Kosova- „Lösung der Kosovo Frage im Jahr 2005“

Debatte in München



von
Max Brym
04/05

trend onlinezeitung
Die „Südosteuropa-Gesellschaft und der Elitestudiengang „Osteuropastudien“ (München/ Regensburg) lud am Mittwoch den 20. April zu einer Podiumsdiskussion in die Münchner Universität ein. Die Veranstaltung stand unter dem Motto: „Kosovo 2005 - Auf dem Weg zu einer Lösung?“ An der Debatte nahm Nikolaus Graf Lambsdorff teil, dieser ist Referatsleiter im Auswärtigen Amt in Berlin für Öffentlichkeitsarbeit. Lambsdorff war ehemaliger stellvertretender Leiter der UN-Verwaltung in Prishtina und Leiter der Kosova Treuhandagentur und damit zuständig für die Abwicklung der kosovarischen Ökonomie. Herr Graf Lambsdorff hat in Kosova einen denkbar schlechten Ruf sowie einen negativen Geschmack hinterlassen. Zudem saßen auf dem Podium Professor Dr. Gazmend Pula, Präsident des Helsinkikomitees für Menschenrechte aus Prishtina, Vladimir Tintor, Journalist der Nachrichtenagentur BETA, Belgrad und Martin Woker Balkan Korrespondent der Neuen Züricher Zeitung, Zagreb. Moderiert wurde die gut besuchte Veranstaltung von Frau Professor Dr. Marie-Janine Calic, Historisches Seminar, Abteilung für Geschichte Ost- und Südosteuropas, an der LMU München. Im Publikum befanden sich neben deutschen Teilnehmern einige serbische und albanische Studenten. Sie erhielten neben sachlichen Informationen ein Lehrstück in Sachen moderner Kolonialismus. Es war den Leuten vom Südosteuropa Institut anzumerken, dass sie sich für befugt halten, die Menschen in Kosova anzuleiten und dem Machtblock EU ideologische Unterstützung angedeihen zu lassen. Die Menschen in Kosova und Serbien kamen den ganzen Abend als ungezogene Kinder herüber, denen Benehmen beigebracht werden müßte. Eine Lösung der Kosova Frage ist als Erziehungsaufgabe gedacht, „die im Rahmen der EU gemacht werden muß". Ein Referendum in dem die Bevölkerung selbst über ihre staatliche Zukunft entscheiden darf ist in diesem Konzept für Kosova nicht vorgesehen. Allerdings soll sich der Status von Kosova ändern, nach einem Memorandum der Balkan Kontaktgruppe soll „vorläufig“ aus dem „UNMIK-Protektorat ein EU-Protektorat werden.“ 

Eine bezeichnende Debatte 

Am sachlichsten sprach an diesem Abend Martin Woker von der NZZ. Woker beschrieb korrekt, wie sich die Kontaktgruppe den weiteren Gang der Dinge vorstellt. Er meinte: „Kosova wird unter EU-Treuhandschaft gestellt, anschließend soll es eine bedingte Unabhängigkeit geben, dem soll eine gelenkte Unabhängigkeit folgen, um letztendlich mittels der Integration in die EU die Unabhängigkeit zu erhalten“. In diesem Zusammenhang äußerte Woker diverse Befürchtungen, er meinte: „Es wäre besser, wenn der ehemalige UCK-Kommandant Ramush Haradinaj solche unpopulären Dinge unterschreiben würde, anstatt der Zivilisten Rugova und Kosumi. Woker war sich durchaus über den Unwillen der Bevölkerung in Kosova im klaren. Deutlich sprach er auch die Differenz zwischen Europa und den USA in dieser Frage an. Woker hielt es für keinen Zufall, „dass bei fast allen Kundgebungen in Kosova neben der albanischen Flagge die US-Fahne zu sehen ist“. Woker sagte: „Bestimmte Kräfte in den USA wollen den europäischen Einigungsprozeß stören und flirten demzufolge mit einer schnellen Unabhängigkeit.“ Woker vergaß auch nicht vor der Gefahr eines „Großalbanien“ zu warnen. Graf Lambsdorff sagte zu diesem Themenkomplex: „ohne die USA kann nichts entscheidendes passieren, aber wir müssen als Europäer dann die Arbeit machen“. Lambsdorff nannte die Jahreszahl 2014, zu diesem Zeitpunkt könnte der Prozeß abgeschlossen sein. Er meinte auch, dass nur durch die „Einbindung Serbiens in die EU der gordische Knoten zu lösen sei“. Klar war im Statement Lambsdorffs der Kerngedanke enthalten, von Berlin und Brüssel aus einen sicheren Balkanhinterhof der EU zu gestalten. Dabei dürfen die Leute in der Region keine selbstformulierten ökonomischen und politischen Konzepte vertreten. Auch Lambsdorff schloß grundsätzlich eine Vereinigung von Kosova mit Albanien aus. Der Albaner Gazmend Pula verhielt sich brav und unterwürfig, nur schüchtern wagte er in einer Randbemerkung das Selbstbestimmungsrecht Kosovas zu erwähnen. Der kopfschüttelnde deutsche Graf Lambsdorff machte im umgehend deutlich, was er davon hielt. Damit war die Debatte zu diesem Punkt erledigt, die Leute der Südosteuropa-Gesellschaft wissen, wen sie einladen. Vladimir Tintor stellte die serbische Regierungsposition dar, „ jene biete dem Kosovo weniger als die Unabhängigkeit, aber mehr als die Autonomie“. Nach Tintor ist die serbische Politik in der „Kosovo Frage immer noch sehr unbeweglich“. Spannend wurde es dann in der Debatte mit dem Publikum. 

