Die Qualle des Monats
Pascal Lamy, Kandidat der Europäischen Union für die Leitung der Welthandelsorganisation (WTO)

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on Bernhard Schmid (Paris)
04/05

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onlinezeitung

Alle reden von Paul Wolfowitz ­ aber wer kennt Pascal Lamy?  

Dieser, der US-amerikanische Chefideologe des Irakkriegs, wurde am vorigen Mittwoch zum Präsidenten der Weltbank bestellt. Jener ist Kandidat für den Posten des Generaldirektors der Welthandelsorganisation (WTO). Unbestreitbar stellt die Personalwahl des Weißen Hauses für die Spitze der Weltbank ein Politikum ersten Ranges dar - auch wenn die deutsche Bush-Linke tobt und geifert, wenn das auch nur erwähnt oder gar kritisiert wird (vgl. dazu ausführlicher: ANMERKUNG 1). Doch noch bedeutend mehr Einfluss auf die Staatenwelt würde Pascal Lamy haben. Wenn er denn gewählt wird.  

Ob das klappt, muss sich im kommenden Monat entscheiden. Gute Chancen dürfte der französische "Sozialist" jedoch haben. Er hat die offizielle Unterstützung der Europäischen Union, und das Pariser Wochenmagazin 'L¹Express' fragt ihn schon mal, ob er "der Kandidat des Nordens" sei, was er freilich dementiert. Ihm gegenüber stehen drei andere Kandidaten, davon zwei aus Lateinamerika ­ Brasilien und Uruguay -, ein dritter von der Insel Mauritius. In den letzten Wochen warb Lamy bereits in Kairo und Dakar um Unterstützung, wo die Wirtschaftsbeziehungen zur EU von hoher Bedeutung sind.  

Von 1999 bis 2004 war Lamy Außenhandelskommissar der EU. Er gilt eher als kühler Technokrat, versteht sich jedoch auch aufs Einschleimen. Anlässlich der Demonstrationen gegen den EU-Gipfel in Nizza 2000 versicherte er treuherzig, er hätte gern "an beiden Veranstaltungen teilgenommen", dem Gegengipfel der Kritiker und der offiziellen Tagung, wenn sein Terminkalender es denn zugelassen hätte. Denn bei beiden suche man "nach einem Gewicht in der Welt", um eine Alternative zur US-Politik aufzubauen - auch wenn die Gegengipfler eine ziemlich andere Auffassung von der Rolle der EU hatten. Wie segensreich etwa die von Lamy geführte EU-Außenhandelspolitik wirkte, lässt sich anschaulich in dem Film "Darwins Albtraum" - derzeit ein Kassenschlager in Frankreich - bewundern, wo man ihre Vertreter im ostafrikanischen Tanzania am Werk sieht. Dort werden Fischfilets nach Europa exportiert, die Afrikaner essen die Fischabfälle, die bereits von Maden wimmeln.  

Bolkestein-Richtlinie? Lächerlich: Wir haben noch Besseres im Gepäck...  

Ein Gesprächsthema für den EU-Kommissar Lamy und seine Untergebenen, im Rahmen der WTO und ihres noch anhaltenden Verhandlungszyklus über die Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs, bildete auch die Beschäftigung von Arbeitsmigranten. Auf der Grundlage des so genannten GATS-Abkommens diskutierte die EU dort etwa über das "Liberalisierungsangebot", Staatsbürger außereuropäischer Länder mit kurzfristigen Arbeitsverträgen ­ etwa für die Dauer von sechs Monaten ­ zu arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen ihrer Herkunftsländer zu beschäftigen. Man stritt vor dem Hintergrund der Bolkestein-Richtlinie über Sozialdumping? Hier will man dasselbe im Weltmaßstab einführen. Die einschlägigen Verhandlungen dauern voraussichtlich noch bis 2006 an.  

Unter Elefanten  

In einem Interview vom vorigen Freitag im Figaro, wo Lamy die renitenten Franzosen zur Annahme des EU-Verfassungsauftrags aufruft, blickt der Mann zurück: "Als ich EU-Kommissar war, verbrachte ich die Hälfte meiner Zeit außerhalb Europas. Ich weiß, was für Hoffnungen der Aufbau Europas in Lateinamerika, Afrika und sogar in Asien weckt: Eine Welt, in der nicht nur Amerikaner, Chinesen und Inder ein Gewicht haben". In einer globalisierten "Welt von Elefanten", so Lamy, sei "Europa" von Nöten. Frei nach dem Motto: Wir basteln uns eine Großmacht.  

