Ökonomenlexikon
Oelßner, Fred

von Gabriele Dittmann

04/06

trend
onlinezeitung

27.2. 1903 Leipzig-7.11. 1977 Berlin;
Ökonom und bedeutender Politiker der DDR.

Von 1946 bis 1958 gehörte O. dem ZK der SED an und war von 1950 bis 1958 Mitglied des Politbüros, von 1955 bis 1958 Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR und von 1949 bis 1958 Mitglied der Volkskammer. 1953 wurde O. zum Ordentl. Mitglied der AdW der DDR berufen. 1954 übernahm er den Vorsitz der Sektion Wirtschaftswissenschaften an der AdW. Von 1958 bis zu seiner Emeritierung leitete O. das Institut für Wirtschaftswissenschaften. Ab 1961 war er Mitglied des Präsidiums der AdW und wirkte bis zur Neuordnung der Klassen zunächst als Sekretär, dann als stellv. Vorsitzender der Klasse für Gesellschaftswissenschaften I. Seit 1965 war O. Vorsitzender des Nationalkomitees für Gesellschaftswissenschaften der DDR.

Für seine Verdienste wurde O. mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden und dem Nationalpreis geehrt. 1968 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Humboldt-Univ. zu Berlin. 1917 trat O. der Arbeiterjugendbewegung bei. Über die USPD fand er 1920 den Weg in die KPD. Wegen der Teilnahme an der Märzaktion 1921 in Mitteldeutschland flüchtig, arbeitete er bis 1923 im Auftrag der Partei u. a. als Redakteur der Parteizeitung der KPD in verschiedenen Städten Deutschlands.

Vom Reichsgericht wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt, setzte O. nach einjähriger Haft seine redaktionelle Tätigkeit fort. 1926 delegierte ihn die KPD zum Studium des Marxismus-Leninismus an die Internationale Leninschule und das Institut der Roten Professur in Moskau. Dort widmete er sich speziell der politischen Ökonomie.

Nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion 1932 wurde O. kurzzeitig als Propagandist des ZK der KPD eingesetzt. Auf Weisung der Partei ging er,1933 ins Exil nach Paris und ab 1935 nach Moskau.

In den Jahren der Emigration in der UdSSR arbeitete er als Lektor an der Leninschule und als Planungsleiter in einem Industriebetrieb der UdSSR, war Redakteur des Rundfunks in Moskau und Kujbischew und Lehrer an einer Antifaschule.

O. gehörte nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus zu den Aktivisten der ersten Stunde. Seine politischen, publizistischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten stellte er in den Dienst der Vereinigung von KPD und SPD.

O. wirkte als führendes Mitglied der SED auf vielen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens. In den ersten Nachkriegsjahren leitete er an der Parteihochschule »Karl Marx« beim ZK der SED und der Humboldt-Univ. verschiedene Kurse über den wissenschaftlichen Sozialismus und die marxistisch-leninistische politische Ökonomie.

O. veröffentlichte eine große Anzahl von Arbeiten zu politischen, historischen und theoretischen Themen. Sein publizistisches und theoretisches Schaffen war vielseitig, doch widmete er sich vornehmlich der politischen Ökonomie als einem Grundbestandteil des Marxismus-Leninismus und als theoretischer Grundlage der Wirtschaftspolitik des sozialistischen Staates.

Mit dem Buch »Der Marxismus der Gegenwart und -seine Kritiker« (1948) wies O. die Entwicklung des Marxismus zum Leninismus nach und setzte sich von dieser Position aus mit bürgerlichen und revisionistischen Angriffen auf den Marxismus-Leninismus auseinander. In der Einleitung zu —» Hilferdings »Finanzkapital« werden dessen wissenschaftliche Leistungen gewürdigt (solange er noch auf marxistischem Boden stand) und einer kritischen Analyse unterzogen. Zu den Verdiensten von O. gehört auch seine Auffassung zu einer der entscheidenden Grundfragen des Marxismus-Leninismus, zur Frage des Klasseninhalts der politischen Macht. Die Begründung der Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats in historisch bestimmter Form als eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Verwirklichung des Sozialismus war eine maßgebliche Ausgangsposition zur Entwicklung einer wissenschaftlichen marxistisch-leninistischen Staatsauffassung.

