Kosova/Kosovo
Alarmbereitschaft und hektische Diplomatie

von Max Brym
04/05

trend onlinezeitung
Der „Präsident“ Kosovas, Ibrahim Rugova, ist am Dienstag Morgen den 15.03.05 knapp einem Anschlag entkommen. Ein Sprengsatz explodierte, als der Präsidentenkonvoi gerade die Straße „Agim Ramadami“ im Zentrum der Hauptstadt Prishtinas passierte. Das Auto Rugovas wurde schwer beschädigt, er selbst ist aber unverletzt dem Anschlag entkommen.

Einige Passanten wurden leicht verletzt und viele Fensterscheiben gingen zu Bruch. Die Bombe wurde ferngezündet. Der Zwischenfall ereignete sich in der Nähe eines Regierungsgebäudes. Rugova befand sich auf dem Weg zu einem Treffen mit dem EU Außenbeauftragten Solana. Das Gespräch mit Solana fand nach dem Anschlag statt. Alle großen Parteien in Kosova haben das Attentat verurteilt. Auch die oppositionelle PDK und die „Bürgerbewegung ORA“. Jedoch wird in Kosova wild spekuliert, wer hinter dem Anschlag steckt. Die Meinungen reichen von „Aktion des serbischen Geheimdienstes“, bis hin zu der Annahme, es handle sich um eine „Racheaktion“ in Sachen Ramush Haradinaj. 

Kosova in einer entscheidenden Phase 

Selten waren die Spannungen zwischen der UNMIK und der albanischen Bevölkerung so stark wie heute. Die UNMIK wird für das immer stärker werdende soziale Desaster und die ungelöste Statusfrage verantwortlich gemacht. Gleichzeitig verschärft sich der Interessensgegensatz zwischen den imperialen Mächten um die Frage, wie die Zukunft Kosovas auszusehen hat. Es gibt mehrere Haltungen zu diesem Punkt. Serbien, unterstützt von Rußland sowie von einigen anderen Staaten, betrachtet immer noch Kosova „als Bestandteil Serbiens“. Vor einigen Wochen betonte dies in provokanter Form der serbische Präsident Tadic mehrfach. Er weilte zu einem „Besuch“ in Kosova. Dieser „Besuch“ Anfang Februar versetzte die NATO-Soldaten in immer längere Phasen der Alarmbereitschaft. Die Haltung Deutschlands und Frankreichs läuft auf ein EU-Protektorat Kosova hinaus, denn die UNMIK wird für „unproduktiv“ gehalten. In der bundesdeutschen Presse findet sich immer häufiger die Formulierung: „Die südserbische Provinz Kosovo“. Damit ist die bürgerliche Presse Deutschlands hinter die Bezeichnung der Region im alten Jugoslawien Titos zurückgefallen. Bis 1989 war Kosova eine autonome Provinz und wurde auch so genannt. Dies heißt aber nicht, dass die bundesdeutsche Politik Kosova wieder zu Serbien schlagen will, vielmehr geht es der deutschen politischen Kaste um eine „Autonomie unter EU-Protektorat“. Dazu erklärte der ehemalige Leiter der UNMIK-Verwaltung Tom Koenigs: „Der Schlüssel liegt wenn überhaupt bei der EU. Das Problem läßt sich nur im regionalen Konzert lösen und in Richtung auf eine EU-Perspektive des Kosovo.“ In dem Gespräch mit der „Frankfurter Rundschau“ lehnte Koenigs eine Unabhängigkeit Kosovas entschieden ab. Koenigs sagte in dem Interview: „Das Ergebnis kann nicht Unabhängigkeit heißen“. Koenigs hat schlicht Befürchtungen, dass ein souveränes Kosova „eine Quelle internationalen Unbehagens ist“. Anläßlich seines Besuches in Kosova erklärte Verteidigungsminister Struck gegenüber der „Deutschen Welle“: „Ich bevorzuge eine hohe Form der Autonomie Kosovos“. Das soll auch nach Struck, „durch die EU garantiert werden“. Präsident Rugova erklärte dazu: „Wir werden uns verstärkt um die Unterstützung der USA bemühen um die Unabhängigkeit zu erreichen“. In der Tat, in der albanischen Presse kommen laufend US-Senatoren zu Wort, die sich für die Unabhängigkeit Kosovas aussprechen. Offensichtlich ist die USA an Turbulenzen innerhalb der EU interessiert und unterstützt aus Gründen imperialer Konkurrenz in bestimmten Maß die Unabhängigkeit Kosovas. In diesem Durcheinander sollen ab Mitte Juli offizielle Verhandlungen über den Status des Gebietes stattfinden. Um die serbische Seite an den Verhandlungstisch zu locken, wurde gegen Ramush Haradinaj Anklage durch das Tribunal in Den Haag erhoben. Am Mittwoch den 9. März stellte sich der gewesene kosovarische Ministerpräsident Haradinaj freiwillig mit zwei Gefährten dem Tribunal in den Haag. Die Beweislage des Tribunals ist mehr als dürftig. Der bereits laufende Prozess gegen Fatmir Limaj und Genossen scheint für die Anklage ein Debakel zu werden. Demzufolge berichtet die bundesdeutsche Presse nichts über das Verfahren gegen Limaj und andere. Es fällt der Anklage schwer, Zeugen zu benennen und in Kosova wurden Fälle bekannt, nach denen potentiellen Belastungszeugen Geldsummen bis zu einer Million Dollar und eine neue Identität angeboten wurden. Der Vorsitzende der „Demokratischen Partei der Askahli Kosovas“, Sabit Rrahmani, stellte sich der Verteidigung von Haradinaj zu Verfügung, „um Haradinajs Unschuld zu beweisen“. In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 13.3.05 schrieb ein ehemaliger deutscher Berufsdiplomat unter dem Titel, „Wer ist Ramush Haradinaj“, einen gehässigen Artikel. Der Herr auf den sich auch die „Junge Welt“ beruft, konnte aber nur berichten, dass ihm im Jahr 1998 Haradinaj „das Leben gerettet hat“. Zudem berichtet er von „einem freundlichen Menschen mit natürlicher Autorität“. Der TAZ „Balkan Experte“ „Rathfelder“, nannte Haradinaj einen „bösartigen Kriegsverbrecher“. Die bundesdeutsche Presse von „Welt“ bis „Junge Welt“ ist sich einig in der Verurteilung Haradinajs. Dennoch kommen die bürgerlichen Zeitungen nicht umhin, von der Erregung in Kosova, wegen der Anklage gegen Haradinaj zu berichten. Eines ist, ohne den Prozess vorwegnehmen zu wollen klar, das Tribunal ist keine „antiserbische Einrichtung“, wie bestimmte Kreise nicht müde werden zu betonen. Faktisch die gesamte ehemalige bosnische Militärführung befindet sich in Den Haag, zudem gibt es nicht nur die Klage des Tribunals gegen Haradinaj und Limaj, nein, in Kosova sind die Gefängnisse voll mit ehemaligen UCK-Kommandanten. In Wahrheit ist das Tribunal ein politisches Instrument bestimmter westlicher Staaten um die Rolle des hegemonialen Schiedsrichters auf dem Balkan abzusichern. 

