Frankreich: Protestbewegung im Bildungswesen und Besetzungswelle gehen weiter
Auch ideologische Schaumschlägerei nach Zwischenfällen vom März dauert an


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on Bernhard Schmid (Paris)
04/05

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Die große "Arschtrittmaschine" fährt vorne weg. Der Dachverband der Lehrergewerkschaften, die FSU, hat auf der Ladefläche eines Lastwagens ein riesiges Transparent aufgespannt, das von Heißluftballons in die Höhe gezogen wird. Darauf sieht man einen stilisierten Bildungsminister François Fillon, der von einem Katapult mit der Aufschrift »Nein« einen mächtigen Tritt ins Hinterteil versetzt bekommt und durch die Luft fliegt.  

Der Minister und die konservative Regierung unter Jean-Pierre Raffarin haben sich in den letzten Wochen unnachgiebig gezeigt. Der Gesetzentwurf Fillons, der unter anderem eine Einschränkung des Fächergebots auf am Arbeitsmarkt relevante "Schlüsselkompetenzen" ermöglicht, wurde am 24. März definitiv vom Parlament verabschiedet.  

Doch trotz seiner Annahme durch das Parlament zeigt die Protestbewegung in den Schulen kaum Anzeichen von Erlahmung. Zumindest nicht im Großraum Paris, wo am vorletzten Samstag über 20.000 Leute demonstrierten. Zu den Schülern am Anfang und den Lehrern am Ende des Demonstrationszuges gesellten sich einige Abordnungen von Studenten und jungen Wissenschaftlern, auch der mehr oder weniger linke Elternverband FCPE war vertreten. Es war die größte regionale Demonstration im Bildungsbereich seit Beginn der Proteste im Januar. Im übrigen Frankreich demonstrierten rund 50.000 Menschen. Dort waren die Zahlen allerdings rückläufig.  

Besetzerbewegung  

Durch die Schulbesetzungen, die vor über drei Wochen begannen, hat die Bewegung neuen Schwung gewonnen. Nach Angaben der französischen Presse und der Polizei waren am Wochenende zwischen 150 und 180 Oberschulen besetzt, landesweit gibt es circa 2.300 solcher Schulen. Eine der Hochburgen lag in Paris, eine weitere im nördlich an die Hauptstadt angrenzenden Trabantenstadtbezirk Seine-Saint-Denis. An beiden Orten haben sich auch Koordinationen der Besetzer gegründet. Es ist das erste Mal seit den späten siebziger Jahren, dass es zu solchen Aktionen kommt.  

Die Bestzungen scheinen dem Aufbegehren der Oberschüler neue Aktionsmöglichkeiten zu verschaffen, nachdem in den letzten Wochen immer weniger Leute an den Demonstrationen teilgenommen hatten. Zu dem Abflauen der Bewegung ganz erheblich beigetragen hatte die Pariser Demonstration vom 8. März, die von Jugendbanden von Jugendbanden aus den Banlieues angegriffen worden war. (Zu näheres Details darüber, siehe ausführlich in ANMERKUNG 1)  

Demagogie über "antiweißen Rassismus"  

Diese Vorfälle haben inzwischen auch eine heftige Debatte unter den Intellektuellen und in den Medien ausgelöst. Inzwischen kursiert eine Resolution "gegen die anti-weißen Rattenjagden". Dabei ist "Rattenjagd", ratonnade, ein Begriff, der für die oft tödlichen kollektiven Ausschreitungen gegen Araber während des französischen Algerienkriegs steht. Der Titel warnt damit vor einer Art "Pogrome gegen Weiße". Unterschrieben wurde er zuerst von dem Philosophen Alain Finkielkraut. Dieser ehemalige Linke aus den siebziger Jahre wandelte sich später zu einem der lautstarken "antitotalitären" Mahner vor linken Ideen und sozialen Bewegungen - und ist im Allgemeinen ein unerträglicher Dummschwätzer. (Näheres zu dieser Pfeife, siehe ausführlich in ANMERKUNG 2) Auch die Proteste gegen den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen im Frühjahr 2002 kritisierte Finkielkraut als Ausdruck eines »kommunistisch inspirierten Antifaschismus«, der sich durch die Masche auszeichne, »die Politik in Gut und Böse einzuteilen«.  

Den Aufruf unterschrieben haben in der Folgezeit auch der ehemalige sozialdemokratische Minister Bernard Kouchner sowie der Schriftsteller Pierre-André Taguieff, der bis in die neunziger Jahren zum antirassistischen Milieu gehörte und danach mit ihm brach.  