O. beschäftigte sich mit der Untersuchung der marxistischen Krisen-und Monopoltheorie und der Kritik der bürgerlichen Konjunktur und Monopolkonzeptionen. Eine seiner bedeutendsten Arbeiten, »Die Wirtschaftskrisen. Die Krisen im monopolistischen Kapitalismus« (1949), galt der Analyse der Widersprüche des kapitalistischen Reproduktionsprozesses, insbesondere während des Stadiums des vormonopolistischen Kapitalismus und, der Erarbeitung neuer theoretischer und praktischer Probleme der Modifikation des Krisenzyklus. Außerdem befaßte sich O. mit grundlegenden Fragen der marxistischen Monopoltheorie. Er untersuchte die geschichtliche Rolle des Monopols und trug zur Klärung der marxistischen Begriffsbestimmung des Monopols bei. O. war Herausgeber des Bulletins »Konjunktur und Krise«.

In seiner theoretischen Tätigkeit widmete sich O. .insbesondere der Erschließung der marxistischen Arbeitswerttheorie als wissenschaftlicher Grundlage der marxistisch-leninistischen politischen Ökonomie. Er beschäftigte sich mit methodologischen, theoretischen und wirtschaftspolitischen Fragen des Wirkens der ökonomischen Gesetze des Sozialismus und betonte die Notwendigkeit der Erforschung der Ausnutzungsmechanismen dieser Gesetze.

Umfangreiche Untersuchungen führte er zu ökonomischen Problemen der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus durch. Seine theoretischen Arbeiten galten konkreten Formen der Ausnutzung des Wertgesetzes, der Preisbildung j sowie der theoretischen Begründung und praktischen Fragen der Verwirklichung der wirtschaftlichen Rechnungsführung. In den 60er Jahren widmete sich O. verstärkt Fragen der theoretischen Bestimmung der Kategorie Arbeitsproduktivität und zeigte hier die Vielfalt und Komplexität in den Wechselbeziehungen zwischen vergegenständlichter und lebendiger Arbeit bei der Steigerung der Arbeitsproduktivität. Mit seinem gesamten wissenschaftlichen Wirken leistete 0. einen wesentlichen Beitrag zur theoretischen Vertiefung und Entwicklung der marxistischen politischen Ökonomie, insbesondere der politischen Ökonomie des Sozialismus. Er hatte an der Propagierung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung der Arbeiterklasse entscheidenden Anteil. Seine theoretische Arbeit war eng mit den konkreten Aufgaben und Erfordernissen der Wirtschaftspolitik der SED verknüpft.

Beispielhaftes hat O. seit Beginn der ersten Etappe der revolutionären Gesellschaftsentwicklung in der DDR für die Bildung und Erziehung des wissenschaftlichen Nachwuchses geleistet.

Publikationen: Vorwort zu: Franz Mehring: Historische Aufsätze zur preußischdeutschen Geschichte, Berlin 1946; Vorwort zu: Rudolf Hilferding: Das Finanzkapital, Berlin 1947; Der Marxismus der Gegenwart und seine Kritiker, Berlin 1948; Die Wirtschaftskrisen, 1. Bd., Berlin 1949; Vorwort zu: V. Leduc: Ist der Marxismus überholt? Berlin 1949; Das Kompromiß von Gotha und seine Lehren, Berlin 1950; Rosa Luxemburg. Eine kritische biographische Skizze, Berlin 1952; Über die wirtschaftliche Rechnungsführung, Berlin 1952; Die Bauern-frage im Marxismus-Leninismus, Leipzig, Jena 1954; Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1955; Probleme der Krisenforschung, Berlin 1959; Die ökonomische Theorie von Karl Marx als Anleitung für die sozialistische Wirtschaftsführung, Berlin 1959; Ein Beitrag zur Monopoltheorie, Berlin 1960; Einige theoretische Probleme der Planung und Leitung der Volkswirtschaft, Berlin 1964; 20 Jahre Wirtschaftspolitik der SED, Berlin 1966; Die Arbeitswerttheorie als wissenschaftliche Grundlage der Marxschen politischen Ökonomie, Berlin 1967; Lenin als marxistischer Ökonom, Berlin 1970; L. A. Leontjew: Engels und die ökonomische Lehre des Marxismus, Hg. und Vorwort, Berlin 1970. Literatur: Die Krise der heutigen bürgerlichen Ökonomie. Vorträge und Ansprachen zum 70. Geburtstag von Fred Oelßner, Berlin 1973; W. Krause/G. Rudolph: Grundlinien des ökonomischen Denkens in Deutschland 1848 bis 1945, Berlin 1980; G. Dittmann: Zur Formierung der politischen Ökonomie des Sozialismus als Lehr- und Forschungsdisziplin während der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR bis Mitte der 50er Jahre. Diss., Berlin 1983.

Editorische Anmerkungen

Der Text stammt aus: Krause, Werner; Graupner, Karl-Heinz & Sieber, Rolf (1989). Ökonomenlexikon. Berlin: Dietz. S. 395ff

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