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Nr. 04-04
Notausgabe
3. April 2004

9. Jahrgang online

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Frankreich / Ruanda:
Erinnerung an einen Genozid im späten 20. Jahrhundert - Auch eine Form des Geschichtsrevisionismus

von Bernhard Schmid, Paris

Eine solche Kopfwäsche kommt im diplomatischen Umgang zwischen Staaten wohl selten vor: Unter den Ländern, die angesichts des begonnenen Genozids in seinem Land "nicht gehandelt" hätten, sei eines, das er explizit erwähnen möchte und das "bis heute verweigert, um Entschuldigung zu bitten". Gemeint war Frankreich. Und, fuhr Ruandas Staatspräsident Paul Kagamé in seiner Rede aus Anlass des zehnten Jahrestags jenes 7. April 1994, an dem der 100 Tage währende Genozid begann, fort: "Sie (die Franzosen) haben die Soldaten und die Milizionäre trainiert und bewaffnet, die den Genozid verüben würden, und sie wussten, dass sie den Genozid verüben würden."

Mit Blick auf die Opération Turquoise (Operation Türkis), die Frankreichs Armee im Juni 1994 im Südwesten Ruandas durchführte, fügte er hinzu: "Die Franzosen haben bewusst die Mörder gerettet, ohne die Opfer zu schützen." Zu guter letzt merkte er an: "Sie besitzen die Kühnheit, hier zu bleiben, ohne sich zu entschuldigen!" In kaltem Zorn packte die Delegation, die vom französischen Staatssekretär im Außenministerium Renaud Muselier - der sich vor kurzem, ohne Glück, um die Regionalpräsidentschaft in Marseille beworben hatte - geleitet wurde, ihre Koffer und reiste umgehend ab.

In Paris verwahrte sich das Außenministerium in einem Kommuniqué gegen die "gravierenden und wahrheitswidrigen Anschuldigungen". Und die Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie sprach davon, dass Frankreich glücklicherweise - mit der Opération Turquoise - eingegriffen, und so "einen totalen Genozid verhindert" habe. Es starben ja auch nur durchschnittlich 10.000 Personen pro Tag, und das drei Monate lang. Nach jüngsten Angaben konnten bisher 937.000 Opfer namentlich identifiziert werden, und die Gesamtzahl der Getöten überschreitet wahrscheinlich eine Million. Ruanda hatte damals insgesamt sieben Million Bewohner, davon knapp ein Fünftel Tutsi.

Dabei war die Gedenkveranstaltung in Kigali, anlässlich derer die sterblichen Überreste von neu identifizierten Opfern des Völkermords im Frühjahr 1994 beigesetzt wurde, ansonsten durchaus nicht von rachsüchtigem Tonfall geprägt. Präsident Kagamé nahm das Ersuchen Belgiens, der USA und der Vereinten Nationen - die damals keine Anstalten unternahmen, um die Opfer der massenmordenden Milizen zu retten - um Entschuldigung entgegen und erwähnte diese Länder in seiner Rede. Als einziges westliches Land hatte Belgien, das von 1918 bis 1959/60 in Ruanda Kolonialmacht gewesen war, dessen Einfluss aber im Anschluss schnell durch jenen Frankreichs verdrängt worden war, einen Spitzenpolitiker nach Kigali entsandt: Premierminiser Guy Verhofstadt nahm persönlich an der Veranstaltung teil.

Auch wurden bei der Gedenkfeier im Nationalstadion "Amahoro" (Frieden) erstmals "Gerechte" geehrt, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens bedrohte Tutsi gerettet hatten. Die allermeisten unter ihnen sind selbst Angehörige des Mehrheitsvolkes der Hutu. Das widerlegt - einmal mehr - die nach 1994 in Paris gängigen Behauptungen, die im Anschluss an den Sturz des genozidären Regimes gebildete neue Regierung repräsentiere lediglich "die ethnisch begründete Macht der Tutsi". Tatsächlich hat die Regierung unter Paul Kagamé, die aus der ehemaligen Rebellenarmee der RPF (Ruandische Patriotische Front) hervorgegangen ist, die Erwähnung der "ethnischen Zugehörigkeit" - Tutsi, Hutu oder "Sonstige" - auf den ruandischen Ausweispapieren abgeschafft.

