Lange Jahre galt Algerien als das Land mit dem
höchsten Ausmab an Pressefreiheit unter allen arabischsprachigen
Staaten, aber auch allen afrikanischen Ländern mit Ausnahme der
Republik Südafrika. Zur Zeit aber ist es dort ein besonders
gefährliches Metier geworden, Journalist oder gar
Karikaturenzeichner zu sein. Ob sich nun die Armee, der
Präsident, ein lokaler Funktionär oder gar – auf hypothetische
Weise – ein Prophet beleidigt fühlt: Die Sache droht schlecht
auszugehen. Diese Erfahrung bestätigte sich in den letzten
Wochen mehrmals.
Nicht
aufgrund der Morde, die durch bewaffnete Islamisten an
Pressemitarbeitern verübt werden. Sie waren in den ersten Hälfte
der 90er Jahre die Hauptbedrohung für die algerische
Journalistinnen und Journalisten, die deshalb – auch ohne durch
staatlichen Druck dazu gezwungen zu sein – oftmals in der ersten
Reihe der aktiven Gegner der Islamisten standen. Die Staatsmacht
belieb ihnen darum während der Jahre des Bürgerkriegs auch
weitgehend ihre Pressefreiheit, die sie 1989 mit dem
Zusammenbruch des alten Einparteiensystems unter dem Front de
libération nationale (FLN, Nationale Befreiungsfront) und
dem kurzen demokratischen Frühling danach errungen hatten.
Allerdings wollte sie den Fluss «sicherheitsrelevanter
Nachrichten» dringend kanalisiert wissen. Entsprechend achtete
sie darauf, die Kontrolle über die Weitergabe von Informationen
rund um den bewaffneten Konflikt zwischen Staatsmacht und
radikalen Islamisten zu behalten. Doch solange die Journalisten
klare Antipathien für die Islamisten hegten, was die Mehrheit
unter ihnen von sich aus und aus freien Stücken tat, konnten sie
ansonsten ihren Beruf weitgehend ungestört ausüben. Jene, die
nicht dem Terrorismus zum Opfer fielen, erinnern sich sogar
gerne an eine Zeit euphorischer, von innerer Überzeugung
getragener und weitgehend unbehinderter Tätigkeit zurück – die
sie in Gegensatz zum heutigen, von Gängelung und Verunsicherung
geprägten Alltag sehen.
Denn
seit längerem will die Staatsmacht dem unkontrollierten Treiben
ein Ende setzen. Die kritische Presse wird nicht länger als
potenzielle Unterstützung in Auseinandersetzung mit
«staatsgefährdenden» Bestrebungen der Islamisten, sondern als
lästiger Störfaktor wahrgenommen. Bereits im Mai und Juni 2001
nahmen die algerische Nationalversammlung und der Senat – die
beiden Parlamentskammern – eine Zusatzbestimmung zum
Strafgesetzbuch an, durch die die «Beleidigung» des Präsidenten,
der Armee oder der Justiz sanktioniert werden. Dafür drohen
Haftstrafen von 3 bis 12 Monaten ohne Bewährung und Geldbuben,
die allein mitunter die Betroffenen oder ihre Presseorgane
ruinieren können.
Zwar
sind die Strafbestimmungen hinsichtlich der Beleidigung oder
«Diffamierung» zum Teil französischen Gesetzen nachempfunden –
aber mit gewichtigen Unterschieden. So kann der Angeklagte nicht
straffrei ausgehen, wenn er den Beweis erbringt, dass seine
«diffamierenden» Behauptungen der Wahrheit entsprechen oder er
gutgläubig davon überzeugt sein konnte, wie dies in Frankreich
der Fall ist. Das «Opfer» braucht auch keine Anzeige zu
erstatten, denn die Staatsanwaltschaft klagt automatisch. Und
dies kann sie nicht nur in einem Verjährungszeitraum von drei
Monaten tun – wie im französischen Presserecht -, sondern von
drei Jahren nach erfolgter Publikation.