Nach dem Anschlag auf Rugova und dem Fall Haradinaj 

In Kosova wurde am 8. März 05 die Alarmbereitschaft für 19.000 NATO- Soldaten offiziell verkündet. Die Bundeswehr erhöhte ihr Kontingent um 600 Mann. Allerdings ist es unmittelbar nach dem freiwilligen Rücktritt von Haradinaj relativ ruhig geblieben. Am 8. März demonstrierte der Studentenverband in Prishtina für Haradinaj und gegen die UNMIK. Auch an anderen Orten gab es friedliche Demonstrationen. Alle Parteien sprachen sich für legale Protestformen aus. Es wäre auch in der Tat eine Dummheit, in der jetzigen Situation bewaffnete Aktionen zu unternehmen, mit denen die NATO rechnete und die der serbische Staat erhofft. Die Handgranate gegen das UNMIK-Gebäude in Prishtina am 14.3.05 und die Handgranate auf einen UNMIK-Stützpunkt in Gijane sind wahrscheinlich das Produkt individueller Verzweiflung. Der Anschlag gegen den Konvoi von Rugova ist mit ziemlicher Sicherheit das Werk eines Geheimdienstes. 

Kosumi ist neuer „Ministerpräsident“ 

Am 23. März 05 wurde Bajram Kosumi vom kosovarischen Parlament zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Die alte Koalition von LDK und AAK wird damit fortgesetzt. Die UNMIK hatte sich eher eine große Koalition unter Einbeziehung der PDK und der ORA gewünscht. Denn die internationale Diplomatie befürchtet Widerstand während der Statusverhandlungen, wenn die Albaner nicht als Block auftreten und die alte Rivalität zwischen Hashim Thaci (PDK-Vorsitzender) und Ibrahim Rugova offen fortbesteht. Wie tief die Lager gespalten sind, belegt die Parlamentsdebatte vor der Wahl Kosumis zum Ministerpräsidenten. Bajram Kosumi von der AAK erläuterte seine Regierungsschwerpunkte, er erklärte: „Priorität haben für mich die Erfüllung der internationalen Standards, die Entwicklung der Ökonomie sowie die Lösung der Statusfrage“. Thaci erklärte hingegen: „Diese Regierung, die jetzt fortgesetzt werden soll, hat nichts erreicht oder geht man etwa davon aus, dass in der geteilten Stadt Mitrovica Bewegungsfreiheit herrscht“. Den Höhepunkt der Auseinandersetzung erreichte die Parlamentsdebatte mit dem Auftritt von Jakup Krasniqi (Fraktionsvorsitzender der PDK), Krasniqi sagte: „Diese Regierung wird der organisierten Kriminalität, die mordet, droht und die Wirtschaft ausplündert, nichts entgegensetzen". Damit sprach Krasniqi wesentliche Probleme Kosovas an. In Kosova gibt es nur sehr bedingt eine zivile Ökonomie, nach Schätzungen sind fast 80% der Bevölkerung ohne Arbeit. Dazu gibt es eine Preislage, die mit der Preislage in Deutschland vergleichbar ist. Ein Arbeiter verdient maximal 200 Euro im Monat und ein Rentner erhält höchstens 35 Euro. Daneben gibt es eine exklusiv lebende UNMIK-Verwaltungsbürokratie und eine Schicht neureicher Albaner. Serbische Bedienstete erhalten im Staatsdienst in Kosova zusätzlich zu ihrem UNMIK Gehalt Geld aus Serbien, was als privilegierend empfunden wird. Viele Bewohner Kosovas machen für ihr schlechtes Leben immer noch die fehlende Unabhängigkeit verantwortlich. Es scheint ausgeschlossen zu sein, dass sich ohne Lösung der Statusfrage eine wirkliche demokratische Parteienlandschaft sowie die Rekonstruktion der Arbeiterbewegung gelingen könnte

Quellen: Koha Ditore 21.03.05- 22.03.05-24.03.05 Epoka E Re 24.03.05  

Erläuterungen

AAK= Allianz für die Zukunft Kosovas
LDK= Demokratische Liga Kosovas
PDK= Demokratische Partei Kosovas
ORA= Bürgerbewegung „Die Stunde“

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 25.03.2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.