Die
Verfassungsärsche, pardon, -richter in der Pariser rue
Montpensier haben also entschieden. Das neunköpfige
Richterkollegium (der zehnte, Ex-Staatspräsident Valéry Giscard
d’Estaing, nahm nicht an der Beratung teil und weilte in China)
entschied nach einer Sitzung, die am Donnerstag von 09 bis 17.30
Uhr dauerte.
Ihre Entscheidung fällt konform zu dem aus, was aus
regierungsnahen Kreisen angekündigt und vielfach von Beobachtern
erwartet worden war. Dem ‘Conseil constitutionnel’ zufolge ist
das «Gesetz für Chancengleichheit» mitsamt dem Artikel 8, der
den CPE («Ersteinstellungsvertrag») schafft, in allen Punkten
konform zur Verfassung und zu anderen höherrangigen
Rechtsbestimmungen (internationale Abkommen, Erklärung der
Menschenrechte von 1789...).
Die konservative
Regierung und die ihr zugeneigte Parlamentsmehrheit haben
demnach weder gegen die Form, also Verfahrensregeln, noch in der
Sache gegen höherrangiges Recht verstoben.
Der Artikel zur Schaffung des CPE war erst am 31. Januar 06 in
letzter Minute, auf der Grundlage eines besonderen
Eilverfahrens, durch die Regierung in das Gesetzespaket «zur
Chancengleichheit» - dieses lag bereits seit dem 09./10. Januar
vor – aufgenommen worden. Die Regierung hatte auch nicht dem
Conseil d’Etat («Staatsrat», das oberste Verwaltungsgericht, das
aber auch seinem Namen entsprechend Beratungsfunktionen für die
Regierenden innehat – ein Erbe der französischen Monarchie) den
Gesetzentwurf zur Begutachtung seiner Legalität vorab zukommen
lassen. Dies können die Regierenden tun, müssen sie aber nicht.
Dass es nicht passiert ist, stört die Verfassungsrichter also
nicht. Ferner hatte die Regierung am 10. Februar 06, durch das
Aufwerfen der «Vertrauensfrage» in Verkoppelung mit der
Gesetzesdebatte, die Sachdebatte im Parlament zu dem
Gesetzespaket abgewürgt bzw. unterbunden. Dies erlaubt ihr
grundsätzlich der Verfassungsartikel 49-3, falls die
Notwendigkeit dazu besteht. Die Verfassungsrichter sehen jedoch
die Rechte des Parlaments (und damit der Öffentlichkeit!) nicht
beeinträchtigt: Die (angebliche) Zielbestimmung des Gesetzes,
also die Bekämpfung der hohen
Jugendarbeitslosigkeit, rechtfertige als solche die Benutzung
solcher Eilprozeduren.
Eine politische, keine rein juristische Entscheidung
Auch in der Sache schmettern die «hohen Richter» die Einwände
der parlamentarischen Opposition, die das Verfassungsgericht
angerufen hatte, ausnahmslos ab.
Die Abgeordneten von Sozialdemokratie, KP und Grünen hatten
geltend gemacht, dass die Schaffung des CPE eine Ungleichheit
(nach Altersgruppen, in Sachen Kündigungsschutz) vor dem Gesetz
schaffe, die als solche unzulässig ist. Wiederum berufen die
Verfassungsrichter sich auf die durch die Politik angegebene
Zielrichtung des Gesetzespakets: Da es um das hohe Ziel der
Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit gehe, sei eine solche
Ungleichbehandlung zulässig.
Daneben wurde durch die Kläger vorgetragen, die Möglichkeit
einer Kündigung ohne Angabe von Gründen stelle einen schwer
wiegenden Eingriff in das Recht auf einen Arbeitsplatz dar (das
in der, weiterhin verfassungsrechtlich gültigen, Präambel der
Nachkriegsverfassung der damaligen Vierten Republik von 1946
verankert ist)? Aber was sagen die Verfassungsrichter? Raten Sie
mal? Sie ahnten es schon, liebe LeserInnen: «Durch ihre
Zielbestimmung» (das hohe Ziel der Bekämpfung der undsoweiter)
«tendiert die Gesetzesvorschrift dazu, das Recht auf
Beschäftigung zu verwirklichen».
Und was war mit dem Argument einer Nichtvereinbarkeit der
Gesetzesbestimmungen über die Schaffung des CPE mit der
ILO-Konvention n° 158 ? Es handelt sich um eine Konvention der
International Labour Organization, die durch Frankreich
unterzeichnet worden ist und in ihrem Artikel 4 eine
Rechtfertigung jeder Kündigung eines abhängig Beschäftigten
durch den Arbeitgeber («diesem kommt die Beweislast zu»)
fordert. Diese Frage wird, jedenfalls nach den bisher durch die
Presse veröffentlichten Auszügen aus dem Urteil, nicht klar.