Ein
paar Jahre lang nutzten die Machthaber diese neuen, erweiterten
Verfolgungsmöglichkeiten noch kaum. Doch seit der Wiederwahl von
Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika – mit umstrittenen
Ergebnissen – im April 2004 hat sich der Wind gedreht, und es
weht ein schärferes Lüftchen. Im Juli desselben Jahres wurde die
postkommunistische Tageszeitung Le Matin administrativ
geschlossen, und ihr Herausgeber Mohammed Benchicou wurde wegen
einer von vorne bis hinten fingierten Finanzaffäre für zwei
Jahre hinter Gitter geschickt. Es ging um angeblichen
Devisenschmuggel von Algerien nach Frankreich, aber die
behaupteten Beweisstücke wurden nicht bei der Ausreise
Benchicou, sondern bei seiner Wiedereinreise am Flughafen von
Algier «gefunden». Hintergrund war mitnichten eine etwaige
staatsfeindliche Berichterstattung der Tageszeitung, die jenem
Flügel innerhalb des Establishments und der Armee nahe stand,
der Bouteflikas Amnestieiniative für ehemalige bewaffnete
Islamisten kritisch bis ablehnend gegenüber stand. Aber
Benchicou, der eine kritische – obgleich hundsmiserable –
Biographie Bouteflikas verfasst hatte, war dem Präsidenten ein
Dorn im Auge.
Schärferer Wind
weht für die unabhängige Presse
In den
letzten Monaten hat sich nun die Repression gegen irgendwie
missliebig gewordene Journalisten in alle Richtungen verschärft.
Im Jahr 2005 wurden allein 18 Journalisten und Zeichner in
erster Instanz zu mehrmonatigen Haftstrafen ohne Bewährung
verurteilt. Die Revisionsprozesse, von denen einige in den
letzten Wochen bereits stattgefunden haben, bestätigen die
Strafen in der Regel – sofern diese im Berufsverfahren nicht
noch verschärft werden. Letztere Erfahrung musste etwa der mit
spitzer Feder zeichnende Kariktaturist Ali Dilem machen. Das
erstinstanzliche Gericht hatte ihn, wegen etwa zehn
Präsidentenkarikaturen, in Algier zu 50.000 Dinar (550 Euro)
Geldstrafe verdonnert; der gesetzliche Mindestlohn für Arbeiter
und Angestellte in Algerien beträgt 10.000 Dinar monatlich. Doch
am 11. Februar dieses Jahres setzte die Revisionsinstanz
zusätzlich zu den 50.000 Euro noch ein Jahr Freiheitsentzug ohne
Bewährung drauf. Ali Dilem kann nunmehr nur noch bangend auf den
Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens vor dem Obersten
Gerichtshof bangen. Werden alle bisher gegen ihn verhängten
Urteile bestätigt, muss er insgesamt neun Jahre absitzen. Sein
Anwalt, Khaled Bourayou, gibt offen zu, dass er «seit zwei
Jahren keinen einzigen Rechtsstreit in Diffamierungssachen
gewinnen» konnte.
Pressefreiheit im
«Karikaturenstreit»
In
diesem Klima nun hatten algerische Journalisten die Initiative
ergriffen, mitten im internationalen Streit um die
Mohammed-Karikaturen diese dem algerischen Publikum zur Kenntnis
zu bringen. Dies taten sie allein in der Absicht, ihren Lesern
überhaupt einen Eindruck vom Gegenstand des Disputs zu
vermitteln, es ging ihnen wohl nicht um die Förderung von
Religionskritik. Auf Klage des algerischen Post- und
Informationsministeriums unter dem FLN-Politiker Boudjemaa
Haichour wurden am 8. und 11. Februar 06 deswegen zwei
hochrangige Pressevertreter wegen «Verächtlichmachung des
Propheten» inhaftiert. Es handelte sich um Berkane Bouderbala,
den Herausgeber der Wochenzeitschrift ‘Es-Safir’ (Der
Botschafter), die in ihrer Beilage für Religionsfragen ‘Er-Rissala’
(Die Botschaft) die Karikaturen nachgedruckt hatte, sowie um den
Herausgeber der Zeitschrift ‘Iqra’ («Lies!»; so beginnt
die Offenbarung des Qoran an Mohammed) namens Kamel Boussad.
Ihnen drohten 3 bis 5 Jahre Haft. Der Internationale
Journalistenverband in Brüssel sowie «Reporter ohne Grenzen» von
Paris aus lancierten schon früh eine internationale Kampagne für
ihre Freilassung. Am Freitag, den 16. März 06 kamen die beiden
unterdessen wieder frei.
