Alle reden von Paul Wolfowitz aber wer kennt
Pascal Lamy?
Dieser, der US-amerikanische Chefideologe des
Irakkriegs, wurde am vorigen
Mittwoch zum Präsidenten der Weltbank bestellt. Jener ist Kandidat
für den
Posten des Generaldirektors der Welthandelsorganisation (WTO).
Unbestreitbar
stellt die Personalwahl des Weißen Hauses für die Spitze der
Weltbank ein
Politikum ersten Ranges dar - auch wenn die deutsche Bush-Linke tobt
und
geifert, wenn das auch nur erwähnt oder gar kritisiert wird (vgl.
dazu
ausführlicher: ANMERKUNG 1). Doch noch bedeutend mehr Einfluss auf
die
Staatenwelt würde Pascal Lamy haben. Wenn er denn gewählt wird.
Ob das klappt, muss sich im kommenden Monat
entscheiden. Gute Chancen dürfte
der französische "Sozialist" jedoch haben. Er hat die offizielle
Unterstützung der Europäischen Union, und das Pariser Wochenmagazin
'L¹Express' fragt ihn schon mal, ob er "der Kandidat des Nordens"
sei, was
er freilich dementiert. Ihm gegenüber stehen drei andere Kandidaten,
davon
zwei aus Lateinamerika Brasilien und Uruguay -, ein dritter von
der Insel
Mauritius. In den letzten Wochen warb Lamy bereits in Kairo und
Dakar um
Unterstützung, wo die Wirtschaftsbeziehungen zur EU von hoher
Bedeutung
sind.
Von 1999 bis 2004 war Lamy
Außenhandelskommissar der EU. Er gilt eher als
kühler Technokrat, versteht sich jedoch auch aufs Einschleimen.
Anlässlich
der Demonstrationen gegen den EU-Gipfel in Nizza 2000 versicherte er
treuherzig, er hätte gern "an beiden Veranstaltungen teilgenommen",
dem
Gegengipfel der Kritiker und der offiziellen Tagung, wenn sein
Terminkalender es denn zugelassen hätte. Denn bei beiden suche man
"nach
einem Gewicht in der Welt", um eine Alternative zur US-Politik
aufzubauen -
auch wenn die Gegengipfler eine ziemlich andere Auffassung von der
Rolle der
EU hatten. Wie segensreich etwa die von Lamy geführte
EU-Außenhandelspolitik
wirkte, lässt sich anschaulich in dem Film "Darwins Albtraum" -
derzeit ein
Kassenschlager in Frankreich - bewundern, wo man ihre Vertreter im
ostafrikanischen Tanzania am Werk sieht. Dort werden Fischfilets
nach Europa
exportiert, die Afrikaner essen die Fischabfälle, die bereits von
Maden
wimmeln.
Bolkestein-Richtlinie? Lächerlich: Wir haben
noch Besseres im Gepäck...
Ein Gesprächsthema für den EU-Kommissar Lamy
und seine Untergebenen, im
Rahmen der WTO und ihres noch anhaltenden Verhandlungszyklus über
die
Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs, bildete auch die
Beschäftigung
von Arbeitsmigranten. Auf der Grundlage des so genannten
GATS-Abkommens
diskutierte die EU dort etwa über das "Liberalisierungsangebot",
Staatsbürger außereuropäischer Länder mit kurzfristigen
Arbeitsverträgen
etwa für die Dauer von sechs Monaten zu arbeits- und
sozialrechtlichen
Bedingungen ihrer Herkunftsländer zu beschäftigen. Man stritt vor
dem
Hintergrund der Bolkestein-Richtlinie über Sozialdumping? Hier will
man
dasselbe im Weltmaßstab einführen. Die einschlägigen Verhandlungen
dauern
voraussichtlich noch bis 2006 an.
Unter Elefanten
In einem Interview vom vorigen Freitag im
Figaro, wo Lamy die renitenten
Franzosen zur Annahme des EU-Verfassungsauftrags aufruft, blickt der
Mann
zurück: "Als ich EU-Kommissar war, verbrachte ich die Hälfte meiner
Zeit
außerhalb Europas. Ich weiß, was für Hoffnungen der Aufbau Europas
in
Lateinamerika, Afrika und sogar in Asien weckt: Eine Welt, in der
nicht nur
Amerikaner, Chinesen und Inder ein Gewicht haben". In einer
globalisierten
"Welt von Elefanten", so Lamy, sei "Europa" von Nöten. Frei nach dem
Motto:
Wir basteln uns eine Großmacht.