Die Überlegung ist an sich nicht falsch, wonach man die perspektivlose Migrantenjugend in den Trabantenstädten nicht in sozialromantischer Weise verklären dürfe - vor allem nicht, wenn sich ihr Frust in einer ganz und gar nicht progressiven Weise entlädt. Bereits die These vom »antiweißen Rassismus« aber, die in der liberalen Tageszeitung <I>Le Monde<I> ausführlich debattiert wurde, ist kritikwürdig. Unter den angegriffenen Demonstranten befinden sich ebenso »farbige« Jugendliche wie unter den Angreifern. Und die Mischung aus subjektivem Opfergefühl, Sozialneid, mitunter vorhandenem kommunitaristischen Vorstellungen und dem schlichten Wunsch, Mobiltelefone und Markenklamotten zu rauben, lässt sich nicht auf einen einfachen ideologischen Nenner bringen. Von »Pogromen« zu sprechen, ist vollends abwegig. Die Bildung von Ordnerdiensten mit den Mitteln der Selbstorganisation hat sich längst als hilfreicheres Mittel gegen die gewalttätigen Banden erwiesen als das Abfassen von Resolutionen mit grotesken Vergleichen.  

Denn der Fehler, der die Überfälle vom 8. März ermöglichte, bestand darin, über keinen halbwegs strukturierten Orderdienst zu verfügen, der eine Demonstration im Notfall schützen kann. Er wird seitdem nicht wiederholt. Bei den Demos Mitte März stellten die Lehrergewerkschaften, der Gewerkschaftsbund CGT, die Kommunistische Partei und die undogmatischen Trotzkisten zusammen mit den Schülerverbänden einen Orderdienst von mehreren hundert Leuten. Bei der Großdemo vom vorletzten Samstag bildeten die Oberschüler einen eigenen Ordnerdienst. Aber inzwischen ist auch die Polizei am Rande der Demonstrationen wesentlich präsenter ­ ihr war durch die Parlamentsopposition Untätigkeit vorgeworfen worden.  

Perspektiven des Protests: eine offene Frage  

Die Besetzungen haben es der Protestbewegung in den letzten Wochen erlaubt, eine drohende Flaute bei der Mobilisierung offensiv zu überwinden. Doch inzwischen zeigt auch diese Protestform erste Abnutzungserscheinungen. Nach dem Beginn der Proteste hat die Regierung zwar die ursprünglich ebenfalls geplante Ersetzung des Zentralabiturs durch lokale Abschlüsse, von der eine Verschärfung der Ungleichheiten befürchtet wird, verschoben. In allen anderen Punkten aber ist sie hart geblieben. Doch nach einer gewissen Zeit benötigt eine Bewegung ein paar Erfolge. Hinzu kommt, dass Anfang Juni im ganzen Land die Abiturprüfungen beginnen, so dass es an einigen Orten zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Besetzern und Schülern der Abschlussklasse kam. Deswegen wünschten linke Gruppen wie die Comités d¹action lycéens, die Aktionskomitees der Oberschüler, den Protest auf die Lehrerschaft und nach Möglichkeit auf andere Berufsgruppen auszuweiten.  

Immerhin Anzeichen dafür gibt es. So hat der Gewerkschaftsdachverband der Lehrer, die FSU, sich zumindest zu einer halbherzigen Unterstützung der Schulbesetzungen durchringen können - im Gegensatz zu kleineren »moderaten« Gewerkschaften, die Kritik übten. Und die Lehrer waren am vorletzten Samstag in großer Zahl auf der Straße. An einigen Stellen, etwa im 11. Pariser Bezirk, kam es bereits in der Vorwoche zu Aktionen von Lehrern. Diese streikten gegen die drohende Streichung vieler Fächerangebote. Ferner sollen im kommenden Herbst im Oberstufenbereich landesweit 7.000 Lehrerstellen verschwinden.  

Dass die Mobilisierung trotz aller Schwierigkeiten anhält, ist ungewöhnlich, nachdem die Protestbewegung bereits in ihrem dritten Monat ist. Bildungsminister Fillon will auch weiterhin hart bleiben und erklärte: »In einer Demokratie entscheidet das Parlament.« Die Sonntagszeitung JDD (Journal du dimanche) warnt jetzt davor, dass mit einer solchen Strategie des Aussitzens Unzufriedenheit und Verbitterung langfristig anhielten.  

DIE AKTUELLE ENTWICKLUNG:  

Der Donnerstag und der Freitag voriger Woche (07./08. April) waren vor allem von "Nadelstichaktionen", Besetzungen offizieller Gebäude und ziemlich massiver Polizeigewalt geprägt.  

Die Mobilisierung blieb von Ungleichzeitigkeiten geprägt, da sich nunmehr aktive "harte Kerne" herausgebildet haben (oft von politisierten Schülern, auch in den sozial besser gestellten Schulen), aber gleichzeitig nicht an allen Orten eine breite Mobilisierung der gesamten Schülerschaft aufrecht erhalten blieb. Die neuen Aktionsformen bringen es mit sich, dass nunmehr eher die Stunde der AktivistInnen geschlagen hat. Die Protestbewegung befindet sich eher in der Phase, die im Französischen als der "Kometenschwanz" bezeichnet wird, also in der Phase jener Mobilisierung, die anhält und sich radikalisiert, wenn eine soziale Bewegung ihren quantitativen Höhepunkt überschritten hat und sich nicht mehr verbreitern kann. Aber selten fiel ein Kometenschweif so intensiv und " prächtig" aus... Die harte Polizeigewalt sorgt unterdessen im Moment für neue Solidarisierungseffekte, unter anderem auch in der auch in der Lehrerschaft.  