Und drei Fernsehjournalisten des einzigen
öffentlichen Fernsehanstalt ENTV wurden gekündigt, nachdem sie
auf den beiden Satelittenkanälen des Sendersdie Karikaturen
(kurz) in die Kameras hielten.
Dieser
Akt staatlicher Repression überdeckt, dass es in der algerischen
Presse auch kritische Stimmen zu den moslemischen Protesten in
der Karikaturenaffäre gab. So druckte die bürgerliche
Tageszeitung El Watan (Die Nation) auf dem Titel ihrer
Ausgabe vom 9. Februar 06 eine eigene Zeichnung ab, die wütende
Protestierer vor einer in Flammen aufgehenden Botschaft zeigt
und diese als «Die 13. Karikatur des Islam» bezeichnet. Im
Blattinneren findet man sowohl einen Artikel, der – ohne
distanzierenden Kommentar- die Erklärung der französischen
Wochenzeitung ‘Charlie Hebdo’ zu ihrem Abdruck der
Karikaturen zusammenfassend wiedergibt, als auch den Bericht
eines anderen Journalisten, der tendenziell den Standpunkt des
iranischen Regimes verteidigt.
‘Alger
Républicain’ zum Karikaturenstreit
Eine
klare Verurteilung der fundamentalistischen Proteste fand sich
unterdessen in der kommunistischen Zeitung Alger Républicain,
die in ungefähr 14tägigem, aber aus finanziellen Gründen
unregelmäbigem Rhythmus erscheint. Alger Républicain ist
eine kleine Zeitung mit äuberstem Prestige in Algerien: Ihr
damaliger Herausgeber Henri Alleg - der als junger polnischer
Jude in die europäische Siedlungskolonie in Nordafrika
eingewandert war – trat während des französischen Kolonialkriegs
im Land nicht nur für die Unabhängigkeit ein, sondern wurde
wochenlang durch französische Militärs gefoltert und konnte ein
Buch darüber (La question) aus der Haft schmuggeln
konnte. Die höchst respektierte Zeitung schrieb Mitte Februar:
«Der
Aufruhr, der durch die Veröffentlichung der dänischen
Karikaturen ausgelöst worden ist, bildet selbst eine Karikatur.
Da haben wir eine unipolare Welt, in der die Ungleichheiten mehr
als flagrant sind. Die westlichen Länder konzentrieren den
wesentlichen Anteil an den Reichtümern, die aus menschlicher
Arbeit und den Ressourcen des Planeten erwirtschaft werden. Die
Leute aus den Ländern des Südens drängen sich an den Türen zum
‘Schlaraffenland’ und klammern sich an das Einzige, was ihnen
noch bleibt, ihre geschichtliche oder kulturelle oder manchmal
auch religiöse ‘Identität’. Unter diesen Verdammten der Erde
sind viele Moslems. Und in diesem Verhältnis, das durch die
Dominanz konflikthaft wird, (...) wollen Moslems sich für alles
Mögliche und auch aus unsinnigen Gründen rächen, notfalls mit
Gewalt und auf jeden Fall durch eine Intoleranz, die einem
anderen Zeitalter angehört. (...) So viel vergossenes Blut, so
viel Lärm, so viele Scherben und so viel Hass wegen ein paar
armseliger und noch dazu schlecht gemachter Zeichnungen. Und
unterdessen hört das reale Dominanzverhältnis nicht auf, sich zu
verschärfen. Einer 'Sache', die so ungleiche Verteidiger hat wie
die Ölprinzen und die Mittellosen in den moslemischen Ländern,
fehlt es auberordentlich an Gemeinsamkeiten - zu sehr, als dass
sie ehrlich wäre.»
Die
Repression gegen Journalisten in Algerien hört unterdessen
ihrerseits nicht auf. Am 2. März 06 wurde der Chronist der
Boulevardzeitung ‘Le Soir d’Algérie’, der für seine
satirisch Begabung bekannte Hakim Laalam, zu sechs Monaten Haft
ohne Bewährung verurteilt. Er soll zwar nicht den Propheten,
aber den Staatschef «beleidigt» haben.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel
erhielten wir am 1.4.2006 vom Autor.
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