen oder ihre Presseorgane ruinieren können.

 

Zwar sind die Strafbestimmungen hinsichtlich der Beleidigung oder «Diffamierung» zum Teil französischen Gesetzen nachempfunden – aber mit gewichtigen Unterschieden. So kann der Angeklagte nicht straffrei ausgehen, wenn er den Beweis erbringt, dass seine «diffamierenden» Behauptungen der Wahrheit entsprechen oder er gutgläubig davon überzeugt sein konnte, wie dies in Frankreich der Fall ist. Das «Opfer» braucht auch keine Anzeige zu erstatten, denn die Staatsanwaltschaft klagt automatisch. Und dies kann sie nicht nur in einem Verjährungszeitraum von drei Monaten tun – wie im französischen Presserecht -, sondern von drei Jahren nach erfolgter Publikation. 

 

Ein paar Jahre lang nutzten die Machthaber diese neuen, erweiterten Verfolgungsmöglichkeiten noch kaum. Doch seit der Wiederwahl von Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika – mit umstrittenen Ergebnissen – im April 2004 hat sich der Wind gedreht, und es weht ein schärferes Lüftchen. Im Juli desselben Jahres wurde die postkommunistische Tageszeitung Le Matin administrativ geschlossen, und ihr Herausgeber Mohammed Benchicou wurde wegen einer von vorne bis hinten fingierten Finanzaffäre für zwei Jahre hinter Gitter geschickt. Es ging um angeblichen Devisenschmuggel von Algerien nach Frankreich, aber die behaupteten Beweisstücke wurden nicht bei der Ausreise Benchicou, sondern bei seiner Wiedereinreise am Flughafen von Algier «gefunden». Hintergrund war mitnichten eine etwaige staatsfeindliche Berichterstattung der Tageszeitung, die jenem Flügel innerhalb des Establishments und der Armee nahe stand, der Bouteflikas Amnestieiniative für ehemalige bewaffnete Islamisten kritisch bis ablehnend gegenüber stand. Aber Benchicou, der eine kritische – obgleich hundsmiserable – Biographie Bouteflikas verfasst hatte, war dem Präsidenten ein Dorn im Auge.

 

Schärferer Wind weht für die unabhängige Presse

 

In den letzten Monaten hat sich nun die Repression gegen irgendwie missliebig gewordene Journalisten in alle Richtungen verschärft. Im Jahr 2005 wurden allein 18 Journalisten und Zeichner in erster Instanz zu mehrmonatigen  Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt. Die Revisionsprozesse, von denen einige in den letzten Wochen bereits stattgefunden haben, bestätigen die Strafen in der Regel – sofern diese im Berufsverfahren nicht noch verschärft werden. Letztere Erfahrung musste etwa der mit spitzer Feder zeichnende Kariktaturist Ali Dilem machen. Das erstinstanzliche Gericht hatte ihn, wegen etwa zehn Präsidentenkarikaturen, in Algier zu 50.000 Dinar (550 Euro) Geldstrafe verdonnert; der gesetzliche Mindestlohn für Arbeiter und Angestellte in Algerien beträgt 10.000 Dinar monatlich. Doch am 11. Februar dieses Jahres setzte die Revisionsinstanz zusätzlich zu den 50.000 Euro noch ein Jahr Freiheitsentzug ohne Bewährung drauf. Ali Dilem kann nunmehr nur noch bangend auf den Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens vor dem  Obersten Gerichtshof bangen. Werden alle bisher gegen ihn verhängten Urteile bestätigt, muss er insgesamt neun Jahre absitzen. Sein Anwalt, Khaled Bourayou, gibt offen zu, dass er «seit zwei Jahren keinen einzigen Rechtsstreit in Diffamierungssachen gewinnen» konnte.

 

Pressefreiheit im «Karikaturenstreit»

 

In diesem Klima nun hatten algerische Journalisten die Initiative ergriffen, mitten im internationalen Streit um die Mohammed-Karikaturen diese dem algerischen Publikum zur Kenntnis zu bringen. Dies taten sie allein in der Absicht, ihren Lesern überhaupt einen Eindruck vom Gegenstand des Disputs zu vermitteln, es ging ihnen wohl nicht um die Förderung von Religionskritik. Auf Klage des algerischen Post- und Informationsministeriums unter dem FLN-Politiker Boudjemaa Haichour wurden am 8. und 11. Februar 06 deswegen zwei hochrangige Pressevertreter wegen «Verächtlichmachung des Propheten» inhaftiert. Es handelte sich um Berkane Bouderbala, den Herausgeber der Wochenzeitschrift ‘Es-Safir’ (Der Botschafter), die in ihrer Beilage für Religionsfragen ‘Er-Rissala’ (Die Botschaft) die Karikaturen nachgedruckt hatte, sowie um den Herausgeber der Zeitschrift ‘Iqra’ («Lies!»; so beginnt die Offenbarung des Qoran an Mohammed) namens Kamel Boussad. Ihnen drohten 3 bis 5 Jahre Haft. Der Internationale Journalistenverband in Brüssel sowie «Reporter ohne Grenzen» von Paris aus lancierten schon früh eine internationale Kampagne für ihre Freilassung. Am Freitag, den 16. März 06 kamen die beiden unterdessen wieder frei. 