Bildungsminister François Fillon stellt sich ausschließlich auf den Standpunkt des Hartbleibens und erklärte: "Ich werde nicht zulassen, dass eine winzigkleine Minderheit einige Wochen vor den Abiturprüfungen die Institutionen des Bildungswesens lahmlegt." Diese harte Haltung trägt ihm mit Sicherheit keine Sympathien ein. Als einzige "Kompromiss"-Maßnahme hat der Minister angekündigt, nunmehr 300 "pädagogische Hilfskräfte" in Schulen einzustellen, die in besonderen sozialen Brennpunkten liegen. Dabei soll es sich um Studierende handeln, die später in den Schuldienst gehen wollen und die nunmehr auf diese Weise als Teilzeitkräfte neben ihrem Studium her jobben sollen, natürlich zu (im Vergleich zu "richtigen" Lehrkräften) mieser Bezahlung. Diese Maßnahme kann nicht einmal als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein gelten: Ab dem kommenden Schuljahr im Herbst sollen frankreichweit 7.000 Lehrerposten im Oberstufenbereich entfallen. Im Grundschulbereich sollen nur 700 neue entstehen, während die Zahl der eingeschulten Kinder um 55.000 wachsen wird.  

Was ist konkret passiert?  

Zu einigen Aktionen im Einzelnen: In Paris besetzten am Donnerstag vormittag 300 OberschülerInnen die Oberschulverwaltung der Hauptstadtregion (le rectorat) im 20. Pariser Bezirk. Es kam zu keinem "Dialog", die "Eindringlinge" wurden mit einem massiven Aufgebot von CRS-Bereitschaftspolizei abgeräumt. Die Räumung dauerte über eine Stunde, da die BesetzerInnen sich in Ketten untergehakt auf den Boden setzten. Dabei kam es zu zahlreichen körperlichen Misshandlungen in Gestalt umgebogener Knöchel; bisher nicht bestätigte Informationen (oder auch Gerüchte) sprachen einem Fall eines im Krankenhaus behandelten Knöchelbruchs. Auch die psychologischen Bedrohungen, in Gestalt des "Spielens" mit dem Gummiknüppel in der Hand unter konkretem Anvisieren einer Person, wurden zuhauf vermeldet. Einige (leicht) verletzte SchülerInnen wurden durch die ebenfalls angerückte Feuerwehr abtransportier. Einige weitere SchülerInnen blieben kurzzeitig im Polizeikommissariat des 20. Arrondissements an der Place Gambetta im polizeilichen Gewahrsam.  

Am Donnerstag nachmittag versammelten sich rund 1.000 SchülerInnen in der Nähe des Bildungsministeriums im 7. Pariser Bezirk, konnten jedoch nicht bis zum Sitz des Ministers vordringen. Im Anschluss versammelten sie sich im benachbarten 6. Arrondissement vor den Toren der Sorbonne, wo die StudentInnen jedoch nicht spontan reagierten. (Die Sorbonne ist in den letzten Jahr auch eher zur Eliteuniversität für Sprösslinge der Bourgeoisie geworden, und das Klima dort ist anders als im Mai 1968...) Ein riesiges Polizeiaufgebot verhinderte weitere Bewegungen. Der Einsatzleiter der Polizei, der als einziger der eingesetzten Beamten keinen Helm trug, bekam einen gezielten Eiwurf mit ins Gesicht ab. Es kam zu keinen weiteren Verhaftungen.  

Weitere Bestzungsaktionen wurden aus dem übrigen Land, vom nordfranzösischen Lille bis zu Tarbes im äußersten Südwesten, vermeldet. Insbesondere in Lille kam es ebenfalls zu massiver Polizeigewalt u.a. vor der Präfektur (Sitz der juristischen Vertretung des Zentralstaats), wo massiv Tränengas eingesetzt wurde und hart vorgenommene Verhaftungen stattfanden. Der psychologische Schock saß bei den dortigen SchülerInnen tief; am folgenden Tag kursierten zeitweise landesweit Gerüchte über einen getöteten oder im Koma liegenden Schüler in Lille, die sich jedoch als unzutreffend herausstellten. Unzutreffend, aber keineswegs grundlos, nachdem man die Fernsehbilder gesehen hatte, auf denen ein am Boden liegender Schüler unter anderem mit Tritten auf Kopf und Gesicht durch Polizisten misshandelt wurde.  

Am Freitag kam es zum kurzzeitigen Versuch, den Parteisitz der Regierungspartei UMP im äußerst vornehmen 8. Pariser Bezirk zu besetzen. Das Vorhaben erwies sich als aussichtslos und war von einer Spontandemonstration quer durch den Nobelbezirk gefolgt. Dabei wurden wiederholt symbolische Barrikaden aus Müllcontainern und BaustellenMaterial errichtet, was für das 8. Arrondissement ein ungewöhnlicher Anblick sein dürfte. Verhaftungen konnten durch Zerstreuen auf der Höhe der Champs-Elysées, nach kurzfristigen Straßenblockaden, verhindert werden.  