Dieser Passeintrag hatte es seinerzeit den Exekutoren des Genozids ungemein erleichtert, ihre blutige Aufgabe durchzuführen, und etwa an den zahlreichen Straßensperren Menschen nach ihrer "ethnischen Zugehörigkeit" zu selektieren. Paul Kagamé ist übrigens selbst Hutu. Zwar stimmt es, dass die RPF ursprünglich von nach Uganda geflüchteten oder dort aufgewachsenen Tutsi gegründet wurde, nachdem es bereits kurz nach der Unabhängigkeit zu ersten Massakern durch eine Hutu-Regierung mit rassistischem Nationsverständnis gekommen war. Dennoch ist das jetzige Regime, auch wenn es von einer militärisch geprägten Elite dominiert wird, zumindest darum bemüht, die aufgerissenen Gräben zwischen Bevölkerungsgruppen allmählich zuzuschütten.

Auch in Frankreichs Hauptstadt Paris kam es in der zweiten Aprilwoche zu Gedenkveranstaltungen; allerdings waren sie teilweise anders orientiert als im vom Völkermord betroffenen Ruanda. Eine Vereinigung von Überlebenden des Genozids, Ibuka, die in beiden Ländern aktiv ist, hatte eine Kundgebung auf dem "Platz der Menschenrechte" am Pariser Trocadéro - gegenüber dem Eiffelturm - angemeldet. Doch ihr Antrag wurde abgelehnt. Stattdessen durften am Dienstag, 6. April Woche Hutu-Politiker unter Führung von Léon Habyarimana demonstrieren. Es handelt sich um einen der Söhne des früheren ruandischen Präsidenten, unter dessen Führung sich die Ethno-Milizen herausgebildet hatten. Die Ermordung von Staatschef Juvénile Habyarimana am 6. April 1994, wahrscheinlich durch Extremisten aus den eigenen Reihen, hatte den Startschuss zu dem - seit längerem vorgeplanten - Völkermord an den Tutsi gegeben, der am folgenden Morgen anfing.

Zum zehnten Jahrestag des Abschusses des Präsidenten-Flugzeugs durften also die Anhänger und Angehörigen des ehemaligen Chefs des Regimes, in dessen Inneren der Genozid geplant und vorbereitet worden war, auf dem "Platz der Menschenrechte" demonstrieren. Ferner wurden ihnen Räumlichkeiten in der altehrwürdigen Sorbonne, der historisch ältesten Hochschule im Zentrum von Paris, zur Verfügung gestellt. Dort durften sie geschichtsrevionistische Thesen verbreiten, denen zufolge - wenn überhaupt ein Genozid, und nicht ein irgendwie ungeordnetes Töten stattgefunden habe - die Rebellen des RPF wesentlichen Anteil an dessen Auslösung tragen.

Die mehreren hundert Personen, die am folgenden Tag an den Beginn des Genozids am 7. April 1994 erinnern wollten - unter ihnen etwa ein Drittel Ruander, und eine gute Hälfte Franzosen oder andere Immigranten - dagegen mussten fernab demonstrieren. Ihnen wurde eine kurze Route zwischen dem Montparnasse-Bahnhof und dem Platz von Denfert-Rochereau genehmigt, die, wie die Tageszeitung Libération sarkastisch anmerkte, "geschmackvoller Weise an einem Friedhof vorbei führt". Tatsächlich führt ein größerer Teil der kurzen Wegstrecke dem Montparnasse-Friedhof entlang.

Die TeilnehmerInnen ließen violette Luftballons, das ist die in Ruanda verbreitete Trauerfarbe, steigen und hörten mehreren Kundgebungsreden zu. Nacheinander wechselten sich eine damals 16jährige, die 1994 den Genozid überlebte, der französische Intellektuelle André Glucksmann und François-Xavier Verschave - der Sprecher von Survie (Überleben), seit den Achtziger Jahren eine der wichtigsten Afrika-Solidaritätsvereinigungen in Frankreich - am Mikrophon ab. Am frühen Abend führte Survie noch eine weitere Kundgebung im Les Halles-Viertel, im Zentrum von Paris durch, unter dem Motto La France, complice d’un génocide. Sie endete mit einem symbolischen Die-in auf einem Platz mit starkem Publikumsverkehr.