Seine Elefanten-Metapher hatte Pascal Lamy bereits 2001 schon einmal verwendet, im Interview mit L¹Express. Damals äußerte er sich kritisch zur nordamerikanischen Freihandelszone, die "ein ungleiches Spiel" darstelle: "Auf der einen Seite ein Elefant, die USA, und auf der anderen Seite zwei wesentlich kleinere Tiere: Kanada und Mexiko." Das stimmt natürlich, gilt aber insbesondere auch für die Wirtschaftsbeziehungen der EU. In diesem Licht sind Lamys schöne Worte in einem weiteren Interview vom Februar auszulegen: "Bei der WTO gibt es 148 Mitgliedsländer. (...) Alle Länder sind gleichberechtigt, aber einige sind gleicher als die anderen."  

ANMERKUNG 1: Den mit Abstand (unfreiwillig) witzigsten und schrägsten Kommentar zur Ernennung von Paul Wolfowitz zum Weltbankpräsidenten und der begleitenden öffentlichen Debatte lieferte ein Protagonist namens Jörg Rensmann. Er meldete sich auf der Homepage von "honestly concerned" zu Wort. Es handelt sich dabei um ein dem militanten pro-israelischen Diskurs (sowohl antideutscher als auch christlich-bibeltreuer Provenienz) verpflichtetes Medium, das eine Homepage sowie eine Mailingliste unterhält. Dort wird unverhohlen die rechtsextreme Siedlerbewegung unterstützt (aus den weit vorgeschobenen Siedlungen im Gazastreifen sollen arme "Menschen aus ihren Häusern vertrieben werden", völlig grundlos natürlich). Israelische Linke werden schon mal, mit einem wahrlich "sehr deutschen" Begriff, wörtlich als "Nestbeschmutzer" bezeichnet (Ausgabe vom 20. Oktober 04). Auch unser Lieblingspropagandist Thomas von der Osten-Sacken hinterlässt in diesem Medium des öfteren seine Spuren.  

Bei "honestly concerned" also kommentiert Jörg Rensmann aus Berlin die ausgesprochen harmlose Kritik an Wolfowitz, dem Chefideologen des Irakkriegs, der in einem Beitrag aus der "Frankfurter Rundschau" aus der Feder eines langweiligen halbsozialdemokratischen Friedensforschers geübt wurde. Dazu schreibt Jörg Rensmann im Originalton: Der "Vorgang ist in gewisser Weise einmalig" (nichts weniger als das!). "Da unternimmt es ein deutscher Friedens- und Konfliktforscher, seinen Hass gegen Paul Wolfowitz wissenschaftlich zu rationalisieren, um seinen Antiamerikanismus im Bündnis mit (der Heinrich-Böll-Stiftung und) einer linksliberalen Tageszeitung unter das geneigte Publikum zu bringen". Das ist schwer verwerflich und darf natürlich nicht Kritik an einer bestimmten Politik, sondern nur Antiamerikanismus genannt werden. Und weiter: "Dass ausgerechnet (Anm.: man beachte das Wörtchen <ausgerechnet>) ein ehemaliger Viveverteidigungsminister aus einer US-Administration herausgepickt wird, um an ihm ein persönliches Exempel zu statuieren (sic!), ist schon mehr als ungewöhnlich und sollte umgehend die Frage nach den Motiven des deutschen Pazifisten aufwerfen." Jörg Rensmann kann die Frage natürlich beantworten, denn das Motiv liege darin, dass man Wolfowitz vorwerfe, "vom antifaschistischen Krieg gegen Nazi-Deutschland besonders geprägt zu sein."  

Wirklich, selten so gelacht! Einen frisch ernannten Kandidaten für die Führung einer nicht gänzlich einflusslosen internationalen Institution, die noch dazu viel Elend auf der Welt zu verantworten hat, politisch zu kritisieren - das bedeutet, ihn völlig willkürlich und unverständlicher Weise "heraus zu picken". Danach wird der arme Mann zum Opfer eines Pogroms, und es wird an ihm "ein persönliches Exempel statuiert". Mit anderen Worten: Er wird also gelyncht. Haha hihi hoho... So weit ist es mit der Wahrnehmungsfähigkeit unserer sehr sehr deutschen Bush-Linken also gekommen.  

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Text am 6.4. 2005 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung zur Verfügung.