In Vitry-sur-Seine, in der südöstlichen Pariser Banlieue, blockierten SchülerInnen am Freitag nachmittag die Route National 7 (das deutsche Pendant wäre eine Bundesstraße). In Lille versammelten sich SchülerInnen vor dem Rathaus, um gegen die Polizeigewalt vom Vortrag zu protestieren.  

Dagegen blieb die Demonstration vom Freitag nachmittag, mit rund 1.000 motivierten SchülerInnen und sichtbar zahlreicheren Polizisten, ein Flop. In Paris blieben bis zum Wochenende ein halbes Dutzend Oberschulen von Blockaden durch streikende SchülerInnen betroffen, aber nur die beiden prestigereichen Etablissements "Lycée Montaigne" und "Lycée Charlemagne" im Pariser Stadtzentrum (wo es einen "harten Kern" von politisierten SchülerInnen gibt) blieben auf Entscheidung der Rektoren hin vollkommen geschlossen.  

Die Lehrergewerkschaften verhielten sich unterschiedlich. So erklärte die Lehrergewerkschaft "FO Bildungswesen" im Raum Lille ihre Bereitschaft, "dabei zu helfen, Exzesse zu verhindern", verurteilte jedoch auch die Polizeigewalt. Die Rektoren-Gewerkschaft SNDPEN und der (halblinke bis sozialdemokratische) Elterverband FCPE verurteilten die Schulbesetzungen und ­blockaden. Dagegen solidarisierten sich Sektionen der FSU, des mit Abstand wichtigsten Dachverbands von Lehrergewerkschaften, vielerorts mehr oder weniger mit den aktiven SchülerInnen. Im Raum der Schulverwaltung von Créteil (südöstlicher Vorort von Paris) kam es jedoch auch dazu, dass zwei Dutzend Lehrer einer Oberschuler mit Aufklebern der FSU-Gewerkschaft der Oberstufenlehrer (SGEN) eine Gegenblockade veranstalteten, um "arbeitswilligen Schülern Zutritt zu verschaffen". In Reaktion darauf fiel der Unterricht jedoch erst recht aus, da sich nunmehr kaum SchülerInnen dafür bereit fanden. Im politischen Bereich verurteilten die KP und die (undogmatisch-trotzkistische) LCR klar die Polizeigewalt; die LCR ließ eine Vertreterin der Nationalen Oberschüler-Koordination am Freitag abend bei ihrem Meeting gegen den EU-Verfassungsvertrag vor 1.500 Personen sprechen. Auch Politiker der "Sozialistischen" Partei (PS) wie Julien Dray verurteilten, dass die Polizei eingesetzt werde, "statt einen Dialog mit den Sprechern der SchülerInnen zu suchen", und verlangten die Eröffnung von Verhandlungen mit den anerkannten Schülerverbänden (wie der PS-nahen FIDL...).  

Am Montag vormittag eröffnete das Lycée Montaigne im Pariser Stadtzentrum seine Tor wieder, jedoch mit davor stationierten Polizisten in persönlicher Begleitung des Rektors, die eine Eingangskontrolle vornahmen. Daraufhin blockierten zunächst 100 bis 200 SchülerInnen den Zugang vollständig, unterstützt durch "eine Mehrheit der Lehrerschaft", wie es seitens der streikenden SchülerInnenschaft hieß. Später kam Verstärkung aus anderen Schulen hinzu, und rund 300 SchülerInnen sowie einige Studenten besetzten das Lycée Montaigne. Bei Attacken der Bereitschaftspolizei CRS flogen Tische gegen die angreifenden Beamten, die ihrerseits eifrig Knüppel und Tränengas einsetzten. Rund 100 der BesetzerInnen gelangten dann jedoch auf das Dach des Gebäudes, wo sie bis circa 17 Uhr verblieben, während 300 Personen sich vor dem Gebäude mehrmals Rangeleien mit den CRS lieferten (detaillierten Berichten zufolge flogen "Eier, Sylversterknaller, Flaschen und Gemüse" auf die uniformierten und behelmten Bereitschaftspolizisten). Mehrere Schüler sowie ein Fernsehjournalist von TF1 wurden verletzt. Gegen 18 Uhr am Montag verließen die ehemaligen BesetzerInnen und BlockiererInnen die Schule in einem spontanen Demozug in Richtung Sorbonne, und zogen in Richtung nördliches Stadtgebiet weiter. Unterwegs errichteten sie smybolischen Barrikaden mit den Absperrgitter des Rathauses und des Justizpalasts, an denen sie vorbeikamen. Auf der Höhe der Kreuzung Boulevard de Strasbourg/ rue Saint-Denis (nördlich der Innenstadt) erfolgte die Auflösung, nachdem Tränengas und Polizeiknüppel zum Einsatz kamen. Drei Personen wurden vorübergehend festgenommen, aber rasch wieder freigelassen. - Am selben Montag besetzten rund 150 Oberschüler die Schulbehörde (rectorat) des Trabantenstadtbezirks Seine-Saint-Denis, in der Pariser Vorstadt Bobigny.  