Lambsdorffs Kolonialismus 

Herr Lambsdorff war in Kosova jahrelang für die Ökonomie zuständig. Dort existiert eine Treuhand vergleichbar mit der Treuhand in Deutschland, die sich mit Privatisierung der Wirtschaft befaßt. Im alten Jugoslawien waren die Betriebe bekanntlich bis 1989 Gruppeneigentum der dort tätigen Arbeiter. Unter Milosevic wurden die albanischen Arbeiter aus den Betrieben geworfen und damit faktisch enteignet. Im Jahr 1995 gab es in Kosova keine albanische Arbeiterschaft mehr in den Betrieben. Viele Betriebe wurden in staatliche Aktiengesellschaften umgewandelt, was eine spezielle Form der Privatisierung unter Milosevic einleitete. Herr Lambsdorff sah sich in seiner Zeit in Kosova mit mehreren Vorwürfen konfrontiert. Es wurde ihm angekreidet, dass er Belgrader Eigentumsansprüche in Kosova akzeptiert. Weiter, dass er die Wünsche und die Eigentumstitel der Arbeiterschaft an den Produktionsmitteln ignoriert und nur Rosinenstücke der Wirtschaft zu Schleuderpreisen internationalen Investoren anbietet. Aber selbst auf die Schleuderpreisangebote des Herrn Lambsdorff, auch wenn sie nicht von Belgrader Ansprüchen konterkariert wurden, gingen Kapitalanleger nicht ein. Die potentiellen Investoren forderten Rechtssicherheit, demzufolge einen klaren Status des Gebietes. In Kosova sind gegenwärtig offiziell 57% der Menschen arbeitslos. In der Realität dürfte die Arbeitslosigkeit bei 80% liegen. Die Weltbank und alle internationalen Untersuchungen kommen zu dem Schluß, dass Kosova das ärmste Gebiet in Europa ist. Ein Blick in den Fischer Weltalmanach 2005 führt zur Erkenntnis, dass sich der Lebensstandard in Kosova ziemlich exakt mit den Verhältnissen in Tadschickistan vergleichen läßt. Herr Lambsdorff gilt in Kosova als Mensch, der in ökonomischer und sozialer Hinsicht verbrannte Erde hinterlassen hat. Dennoch hatte der Graf aus dem deutschen Auswärtigen Amt eine Erklärung für die Krise parat. Lambsdorff sagte: „Die Löhne in Kosova sind zu hoch“. Dies erregte einige Gemüter im Publikum. Herrn Lambsdorff wurde entgegengehalten: „In Kosova verdient ein Arbeiter höchstens 200 Euro im Monat und er ist mit einer Preislage konfrontiert, die ziemlich genau mit der Preislage in München Schwabing konform geht.“ Herr Lambsdorff räumte diesen Einwand ein, um sofort den zynisch gebildeten Ökonomen zu spielen, Lambsdorff sagte: „Mit der Preislage haben sie recht, ich gehe aber von der Produktivität der Arbeit aus und in diesem Zusammenhang sind die Löhne eindeutig zu hoch.“ Diesen Gedanken erläuterte Lambsdorff nicht näher, wie könnte er auch, denn in Kosova findet fast keine Wertschöpfung in der Produktion statt. Die Produktion liegt flach. Die meisten Gehälter und Löhne werden im öffentlichen Dienst und im Dienstleistungsgewerbe bezahlt. In den wenigen produzierenden Sektoren warten die Arbeiter oftmals Monate auf ihr Geld. Der asoziale Zynismus des Herrn Lambsdorff machte die Europäische Perspektive für Kosova deutlich. Dem Land wird keine eigenständige Rolle in ökonomischer Hinsicht angeboten, sondern die Perspektive, ein ökonomisches Refugium mit Billigstlöhnen abzugeben. Daneben gilt der Braunkohlereichtum Kosovas als interessant. Gerne würden Konzerne den Standort nutzen, um andere Länder mit Strom zu versorgen, ohne Sozialleistungen und existenzsicherndes Einkommen für die Beschäftigten auf dem Balkan zu entrichten. Explizit legt der Europäische Verfassungsentwurf eine Politik des Sozialabbaus seinen Mitgliedsländern als Pflicht auf. Dies gilt für Deutschland, aber auch für Kosova, wenn es denn jemals in die EU gelangen sollte. Das dies eine weitere Verschlechterung des Lebensstandards für ein von der EU geführtes Kind wie Kosova bedeutet, liegt auf der Hand. In Wahrheit ist das internationale und das deutsche Kapital nicht an den Kapazitäten Kosovas interessiert. Das wurde besonders deutlich in der Debatte mit Lambsdorff über die Chancen des ehemaligen Kombinates Trepca und dessen Zentrum in Mitrovica. Lambsdorff erklärte hierzu: „Trepca war ein sozialistisches Experiment und schon lange bankrott. Die Bergarbeiter in Trepca stellen keine Perspektive für Kosova dar.“