 

Und drei Fernsehjournalisten des einzigen öffentlichen Fernsehanstalt ENTV wurden gekündigt, nachdem sie auf den beiden Satelittenkanälen des Sendersdie Karikaturen (kurz) in die Kameras hielten.

 

Dieser Akt staatlicher Repression überdeckt, dass es in der algerischen Presse auch kritische Stimmen zu den moslemischen Protesten in der Karikaturenaffäre gab. So druckte die bürgerliche Tageszeitung El Watan (Die Nation) auf dem Titel ihrer Ausgabe vom 9. Februar 06 eine eigene Zeichnung ab, die wütende Protestierer vor einer in Flammen aufgehenden Botschaft zeigt und diese als «Die 13. Karikatur des Islam» bezeichnet. Im Blattinneren findet man sowohl einen Artikel, der – ohne distanzierenden Kommentar- die Erklärung der französischen Wochenzeitung ‘Charlie Hebdo’ zu ihrem Abdruck der Karikaturen  zusammenfassend wiedergibt, als auch den Bericht eines anderen Journalisten, der tendenziell den Standpunkt des iranischen Regimes verteidigt.

 

‘Alger Républicain’ zum Karikaturenstreit

 

Eine klare Verurteilung der fundamentalistischen Proteste fand sich unterdessen in der kommunistischen Zeitung Alger Républicain, die in ungefähr 14tägigem, aber aus finanziellen Gründen unregelmäbigem Rhythmus erscheint. Alger Républicain ist eine kleine Zeitung mit äuberstem Prestige in Algerien: Ihr damaliger Herausgeber Henri Alleg - der als junger polnischer Jude in die europäische Siedlungskolonie in Nordafrika eingewandert war – trat während des französischen Kolonialkriegs im Land nicht nur für die Unabhängigkeit ein, sondern wurde wochenlang durch französische Militärs gefoltert und konnte ein Buch darüber (La question) aus der Haft schmuggeln konnte. Die höchst respektierte Zeitung schrieb Mitte Februar: «Der Aufruhr, der durch die Veröffentlichung der dänischen Karikaturen ausgelöst worden ist, bildet selbst eine Karikatur. Da haben wir eine unipolare Welt, in der die Ungleichheiten mehr als flagrant sind. Die westlichen Länder konzentrieren den wesentlichen Anteil an den Reichtümern, die aus menschlicher Arbeit und den Ressourcen des Planeten erwirtschaft werden. Die Leute aus den Ländern des Südens drängen sich an den Türen zum ‘Schlaraffenland’ und klammern sich an das Einzige, was ihnen noch bleibt, ihre geschichtliche oder kulturelle oder manchmal auch religiöse ‘Identität’. Unter diesen Verdammten der Erde sind viele Moslems. Und in diesem Verhältnis, das durch die Dominanz konflikthaft wird, (...) wollen Moslems sich für alles Mögliche und auch aus unsinnigen Gründen rächen, notfalls mit Gewalt und auf jeden Fall durch eine Intoleranz, die einem anderen Zeitalter angehört. (...) So viel vergossenes Blut, so viel Lärm, so viele Scherben und so viel Hass wegen ein paar armseliger und noch dazu schlecht gemachter Zeichnungen. Und unterdessen hört das reale Dominanzverhältnis nicht auf, sich zu verschärfen. Einer 'Sache', die so ungleiche Verteidiger hat wie die Ölprinzen und die Mittellosen in den moslemischen Ländern, fehlt es auberordentlich an Gemeinsamkeiten - zu sehr, als dass sie ehrlich wäre.»

 

Die Repression gegen Journalisten in Algerien hört unterdessen ihrerseits nicht auf. Am 2. März 06 wurde der Chronist der Boulevardzeitung ‘Le Soir d’Algérie’, der für seine satirisch Begabung bekannte Hakim Laalam, zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Er soll zwar nicht den Propheten, aber den Staatschef «beleidigt» haben.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 1.4.2006 vom Autor.