Am Mittwoch nachmittag (13. April) ist eine Demonstration der Nationalen OberschülerInnen-Koordination in Paris angesetzt, von der Place Denfert-Rocherau ausgehend. Dagegen ruft die den Sozialdemokraten nahe stehende SchülerInnenorganisation FIDL nicht zur Teilnahme an der Mittwochsdemo auf, sondern dazu, am Donnerstag zu demonstrieren. Die LehrerInnen im Pariser Umland werden ebenfalls am Donnerstag, 14. April von einer Reihe von Gewerkschaften (von der CGT im Bildungswesen und Einzelgewerkschaften des Dachverbands FSU über die linksalternativen SUD bis zur anarcho-syndikalistischen CNT Bildungswesen) zu Streiks und Demonstrationen aufgerufen. Der Erfolg bleibt abzuwarten.  

Seit Dienstag abend ist aber auch der "Dialog" zwischen Bildungsminister François Fillon und den von ihm anerkannten SchülerInnenverbänden, der FIDL (eine Satellitenorganisation der sozialdemokratischen Partei) und der UNL (etwas unabhängiger, aber der Parteilinken bei den Sozialdemokraten nahe stehend) wieder eröffnet worden. Der linke Flügel der Protestbewegung, etwa in Gestalt der Aktionskomitees der Oberschüler CAL (Comités d'actions lycéens), wird von Fillon nicht als Gesprächspartner anerkannt.  

Die FIDL erklärte in einer ersten Stellungnahme, es handele sich um einen ersten Anfang, und die Verhandlungen müssten fortgesetzt werden. François Fillon hatte das Angebot auf den Tisch gelegt, über die Anstellung von mehreren tausend jener "pädagogischen Hilftskräfte" (in Gestalt von Studierenden, die später in den Schuldienst wollen) zu reden, von denen er in der Vorwoche bereits 300 einzustellen ankündigte. Dabei handelt es sich jedoch nicht um "vollwertige" Pädagogenjobs, von denen mehrere tausend abgebaut werden sollen, sondern um befristete und prekäre Verträge. Ebenfalls will François Fillon über "demokratische Räume" im schulischen Alltag verhandeln, was wahrscheinlich bedeutet, dass den anerkannten Schülerverbänden wie FIDL und UNL eine stärkere (institutionalisierte) Rolle zuerkannt werden soll.  

Weitere Aussichten  

Die Regierung hofft unterdessen sehnlich auf das Herannahen der Frühjahrsferien (Mitte April), von denen sie sich eine Beruhigung der Lage verspricht. Aber auch danach droht neue Ungemach. Denn in diesem Jahr soll zum ersten Mal der Pfingstmontag in den meisten französischen Städten und Bezirken ein normaler Arbeitstag sein, da die Regierung im Vorjahr diesen gesetzlichen Feiertag abgeschafft hat. Der offizielle Beweggrund dafür war, die Pflegekosten für ältere Menschen zu finanzieren, indem dieser Tag durch die Lohnabhängigen zusätzlich gearbeitet und quasi als kostenloser Arbeitstag "spendiert" wird - die Höhe der Monatslöhne bleibt natürlich unverändert. Sinnlos kann dabei erscheinen, dass auch die SchülerInnen und LehrerInnen an diesem Tag nunmehr antanzen müssen, da sie ja gar keinen Mehrwert schaffen, der für die Pflegekosten genutzt werden könnte. (Abgesehen davon, dass dieser Vorwand ohnehin schon ad absurdum geführt worden ist. Denn wie die Enthüllungszeitung "Le Canard enchaîné" berichtet, sind die durch den neuen "unbezahlten Arbeitstag" geschaffenen zusätzlichen Unternehmer-Abgaben an die Sozialversicherung zum Großteil längst durch die Regierung anderweitig verplant worden. Das bedeutet, dass die pflegebedürftigen Alten nur den kleinsten Teil davon genießen werden.)  

Die Wut deswegen steigt zusehends an. In einigen Städten hatte man sich entschieden, statt des Pfingstmontags lieber den Ostermontag als Feiertag abzuschaffen, da beispielsweise in Nîmes am Pfingstmontag traditionell ein Stierkampf stattfindet, den die Stadtoberen unbedingt "retten" wollten. Dort, wo dies der Fall war, wurden am Ostermontag riesige Fehlquoten unter Lohnabhängigen und vor allem an den Schulen verzeichnet. Für den Pfingstmontag kursieren nunmehr aber bereits landesweite Streikaufrufe. Die nächste Bauchlandung für die Regierung scheint vor der Tür zu stehen.  