Zusammen mit Partnerorganisationen hat Survie in den letzten Wochen auch mehrere, gut besuchte Informationsveranstaltungen durchgeführt. Dabei wurde etwa erstmals auf französischem Boden der bereits 1995 ausgestrahlte Film der britischen BBC The bloody tricolour (Die blutige Tricolore) gezeigt, der eindeutige Hinweise auf die Mitwisserschaft Frankreichs vor und nach dem Beginn des Genozids enthält. Zwar mag die französisch-britische Rivalität in der Außenpolitik den kritischen Ton des Films und seine Abnahme bei dem öffentlichen Sender begünstigt haben. Dennoch sind es französische Politiker, die durch die BBC interviewt wurden, die sich dort aus freien Stücken von ihrer peinlichsten Seite geben. So das damalige Präsidentensöhnchen Jean-Christophe Mitterrand - ein windiger Geschäftsmann, der von François Mitterrand 1982 zum Leiter der "Zelle für afrikanische Angelegenheiten" befördert worden war und den afrikanische Gesprächspartner Papamadit (Papa-hat-mir-gesagt) tauften.

Auf die Nachfrage, ob der Völkermord Ruandas nächtlich manchmal seinen Schlaf trübe, antwortet Mitterrand junior in dem Film stoisch lächelnd "Nein", um sich dann auf eine diplomatische Antwort - natürlich sei es tragisch, was vorgefallen sei, aber er fühle sich in keinerlei Weise verantwortlich - zu besinnen. Jean-Christophe Mitterrand verband Anfang der Neunziger Jahre eine persönliche Freundschaft mit dem Sohn von Präsident Habyarimana. Auf die Frage nach Frankreichs Verwicklung antwortet er lediglich: Bullshit. Nicht viel besser auf das Publikum wirkt der damalige Gendarmerieoffizier und Präsidentenberater Paul Barril. Mit starrem Blick malt er in düsteren Farben sein Bild des damaligen Rebellenführers Paul Kagamé aus: "Er spricht nicht einmal Französisch, kein Wort! Er versteht nur Englisch!"

Auf diese Weise zeigt der damals in der Umgebung Mitterrands einflussreiche Herr, welche Triebkräfte die Männer an den Schalthebeln der französischen Republik damals dazu anhielten, jenes Regime bis zum bitteren Ende zu unterstützen, dessen extremistischer Flügel den Genozid planmäßig durchführte. Eingeweihte sprechen vom so genannten "Faschoda-Komplex", benannt nach einer Kleinstadt im Sudan. Dort waren 1898 die französische und die britische Kolonialarmee aufeinander getroffen, die beide versuchten, ihr Kolonialreich nach einer Achse zu ordnen: "Von Kairo nach Kapstadt" für die Briten, von Dakar bis Djibouti für die Franzosen. Damals zog Frankreich den Kürzeren, deswegen der "Komplex" in einem Teil seiner Eliten.

Koloniale Schnittmuster lebten zu späterer Zeit in der Bewahrung sprachlicher Einflusszonen in Afrika fort. Das ruandische Regime bekannte sich zur Francophonie, während die im anglophonen Nachbarstaat Uganda aufgewachsenen Tutsi-Flüchtlinge - und die von ihnen gestellten Rebellen der RPF (Ruandische Patriotische Front) - vorwiegend Englisch sprachen. Das reichte aus, um hohe Staatsbeamte in französischen Ministerien beim Gedanken an einen Sieg der RPF über das Regime in Kigali in Panik ausbrechen zu lassen. Bereits 1992 hörte Paul Kagamé, als damaliger Vertreter der Rebellenarmee, bei einer Unterredung im Quai d’Orsay, dem französischen Außenministerium, die Drohung: "Wenn Sie versuchen sollten, nach Kigali durchzubrechen, dann werden Sie bei Ihrer Ankunft niemand von ihren Familien", gemeint waren die Tutsi, "mehr lebend antreffen." Das deutet daraufhin hin, dass die Kagamé gegenüber sitzenden Staatsbeamten wussten oder ahnten, wozu die im Inneren des Regimes herausbildeten Hutu-Milizen fähig waren.

Einen weiteren Beweggrund hat der Journalist Patrick de Saint-Exupéry in seinem soeben in Paris veröffentlichten Buch L’inavouable (Das Uneingestehbare) benannt. Erstaunlicherweise arbeitet der Reporter, der bereits durch eine längere Artikelserie im Januar und April 1998 in seiner Zeitung ein äußerst kritisches Licht auf die französische Rolle in Ruanda warf bei der konservativen Tageszeitung Le Figaro. Infolge seiner Hintergrundartikel von 1998 musste das französische Parlament eine Untersuchungskommission einsetzen, in der sowohl einige sozialistische wie auch manche bürgerlichen Abgeordneten äußerst kritische Nachfragen stellten (die im schriftlichen Bericht der Kommission auch dokumentiert sind). Der offizielle Abschlussbericht des sozialistischen Ex-Verteidigungsminister Paul Quilès - auf den sich die ersten Presseberichte bei Veröffentlichung der Dokumentation 1999 überwiegend stützten - versucht dagegen vor allem, offenkundigen Verantwortlichkeiten zu verschleiern und zu vertuschen.