Dabei hatte erst am Mittwoch, 29. März der oberste Gerichtshof
in Zivil-, Arbeitsrechts- und Strafsachen (die Cour de
Cassation) in einer arbeitsrechtlichen Entscheidung klar
gestellt, dass diese ILO-Konvention auch in Frankreich direkt
anwendbar ist. Im Urteil des Kassationshofs ging es um eine
andere Frage. (Um jene, ob auch im Falle der Kündigung eines
Beschäftigten, der weniger als 6 Monate im Betrieb gearbeitet
hat, eine Abfindung erforderlich ist. Die ILO-Konvention sieht
grundsätzlich eine Abfindung vor, das französische Recht in
solchen Fällen nicht, sondern erst nach 6monatiger
Betriebszugehörigkeit. Die Regelung ist jedoch zulässig, da die
ILO-Konvention an diesem Punkt abweichende Regelungen im
nationalen Recht ausdrücklich billigt, sofern das Prinzio der
Verhältnismäbigkeit
gewahrt blieb.) Dabei bleibt jedoch festzuhalten, dass das
oberste Gericht in Arbeitsrechtsfragen einen Tag vor dem Urteil
der Verfassungsrichter fest hielt, dass die ILO-Konvention also
im französischen Recht unmittelbar Anwendung findet.
Alles in allem wird überaus klar, dass die Verfassungsrichter
eine politische Opportunitäts- und keine «pure» juristische
Entscheidung getroffen haben. Dies zeigt sich darin, dass gleich
mehrfach auf die vom Gesetzgeber verfolgte Intention (angeblich
die Schaffung von Jobs und Bekämpfung von
Jugendarbeitslosigkeit) hingewiesen, und dieselbe gleichzeitig
für absolut bare Münze genommen wird. Anstatt die Auswirkung der
strittigen Gesetzesbestimmungen im Detail kritisch zu
analysieren.
Die sieben Verfassungsrichter, die durch bisherige
Rechtsregierungen ernannt worden sind, stimmten geschlossen für
die gestrige Entscheidung. Die beiden Richterkollegen, die durch
frühere Linksregierungen ernannt worden waren, gaben ihrerseits
ein Minderheitsvotum ab und stimmten dagegen. Vorsitzender
Richter ist Pierre Mazeaud, einer der ganz wenigen männlichen
Duzfreunde von Staatspräsident Chirac. Berichterstattung des
Richterkollegiums für die Affäre (das ist derjenige Richter, der
den Rechtsstreit für die anderen Anwesenden einführt und auch
bereits einen Beschluss vorschlägt) war niemand anders als der
frühere Vize-Generalsekretär des Chirac’schen Präsidialamts,
Olivier Dutheillet de Lamothe.
Es bleibt also nur...
Also ist damit klar: Es
bleibt also nur der Streik als Ausweg! Auf vielen Kanälen wurde
berichtet, dass Präsident Jacques Chirac noch am heutigen
Freitag seine Unterschrift unter den Gesetzestext setzen wolle.
Zugleich wird er aller Voraussicht nach am Abend eine
TV-Ansprache an die werte französische Bevölkerung richten
(gähn).
Angekündigt wird, dass
Chirac, nachdem er die Schaffung des CPE durch seine
Unterschrift (kaum 24 Stunden nach der Billigung durch das
Verfassungsgericht) rapide «durchgezogen» haben wird, danach zu
einem «neuen Grenelle zur Beschäftigungspolitik» aufrufen wird.
Das «Abkommen von Grenelle» bezeichnet historisch das gemeinsame
Abkommen von damaliger gaullistischer Regierung,
Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften vom 27. Mai 1968. Die
Pariser rue de Grenelle ist der Sitz des französischen Arbeits-
und Sozialministeriums. Dieses damalige Abkommen sollte der
Systemkrise im Mai 1968 ein Ende setzen, was jedoch der
Staatsmacht damals erst nach weiteren Wochen von
Fabrikbesetzungen, Ausständen und Strabenkämpfen
gelingen sollte. Die CGT selbst als eine der Haupttriebkräfte
hinter «Grenelle» musste auch nach dem 27. Mai, unter dem Druck
ihrer Basis, noch mehrere Tage lang weiterhin zur Fortsetzung
der Streiks aufrufen. Anlässlich eines Auftritts im Stammwerk
von Renault, in Boulogne-Billancourt (bei Paris), war
CGT-Generalsekretär Georges Séguy zunächst mit Buhrufen und
Pfiffen empfangen worden, als er die Wiederaufnahme der Arbeit
ankündigen wollte. Erst nachdem er zur Fortsetzung des Ausstands
aufrief, wurde er mit Applaus aufgenommen.
Durch das damalige
«Abkommen von Grenelle» konnten die Gewerkschaften einige
tatsächliche historische Verbesserungen heraus holen, etwa eine
Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns (damals SMIG) um 35 % auf
einen Schlag.
An mindestens einem
entscheidenden Punkt lässt sich die Situation heute, falls
Chirac denn tatsächlich ernsthaft ein «neues Grenelle» zwecks
Einbindung der Gewerkschaften vorschlägt, überhaupt nicht mit
der damaligen vergleichen. «Grenelle» wurde in den letzten Tagen
des Mai 1968 nicht abgeschlossen, nachdem das konservative Lage
eine geplante Verschlechterung bereits durchgesetzt und den
Gewerkschaften (in einem Defensivkampf) eine Niederlage zugefügt
hätte. Sondern unter dem Eindruck einer heftigen Systemkrise und
eines offensiv auf positive Veränderungen abzielenden
Massenstreiks, der dem gegnerischen Lager richtig ernsthaft
Angst einjagte. Deshalb ist von Chiracs Ankündigung kaum mehr zu
erhoffen, als dass er nach einer neuerlichen Einbindung der
Gewerkschaften (und vor allem einer Wiederherstellung der alten
guten Beziehung zur CFDT) trachtet, natürlich ohne substanziell
etwas im Angebot zu haben.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel
erhielten wir am 1.4.2006 vom Autor.
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