ANMERKUNG 1: Die Gewalttaten bei der Demo vom 8. März und ihre Hintergründe  

Alle reden seit einigen Wochen von den Gewalttaten anlässlich der Schülerdemonstrationen. Ihr Höhepunkt war am 8. März erreicht: An diesem Tag demonstrierte in ganz Frankreich über ein Drittel der 500.000 Oberschüler ­ doch der regionale Protestzug in Paris musste nach zwei Dritteln der geplanten Route abgebrochen werden. Die Teilnehmenden waren vorher von kriminellen Jugendbanden attackiert worden, die jeweils einzelne Schüler zu Boden warfen und ihnen vor allem Mobiltelefon und manchmal auch Markenklamotten abnahmen.  

"So etwas habe ich in 20 Jahren noch nie erlebt", meint der Bildungsgewerkschafter Jean-Paul R., der sich beruflich um so genannte schwer erziehbare Jugendliche kümmert. "In der Vergangenheit gab es das Phänomen der <casseurs>", was wörtlich so viel wie Kaputtmacher bedeutet und ungefähr dem deutschen Ausdruck "Krawallanten" entspricht. "Aber diese griffen in aller Regel die Polizisten an oder plünderten auch mal Luxusgeschäfte aus. Anlässlich der Großdemonstrationen der Schüler und Lehrlinge im März 1994 hat man viel von ihnen gesprochen, oder auch angesichts der letzten Oberschülerstreiks im Herbst 1998. Doch noch nie ist man Augenzeuge geworden, wie die Gewalt sich direkt gegen eine ganze Demonstration richtete."  

Die Polizei ebenso wie Journalisten schätzen die Zahl der Angreifenden an jenem Tag auf 800 bis 1000, bei etwa der zehnfachen Zahl von Demonstrierenden. Doch das Fehlen eines strukturierten Ordnerdiensts sorgte dafür, dass die Attackierenden leicht von den Rändern her in den Protestzug eindringen und sich zurückziehen konnten. Dieser Fehler sollte sich bei den nachfolgenden Demonstrationen nicht wiederholen: Eine Woche später stellten etwa die Lehrergewerkschaften, die CGT, die KP und die LCR gemeinsam mit den Schülerverbänden einen über 500 Köpfe zählenden Ordnerdienst.  

Doch zu diesem Zeitpunkt hatten sich, jedenfalls im Pariser Raum, bereits viele Jugendliche ängstlich aus den Mobilisierungen zurückgezogen, weil sie traumatisiert waren oder "so etwa nicht noch mal erleben wollten".  

Nicht verbessert wurde die Sache durch die Liebhaber von Verschwörungstheorien, die auf Mailinglisten der sozialen Bewegung wüste Behauptungen ausstreuten ­ wie die, am 8. März habe es "mindestens drei Tote gegeben, die durch den Staat und die Medien verschwiegen werden". Und überhaupt, so fabulierten dieselben daher, seien die Angriffe durch die Polizei vorhergesehen, beabsichtigt, wenn nicht gar programmiert worden.  

Das dürfte Unfug sein: Die anwesenden Polizisten waren am 8. März vom Ausmaß der Ereignisse eher überrascht, und jedenfalls keine Einsatzbefehle zu dieser in diesem Ausmaß nicht erwarteten "Gefährdungslage". Und wenn polizeiliche Krisenstrategen sich im Nachhinein einmischten, dann eher durch das Ausstreuen von Gerüchten wie diesen, die ihre einschüchternde Wirkung auf das potenzielle Demo-Publikum in den ersten Tagen nicht verfehlten. Dennoch profitierte der Polizeiapparat auch von der entstandenen Unruhe und von den Vorwürfen der Parlamentsopposition, er sei zu untätig geblieben, um sich offensiver zu zeigen. Bei den nachfolgenden Demonstrationen Mitte März wimmelte es jedenfalls bereits an den Pariser Sammlungsplätzen von einer Vielzahl von Zivilbeamten, die sich nicht einmal notdürftig versteckten, sondern offen das Terrain markierten.  

Es bleibt die Frage nach den Hintergründen dieser Gewalt. Ein Teil der Medien hat, wie manche Autoren der linksliberalen Pariser Abendzeitung 'Le Monde', den "antiweißen Rassismus" als angebliche Hauptursache entdeckt. Das linksnationalistisch-republikanische Wochenmagazin 'Marianne' warnt auf ihrer Titelseite gar vor "denen, die den ethnischen Krieg wollen".  

'Le Monde' hat einige Tage nach dem spektakulären Abbruch der Pariser Demo einige Berichterstatter in Schulen der Pariser Trabantenstädte ausschwärmen lassen, um Aussagen zu sammeln. Diese Methode muss man freilich für bedenklich halten: Ein Journalist, der erkennbar von außen und aus dem Pariser Zentrum auf die Jugendlichen der Trabantenstädte zugeht, muss damit rechnen, nicht unbedingt ein objektives Bild der dortigen Zustände zu erhalten. Vielmehr steht zu erwarten, dass viele ihm mit Sprücheklopferei begegnen werden und versuchen, mit der Mischung aus Abstoßung und Faszination "jener in den besseren Vierteln" gegenüber dem vermeintlichen Dschungel der Banlieues zu spielen.  