Doch de Saint-Exupéry, der auch heute noch für den Figaro arbeitet, hat im Juni 1994 aus eigener Erfahrung den Genozid, vor allem aber die Ankunft der französischen Militärs im Rahmen der Opération Turquise mit erlebt. Mit eigenen Augen musste er mit ansehen, wie die französische Armee mit ihren Elitetruppen - Fallschirmjäger, die Anti-Terror-Einheit GIGN... - am 27. Juni 1994 am Hügel von Bicérero eintraf, dem einzigen Ort in Ruanda, wo sich wochenlang ein bewaffneter Widerstand gegen die Milizen des Völkermords aufrecht erhalten konnte. Die Franzosen vertrösteten die Überlebenden, sie würden bald wiederkommen, bevor sie abrückten - und ließen in den folgenden drei Tagen nochmals 2.000 von ihnen massakrieren. Ab diesem Zeitpunkt konnte nichts mehr de Saint-Exupérys Ansicht erschüttern: Die Franzosen waren in Ruanda eingerückt, um die RPF zu bekämpfen, aber nicht, um Überlebende zu retten. Oder allenfalls überlebende Mörder. Nicht unbedingt gebessert wurde seine Ansicht über die französische Politik, als Präsident Mitterrand ihm im "Off" erklärt haben soll: "Ein Genozid in diesen Ländern ist nicht so bedeutend". (Bereits der konservative, nationalpopulistische Innenminister der Jahre 1993/95, Charles Pasqua, einer der führenden Köpfe der verdeckten französischen Außenpolitik auf dem afrikanischen Kontinent, hatte in ähnlichem Sinne erklärt: "Die Leute in diesen Ländern haben nicht denselben Begriff wie wir vom Tod.") Vielleicht war François Mitterrand sich zu jener Zeit, 1994, nicht mehr vollkommen der Tragweite seiner Worte bewusst, da er bereits in fortgeschrittenem Stadium an Krebs erkrankt war; er sollte anderthalb Jahre später daran sterben, doch nach Angaben seines Arztes Doktor Gubler soll die Krankheit Mitterrands bereits in den frühen Achtziger Jahren aufgetreten sein. Dennoch hat dieser persönliche Zustand bestimmt nichts am Denken Mitterrands, der ein ausgewiesener Zyniker der Macht war, verändert, sondern allenfalls sonst bestehende Hemmungen beim Ausdrücken dieses Haltung beseitigt.

In seinem jetzt erschienen Buch vertritt Patrick de Saint-Exupéry die Ansicht, neben dem "Faschoda-Komplex" spiele noch ein weiterer Faktor die Rolle, möchte man die französische Haltung erklären. Es handelt sich um die so genannte "Theorie des revolutionären Krieges". Diese, in Wirklichkeit konterrevolutionäre Technik wurde durch französische Militärs während ihrer Kolonialkriege in Vietnam und Algerien entwickelt. Sie trägt diesen Namen, weil sie sich angeblich von Lenin und Mao inspirieren ließ, welche erkannt hätten, dass ein militärischer Sieg eine Unterstützung durch die Bevölkerung - in der die Guerilla "wie ein Fisch im Wasser schwimmen muss" - voraussetze. In Konsequenz daraus predigten die Militärs, im Kontext der Aufstandsbekämpfung müsse die Bevölkerung kontrolliert, in soziale Organisationsformen unter Aufsicht - wie die Zwangsumsiedlungslager im Algerienkrieg - oder durchmilitarisierte Milizsysteme gepresst werden. In den Sechziger Jahren, nach dem Ende des Algerienkriegs, unterrichteten französische Offiziere diese Theorie in der US-Militärschule von Fort Bragg, später gaben sie ihr Wissen an argentinische Foltergeneräle weiter.

Ruanda, folgt man de Saint-Exupéry, wo das frühere Regime die Hutu-Bevölkerung in Milizen zu organisieren versuchte, bildete ein Testfeld für die Anwendung solcher Theorien. Deswegen hätten manchte französische Militärs dem Regime in Kigali nicht nur aus Pflichterfüllung als Berater gedient, sondern sich wirklich mit dessen "Sache" identifiziert. Und die Tatsache, dass manche RPF-Offiziere Militärschulen in den USA - darunter jene in Fort Bragg - durchlaufen hatten, habe ihre Angst beflügelt: Und was, wenn die Gegenseite so viel weiß wie wir?