Was ist und was war Trepca?

Trepca erstreckte sich bis 1989 auf zwei Republiken und zwei Provinzen des ehemaligen Jugoslawien. Es wurden Buntmetalle, Blei, Zink, Silber, Gold, Cadmium und andere Metalle gefördert. Von den Rohstoffen, die in Trepca  (Mitrovica) gefördert wurden, waren Kishnica, Novo Berdo, Ajvali und Prishtina abhängig. Die Rohstoffe wurden an zwei Stätten verarbeitet, das Blei in Zvecan und die Zink in Mitrovica. Aufgrund der Metallvorkommen sind viele verarbeitende Kapazitäten errichtet worden. Es gibt Fabriken zur Produktion von Akkumulatoren für Fahrzeuge, Industrieakkumulatoren und Cadmium-Batterien. In Anlehnung an Trepca sind in der Vergangenheit viele Fabriken in Kosova gebaut worden, z.B. die Munitionsfabrik in Skenderaj , die Fabrik für Zinkverkleidung in Vucitern, die Farbenfabrik in Vucitern. Trepca hatte außer den verarbeitenden Zweigen ein eigenes Institut in Mitrovica, dass sich mit der Entwicklung des Kombinats befaßte. Der Trepca-Komplex war ein ertragreiches Unternehmen, das weltweit den dritten und europaweit den zweiten Platz einnahm, was die Gewinnung der genannten Metalle angeht, auch der Buntmetalle. Ohne Trepca gibt es kein Mitrovica und kein entwicklungsfähiges Kosova. Herr Lambsdorff hat in seiner Amtszeit alle Eigentumsansprüche der Arbeiter an dem Kombinat Trepca zurückgewiesen. Besonders ruppig sprang er mit der Bergarbeitergewerkschaft in Mitrovica um, der alten Vorhut der kosovarischen Arbeiterbewegung. Im Februar 1989 streikten die Minenarbeiter gegen die Aufhebung der Autonomie Kosovas. Anschließend wurden ihre Streikführer verhaftet und die Mine weitgehend in eine AG umgewandelt. Ab dem Jahr 1990 wurden praktisch alle albanischen Arbeiter entlassen. Sie wurden ersetzt durch Arbeiter aus Serbien, Bulgarien und Bosnien. Die bosnischen Arbeiter solidarisierten sich allerdings mit ihren albanischen Kollegen und forderten deren Wiedereinstellung, woraufhin sie gewaltsam vertrieben wurden. In den neunziger Jahren verkaufte Milosevic größere Anteile von Trepca an einen griechischen Konzern, einen anderen Anteil an einen französischen Konzern sowie Anteile an einen französischen Großdiamantenhändler  Später meldeten sich all diese „Eigentümer“ bei der UNMIK-Protektoratsverwaltung. Ihre „Eigentumsansprüche“ rechtfertigte Graf Lambsdorff an der Münchner Uni. Die von der Gewerkschaft eingereichten Pläne zur Wiederaufnahme der Produktion in Mitrovica mit entsprechender Anschubfinanzierung wurden hingegen kalt ignoriert. Allerdings wurde einigen Minenarbeitern im November 99 auf eigene Rechnung gestattet, ohne Bezahlung die Minen vor dem Absaufen zu bewahren. Gegenwärtig gibt es dafür geringfügigen Lohn und die Mine