Dennoch zeichnen die gesammelten Aussagen ein in einigen Zügen interessantes Bild. Demzufolge werden die ­ vemeintlich privilegierten und verwöhnten ­ Schüler aus dem Pariser Stadtgebiet zur "leichten Beute" für die Jugendgangs. Denn einerseits wird ihnen vorgeworfen, die ewigen "guten Schüler" und schon von den häuslichen Voraussetzungen her bevorzugt zu sein. Andererseits aber wird ihnen nachgesagt, verweichlicht zu sein und nicht kämpfen oder sich wehren zu können. Besonderes Hassobjekt sind dabei die Mitglieder von Jugend-Subkulturen, die sich durch äußere Merkmale und gleichzeitig durch das Tragen teurer Konsumgegenstände hervorheben wie Skater oder Popper. Nach den Schilderungen von Le Monde spielt die Herkunft oder Hautfarbe dabei zwar eine gewisse Rolle, die jedoch relativiert werden muss. Denn nach den Beobachtungen der Journalisten gelten den "farbigen" Jugendlichen auch jene Altersgenossen europäischer Herkunft als "schwarz", die "unter den gleichen Bedingungen wie wir in den Banlieues leben". Andererseits gelten Streber oder Gruppenverräter egal welcher Herkunft tendenziell als "weiß".  

Fest steht, dass gut 80 Prozent der Jugendlichen, die am 8. März die Pariser Demo angriffen, offensichtlich afrikanischer Herkunft sind. Daraus aber Schlussfolgerungen im Sinne einer "ethnischen" Einteilung zu ziehen, wäre abstrus und verkehrt ­ schon allein deswegen, weil am selben Tag eine größere Zahl "schwarzer" Jugendlicher auf der anderen Seite stand, unter den Demonstranten.  

Jacqueline Petiteau, eine langjährige Lehrergewerkschafterin, meint: "In den letzten Jahren haben wir eine größere Zahl vollkommen verstörter oder psychischer geschädigter Jugendliche in unserer Banlieue-Klassen ankommen sehen. Es handelt sich oftmals um Kinder und Jugendliche, die Zeugen von Grausamkeiten in afrikanischen Bürgerkriegen geworden oder, in Extremfällen, gar als ’KindersoldatenŒ teilgenommen haben und später von ihren Familien geholt wurden. Solche total verstörten und oft aggressiven Jugendlichen können dann mitunter die tough auftretenden Bandenchefs spielen, wenn sie eine gewisse Zahl von anderen jungen Leuten um sich scharen können." Aufgrund des erhöhten Schulversagens in manchen armen oder migrantischen Familien und der Zerrüttung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in manchen der anonymen Hochhaussiedlungen fänden sie mitunter ihr Publikum.  

Eine weitere Ursache sieht eine andere Pädagogin, Françoise P.: "In vielen afrikanischen Herkunftsländern der Familien werden die Kinder anders erzogen als hierzulande: Erziehung ist eine kollektive Angelegenheiten aller Erwachsenen in einem Dorf oder einer Siedlung, nicht nur leiblichen Eltern. So sind es manche Eltern gewohnt, ihren Nachwuchs der Erziehung durch die Gesellschaft anheim zu geben. Aber in der Emigration, in Frankreich funktionieren solche Sozialisierungsmechanismen nicht mehr, während die Familien selbst durch Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung an sozialer Desintegration leiden. So übernehmen die Banden von Gleichaltrigen die Sozialisierung derer, die anderswo gescheitert sind." Es ist ein anderer Desintegrationsprozess als in Familien arabischer oder maghrebinischer Familien, wo er eher aus der Krise einer traditionellen patriarchalischen Familie resultiert.  

Wie auch immer man die Ursachen bewertet, die Gewalterfahrung hat manche Schüler aus Paris und dem Umland von weiteren kollektiven Aktionen abgeschreckt. Zwar reagierten manche wie Florian: "Ich habe mich grundlos verprügeln lassen, aber ich sage mir, dass ich jetzt erst recht zur nächsten Demo gehe ­ sonst würde ich ja denen, die dafür verantwortlich sind, das Terrain überlassen." Doch sehr viele andere reagierten eher damit, dass sie auf den Vollversammlungen in den Schulen für "andere Aktionsformen innerhalb unserer Schulgebäude" plädierten. Anfänglich wurde deswegen weithin befürchtet, dass die Protestbewegung damit alsbald im Sand verlaufe. Mit den Besetzungen hat sie nun doch noch einmal neuen Schwung bekommen.  