Dank der Rolle de Saint-Exupérys hat der konservative Figaro (erstaunlicherweise, angesichts seines sonstigen Profils) eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung der französischen Verantwortung in Ruanda gespielt. Auch die linksliberale Libération hat in den letzten Wochen sehr kritisch über die Rolle des Landes 1994 berichtet, mit Ausnahme eines Gastbeitrag des Journalisten und Fernsehkritikers Daniel Schneidermann vom Freitag, 9. April. Der Autor, der jahrelang für Le Monde arbeitete (aber derzeit im Konflikt mit der Redaktion liegt), mokiert sich darüber, dass die französischen Medien eine exzessive nationale Selbstgeißelung betrieben, und meint, die Ruander sollten nicht versuchen, die Schuld am Genozid nach außerhalb ihrer Landesgrenzen zu verschieben.

Dagegen spielt Le Monde, die ansonsten als wichtigste französische Qualitätszeitung gilt, in dieser Frage mit Abstand die übelste Rolle. Diese Pariser Abendzeitung, die bereits im Frühjahr 1994 die RPF stets als "schwarze Khmer" - unter Anspielung auf Pol Pot - verunglimpfte und während des Genozids mitunter Opfer- und Tätergruppen in einem wirren Gemälde zu verwischen suchte, ziellt in ihrer Berichterstattung im Wesentlichen auf eine Rechtfertigung der französischen Außenpolitik ab. Diese Rolle übernimmt bei Le Monde heute vor allem ihr Afrikaspezialist Stephen Smith, der in den Wochen vor dem und um den 7. April u.a; den Präsidentensohn Léon Habyarimana zu Wort kommen ließ und auf die jüngsten Vorwürfe von Paul Kagamé sofort mit einem Artikel antwortete, dessen Überschriften bereits alles aussagte: "Es gibt keinerlei Beweis für den Paris vorgeworfenen ‚Blutpakt‘". Dabei müsste Stephen Smith es tatsächlich besser wissen: Er hatte 1994, als damaliger Korrespondent von Libération, sehr viel kritischer über die manifeste Verwicklung Frankreichs berichtet.

Die Rolle von Le Monde gegenüber Frankreichs Verwicklung in den ruandischen Genozid ist bereits 1999 zum Gegenstand eines kleinen, aber informativen Büchleins geworden, das für nur 3 Euro im Anarcho-Taschenbuchverlag L'Esprit frappeur zu erstehen ist. Jean-Paul Gouteux untersuchte darin kritisch die Frage: Le Monde, un contre-pouvoir? (Le Monde, eine Gegenmacht?) In demselben Verlag erschien übrigens auch, bereits 1997, der Titel Rouanda 1994, un génocide français von Mehdi Ba, der nur 1,50 Euro kostet. Und im Jahr 2002 brachte Jean-Paul Gouteux dort das dicke Taschenbuch La nuit rwandaise (Die ruandische Nacht) heraus, mit dem Untertitel "Die französische Verwicklung in den letzten Genozid des 20. Jahrhunderts" (637 Seiten, 10 Euro). Darin hat er nochmals den gesamten verfügbaren Stand des kritischen Wissens resümiert.

In den letzten Jahren hat die französische Rolle beim Völkermord in Ruanda die Aufmerksamkeit eines Teils des linken, aber auch des bildungsbürgerlichen Publikums gefunden. Im November 2001 wurde im Pariser Parc de la Villette, einem städtischen Veranstaltungsgelände, vor einem randvollen Saal - der über 2.000 Personen fasst - eine sieben Stunden dauernde Theater-, Musik- und Dokumentar-Veranstaltung mit Überlebenden und Filmausschnitten vom damaligen Geschehen nach einem Auftritt in Brüssel zum zweiten Mal uraufgeführt. Trotz Eintrittspreisen von mindestens 20 Euro war ein breites interessiertes Publikum gekommen, das sich auch an Frankreichs Rolle bei der Unterstützung der Genozidäre sehr interessiert zeigte. Dieselbe Theatergruppe konnte ihr Stück jetzt, zum Gedenktag am 7. April, erstmals auch in Kigali aufführen.

 

Editorische Anmerkungen
Der Autor schickte uns seinen Artikel in der vorliegenden Fassung am 12.4.2004 mit der Bitte um Veröffentlichung.

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