Seine Elefanten-Metapher hatte Pascal Lamy
bereits 2001 schon einmal
verwendet, im Interview mit L¹Express. Damals äußerte er sich
kritisch zur
nordamerikanischen Freihandelszone, die "ein ungleiches Spiel"
darstelle:
"Auf der einen Seite ein Elefant, die USA, und auf der anderen Seite
zwei
wesentlich kleinere Tiere: Kanada und Mexiko." Das stimmt natürlich,
gilt
aber insbesondere auch für die Wirtschaftsbeziehungen der EU. In
diesem
Licht sind Lamys schöne Worte in einem weiteren Interview vom
Februar
auszulegen: "Bei der WTO gibt es 148 Mitgliedsländer. (...) Alle
Länder sind
gleichberechtigt, aber einige sind gleicher als die anderen."
ANMERKUNG 1:
Den mit Abstand (unfreiwillig) witzigsten und schrägsten Kommentar
zur
Ernennung von Paul Wolfowitz zum Weltbankpräsidenten und der
begleitenden
öffentlichen Debatte lieferte ein Protagonist namens Jörg Rensmann.
Er
meldete sich auf der Homepage von "honestly concerned" zu Wort. Es
handelt
sich dabei um ein dem militanten pro-israelischen Diskurs (sowohl
antideutscher als auch christlich-bibeltreuer Provenienz)
verpflichtetes
Medium, das eine Homepage sowie eine Mailingliste unterhält. Dort
wird
unverhohlen die rechtsextreme Siedlerbewegung unterstützt (aus den
weit
vorgeschobenen Siedlungen im Gazastreifen sollen arme "Menschen aus
ihren
Häusern vertrieben werden", völlig grundlos natürlich). Israelische
Linke
werden schon mal, mit einem wahrlich "sehr deutschen" Begriff,
wörtlich als
"Nestbeschmutzer" bezeichnet (Ausgabe vom 20. Oktober 04). Auch
unser
Lieblingspropagandist Thomas von der Osten-Sacken hinterlässt in
diesem
Medium des öfteren seine Spuren.
Bei "honestly concerned" also kommentiert Jörg
Rensmann aus Berlin die
ausgesprochen harmlose Kritik an Wolfowitz, dem Chefideologen des
Irakkriegs, der in einem Beitrag aus der "Frankfurter Rundschau" aus
der
Feder eines langweiligen halbsozialdemokratischen Friedensforschers
geübt
wurde. Dazu schreibt Jörg Rensmann im Originalton: Der "Vorgang ist
in
gewisser Weise einmalig" (nichts weniger als das!). "Da unternimmt
es ein
deutscher Friedens- und Konfliktforscher, seinen Hass gegen Paul
Wolfowitz
wissenschaftlich zu rationalisieren, um seinen Antiamerikanismus im
Bündnis
mit (der Heinrich-Böll-Stiftung und) einer linksliberalen
Tageszeitung unter
das geneigte Publikum zu bringen". Das ist schwer verwerflich und
darf
natürlich nicht Kritik an einer bestimmten Politik, sondern nur
Antiamerikanismus genannt werden. Und weiter: "Dass ausgerechnet
(Anm.: man
beachte das Wörtchen <ausgerechnet>) ein ehemaliger
Viveverteidigungsminister aus einer US-Administration herausgepickt
wird, um
an ihm ein persönliches Exempel zu statuieren (sic!), ist schon mehr
als
ungewöhnlich und sollte umgehend die Frage nach den Motiven des
deutschen
Pazifisten aufwerfen." Jörg Rensmann kann die Frage natürlich
beantworten,
denn das Motiv liege darin, dass man Wolfowitz vorwerfe, "vom
antifaschistischen Krieg gegen Nazi-Deutschland besonders geprägt zu
sein."
Wirklich, selten so gelacht! Einen frisch
ernannten Kandidaten für die
Führung einer nicht gänzlich einflusslosen internationalen
Institution, die
noch dazu viel Elend auf der Welt zu verantworten hat, politisch zu
kritisieren - das bedeutet, ihn völlig willkürlich und
unverständlicher
Weise "heraus zu picken". Danach wird der arme Mann zum Opfer eines
Pogroms,
und es wird an ihm "ein persönliches Exempel statuiert". Mit anderen
Worten:
Er wird also gelyncht. Haha hihi hoho... So weit ist es mit der
Wahrnehmungsfähigkeit unserer sehr sehr deutschen Bush-Linken also
gekommen.
Editorische
Anmerkungen
Der Autor stellte uns seinen Text
am 6.4. 2005 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung zur Verfügung.
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