ANMERKUNG 2: Alain Finkielkraut, Kurzportrait eines (neo-)reaktionären Dumpfbeutels  

Alain Finkielkraut ist einer jener französischen "Neuen Philosophen", die in den später 70er und frühen 80er Jahren mit dem Marxismus und der Linken brachen. Wie andere seiner Generation, war Finkielkraut einige Jahre davor vom Maoismus fasziniert gewesen, dessen besonders lautstarke Anhänger schon damals nicht gerade zu den klügeren Köpfen innerhalb der radikalen Linken zählt. Gemeinsam mit André Glucksmann und anderen ging Finkielkraut deswegen vor rund 25 Jahren dazu über, seiner früheren "totalitären Versuchung" abzuschwören ­ und mit ihr gleich allen Ideen einer sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft oder radikalen Kritik am Kapitalismus. Darin scheint seither eines seiner hauptsächlichen Lebensziele zu bestehen.  

In Frankreich ist Finkielkraut heute mit seinen Weisheiten auf mehreren Fernsehkanälen bis zum Überdruss präsent. Gleichzeitig hat der derzeitige Kabinettschef Jean-Pierre Raffarin ­ einer der dümmsten und provinziellsten Premierminister, die Frankreich je hatte ­ Finkielkraut im März 2004 explizit als einen seiner Lieblingsphilosophen bezeichnet, als einen jener "freien Leute, die nicht ständig dagegen sein müssen". Finkielkraut erklärte, er "weise das Lob nicht zurück" und sei "weder für noch gegen die Regierung" (Le Monde vom 14. März 04), dinierte aber schon mal mit Raffarin an seinem Amtssitz. Witzig ist, dass der ständig in den Medien präsente Finkielkraut sich zugleich gern auf wehleidige und jammervolle Weise darüber beklagt, er sei ein ausgegrenzter und kein Gehör findender Intellektueller.  

Finkielkraut selbst erlebt sich gern als larmoyanter, unverstandener "Mahner", den man (vor allem die Linken und Linksliberalen) angeblich nicht zu Wort kommen lasse. Dabei stellt er regelmäßig unter Beweis, dass er sich bevorzugt aufs nuancenlose Verallgemeinern versteht, wenn er etwa "sämtliche Lehrer" ungefragt auf seine Seite zitiert oder "die Journalisten" anprangert. Im Februar 05 hat der Ex-Chefredakteur der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde, Edwy Plenel, Finkielkraut deswegen in der von letzterem moderierten Fernsehsendung erfolgreich den Spiegel vorgehalten (vgl. den Text einer Medienkritik-Initiative dazu: http://www.acrimed.org/article1941.html).  

Besonders kritikwürdig ist Finkielkrauts (von "Antideutschen" wie bspw. dem Ideologen Matthias Küntzel oft zitierte und gern übernommene) Aussage, wonach der Antisemitismus der extremen Rechten heutzutage ungefährlich sei und lediglich einen folkloristischen Restbestand darstelle - dagegen der linke Antirassismus, der Israels Palästinenserpolitik gegenüber feindlich eingestellt sei, eine monströse Gefahr darstelle. Das sagt Finkielkraut in einem Land, wo der mutmaßliche zukünftige Parteichef des Front National (FN) ­ immerhin noch eine Zehn-Prozent-Partei, obwohl ihr Einfluss in jüngster Zeit erheblich zurückging ­, Bruno Gollnisch, soeben wegen kaum verhüllter Holocaust-Leugnung aus dem Hochschuldienst entfernt werden musste.  

Aber in Wirklichkeit resultiert diese Aussage nicht aus einer Analyse der Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit der extremen Rechten, die Finkielkraut etwa getätigt hätte. Vielmehr entspringt sie seiner allgemeinen (und vorwiegend aus seiner Biographie resultierenden) Auffassung, wonach die eigentliche Bedrohung von den bösen Linken komme und nicht von der extremen Rechten, die er deswegen zum folkloristischen Beiwerk herabstuft. Anlässlich der riesigen Spontandemonstrationen gegen den Einzug von Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl um die Präsidentschaft, im April 2002, fiel Finkielkraut nichts Besseres ein als eine Warnung vor einem "kommunistisch inspirierten Antifaschismus". Dessen Masche bestehe darin, "die Politik in Gut (das Lager des Fortschritts) und Böse (den Faschismus)" zu unterteilen. Es handele sich bei der Empörung um die 17 Prozent für Le Pen um "demagogischen Alarmismus, wo es keine Gefahr gibt".  

Ein universalistischer Denker ist Alain Finkielkraut mitnichten. Im Januar 2005 gab Finkielkraut der österreichischen Tageszeitung Die Presse zu Protokoll: "Man sieht es an der Diskussion um einen Beitritt der Türkei: Wenn sich Europa um seine Vergangenheit bekümmern, wenn es sich in eine Geschichte einschreiben würde, dann würde sich diese Frage gar nicht stellen. Europa wendet sich von seiner Geschichte ab, um das Europa der Menschenrechte zu werden." Diesem im buchstäblichen Sinne "alteuropäischen", reaktionären Geschwafel wäre ein nicht differenzialistischer, sondern universalistischer Antirassismus entgegen zu halten.

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Text am 14.4.2005 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung zur Verfügung.