wurde zur Privatisierung ausgeschrieben. Es existiert ein internationales schwedisch-französisch-amerikanisches Konsortium, das Optionen bezüglich Trepca erworben hat. Der Rohstoffreichtum Trepcas wird demzufolge durchaus als brauchbar und rentabel eingeschätzt. Unrentabel sind  für westliche Konzerne hingegen die verarbeitenden Teile des Kombinates. Die Konzerne sind nur daran interessiert, billig Rohstoffe in Kosova abzubauen und sie im heimatlichen Standort zu verarbeiten. Das wird befördert durch die Tatsache, dass gegenwärtig in Deutschland die Produktionskapazitäten nur zu 83% ausgelastet sind. Weltweit nimmt die Massenkaufkraft ab, der Kampf um die enger gewordenen Märkte verschärft sich, die Gesellschaften werden ärmer. weil sie zu reich sind. Es gibt eine typische Überproduktionskrise. In diesem Zusammenhang gibt Herr Lambsdorff auch den Minenarbeitern von Trepca keine Chance. In der Tat, der Weltmark ist voll mit „zuviel“ abgebautem Zink und Blei. Die Preise in dieser Sparte fallen. Dennoch ist Trepca aufgrund seines Standortes im Fokus von Kapitalanlegern. Eine bestimmte Menge Mineralien günstig und steuerfrei abzubauen, kann den Druck auf bestimmte Profitraten mildern.  

 Resümee 

Die überwältigende Mehrheit der Menschen in Kosova wünscht von dem Recht auf nationale Selbstbestimmung Gebrauch zu machen. Diesem Wunsch wird durch die Installierung eines neuen EU-Protektorats nicht entsprochen. Mächtige Staaten innerhalb der EU, hauptsächlich Deutschland und Frankreich wollen das Schicksal Kosovas entscheiden. Natürlich ist es verständlich, wenn bestimmte Politiker in Kosova die zwischenimperialen Widersprüche zwischen „Kerneuropa“ und den USA auszunützen versuchen, um dem Unabhängigkeitsziel näher zu kommen. Dazu bedarf es allerdings auch einer kohärenten Wirtschaftskonzeption, die beispielsweise Trepca reaktiviert und diesen Reichtum als staatlich gesellschaftlichen Reichtum betrachtet. Dazu könnte es sinnvoll sein, den alten Plan von Adem Demaci von 1996 neu zu überdenken. Damals entwickelte Demaci den Vorschlag, eine Konföderation Balkania ins Leben zu rufen. Diese sollte ein Bund selbständiger Staaten in Südosteuropa sein, die auf der Basis der Gleichheit gemeinsame wirtschaftliche Zielsetzungen verfolgen. Es kann nicht angehen, sich einfach mit dem Versprechen irgendwann in der EU zu landen, dem Wohl und Wehe Kerneuropas auszuliefern. Graf Lambsdorff machte in München hinlänglich klar, welche Rolle er dem Balkan und speziell dem Kosova zuschreibt. Nämlich Abhängigkeit, Unterordnung und billiges Ausbeutungsmaterial abzugeben.


 

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 24.04.2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.